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Full text of "Abhandlungen der Königlich Bayerischen Akademie der Wissenschaften"

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ABHANDLUNGEN 


MATHEMATISCH-PHYSIKALISCHEN CGLASSE 


DER KÖNIGLICH BAYERISCHEN 


AKADEMIE ver WISSENSCHAFTEN. 


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DREIZEHNTEN BANDES 


IN DER REIHE DER DENKSCHRIFTEN DER XLVIII. BAND. 


MÜNCHEN, 
1880. 
VERLAG DER K. AKADEMIE, 
IN COMMISSION BEI G. FRANZ. 


Inhalt des XIII. Bandes, 


I. Abtheilung. 
Studien über fossile Spongien. Erste Abtheilung. I Hexactinellidae Von 
Karl Alfred Zittel ER ee 2 ee >06 RE 
Studien über fossile Spongien. Zweite Abtheilung. II Lithistidae. Mit zehn 
lithographirten Tafeln. Von Karl Alfred Zittel Ne 
Die Anwendung der Wage auf Probleme der Gravitation. Von Ph. von Jolly 


II. Abtheilung._ 
Studien über fossile Spongien. Dritte Abtheilung. Monactinellidae, Tetracti- 
nellidae und Caleispongiae. Von Karl Alfred Zittel Eu 
Die Veränderlichkeit in der Zusammensetzung der atmosphärischen Luft. Von 
0 OR KR RO a N 
Theorie der Gärung. Von 0. von Nägeli EL NEE > 
Vergleichend anatomische Untersuchungen über die äusseren weiblichen Ge- 
schlechts- und Begattungsorgane des Menschen und der Affen, insbesondere 
der Anthropoiden. Von Dr. Th. L. W. von Bischoff. Mit sechs Tafeln 
Abbildungen EN WERE RE ERS E yle: Becan aaa Dale 


Ill. Abtheilung. 


Beiträge zur Anatomie des Gorilla. Von Dr. Th. L. W. von Bischoff in München 

Das Bayerische Präcisions-Nivellement. Fünfte Mittheilung von Karl Max 
von Bauernfeind. Mit einer Uebersichtskarte 2 ; . 

Ueber die Berechnung der wahren Anomalie in nahezu parabolischen Bahnen. 
Non Theodor Kitter von Oppolzser » » .» 2 nun ! 

Ueber die äusseren weiblichen Geschlechtstheile des Menschen und der Affen, 
Nachtrag von Dr. Th. L. W. von Bischoff. Mit zwei Abbildungen 

Ergebnisse aus Beobachtungen der terrestrischen Refraktion. Erste Mittheilung 
enthaltend die Feststellung von Thatsachen. Mit zwei Steindrucktafeln. 
Von Karl Max von Bauernfeind 


Seite 


155 


49 


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Nachträgliche Berichtigung zur ersten Abtheilung der Studien über fossile 
Spongien. 


Beim Umbrechen des Satzes ist leider auf Seite 15 eine sinnentstellende Vertauschung 
der Worte Coralliospongia und Calieispongia vorgekommen ; ausserdem steht auf derselben 
Seite Zeile 5 v. ob. „gemmulae ohne Nadeln“ anstatt „mit Nadeln.“ 


Die Zeilen 3—8 auf 8. 15 sind darum durch beifolgende Einlage zu ersetzen. 


Calicispongia. S. Kent. 
Schwammkörper mit einem aus verflochtenem oder isolirten Nadeln bestehenden, 
niemals netzförmigen und zusammenhängenden Skelet. Gemmulä mit Nadeln. 


Coralliospongia. Gray. 
Schwammkörper mit anastomosirendem oder zusammenhängendem netzförmigen 
Skelet. Gemmulä häutig, ohne Nadeln. 


ABHANDLUNGEN 


MATHEMATISCH-PHYSIKALISCHEN CLASSE 


DER KÖNIGLICH BAYERISCHEN 


AKADEMIE »er WISSENSCHAFTEN. 


DREIZEHNTEN BANDES 
ERSTE ABTHEILUNG. 
IN DER REIHE DER DENKSCHRIFTEN DER XLVII. BAND. 


MÜNCHEN, 
1878. 


VERLAG DER K. AKADEMIE, 
IN COMMISSION BEI G. FRANZ. 


Inhalt. 


Studien über fossile Spongien. Erste Abtheilung. I. Hexactinellidae. Von Karl 
Alfred Zittel MT: 


Studien über fossile Spongien. Zweite Abtheilung. II. Lithistidae. Mit zehn 
lithographirten Tafeln. Von Karl Alfred Zittel ee 


Die Anwendung der Waage auf Probleme der Gravitation. Von Ph. von Jolly 


Seite 


1 


Studien 


über 


fossile Spongien 


von 


Karl Alfred Zittel, 


ordentl. Mitglied der k. bayer. Akademie der Wissenschaften. 


Abh.d. II. Cl.d.k. Ak. d. Wiss. XIII. Bd. I. Abth. 1 


Studien über fossile Spongien 


von 


Karl Alfred Zittel, 
ordentl. Mitglied der k. bayrerischen Akademie der Wissenschaften. 


I. Hexactinellidae. 


Systematische Stellung der Hexactinelliden. 


Unter den zahlreichen Entdeckungen O. Schmidts im Gebiete der 
Spongiologie hat in paläontologischer Hinsicht keine eine Bedeutung von 
so grosser Tragweite erlangt, wie die Aufstellung und Begrenzung der 
Ordnungen der Hexactinelliden und Lithistiden. !) Es war zwar schon früher 
von Wyville Thomson ?) auf die verwandtschaftlichen Beziehungen der 
Ventriculiten aus der englischen Kreide mit gewissen lebenden Kiesel- 
spongien hingewiesen: worden, aber erst nachdem OÖ. Schmidt gezeigt 
hatte, dass die sogenannten Glasschwämme (Vitrea) W. Thomson’s zwei 
fundamental verschiedene Typen, die Hexactinelliden und Lithistiden ent- 
halten, von denen jeder zahlreiche fossile Vorläufer besitzt, war für 
die Palaeontologie eine Grundlage geschaffen, auf welcher man fortbauen 
konnte. 


1) Grundzüge einer Spongienfauna des Atlantischen Gebietes. Leipzig 1870. 
2) The depth 5 of the Sea. Royal Dublin Society. April 1869 und 1873. $. 483. 
1* 


Wie ich in einer früheren Abhandlung ?) bereits nachgewiesen habe, 
wurde die Anregung der genannten Forscher von den Paläontologen 
wenig beachtet, man hielt nach wie vor an den verfehlten Systemen von 
d’Orbigny und Fromentelfest und obwohl schon früher durch Etallon, # 
F. A. Roemer) und neuestens durch Pomel®) schüchterne Versuche 
gemacht worden waren, den Strukturverhältnissen auch bei den fossilen 
Spongien einige Rechnung zu tragen, so blieben dieselben wegen der 
bisher fast ausschliesslich angewendeten makroscopischen Untersuchungs- 
Methode beinahe resultatlos. 

Mittlerweile ist die Kenntniss der lebenden Hexactinelliden und 
Lithistiden durch Carter, ”) W. Marshall,®) Saville Kent,®) Bo- 
werbank, !%) Wyville Thomson, '!) Wright !?) u. A. so wesentlich 
gefördert worden, dass diese verhältnissmässig spät entdeckten Ordnungen 
der Spongien jetzt zu den am sorgfältigst studirten gehören. 

Ueber die Abgrenzung der Hexactinelliden und Lithistiden, welche 
noch von Gray als Coralliospongia, von W. Thomson als Vitrea und 
von Bowerbank als Siliceo-fibrous Sponges vereinigt worden waren, be- 
steht jetzt zwischen den meisten Kennern der lebenden Spongien keine 
nennenswerthe Differenz mehr. Die Unterscheidung beider Ordnungen ist 
in der That ungemein scharf und auch für die fossilen Formen mit 
gleicher Sicherheit durchführbar. 

Bei den Hexactinelliden besteht nämlich das Kieselskelet aus Ele- 
menten, denen fast ausnahmslos drei rechtwinklich sich kreuzende Axen 
zu Grunde liegen, während bei den Lithistiden die Axen meist unter 


3) Ueber Coeloptychium. Abh. der k. bayr. Ak. II. Cl. Bd. XII. Abth. III. 1876, 

4) Actes de la societe jurassienne d’emulation pendant 1858. Porrentruy 1860. 8. 129. 

5) Die Spongitarien des Norddeutschen Kreidegebirges. Palaeontographica XIII. 1864. 

6) Paleontologie de la Province d’Oran. 5. fase. Spongiaires. 1872. 

7) Annals and Magazine nat. hist. 4. Ser. vol. XII. 1873. S. 349 u. 437. 

8) Zeitschrift für wissenschaftliche Zoologie Bd. XXV. Supplem. u. Bd. XXVII. S. 118. 

9) Monthly mieroscop. Journ. 1870. vol. IV. S, 241. 

10) Monograph of the siliceo-fibrous Sponges. Proceed. zool. soc. Lond. part. I. 1869 S. 66 II. 
ibid. S. 323. III. 1875. S. 272. IV. ibid. S. 503 V. ibid. S. 558 VI. 1876. S. 535. - 

11) Annals and Mag. nat. hist. 4 Ser. vol. I. 1868. S. 119; The Depth of the Sea. 1873 u. Philos. 
transactions 1869. (on Holtenia) S. 701. 

12) Quart. journ. mieroscop. Soc. vol. X. 1870. 8. 4. 


5 


einem Winkel von 120° 13) zusammenstossen und auf diese Weise der Haupt- 
sache nach vierstrahlige Körper bilden, die in eigenthümlicher Weise 
mit einander verbunden sind, wie dies in einer späteren Abhandlung ge- 
zeigt werden soll. 

Neben den drei- und vieraxigen Grundformen kommen sowohl bei 
Hexactinelliden als auch bei Lithistiden einaxige Nadeln in reichlicher 
Menge und mehr vereinzelt auch vielaxige Kieselkörper vor. 1%) 

OÖ. Schmidt, Carter und Marshall finden zwischen den Hexac- 
tinelliden und den übrigen jetzt lebenden Spongien keine engeren Be- 
ziehungen. Die Ordnung steht vollständig isolirt und lässt nach keiner 
Richtung Uebergänge zu anderen Familien erkennen. Wenn Saville 
Kent anfänglich in der Gattung Dorvillia ??) ein Bindeglied zwischen 
Hexactinelliden und Thetyiden gefunden zu haben glaubte, so stellte sich 
später heraus, '6) dass die von Kent beobachteten sechsstrahligen Nadeln 
zufällig in den Schwammkörper gelangt waren und dass somit die Gat- 
tung Dorvillia als Synonym von Tethya aus der Literatur zu ver- 
schwinden habe. 

Nicht weniger scharf als die lebenden, sind die fossilen Hexacti- 
nelliden von allen anderen Spongien, namentlich auch von den Lithistiden 
geschieden. Es widerspricht dieser Satz den in meiner Monographie von 
Coeloptychium ausgesprochenen Anschauungen, !?) welche ich auf das 
Vorkommen der freien Kieselgebilde in den Coeloptychien-Skeleten be- 
gründet hatte. Ich glaubte damals aus dem Vorkommen und dem Er- 
haltungszustand dieser vielgestaltigen Körper den Schluss folgern zu 
dürfen, dass der Gattung Coeloptychium Kieselnadeln von einaxigem, 3-, 
4-, 5- und vielaxigem Typus zugehören, allein meine fortgesetzten Studien 
über fossile Spongien belehrten mich, dass die freien Kieselgebilde 
nur in seltenen Fällen noch so innig mit dem zusammenhängenden 
Skelet verbunden sind, dass sie systematissh verwerthet werden können. 
Häufig findet man an gewissen Localitäten ganz verschiedene Spongien- 


13) Nicht 130°, wie in meiner Monographie über Coeloptychium S. 45 in Folge eines Druckfehlers 
angegeben wird. 

14) Letztere sind mit voller Sicherheit nur bei Lithistiden nachgewiesen. 

15) Monthly mieroscop. journ. 1870. S. 295. 

16) Annals and Mag. nat. hist. 1871. 4 ser. vol. VII. S. 37 u. vol. X. S. 209. 

17) 1. ce. S 34. 49. 53. 


6 


körper mit den gleichen Nadeln erfüllt und eime Prüfung des umschlies- 
senden Gesteins zeigt auch fast immer eine Ueberfülle an entsprechenden 
Gebilden. Die Spongiennadeln spielen in petrogenetischer Hinsicht über- 
haupt eine viel grössere Rolle, als bisher angenommen wurde. !°) 

Was nun die in meiner Monographie von Öoeloptychium abgebildeten 
freien Kieselgebilde betrifft, so glaube ich jetzt die auf Taf. VII darge- 
stellten Formen und namentlich die unregelmässig gestalteten mit den 
kurzen Axencanälen zum grössten Theil auf bestimmte Lithistiden- 
Gattungen zurückführen zu können. Zur gleichen Ordnung dürfte wohl 
auch die Mehrzahl der auf Taf. VI abgebildeten Anker, Vier- und Acht- 
strahler gehören. 

Im Allgemeinen möchte ich mich nunmehr den Anschauungen Carter’s 
anschliessen und den freien Kieselgebilden, welche sich wahrscheinlich 
als zufällige Einschwemmungen in den Coeloptychien-Gerüsten finden, 
einen verschiedenartigen Ursprung zuschreiben. 

Damit wird selbstversändlich auch meinen aufdie Beschaffenheit der freien 
Kieselnadeln basirten systematischen Folgerungen !”) die Grundlage entzogen. 

OÖ. Schmidt ?”) leitet in einer phylogenetischen Tafel die lebenden 
Hexactinelliden von den fossilen „Ventriculitidae“ ab. Wenn mit der 
letzteren Bezeichnung lediglich eine Altersverschiedenheit ausgedrückt 
werden soll, so lässt sich dagegen Nichts einwenden. Als systematischer 
Begriff jedoch müssen die Ventrieulitidae, wenigstens in dem von ©. Schmidt 
angewendeten Sinne verschwinden, da sie sich in jeder Hinsicht den ächten 
Hexactinelliden anschliessen. : 

Ebenso wenig dürfen die sogenannten „Vermiculatae“, welche O.Schmidt 
als Vorläufer der Lithistiden ansieht, von diesen geschieden werden. 
Die Bezeichnung Vermiculatae wäre indess auch aus dem weiteren Grunde 
zu beseitigen, weil sich unter den fossilen Spongien „mit wurmförmigem 
(rewebe“ sowohl ächte Lithistiden, als Kalkschwämme mit anastomosirenden 
Fasern befinden. 

Ob die Lithistiden als ein Seitenzweig aus den Hexactinelliden her- 
vorgegangen sind, wie W. Marshall?!) auf speculativem Wege wahr- 


18) Vgl. auch Rutot Ann. de la soc. malacologique de Belgique IX. 1874. 
19) 1. ec. S. 53. 

20) 12.083: 

21) Ideen über d. Verwandtschaftsverh. der Hexactinelliden. Zeitschr. f. wiss. Zool. XXVII. S. 134. 


scheinlich zu machen sucht, muss vorläufig dahin gestellt bleiben. Vom 
paläontologischen Standpunkt lässt sich kaum etwas für diese Hypothese 
geltend machen; denn wenn über die Verbreitung der fossilen Lithistiden 
auch wenig: Verlässliches veröffentlicht ist, so haben sich dieselben doch 
keinenfalls erst in der Kreide, wie Marshall annimmt, entwickelt. Ich 
kenne aus dem Jura zahlreiche typische Lithistiden, ja es treten dieselben 
schon in der Silurzeit (Aulocopium) als ein selbstständiger Stamm neben 
den Hexactinelliden auf. 

Bis jetzt scheinen somit die Untersuchungen über lebende und fossile 
Hexactinelliden für diese Ordnung eine allseitige scharfe Begrenzung zu 
ergeben. 


Erhaltungszustand der fossilen Hexactinelliden. 


Bei der überraschenden morphologischen Uebereinstimmung vieler 
fossilen und recenten Formen muss es einigermassen befremdlich erscheinen, 
dass die engen verwandtschaftlichen Beziehungen von den Paläontologen 
bisher gänzlich verkannt wurden. 

Die Hauptursache dieser Erscheinung beruht in der bisherigen 
mangelhaften, rein makroscopischen Untersuchungs-Methode der Paläon- 
tologen. Es darf jedoch andererseits auch nicht verschwiegen bleiben, 
dass abgesehen von Farrea bis in die neueste Zeit nur solche Formen 
von lebenden Hexactinelliden (Hyalonema, Euplectella) bekannt waren, 
welche als die differenzirtesten Ausläufer der ganzen Gruppe mit den 
fossilen Vertretern die geringste Uebereinstimmung zeigen. Dazu kommt 
nun noch der höchst eigenthümliche Erhaltungszustand sehr vieler fossiler 
Hexactinelliden, welcher fast mit Nothwendigkeit irrige Anschauungen 
über die chemische Zusammensetzung dieser Schwammkörper hervor- 
rufen musste. 

Ein Blick in die paläontologische Literatur zeigt uns denn auch bis 
in die neueste Zeit die abweichendsten Ansichten über die ursprüngliche 
Beschaffenheit der hier näher zu betrachtenden fossilen Spongien. 

Von den älteren Autoren (Guettard, Parkinson, Münster, Gold- 
fuss u. A.) wurden die versteinerten Seeschwämme entweder für Umwandlungs- 
gebilde horniger Skelete oder für ursprüngliche Kalkskelete erklärt. Toul- 
min Smith bezeichnet den ursprünglichen Zustand der Ventriculiten als 


8 


„membranaceous“. D’Orbieny, Etallon, Quenstedt, Pictet und 
Fromentel halten fast alle fossilen Formen für Kalkschwämme (Petro- 
spongia). Unter den Autoren, welche in neuerer Zeit auf spongiologischem 
Gebiete thätig waren, schliessen sich Pagenstecher, Capellini, Rosen, 
Sinzow, Harvey Holl, Kayser u.A. der Meinung an, dass die fossilen 
Skelete kalkige oder kieselige Pseudomorphosen eines ursprünglich aus 
Hornfasern bestehenden Körpers seien. Nur F. A. Römer und A. Pomel 
schreiben wenigstens einer Anzahl von fossilen Formen ein kieseliges 
Skelet zu. 

Diese Unsicherheit über die ursprüngliche chemische Beschaffenheit 
erregt Befremden, namentlich da es sich um eime so widerstandsfähige 
Substanz, wie Kieselerde handelt. Dass gewisse Spongien aus der weissen 
Kreide von England und Norddeutschland (z. B. aus den Quadraten- 
Mergeln von Ahlten, Coesfeld), und namentlich aus dem Malm des fränkisch- 
schwäbischen Jura durch Behandlung mit verdünnter Salzsäure so voll- 
ständig vom Nebengestein befreit werden können, dass die Skelete ganz 
rein, wie frisch aus dem Meere entnommen erscheinen, war wenigstens 
für die jurassischen Formen schon seit längerer Zeit bekannt. Nichts 
desto weniger wurden diese schönen Skelete in der Regel als Umwand- 
lungsprodukte von Horn- oder Kalkschwämmen betrachtet. Der Grund 
zu dieser Annahme lag darin, dass in den Schichten, welche solche 
Spongien enthalten, meist zahlreiche andere Versteinerungen mit ursprüng- 
lich kalkigen Schalen (Mollusken und Echinodermen) verkieselt vor- 
kommen. Ueberdies zeigte sich, dass in manchen Fällen die Hälfte oder 
ein kleiner Theil eines Schwammkörpers durch Behandlung mit verdünnter 
Säure vortrefflich präparirt wurde, während sich die ganze übrige, schein- 
bar gleichartig beschaffene Masse vollständig auflöste. Durch Herstellung 
von Dünnschliffen liess sich ermitteln, dass derartige vollständig lösliche 
Spongien in der That ein aus Kalkspath bestehendes Skelet besitzen. 

Im schwäbisch fränkischen und im schweizerischen Jura sind Spongien, 
welche morphologisch mit den lebenden Hexactinelliden vollkommen 
übereinstimmen, häufiger mit Kalk- als mit Kieselskeleten versehen. An 
anderen Localitäten dagegen, z. B. bei Natthein, Oerlingen, Muggendorf, 
Engelhardsberg u. s. w. erscheinen die Spongien, wie fast alle anderen 


o) 


Versteinerungen in roh verkieseltem Zustand, der jedoch augenscheinlich 
unter Einfluss des Fossilisationsprocesses hervorgerufen wurde. 

In den oberen Kreideablagerungen von Ahlten, Linden und Lem- 
förde in Hannover, Coesfeld in Westfalen sind die hexactinelliden Spon- 
gien gleichfalls fast ohne Ausnahme kieselig. Aber während die Skelete 
aus Nattheim und den zuletzt genannten jurassischen Fundorten eine 
halbkrystallinische, rauhe Beschaffenheit angenommen haben und bei 
mikroscopischer Betrachtung die feineren Strukturverhältnisse (wie Axen- 
canäle, Verzierung der Fasern) nicht mehr erkennen lassen, verhalten 
sich die cretacischen Formen unter dem Mikroscop ganz ähnlich, wie 
macerirte Skelete von lebenden Hexactinelliden. 

Eine entsprechende Beschaffenheit besitzen auch die kieseligen Theile 
solcher Spongien, bei denen ein Theil des Skeletes aus Kalkspath besteht 
oder welche aus Schichten stammen, in denen kalkige und kieselige Skelete 
neben einander vorkommen. Hieher gehören insbesondere die Formen 
aus den eigentlichen Spongitenkalken des weissen Jura y und d‘ in 
Schwaben und Franken. Bei derartigen Vorkommnissen lässt sich zum 
Voraus kaum bestimmen, ob das Skelet bei Behandlung mit Säure völlig 
zerstört oder vorzüglich macerirt wird. Die hier gewonnenen, zuweilen 
prachtvollen, zuweilen ganz fragmentarischen Kieselskelete stehen, was 
Erhaltung der feinsten Verzierungen und Deutlichkeit der Axencanäle 
betrifft, nur wenig hinter den lebenden Hexactinelliden zurück. In optischer 
Hinsicht jedoch zeigen sie ein eigenthümliches Verhalten. 

Legt man nämlich kleine durch Aetzen gewonnene Fragmente oder 
Dünnschliffe in Canadabalsam oder in irgend ein anderes Harz mit ähnlichem 
Brechungscoefficient, so erhält man bei Prüfung unter dem Mikroscop ein sehr 
undeutliches Bild. Die Umrisse sind nicht scharf abgegrenzt und alle feineren 
Verzierungen kommen kaum zum Vorschein. Das Objekt hebt sich wenig 
von der einschliessenden Substanz ab und zeigt offenbar ganz ähnliche 
Lichtbrechungsverhältnisse, wie Canadabalsam. Behandelt man dagegen 
das gleiche Objekt mit Glycerin oder Wasser, so lässt das Bild an Klar- 
heit und Schärfe nichts zu wünschen übrig. Es müssen darum sämmt- 
liche Präparate, welche von derartigen Spongien herrühren in Glycerin 
eingeschlossen werden. Das gleiche Verhalten zeigen auch viele cretacische 
Spongien aus dem norddeutschen und böhmischen Pläner, bei denen 
Abh d.II.Cl.d.k. Akad.d. Wiss. XIII. Bd.I. Abth. 2 


10 


ebenfalls nur einzelne Theile des Skeletes noch aus Kieselerde bestehen 
und beim Aetzen mit Salzsäure zurückbleiben. 

Für lebende Kieselspongien, sowie für fossile Skelete von den oben 
genannten Localitäten der Kreideformation, wo die hexactinelliden 
Schwämme stets kieselige Beschaffenheit zeigen, ist Canada-Balsam das beste 
Medium zur Herstellung von Präparaten. Bringt man dagegen lebende oder 
cretacische Spongien, die in Canadabalsam vorzüglich klare Bilder liefern, 
in Glycerin, so zeigt sich eine ähnliche Erscheinung, wie wenn man 
Juraspongien mit Canadabalsam behandelt. Das Bild verliert alle Schärfe 
und Klarheit, ja es wird unter Umständen so verwischt, dass es bei 
einigermassen heller Beleuchtung kaum noch zu sehen ist. 

Mit diesen auffallenden Erscheinungen correspondirt auch ein ab- 
weichendes Verhalten unter polarisirtem Licht. Sämmtliche recente 
Kieselspongien, von welcher Form auch die Skelettheile sein mögen, 
bestehen aus einfach brechender amorpher Kieselerde. Ebenso verhalten 
sich viele cretacische Formen, welche in Canadabalsam eingeschlossen 
werden müssen. Bringt man jedoch ein in Glycerin oder Wasser be- 
handeltes Präparat von den oben beschriebenen jurassischen Formen unter 
den Polarisationsapparat, so erhält man bei Drehung des Nicol’schen Prisma 
die lebhaftesten Farbenerscheinungen. Die Gerüstfragmente oder Nadeln 
zeigen das für Quarz so charakteristische fleckige buntfarbige Irisiren 
und zwar manchmal ebenso stark wie kleine Quarzkörnchen, welche 
zufällig mit in das Präparat gelangt sind. Ein ähnliches optisches Ver- 
halten kenne ich an organisirter Kieselerde sonst nicht. Man beobachtet 
zwar an Diatomeen oder Radiolarien zuweilen schwache Farben bei 
Drehung des Prisma, niemals aber eine so intensive Erscheinung, wie 
bei den beschriebenen jurassischen oder cretacischen Spongien. Zwischen 
dieser entschieden doppelt brechenden und der unverändert amorphen 
Kieselerde gibt es nun vielfache Uebergangsstadien. Die Kieselschwämme 
aus der Quadratenkreide von Linden bei Hannover z. B. sind sowohl in 
Canadabalsam, als auch in Glycerin sichtbar und bei diesen erhält man 
auch im Polarisations-Mikroscop bei einer gewissen Stellung des Prisma 
schwache Farbenerscheinungen. 

Dieses sonderbare optische Verhalten weist mit Bestimmtheit darauf 
hin, dass in den älteren Kieselspongien eine physikalische Veränderung 


11 


eingetreten ist, wodurch die ursprünglich einfach brechende Kieselerde 
in doppelt brechende übergeführt wurde Ob diese Erscheinung durch 
starke Zerklüftung und zahlreiche feine Risse oder durch eine Umlagerung 
der Moleküle hervorgerufen wurde, ähnlich wie dies bei der langsamen 
Umwandlung von amorphem Zucker in krystallinischen stattfindet, oder 
ob hier chemische Einflüsse mitgewirkt haben, vermag ich vorläufig nicht 
zu entscheiden. ??) Jedenfalls beweisen aber die optischen Eigenschaften 
der erwähnten fossilen Kieselspongien, dass eine gewisse Veränderung in 
der Substanz der Skelete eingetreten ist. Diese Thatsache wird noch 
bestätigt durch ihre sonstige Beschaffenheit. 

Bei auffallendem Licht betrachtet, erscheinen dieselben nicht lebhaft 
elasglänzend und durchsichtig wie lebende Kieselspongien, sondern matt, 
weiss und undurchsichtig. Von den feinen concentrischen Schichten, aus 
welchen die Kieselgebilde der Spongien aufgebaut sind, ist selbst bei den 
stärksten Vergrösserungen nie etwas wahrzunehmen, auch ist die ganze 
Oberfläche durch zahllose kleine Vertiefungen und Erhöhung mehr 
oder weniger corrodirt. Durch Canadabalsam oder Glycerin können die 
ursprünglich trüben Fragmente allerdings vollständig oder doch mehr 
oder weniger durchsichtig gemacht werden, ohne jedoch die wasserklare 
Beschaffenheit der recenten Glasschwämme zu erhalten. 

Da diese Erscheinungen am auffallendsten an solchen Localitäten 
beobachtet werden, wo gleichzeitig fossile Hexactinelliden oder Lithistiden 
mit verkalkten Skeleten vorkommen, so drängt sich der Gedanke 
an eine physikalische Veränderung unwiderstehlich auf. Zum gleichen 
Schlusse führt auch das Verhalten gegen ätzende Alkalien. Während 
sich nämlich amorphe Kieselerde in Kali- und Natronlauge ziemlich leicht 
auflöst, werden die jurassischen Hexactinelliden mit doppelter Lichtbrechung 
auch bei starkem Kochen wenig angegriffen und lössen sich erst nach 
langer Digestion unter Hinterlassung eines sehr geringen Rückstandes auf. 
Etwas leichter löslich sind die wenig veränderten cretacischen Kiesel- 
skelete mit einfacher Lichtbrechung. 


22) Aehnliche optische Erscheinungen beim Feuerstein, welcher doch gewiss wie der einfach 
brechende Menilith ursprünglich aus amorpher Kieselerde entstanden ist, lassen auch für die 
massenhaften Kieselausscheidungen in der Kreide eine derartige Umwandlung vermuthen. 


9* 


Von beachtenswerther Seite wurde in mündlicher Erörderung die 
Vermuthung geäussert, es habe unter den fossilen Spongien Formen 
gegeben, welche zwar morphologisch vollständig mit gewissen lebenden 
Hexactinelliden oder Lithistiden übereinstimmten, bei denen jedoch das 
Skelet ursprünglich nicht aus Kieselerde, sordern aus kohlensaurem 
Kalk zusammengesetzt gewesen sei. 

Eine mikroscopische Prüfung der verkalkten Hexactinelliden wider- 
legt diese Annahme sofort. Wenn man z. B. an einem Schwammkörper 
aus dem weissen Jura von Streitberg, der zur Hälfte verkalkt, zur Hälfte 
kieselig ist, einen Dünnschliff des verkalkten Theils untersucht, so zeigt 
sich, dass die rechtwinklich sich kreuzenden Trabekeln, welche cubische 
Maschen bilden aus krystallisirtem Kalkspath bestehen. In der allge- 
meinen Form sind die kalkigen Skelettheile von den kieseligen nicht zu 
unterscheiden, aber während bei den letzteren im Innern der Trabekeln 
die Axencanäle aufs Deutlichste erhalten sind, erweisen sich die kalkigen 
Theile als vollständig dieht. Der Kalkspath bildet eine gleichmässige, 
undifferenzirte Masse. Der Mangel an Axencanälen in den kalkigen und 
deren Vorhandensein in den kieseligen Theilen ein und desselben Schwamm- 
körpers scheint mir den unwiderleglichen Beweis zu liefern, dass Kiesel- 
erde die ursprüngliche Substanz des Skeletes bildete und dass die aus 
Kalkspath bestehenden Hexactinelliden und Lithistiden nur in Folge des 
Fossilisations-Processes ihre chemische Beschaffenheit geändert haben. 
An die Stelle der ursprünglich vorhandenen amorphen Kieselerde ist 
demnach Kalkspath getreten. 

Diese etwas ungewöhnliche Pseudomorphose verlangt, dass vor dem 
Eindringen des kohlensauren Kalkes das Kieselskelet aufgelöst und weg- 
geführt wurde. Bei der verhältnissmässig leichten Löslichkeit von amorpher 
Kieselerde in einem mit alkalischen Substanzen imprägnirten Wasser bietet 
dieser Process nichts Auffallendes, namentlich wenn man bedenkt, welche 
ausgedehnte Oberfläche die mit Axencanälen versehenen und aus concen- 
trischen Lagen bestehenden Kieseltheile dem Lösungsmittel darboten. 

Das Vorkommen von Hexactinelliden und Lithistiden, bei denen 
entweder ein Theil oder auch das ganze Kieselgerüst beseitigt ist und 
bei denen die Stelle der Kieselfasern durch hohle Röhrchen, welche 
in der eingedrungenen Gesteinsmasse ein Maschennetz bilden, eingenommen 


13 


wird, gehört in der That zu den ganz gewöhnlichen Erscheinungen. 
Solche Beispiele hat bereits Toulmin Smith aus der weissen Kreide 
von England beschrieben, noch häufiger zeigt sich dieser Erhaltungs- 
zustand bei den Spongien aus der eisenschüssigen und sandigen oberen 
Kreide von Saratow in Russland. Durch Behandlung in verdünnter Säure 
werden bei solchen Schwammkörpern einzelne und zwar meist nur kleine 
Parthien des Skeletes prächtig macerirt, während sich weitaus der 
grössere Theil des Fossils vollständig auflött. Eine Prüfung mit der 
Loupe zeigt dann auch sofort, dass an den löslichen Stellen das Kiesel- 
gerüst durch feine Hohlräume ersetzt ist, die ein treues Bild des ursprüng- 
lichen Skeletes liefern. ?°) 

Nicht selten zeigen sich die durch Beseitigung der Kieselfasern 
entstandenen Hohlräume ganz oder theilweise mit rostfarbigem Eisen- 
oxydhydrat ausgefüllt. Dieser Erhaltungszustand ist besonders häufigim nord- 
deutschen und böhmischen Pläner, seltener bei Spongien aus der weissen 
Kreide, aus dem Sandstein von Saratow und aus dem oberen Jura. 

Die Ausfüllung der Hohlräume durch krystallisirten Kalkspath kommt 
hauptsächlich in den Schwammkalken des oberen Jura in der Schweiz, 
Würtemberg, Bayern und Polen vor. Hier gibt es Lokalitäten, wo 
sämmtliche Kieselgerüste vollständig in Kalkspath umgewandelt sind 
(Würgau, Boll, Oberbuchsiten), während an anderen (z. B. Schauer- 
graben bei Streitberg, Wodna bei Krakau) die ursprüngliche Kieselsubstanz 
erhalten blieb, jedoch die früher erwähnte optische Beschaffenheit annahm. 

Hält man obige Erklärungsweise der verschiedenen Erhaltungs- 
zustände für richtig und bei der morphologischen Identität der fossilen 
und lebenden Hexactinelliden sind andere Hypothesen, welche den 
betreffenden Spongien ein ursprünglich horniges oder kalkiges Skelet 
zuschreiben, geradezu unannehmbar, so entsteht die Frage, wo die aufge- 
löste Kieselerde der Spongiengerüste hingekommen sei. 

In der weissen Kreide macht diese Frage keine besondere Schwierig- 
keiten. Es wird ja das massenhafte Vorkommen von Feuersteinknollen 
ziemlich allgemein durch eine Concentration der Kieselerde erklärt, 


23) Vgl. darüber Rosen. Ueber die Natur der Stromatoporen. Dorpat. 1867. S.16 u. f. Dass die 
von Rosen versuchte Erklärung dieser Erhaltungszustände irrig ist, dürfte sich aus obigen 
Auseinandersetzungen ergeben. 


14 


welche durch Auslaugung kieseliger Organismen und insbesondere von 
Spongien gewonnen wurde. Auch in den Spongitarienkalken des weissen Jura 
fehlen solche Kieselausscheidungen nicht vollständig, wenn sie auch weniger 
reichlich vorhanden sind, als in der weissen Kreide. In gewissen Regionen 
freilich (Spongienschichten von Boll, Streitberg etc.) sucht man vergeblich 
nach Feuersteinknollen und dennoch finden sich an solchen Localitäten 
neben wenig veränderten Kieselskeleten auch zahlreiche in Kalkspath 
umgewandelte Exemplare. In solchen Fällen wurde die ausgelaugte 
Kieselerde häufig zur Verkieselung anderer Versteinerungen verwendet, 
denn gerade in unmittelbarster Nähe von Spongien zeigen sich die meisten 
Mollusken und Echinodermenschalen in Kieselerde umgewandelt. Aber 
auch in anderer Form scheint die ausgelaugte Kieselerde im Gestein 
vertheilt zu sein. Beim Behandeln von ganz oder theilweise verkalkten 
Juraspongien erhält man nämlich im Aetzrückstand häufig zahllose 
rundliche, mit tiefen Eindrücken versehene rauhe Kieselscheibchen oder 
auch ganz unregelmässig gestaltete wurmförmige Körper. ?*) 

Ausser den bisher beschriebenen Erhaltungszuständen findet man 
zuweilen den ganzen Schwammkörper von Schwefelkies durchdrungen 
und theilweise ın Brauneisensten umgewandelt. Solche Vorkommnisse 
gewähren, wie die roh verkieselten Exemplare nur ein Bild der äusseren 
Form, zur Untersuchung der Strukturverhältnisse sind sie ganz ungeeignet. 


Classifications-Versuche von Sav. Kent, Carter und Marshall. 


Alle bisherigen Versuche, die Verwandtschaftsverhältnisse der Hexacti- 
nelliden in einer systematischen Classification auszudrücken, mussten sich 
wegen der völligen Unkenntniss des feineren Baues der fossilen Formen, 
auf die lebenden Repräsentanten beschränken. Da Bowerbank unter 
den „Fibro-siliceous Sponges“ sowohl die Hexactinelliden als Lithistiden 
begreift und seine in kleinen Abtheilungen erschienene Monographie 
eigentlich nur aus Speciesbeschreibungen besteht, so kann dieselbe hier 
nicht näher in Betracht kommen. 


24) Ein derartiger Körper ist bei Oscar Schmidt (Spong. Atl. Oc. T. II. fig. 19) abgebildet. 


15 


Der erste Versuch zu einem System rührt von Saville Kent?°) her. 
Die Hexactinelliden zerfallen nach diesem Autor in zwei Unterordnungen: 


Coralliospongia. Gray. 
Schwammkörper mit einem aus verflochtenen oder tsolirten Nadeln bestehenden, 
niemals netzförmigen und zusammenhängenden Skelet. Gemmulä ohne Nadeln. 


Calicispongia.. S. Kent. | 

Schwammkörper mit anastomosirenden oder zusammenhängendem netzförmigen 

Skelet. Reproductiv Gemmulä häutig, ohne Nadeln. 

W. Marshall‘) hat bereits den Bedenken, welche gegen eine 
systematische Verwerthung der noch so wenig bekannten Gemmulä 
bestehen, Ausdruck verliehen. Für fossile Formen ist dieses Merkmal 
natürlich unbrauchbar. Aber auch die Gruppirung der Gattungen 
erscheint nicht naturgemäss. In der ersten Unterordnung stehen z. B. 
Euplectella und Habrodietyon neben Farrea und Aphrocallistes, während 
die beiden ersteren doch offenbar viel nähere Beziehungen zu Hyalonema, 
Askonema, Holtenia etc. aufweisen. Dass die Lithistiden-Gattung Mac 
Andrewia Gray noch bei den Coralliospongien Platz findet, dürfte auf 
einem Versehen beruhen. 

Eine vollständige Uebersicht aller bis zum Jahr 1873 bekannten 
lebenden Hexactinelliden nebst einer systematischen Anordnung veröffent- 
lichte Carter in zwei vortrefflichen Abhandlungen über Hexactinelliden 
und Lithistiden. ?) Der ausgezeichnete Spongienkenner hebt zunächst 
den Unterschied zwischen den „Skeletnadeln“, welche das eigentliche 
Kieselskelet bilden und meist eine ziemlich gleichförmige Beschaffenheit 
besitzen und den sogn. „Fleischnadeln“ hervor, welche stets frei in 
der Sarkode eingebettet sind und sich meist durch ihre winzige Grösse 
und ausserordentliche Mannichfaltigkeit der Form auszeichnen. 

Carter zerlegt die Hexactinelliden in folgende drei Gruppen: 28) 

1. Vitreohexactinellida. Nadeln durch verkieselte Fasern verbunden. 
Dactylocalyx, Myliusia, Euplectella, Aspergillum, 
Aphrocallistes, Aulodictyon, Farrea, Sympasgella. 

25) Montlhly microscop Journ. vol. IV. S. 242. 
26) ]. c. XXV. S. 146 


27) Ann. Mag. nat. hist. 1873. 4 ser. Vol. XII. S. 348 u. 437. 
28) Ann. Mag. nat. hist. 1873. S. 357 u. 1875. S. 199: 


16 


2. Sarcohexactinellida.. Nadeln durch amorphe Sarkode verbunden. 
Askonema, Crateromorpha, Rosella, Habrodictyon, 
Hyalonema, Pheronema, Meyerina. 

3. Sarco-vitreohexactinellida. Nadeln theils durch Kieselfasern, theils durch 

amorphe Sarkode verbunden. 
Euplectella cucumer. 

Die zwei ersten Familien zerfallen in mehrere Unterabtheilungen, 
für welche theils die äussere Form des Schwammkörpers, theils die 
Beschaffenheit der „Fleischnadeln“ namentlich der sogen. „Rosetten“ mass- 
sebend sind. 

Wie man sieht, legen Kent und Carter bei Abgrenzung ihrer 
Hauptgruppen in erster Linie darauf Gewicht, ob das Skelet nur aus 
isolirten Nadeln besteht oder ob die einzelnen Theile mit einander ver- 
schmolzen sind und ein zusammenhängendes Gerüste bilden. So viele 
Vorzüge nun auch die Carter’sche Eintheilung gegenüber der von 
Sav. Kent besitzt, befriedigen kann sie nicht, wenn Formen von so 
offenbarer Verwandtschaft wie Euplectella Aspergillum, Habrodictyon und 
Euplectella cucumer in drei verschiedene Familien gebracht werden. 
Eine weitere Schwäche des Carter’schen Systems scheint mir darin zu 
bestehen, dass der Beschaffenheit der Fleischnadeln ein zu hohes, jener 
des eigentlichen Skeletes ein zu geringes Gewicht beigelegt wird. 

Die erste Abhandlung W. Marshall’ ?°) zerfällt in einen allge- 
meinen und einen speciellen Theil. Im ersteren gibt Marshall zunächst 
eine kritische Uebersicht der bisherigen Arbeiten über die Hexactinelliden, 
ferner eine Darstellung ihrer äusseren Gestalt und Verbreitung und lässt 
darauf eine sehr sorgfältige Beschreibung der Sarkode und des Skeletes 
dieser Spongien folgen. Der vom Kieselskelet handelnde Abschnitt 
bietet besonderes Interesse dar. Marshall weist darin nach, dass 
sämmtliche Hexactinelliden aus Nadeln bestehen, die in ihrer Gestalt 
dem Achsensystem eines Octaöders folgen. Aus der Spaltung oder Ver- 
kümmerung einzelner Strahlen oder ganzer Axen lassen sich die mannich- 
faltigen complicirten oder reducirten Kieselgebilde bleiten. 


29) Untersuchungen über Hexactinelliden. 1. e. Bd. XXV. 


17 


Bei den einfachsten Formen, den Stabnadeln, zeigt sich sehr häufig 
noch in den Axencanälen die kreuzförmige Anordnung der drei recht- 
winklichen Axen. Diese Axencanäle sind darum auch von besonderer 
Wichtigkeit bei den Hexactinelliden.. Marshall beschreibt ausführlich 
die Verhältnisse, welche die Axencanäle und deren Cylinder, sofern solche 
vorhanden sind, bei den verschiedenen Formen aufweisen. Im Allgemeinen 
sind die Axencanäle bei den Hexactinelliden mit zusammenhängenden 
Kieselgerüsten bedeutend weiter, als bei denen mit isolirten Nadeln. 

Besondere Aufmerksamkeit schenkt Marshall ferner der Verbin- 
dung der Kieseltheile im Schwammkörper. Diese erfolgt nach Mar- 
shall auf dreierlei Weise: 1) die Nadeln sind nur durch Sarcode ver- 
einigt und bleiben isolirt, 2) sie sind verschmolzen oder 3) sie ver- 
wachsen. 

Bei der „Verschmelzung“ sind die Nadeln nur oberflächlich, durch 
geschichtete Kieselsubstanz zusammengekittet, die Axencanäle selbst 
bleiben vollständig isolirt und fliessen niemals ineinander. Bei Euplectella 
Aspergillum findet die Verkittung durch. plattenförmige „Neubildung“ 
von Kieselerde statt, welche brückenartige Verbindungen zwischen zwei 
benachbarten Nadeln herstellt. Bei Farrea, Aphrocallistes und Eurete 
werden in der Regel zwei nebeneinander liegende Axencanäle von einem 
gemeinsamen Kieseleylinder umschlossen. Auf. dieses Verhalten hatte 
bereits Carter (im Gegensatz zu Bowerbank) aufmerksam gemacht, aber 
während der englische Spongiologe das Vorkommen zusammenhängender 
Axencanäle von benachbarten Nadeln bei den Hexactinelliden läugnet, 
glaubt W. Marshall bei einer einzigen Form (Sclerothamnus) ein zusammen- 
hängendes Canalsystem der verwachsenen Sechsstrahler beobachtet zu 
haben. Diese Erscheinung wird als „Verwachsung“ bezeichnet und 
derselben eine besondere phylogenetische Bedeutung zugeschrieben. 

Im speciellen Theil nimmmt die eingehende Darstellung einer neuen 
Euplectella (E. Oweni) mit freien Kieselnadeln hervorragendes Interesse 
in Anspruch, weil Marshall hier in überzeugendster Weise darlegt, dass der 
Verkittung sämmtlicher oder einzelner Nadeln beiE. Aspergillum und Cucumer 
nur eine ganz secundäre Bedeutung zukommt und dass bei den drei Formen 
in allen wesentlichen Merkmalen (in der äusseren Form, in der Gestaltung 
und Anordnung der Skelet- und Fleischnadeln) die grösste Ueberein- 
Abh.d. II.Cl.d.k. Ak.d. Wiss. XIII. Bd. I. Abth. 3 


18 


stimmung herrscht, so dass eine generische Trennung derselben ganz 
undenkbar ist. 

Mit diesem Nachweis wird die Carter’sche Eintheilung der Hexacti- 
nelliden wesentlich erschüttert. Marshall sucht dieselbe denn auch in 
einer zweiten Abhandlung ?°) durch eine neue Classification zu ersetzen. 
In dieser legt er auf die Verwachsung der Axencanäle bei Sclero- 
thamnus grosses Gewicht. Er denkt sich die Hexactinelliden ur- 
sprünglich aus Chalynthus ähnlichen Schwämmen entstanden, bei denen 
sich im Syneytium parallel verlaufende Sarcodezüge bildeten, welche sich 
rechtwinklig kreuzten und auf diese Weise ein Fachwerk mit cubischen 
Maschen erzeugten. Dieses Sarcodegitterwerk wurde darauf durch 
Ablagerung von Kieselerde befestigt und zwar bildeten sich nach Mar- 
hall anfänglich zusammenhängende Gerüste mit durchlaufenden Axen- 
canälen (Sclerothamnus und fossile Hexactinelliden?), die später mehr 
oder weniger vollständig in vereinzelte Sechsstrahler zerfielen. 

Nach dieser Auffassung zerlegt Marshall die Hexactinelliden in 
zwei Gruppen: 

I. Synauloidae. 

Das Lumen der Röhren der verschiedenen Nadeln hängt, wie diese selbst, 
continuirlich mit einander zusammen, so dass das ganze Giltergewebe des 
Schwammes von einem gleichfalls zusammenhängenden Röhrensystem 
durchzogen ist. 

Sclerothamnus. Marsh. 


II. Asynauloidae. 

Das Lumen der Schenkel verschiedener Nadeln hängt nie zusammen; jede 
Nadel ist, was den ÜOentralfaden betrifft, ein selbständig entwickeltes 
Individuum. 

Die Asynauloiden zerfallen wieder in drei Familien: 

a) Monakidae mit einer einzigen Nadelform, dem reinen Sechs- 
strahler.. Eurete. Marsh. 

b) Pleionakidae, Hauptmasse des Skelets aus reinen, voll entwickelten 
Sechsstrahlern bestehend, daneben Besengabeln oder Rosetten oder 


30) Ideen über die Verwandtschaftsverhältnisse der Hexactinelliden. 1. c. Bd. XXVII. 


15) 


beide zusammen. In den Maschen des Skelets herrscht die cubische 
Form vor. 
1. Nadeln unverschmolzen. 
Lanuginella, Askonema. 

2. Nadeln verschmolzen. 

Farrea, Dactylocalyx, Periphragella, Aulodictyon, Fiel- 
dingia, Aphrocallistes. 

c) Pollakide, Hexactinelliden mit zahlreichen Nadelformen, mit beson- 
derem Dermalskelet und Auskleidung der Magenhöhlungen, meist mit 
Wurzelschopf. In den Maschen, besonders des Dermalskelets, herrscht 
die einfach quadratische Form vor. 

Holtenia, Crateromorpha, Rosetta, Sympagella, Phaco- 
dietyon, Euplectella, Habrodictyon, Labaria, Phero- 
nema, Semperella, Hyalonema. 

Niemand wird die Vortheile verkennen können, welche die von 
Marshall vorgeschlagene Gruppirung der Gattungen besitzt. Namentlich 
die Aufstellung der Familie der Pollakiden scheint mir ein überaus glück- 
licher Griff zu sein. Sie umfasst unstreitig die am meisten differenzirten, 
mannichfaltigsten und zierlichsten Hexactinelliden, welche sich von den 
fossilen Vorläufern am weitesten entfernen. Obwohl der Erhaltung dieser 
Formen kein Hinderniss im Wege stünde, so sind bis jetzt in den Erd- 
schichten noch keine Ueberreste davon entdeckt worden. Die ganze Gruppe 
scheint auf die Gegenwart beschränkt zu sein und ihr spätes Auftreten 
würde somit auch für die Hexactinelliden eine fortschreitende Entwick- 
lung vom Unvollkommenen zum Vollkommneren andeuten. 

In anderen Punkten freilich bin ich nicht in der Lage den Anschau- 
ungen Marshall’s zu folgen. Wäre die Annahme richtig, dass dem 
festen Hexactinellidenskelet ein aus weichen Sarcodezügen bestehendes 
Gitterwerk vorausging, so müssten die älteren fossilen Hexactinelliden 
nothwendiger Weise, wie dies Marshall auch voraussetzt, zu den 
Synauloiden gehören. Dies ist indess keineswegs der Fall. Meine Unter- 
suchungen der fossilen Formen haben gezeigt, dass die zusammenhängenden 
Gittergerüste ausnahmslos aus verschmolzenen Sechsstrahlern bestehen, 
deren Axencanäle zwar häufig übereinander liegen und dann anscheinend 
zusammenfliessende Röhren bilden, aber in Wirklichkeit sind sie stets 

3* 


20 


getrennt und meist liegen sie auch wie bei den lebenden Gattungen 
Farrea, Eurete und Aphrocallistes in der Art neben einander, dass die 
zu den verschiedenen Sechsstrahlern gehörigen Axenfäden deutlich geschieden 
erscheinen, Dieses Verhalten der fossilen Formen veranlasste mich zu 
einer abermaligen Prüfung der Gattung Sclerothamnus, von welcher ich 
ein Fragment der Güte des Herrn Dr. Marshall verdanke. Die optischen 
Verhältnisse bei dem mir zur Verfügung stehenden Material sind leider 
sehr ungünstig, indem die Axencanäle nur bei gewisser Beleuchtung und 
auch dann nur sehr undeutlich zum Vorschein kommen. Nach Kochen 
des Skelets in Schwefelsäure oder Salpetersäure treten die äusserst feinen, 
von Axencylindern umgebenen Canäle jedoch etwas deutlicher hervor 
und man kann sich überzeugen, dass auch bei Sclerothamnus das Gitter- 
gerüst durch Verschmelzung einzelner Sechsstrahler zu Stande kam, 
deren Axencanäle sich begegnen und sich häufig so übereinander legen, 
dass sie scheinbar eine einzige Röhre bilden ohne jedoch wirklich in 
einander zu fliessen. 

Damit wird aber die Abtheilung der Synauloiden überflüssig ?') und 
Sclerothamnus tritt in die Gruppe der Pleionakiden ein. 

Es blieben also noch die drei Abtheilungen der Monakiden, Pleiona- 
kiden und Pollakiden, welche auf die grössere oder geringere Differen- 
zirung der Skelettheile basirt sind. 

Ob es unter den lebenden Hexactinelliden überhaupt Monakiden 
gibt, scheint mir noch zweifelhaft. Von der einzigen hieher gerechneten 
Gattung Eurete Semp. ist nur ein „sehr stark gebleichtes und abge- 
spültes“ Exemplar vorhanden. Da nun das zusammenhängende Kieselskelet 
vollständig mit Farrea übereinstimmt und Bowerbank ®?) bei Farrea 
fistulata (welche vielleicht identisch mit Eurete siniplieissima Marsh. ist) 
nachgewiesen hat, dass „Spicula überall in grosser Zahl vorhanden sind, 
wo das Skelet mit dunkelbrauner Sarkode überzogen ist, dass aber nicht 
eine einzige Nadel zu sehen ist, wenn die Sarkode fehlt“, so halte 
ich die Gruppe der Monakiden in der Marshall’schen Auffassung für 
bedenklich. 


31) Herr Dr. Marshall hat sich, wie er mir brieflich mittheilt, gleichfalls von dieser Thatsache 
überzeugt und wird die Synauloiden in einer demnächst zu veröffentlichtenden Abhandlung 
zurückziehen. 

32) l. ce part. III. S. 276. 


21 


Für den Palaeontologen ist überhaupt jede auf die freien Nadeln 
basirte Classification unbrauchbar, da sich nur in sehr seltenen Fällen 
die Zusammengehörigkeit von Hexactinelliden-Skeleten mit den benach- 
barten „Fleischnadeln“ beweisen lässt. Ueberdiess kommen, wie ich 
bereits in meiner Monographie von Coeloptychium gezeigt habe, unter 
den freien fossilen Kieselgebilden ungemein wenige von hexactinellidem 
Typus vor. Ich habe namentlich niemals eine Spur von „Rosetten, 
Tannenbäumchen, Besengabeln“ und von denanderen, allerdings meist winzig 
kleinen und sehr zerbrechlichen Formen auffinden können, von denen 
Carter bei Abrennung seiner Gattungen vorzugsweise Gebrauch macht. 

Will man den „Fleischnadeln“ eine überwiegende systematische 
Bedeutung zuerkennen, so bleiben aber nicht allein die fossilen Hexacti- 
nelliden unbestimmbar, sondern auch alle diejenigen lebenden Formen, 
deren Skelete abgespült und nicht mehr mit Sarcode bekleidet sind. 

Abgesehen von diesem praktischen Bedenken, stehen einem der- 
artigen Classificationsprineip auch noch innere Gründe gegenüber. Die 
Fleischnadeln bilden gewissermassen die äussere Verzierung des Schwamm- 
körpers, sie sind zu vergleichen mit dew Gefieder der Vögel und 
mit der Hautbedeckung der Fische, Reptilien und Säugethieren. Stellen 
wir uns auf den Boden der Transmutationstheorie, so haben wir in 
den Fleischnadeln sicherlich diejenigen Theile des Schwammkörpers 
vor uns, welche am leichtesten durch Anpassung sich verändern 
und welche darum den ursprünglichen: Typus am leichtesten ab- 
streifen. Ganz anders verhält es sich mit den Skeletnadeln. Schon 
ihr passend gewählter Name deutet an, dass ihnen eine ähnliche 
Bedeutung zukommt wie dem Knochengerüst der Vertebraten. Die 
Skeletnadeln der Hexactinelliden bilden den conservativsten Theil des 
Körpers dieser charakteristischen Schwämme. Mit ausserordentlicher Zähig- 
keit halten sie den Grundtypus des Sechsstrahlers fest und wenn auch 
bei dem höchsten Zweige des Stammes, bei den Pollakiden, durch 
Reduction der Strahlen mancherlei aberrante Formen vorkommen, so 
lassen sie sich doch stets auf den Sechsstrahler zurückführen. 


22 


Eigene Beobachtungen. 


Ist es möglich, die Skeletnadeln zur Grundlage eines Systemes zu 
machen, so dürfte ein solches unbedingt die vererbten Eigenthümlich- 
keiten und somit die natürlichen Verwandtschaftsbeziehungen der Hex- 
actinelliden am schärfsten zum Ausdruck bringen. Wenn aber bisher 
von den Zoologen gerade den eigentlichen Skeletnadeln geringere Auf- 
merksamkeit, als den Fleischnadeln geschenkt wurde, so lag dies offenbar 
in der Gleichförmiekeit, welche selbst ziemlich entfernt stehende Gattungen 
in ihrer Skeletbildung besitzen. Bei den Fleischnadeln traten die Diffe- 
renzen bestimmter hervor und überdies mussten dieselben schon wegen 
ihrer wunderbaren Schönheit das Interesse der Entdecker am lebhaftesten 
fesseln. So finden wir denn in den Abhandlungen von 0. Schmidt 
und Carter die Fleischnadeln sehr sorgfältig, das Skelet nur wenig 
berücksichtigt. Grössere Aufmerksamkeit wurde demselben von W. Mar- 
shall und namentlich von Bowerbank geschenkt, welchem man die 
eingehendsten Analysen von lebenden Hexactinelliden mit zusammen- 
hängendem Gittergerüst und zahlreiche Abbildungen von unübertrefflicher 
Naturwahrheit verdankt. 

Bei den fossilen Hexactinelliden sind die Skeletnadeln in der Regel 
das einzige, was überhaupt der Beobachtung zugänglich ist und schon 
aus diesem Grund muss denselben besondere Beachtung zugewendet 
werden. Sie sind aber auch in systematischer Hinsicht keineswegs so 
unbrauchbar, wie bisher vielfach angenommen wurde. 

Für die ganze Entwickelung und Gestaltung der Skeletnadeln ist die 
Art und Weise, in welcher sie sich mit einander verbinden, massgebend. 

In dieser Hinsicht zerfallen die Hexactinelliden in zwei natürliche 
und wie es scheint scharf getrennte Gruppen: 


I. Lyssakina. Zitt. 
Formen, bei denen die Skeletnadeln in der Regel isolirt bleiben und nur 
durch Surcode verbunden sind. 


II. Dietyonina. Zitt. 
Formen, bei denen die Skeleinadeln in regelmässiger Weise verschmolzen 
sind und ein zusammenhängendes Gitterwerk mit cubischen oder 
polyedrischen Maschen bilden. 


23 


Die Lyssakinen unıfassen sämmtliche Sarcohexactinellidae Carter’s, 
ausserdem aber auch Euplectella Aspergillun und cucumer. Wie bereits 
Marshall gezeigt hat, erfolgt die Verkittung der Skeletnadeln bei den 
zwei letztgenannten Forınen durch ein Uebermaass von Kieselsäure, welche 
im Syneytium abgeschieden wird und welche die sonst durch Sarcode 
eingenommenen Zwischenräume der Nadeln wenigstens stellenweise ausfüllt. 
Die Skeletnadeln selbst werden durch diese Kieselausscheidung weder in 
ihrer Anordnung, noch in ihrer Ausbildung gehemmt und es kann daher 
dieser Erscheinung, welche ich als „Verkittung“ bezeichne, nur ganz 
secundäre Bedeutung beigeleet werden. Bei den Lyssakinen selbst würde 
sich eine weitere Gruppirung nach der grösseren oder geringeren Diffe- 
renzirung der Fleischnadeln, wie sie in ähnlicher Weise von W. Mar- 
shall für die Asynauloiden vorgeschlagen wurde, empfehlen. Die wenigen 
bis jetzt bekannten fossilen Repräsentanten dieser Unterordnung besitzen 
höchst wahrscheinlich nur eine Form von Skeletnadeln und wären darum 
als Monakiden den Pleionakiden und Pollakiden gegenüber zu stellen. 

Die zweite Gruppe der Dietyoninen enthält die Hexactinelliden 
mit regelmässig verschmolzenen Sechsstrahlern. Bei normaler Ent- 
wicklung erfolgt die Verschmelzung in der Art, dass jeder Arm einer 
Nadel sich dicht an den entsprechenden Arm eines benachbarten 
Sechsstrahlers anlegt. Die beiden Strahlen werden sodann von einer 
gemeinsamen Kieselhülle, welche sich gleichförmig um dieselben ab- 
lagert. zusammengeschweisst und verschmelzen so vollständig mitein- 
ander, dass ıhre ehemalige Selbstständigkeit nur noch durch die 
Anwesenheit von zwei getrennten Axencanälen angedeutet wird. Auf 
diese Weise entstehen regelmässige zusammenhängende Gittergerüste, 
bei denen jeder Balken aus zwei Armen von zwei verschiedenen Nadeln 
besteht. Häufig treten nun Unregelmässigkeiten in der Anordnung der 
Gittermaschen dadurch ein, dass ein Sechsstrahler gewissermassen die 
Reihe verlässt und seine Arme in beliebiger Weise an das übrige Gerüst 
ankittet. Heften sich ein oder zwei Strahlen solcher unregelmässig 
gelagerter Nadeln zufällig an das verdickte Kreuzungscentrum eines 
Sechsstrahlers an, so können von einem derartigen Centralpunkt 
mehr als sechs Arme ausgehen. Eine * sorgsame Prüfung ergibt 
jedoch immer, dass die überzähligen Axencanäle zu einem benachbarten 


24 


Sechsstrahler gehören und gewöhnlich auch das Centrum des Axenkreuzes 
nicht erreichen. Andere Unregelmässigkeiten werden dadurch veranlasst, 
dass sich einzelne Strahlen umbiegen oder ihre Richtung verlassen, 
wobei die beiden Arme einer Axe nicht mehr in gerader Linie verlaufen. 

Die Stelle, wo sich die Axencanäle kreuzen, also das ideale Centrum, 
von welchem alle sechs Arme einer Nadel ausstrahlen und wo die 
Kieselröhren zusammentreffen, ist stets durch eine Anschwellung, „den 
Kreuzungsknoten“, angedeutet. 

Für die Systematik der Hexactinelliden bietet die Beschaffenheit 
der Kreuzungsknoten wichtige Anhaltspunkte. Es treten hier zwei Modi--. 
ficationen auf. 

1. Die Kreuzungsknoten bilden um das eingeschlossene 
sechsstrahlige Axenkreuz der Üentralcanäle eine einfache 
stärkere oder schwächere Verdickung. (Farrea, Aphrocallistes, 
Craticularia, Porospongia etc.) 

2) Die Kreuzungsknoten haben die Gestalt eines hohlen 
Octaöders. Diese eigenthümliche Bildung entsteht dadurch, dass die 
Kieselausscheidung des Syneytiums an den Kreuzungsknoten in gerim- 
gerer Menge stattfindet. Die Centralcanäle der sechs Strahlen bilden 
ein von ganz dünnen Röhren umgebenes Axenkreuz in einem ‚hohlen 
octaödrischen Raum, welcher durch schräge Kieselbalken, womit die sechs 
verdickten Arme der verschmolzenen Sechsstrahler verbunden sind, 
begrenzt wird. Solcher schräger Verbindungsbalken gibt es stets 12 um 
einen Kreuzungsknoten und zwar liegen dieselben immer genau wie die 
Kanten eines regulären Octaöders. Je nach dem Umfang dieses von 
dichten Kieselstäben umschlossenen Hohlraumes, je nach der Stärke der 
octaödrischen Kanten und je nach der mehr oder weniger regelmässigen 
oder verzerrten Gestalt des Lumens an Stelle der Seitenflächen der hohlen 
Octaöder ergeben sich für die Systematik werthvolle Merkmale. Bei 
günstiger Erhaltung lässt sich mit voller Bestimmtheit erkennen, dass 
die Axencanäle ununterbrochen durch den Hohlraum verlaufen und ein 
höchst zierliches Axenkreuz in demselben bilden. Da jedoch ihre Kiesel- 
hüllen sehr dünn sind, so werden sie leicht zerstört und die octaödrischen 


Knotenpunkte gewähren dann das von ©. Schmidt für Seyphia_ striata 
beschriebene Bild. 3?) 


33) Atlant. Spong. 'T. II Fig. 16. 


25 


Unter den lebenden Hexactinelliden kennt man Gittergerüste mit 
solchen octaödrischen Knotenpunkten (Laternen-Nadeln) nur bei Myliusia 
Grayi. Bow. und Myliusia Zitteli. Marsh. M. S., bei den fossilen Formen 
dagegen sind sie sehr verbreitet. (Coeloptychium, Ventriculites, Becksia, 
Plocoscyphia, Pachyteichisma etc.) 

Eine eigenthümliche Erscheinung bei den Gattungen Farrea, Dactylocalyx 
und Aphrocallistes bilden die winzig kleinen sechsstrahligen Sternchen, welche 
mit einem Strahl auf einer Kieselfaser des Gittergerüstes festgewachsen 
sind, sonst aber den übrigen Sechsstrahlern des Gerüstes in jeder Hinsicht 
gleichen und auch feine Axencanäle besitzen, während sonst in den 
wurzelartigen Fortsätzen oder Dornen der Kieselfasern nie Canäle zu 
beobachten sind. Möglicher Weise sind diese Sternchen, die ich auch 
bei einzelnen fossilen Hexactinelliden kenne, junge, noch unausgebildete 
Nadeln, möglicher Weise vertreten sie aber auch die Funktionen der Fleisch- 
nadeln, obwohl sie nicht frei in der Sarcode liegen. Bowerbank 
bildet solche kleine Nadeln bei vielen Farrea-Arten ab, Carter bezeichnet 
sie als Afterbildungen. 

Im Allgemeinen sind die Verschiedenheiten, welche die Gittergerüste 
der fossilen Hexactinelliden aufweisen, so erheblich, dass man in vielen 
Fällen schon ein kleines isolirtes Fragment oder ein Präparat generisch 
bestimmen kann. Die Grösse der Maschen, die octa@drische oder dichte 
Beschaffenheit der Kreuzungsknoten, die Verzierung der Kieselfasern mit 
Stacheln, Dornen oder wurzelartigen Ausläufern, sowie die Anordnung 
der verschmolzenen Sechsstrahler selbst liefern wichtige systematische 
Anhaltspunkte, die bei ein und derselben Art oder auch Gattung nur 
wenig varliren. 

Immerhin würde indess die einseitige Berücksichtigung der Mikro- 
struktur des Gerüstes zu keinem befriedigenden Ergebniss führen. 
Mehrere, in sonstigen Merkmalen sehr differirende Formen besitzen fast 
genau übereinstimmenden Skeletbau. So hat schon W. Marshall °®%) 
gezeigt, dass das Balkenwerk von Eurete in so hohem Grade mit dem 
mancher fossiler Hexactinelliden übereinstimmt, dass es bisweilen ganz 
unmöglich ist, zu sagen, ob ein mikroscopisches Präparat von dem 


34) Untersuchungen 1. c. S. 186. 
Abh.d. II. Cl.d.k. Ak.d. Wiss. XIII. Bd. I. Abtb. 4 


26 


recenten philippinischen Schwamme oder von einem fossilen der fränkischen 
Schweiz herrührt. Die gleiche Erscheinung zeigen mehrere Gattungen 
fossiler Hexactinelliden, wenn man sie unter einander vergleicht. 

Man bedarf somit zur Abgrenzung der Genera noch anderer Merk- 
male. Da die Fleischnadeln bei den fossilen Skeleten in der Regel 
fehlen oder da die Zugehörigkeit isolirter Kieselgebilde, wenn solche 
überhaupt vorhanden sind, mit den benachbarten Skeleten nur selten zu 
beweisen ist, so können dieselben in einem Systeme der Dietyoninen, 
welches sich auch auf die fossilen Formen erstrecken will, nur nebenbei 
verwerthet werden. 

Um so werthvoller sind dafür die Eigenthümlichkeiten, welche die 
Oberfläche des festen Skeletes, ferner das Wasser-Canalsystem mit den 
dazu gehörigen Ostien und endlich die äussere Form des Schwamm- 
körpers darbieten. 

1. Die Oberfläche der Dictyoninen-Skelete unterscheidet sich bei 
manchen Gattungen in keiner Weise von den inneren Theilen. Die 
Gittermaschen besitzen dieselbe Grösse, die Kieseltrabekeln die gleiche 
Anordnung und Beschaffenheit wie das übrige Skelett, kurz die Oberfläche 
ist vollständig nackt. Dieser verhältnissmässig seltene Fall ist bei ver- 
schiedenen Arten der lebenden Gattungen Eurete, Farrea und Myliusia 
bekannt, unter den fossilen Dietyoninen besitzen z. B. Pachyteichisma 
und Verrucocoelia nackte Oberfläche. 

Viel häufiger sind jedoch entweder beide Oberflächen oder wenigstens 
die äussere ganz oder theilweise mit Deckschichten von verschieden- 
artiger Beschaffenheit versehen. Auf die Wichtigkeit der Deckschichten 
(Perienchym Etallon, Epidermis F. A. Roemer, couche pelliculaire Pomel) 
haben schon Etallon, Roemer und Pomel die Aufmerksamkeit gelenkt. 

Eine häufige Form von Deckschichtbildung besteht darin, dass sich 
die in der Ebene der Oberfläche gelegenen Arme der äussersten Sechs- 
strahlerschicht verdicken oder plattig ausbreiten oder durch Absendung 
von Seitenästen, welche wieder mit einander verschmelzen und sich gleich- 
zeitig verdicken, rauhe und löcherige rechtwinklich gekreuzte Balken 
von sehr ungleicher Form bilden. Der nach Aussen gerichtete Strahl 
der Sechsstrahler verkümmert stets, der nach unten gerichtete dagegen 
steht mit dem Gittergerüst in Verbindung. 


27 


Derartige Deckschichten sind nur leichte Modificationen des Gitter- 
gerüstes selbst. Sie lassen meist noch eine maschenartige Anordnung 
deutlich erkennen, obwohl das Lumen der Maschen beträchtlich und 
sehr ungleich verengt sein kann. Je nach der stärkeren oder geringeren 
Abscheidung von Kieselerde erhält die Oberfläche eine grob- oder fein- 
löcherige Beschaffenheit: Aus der regelmässigen Lage der Axencanäle 
lässt sich übrigens auch in der Deckschicht noch die Anordnung des 
darunter liegenden Gittergerüstes erkennen. (Beisp. Marshallia, Callo- 
dietyon, Pleurope, Plocoscyphia, Unterseite von Coeloptychium, Crati- 
cularia etc.) 

Zuweilen entstehen Deckschichten dadurch, dass die oberste Sechs- 
strahlerschicht des Skeletes wurzelartige Fortsätze aussendet, welche mit 
einander anastomosiren und auf diese Weise ein aus dichten Kieselfasern 
bestehendes verfilztes Gewebe bilden. Dasselbe überzieht entweder die 
Oberfläche gewisser Theile des Schwammkörpers oder es füllt nur die 
Maschen der obersten Lage des Gitterskeletes aus. (Etheridgia). 

Eine grössere Unabhängigkeit vom eigentlichen Skelet erhält die 
Deckschicht, wenn sie eine grob- oder feinlöcherige Kieselhaut bildet, in 
welcher Axenkreuze von der Grösse und Form der in den Skeletnadeln 
befindlichen regellos vertheilt liegen. (Sporadopyle, Craticularia, Sphen- 
aulax, Sporadoscinion etc.) 

In ganz anderer Weise entstehen unabhängige Deckschichten, wenn 
die äussere, innere, oder auch beide Oberflächen des Schwammkörpers 
von einer zuweilen äusserst zarten Spinnwebe ähnlichen Hülle von Sechs- 
strahlern übersponnen ist, welche in verschiedener Weise entweder nur 
an den Spitzen oder mit der ganzen Schenkellänge aneinander gekittet 
sind. (Casearia, Cypellia, Tremadictyon etc). Auch bei diesen Sechsstrahlern, 
welche sich zuweilen sehr wesentlich von denen des übrigen Skeletes 
unterscheiden, ist der nach Aussen gerichtete Strahl stets verkümmert. 
Bei gewissen Gattungen (Cypellia) sind die grossen Sechsstrahler der 
Deckschicht zuweilen nur an ihren Spitzen durch schwache kieselige 
Brücken untereinander verbunden, bei anderen liegen sie wie Sterne in 
einer dünnen Kieselhaut eingebettet, welche die Oberfläche des Schwammes 
überzieht. (Porocypellia, Porospongia). 

In denjenigen Fällen, wo die Nadeln der Deckschicht eine von den 

4* 


28 


Skeletnadeln abweichende Gestält besitzen, vertreten sie ohne Zweifel 
die Fleischnadeln, ob dies aber auch dann der Fall ist, wenn die Deck- 
schicht nur durch eine Verdichtung des Skeletes selbst entsteht, scheint 
mir zweifelhaft. Die Frage wird sich wohl erst entscheiden lassen, wenn 
einmal lebende Hexactinelliden mit ähnlicher Beschaffenheit der Ober- 
fläche bekannt sein werden. 

Bei einzelnen fossilen Dietyoninen (Oystispongia, Lepidospongia) ist 
die Aussenseite des Schwammkörpers mit einer dichten Kieselhaut über- 
zogen, welche gänzlich frei von Axenkreuzen oder eingeschlossenen 
Nadeln ist. 


Diese verschieden entwickelten Oberflächengebilde haben offenbar 
den Zweck, dem Schwammkörper grössere Festigkeit zu verleihen und 
ihn gegen Angriffe von Aussen zu schützen. Die Deckschichten selbst 
beeinflussen übrigens auch die äussere Erscheinung der fossilen. Spongien 
in so hohem Masse, dass ihnen bereits A. Roemer und Pomel eine, wie 
mir scheint, allerdings zu weit gehende systematische Bedeutung beilegten. 


. . . . . . . . .,\ 

2) In physiologischer Hinsicht wichtiger als die Deckschichten ist 

das Canalsystem zur Circulation des ein- und ausströmenden Wassers, 
nebst den dazu gehörigen Oeffnungen. 


Bei den Hexactinelliden besitzen die Wände der Schwammkörper 
meist nur geringe Dicke und umschliessen einen sehr weiten CGentralraum 
von röhriger, cylindrischer oder trichterförmiger Gestalt. Bei den kreisel-, 
trichter- und cylinderförmigen Hexactinelliden wird man den weiten 
Centralraum am besten als gemeinsame Magenhöhle auffassen und somit 
derartige Spongien als monozoische Körper betrachten; die obere 
terminale Oeffnung wäre dann als Osculum zu bezeichnen. Bei ästigen, 
plattigen, knolligen und aus mäandrischen Röhren zusammengesetzten 
Körpern ist die Individualitätsfrage in der Regel schwer zu entscheiden, 
da die bisher meist als Oscula gedeuteten Oeffnungen oft ganz beliebig 
vertheilt sind und häufig mit Gastralhöhlen kaum in Beziehung zu stehen 
scheinen. (Guettardia, Pleurostoma, Pleurope.) 

Im Gegensatz zu diesen Oscula und Pseudo-Oscula verhalten sich die 
Wege, auf denen das Wasser in den Schwammkörper eindringt und den- 
selben durchspült, bei den verschiedenen Formen ausserordentlich constant 


29 


und liefern dadurch treffliche systematische Anhaltspunkte Nach 
Haeckel°®) ist das Canal- und Wassergefäss-System das bedeutendste, 
physiologisch und morphologisch wichtigste Organsystem aller Spongien. 
Es bestimmt nicht allein die wesentlichsten Unterschiede in der Körper- 
form der verschiedenen Gruppen, sondern auch mehr oder weniger die 
Struktur und Form des Skeletes.*“ ; 


Im Allgemeimen zeigt das Canalsystem bei den Hexactinelliden sehr 
einfache Verhältnisse, die in vielfacher Hinsicht an jene der Syconen erinnern. 
In der Regel beschränkt sich dasselbe auf eine grosse Anzahl einfacher, 
sehr selten verzweigter Canäle, welche in radialer Richtung entweder 
senkrecht oder schräg in die Wand eindringen. Nur ausnahmsweise 
durchbohren die Canäle die ganze Dicke der Wand (Aphrocallistes), viel 
häufiger beginnen sie entweder auf der Aussen- oder Innenseite der 
Wand und endigen blind unmittelbar unter der entgegengesetzten Ober- 
fläche. (Ventriculites, Coscinopora, Sporadopyle etc... Auf diese Weise 
stehen dann die meist runden ÖOstien der beiden Oberflächen in alter- 
nirenden Reihen. 

In der einfachsten Form wird die Wassercirculation bewerkstelligt, 
wenn bei dünner Wandung des Schwammkörpers das Gitterskelet und 
die Oberfläche so grobmaschig sind, dass das Wasser ungehemmt ein- 
dringen und wieder austreten kann. In diesem Fall sind eigentliche 
Canäle überflüssig und es dürfte im lebenden Zustand wohl jeder 
Maschenöffnung der Skeletoberfläche eine Dermalpore im Syncytium ent- 
sprochen haben. Beispiele von Hexactinelliden mit grobmaschigem Skelet 
ohne alle Canäle und Ostien bieten die Gattungen Farrea, Eurete, 
Myliusia, Marshallja, Callodictyon. 

Bei gewissen Hexactinelliden ‚ kann die Wassercirculation in 
Ermangelung eigentlicher Radialcanäle durch eine starke Faltung der 
Wand bewirkt werden. Es gibt z. B. Ventriculiten, bei denen sich die 
Wand in mäandrische Falten legt, zwischen denen auf beiden Ober- 
flächen tiefe Längsfurchen vom oberen Rande des Bechers bis zur Basis 
verlaufen. Diese Furchen genügen vollständig für die Durchspülung des 


35) Die Kalkschwämme 1. S. 210. x 


30 


Schwammkörpers und es können demgemäss auch alle Radialcanäle oder 
grösseren Oberflächenöffnungen fehlen. 

Wenn sich jedoch bei Hexactinelliden mit mäandrisch gefalteter 
Wand die Falten dicht nebeneinander legen und auf diese Weise eine 
continuirliche Mauer bilden (Ventriculites) oder wenn die Wand eine 
ungewöhnliche Dicke erlangt (Pachyteichisma), dann stellt sich das 
Bedürfniss nach einem Canalsystem ein, welches das Wasser in das Innere 
des Skeletes zu führen vermag. Es treten jetzt die blinden Radial- 
canäle auf, deren Östien in verschiedener Weise auf den beiden Ober- 
flächen vertheilt sind. 

Im Allgemeinen lässt sich für die Hexactinelliden die Regel consta- 
tiren, dass mit der Stärke der Wand oder mit der Dichtigkeit des 
Gittergerüstes die Entwicklung des Canalsystems gleichen Schritt hält. 
Sämmtliche Gattungen mit sehr feinmaschigem Gewebe besitzen Canäle 
und zwar selbst dann, wenn die Wand zu einer papierdünnen Lamelle 
redueirt ist. (Leptophragma Murchisoni). 

Ein ganz eigenthümliches, complicirtes Canalsystem besitzen einige 
der ältesten Hexactinelliden mit kugeligen, ungestielten Schwammkörpern 
(Astylospongidae).. Bei diesen merkwürdigen Schwämmen besitzt die 
Wand eine sehr bedeutende Dicke: die Centralhöhle fehlt entweder ganz 
oder sie befindet sich als eine trichterförmige Vertiefung auf der Ober- 
seite. Die ganze Masse des Schwammkörpers wird von zahlreichen in 
Radien gelegenen einfachen Canälen durchzogen, die von der Peripherie 
nach dem Centrum verlaufen. Diese Radialcanäle werden von anderen, 
stärkeren Canälen gekreuzt, die gleichfalls in Radialreihen geordnet sind, 
aber den Schwammkörper seiner ganzen Höhe nach durchziehen, indem 
sie parallel der Oberfläche verlaufen. Diese an lebenden und meso- 
lithischen Hexactinelliden niemals vorkommende Beschaffenheit der Canäle 
entspricht fast genau dem bei gewissen Lithistiden beobachteten Wasser- 
gefäss-System. Auf die Mikrostruktur der Skeletnadeln scheinen indess 
die Canäle bei den Astylospongiden keinen Einfluss ausgeübt zu haben, 
denn diese unterscheiden sich vom Skelet der Lithistiden schon so scharf 
als jene der späteren Hexactinelliden. 

Neben dem eigentlichen Wassergefäss-System findet sich bei einzelnen 
Hexactinelliden auch ein sogenanntes Inter-Canalsystem. Die röhren- 


sl 


artigen Hohlräume und grösseren oder kleineren Oeffnungen an der 
Oberfläche, welche Haeckel ?%) mit diesem Namen bezeichnet, entstehen 
lediglich in Folge eigenthümlicher Verwachsung gewisser Theile der 
Schwammkörper. Sie haben mit dem eigentlichen Canalsystem physio- 
logisch Nichts gemein und zeigen auch niemals constante Verhältnisse 
in ihrem Verlauf oder in ihrer Gestalt. Was Haeckel über das Inter- 
canal-System der Kalkschwämme sagt, hat im Wesentlichen auch für die 
Hexactinelliden Giltigkeit und ich kann darum einfach auf die classische 
Monographie der Calcispongien verweisen. 

Bei den Hexactinelliden entsteht ein Intercanal-System nur an 
zusammengesetzten Stöcken und zwar hauptsächlich dann, wenn die 
Cormen aus Röhren zusammengesetzt sind, welche labyrinthisch durch- 
einander wachsen und unregelmässige Zwischenräume frei lassen. In aus- 
gezeichneter Weise zeigt sich das Intercanal-System entwickelt bei 
Etheridgia, Tremabolites, Cystispongia und Plocoscyphia. 

Man muss sich sehr hüten, die scheinbaren Magenhöhlungen (Pseudo- 
gastren) und Mündungen (Pseudostomen), welche das Intercanal-System 
an der Oberfläche bildet (Etheridgia, Plocosceyphia etc.) mit wirklichen 
Gastralräumen und deren Mündungen zu verwechseln. Eine Untersuchung 
der Vertiefung wird in den meisten Fällen sofort zeigen, dass derartige 
Scheinmägen nicht in die eigentliche Skeletmasse eingesenkt sind und 
von einer continuirlichen Wand begrenzt werden, sondern dass sie vielmehr 
Zwischenräume von meist unregelmässiger Gestalt darstellen, deren Wan- 
dungen durch die Aussenseite verschiedenwerthiger Theile eines Schwamm- 
körpers gebildet werden. 

3) Obwohl die äussere Form der Schwammkörper im Allge- 
meinen der grössten Veränderlichkeit unterworfen ist und in allen neueren 
Systemen der lebenden Spongien kaum noch berücksichtigt wird, so 
verdient dieselbe doch bei den Glas- und Kalkschwämmen mit festen 
steinartigen Skeleten höhere Beachtung. Man wird zwar nur ausnahms- 
weise Gattungen sofort an ihrer charakteristischen äusseren Gestalt zu 
erkennen im Stande sein (Coeloptychium, Euplectella), da sich im Allge- 
meinen die gleichen Formen bei den Hexactinelliden, Lithistiden und 


56) Kalkschwäwmme I]. S. 275. 


en 
os 
ID 


Kalkschwämmen mit anastomosirenden Fasern genau wiederholen. Auch 
ist es absolut unmöglich einen becher-, schüssel-, trichter- oder cylinder- 
förmigen Schwamm aus der Ordnung der Hexactinelliden generisch zu 
bestimmen, ohne die Skeletstruktur und das Canalsystem zu berück- 
sichtigen. 

Nichtsdestoweniger darf die allgemeine Körperform als secundäres 
Hilfsmittel bei einer natürlichen Systematik nicht vernachlässigt werden. 
Sind die verwandtschaftlichen Beziehungen einer Hexactinellide durch 
Untersuchung des Skeletes und des Canalsystems festgestellt, dann liefert 
die äussere Erscheinung in der Regel vorzügliche Merkmale zur Unter- 
scheidung der Gattungen und Arten. 

Haeckel und Carter, denen man gewiss keine Unterschätzung 
des mikroscopischen Baues und noch weniger eine Ueberschätzung der 
äusseren Erscheinung des Schwammkörpers vorwerfen kann, haben inner- 
halb der grösseren Gruppen die Gattungen sowohl bei den Caleispongien, 
als auch bei den Hexactinelliden vorzugsweise nach ihrer äusseren Form 
unterschieden. Was aber bei den lebenden Spongien berechtigt ist, wird 
auch bei den fossilen zulässig sein. 

Die ganze Gestalt des Schwammkörpers, die Beschaffenheit und 
Stärke der Wand, die Grösse, Form und Lage der Centralhöhle, die Art 
und Weise der Verwachsung bei den polyzoischen Formen liefern werth- 
volle Momente für die Systematik. Besonderes Interesse verdient auch 
die Befestigung der Schwämme am Boden. Der Mangel einer sogn. 
Wurzel und die Beschaffenheit derselben, wenn sie vorhanden ist, dient 
zuweilen zur Erkennung der verschiedenen Gattungen. 

Bei den fossilen Dietyoninen sind bartförmige, aus langen isolirten 
Kieselnadeln bestehende Wurzeln bis jetzt nicht mit Sicherheit nach- 
gewiesen. Meist bildet die Wurzel eine stielförmige Verlängerung, eine 
knollige oder plattige Ausbreitung oder eine verästelte Basis des Schwamm- 
körpers. Dieselbe besteht aus Kieselelementen, die entweder mit denen 
des übrigen Schwammkörpers in Form und Anordnung mehr oder 
weniger übereinstimmen oder das Gewebe der Wurzel lässt eine weit- 
gehende Differenz gegen das eigentliche Gitter erkennen. Die Gitter- 
struktur wird undeutlich, und die Wurzel besteht aus parallelen, langen 
Kieselfasern meist ohne Axencanäle, deren Entstehung aus Hexactinelliden- 


"88 


Gewebe in der Regel nur noch durch die in mehr oder weniger regel- 
mässigen Abständen befindlichen Querverbindungen angedeutet wird. 
Eine ausführlichere Frörterung aller bisher erwähnten Verhältnisse 
muss ich einer speciellen Arbeit über die in Deutschland vorkommenden 
fossilenSchwämme vorbehalten. Zu dieser umfangreichen Monographie liegen 
bereits ein Theil des Textes, sowie die Abbildungen der Mikrostruktur fast 
aller Hexactinelliden-Gattungen vollendet vor. Ich bin zu dieser grös- 
seren Arbeit theils durch den beklagenswerthen Zustand der paläospongio- 
logischen Literatur, theils aber auch durch ein Gefühl der Verantwort- 
lichkeit gedrängt worden, welches mir gebietet auf der durch eine neue 
Untersuchungsmethode gewonnenen sicheren Basis nicht nur das rohe 
Gerüste eines Systemes in der vorliegenden Abhandlung aufzubauen, 
sondern das Gebäude auch in fertigem Zustande den Fachgenossen zu 
übergeben. Der Beschaffung des Materials zu einer umfassenden Unter- 
suchung fossiler Spongien stehen freilich grössere Schwierigkeiten im Wege, 
als ich anfänglich vermuthete; denn im Allgemeinen erfreuten sich diese 
Versteinerungen bisher nur in geringem Maasse der Aufmerksamkeit. In 
Folge dieses Umstandes fehlt es noch an grösseren vollständigen Samm- 
lungen, selbst in den reichhaltigsten Museen sind in der Regel nur 
einzelne Localitäten in genügender Weise vertreten. Es ist mir indess 
durch die grosse Zuvorkommenheit zahlreicher befreundeter Fachgenossen ?”) 
schon jetzt gelungen, nicht allein aus Deutschland und Böhmen eine 
grosse Anzahl der von Goldfuss, Münster, Ferd. Roemer, Reuss, 
Geinitz, Schlüter, F. A. Roemer u. A. beschriebenen Arten theils in den 
typischen Originalstücken, theils in Exemplaren zu erhalten, welche mit 
authentischen Bestimmungen der Verfasser versehen waren, sondern auch 
aus Russland und England erlangte ich durch die Güte der Herren 
F. Schmidt in St. Petersburg, Prof. Sinzow in Odessa, Constantin Mi- 
laschewitsch in Moskau und Edw. Lee in Torquay ein reiches Ver- 


37) Es drängt mich an dieser Stelle den Herren, welche mir in liberalster Weise Material zu 
meinen Untersuchungen zur Verfügung stellten, meine Erkenntlichkeit öffentlich auszusprechen. 
Ich habe meinen Dank namentlich darzubringen den Herren K. Andrae in Bonn, E. Beyrich 
in Berlin, W. Dames in Berlin, Theodor Fuchs in Wien, W. Gümbel in München, H. B. 
Geinitz in Dresden, J. Krenner in Pesth, Ott mer in Braunschweig, Ferd. Roemer in 
Breslau, H. Roemer in Hildesheim, A. Schlönbach in Salzgitter, Cl. Schlüter in Bonn, 
K. von Seebach in Göttingen und G. Tschernack in Wien. 


Abh.d.1I.Cl.d.k. Ak.d. Wiss. XIII. Bd. I. Abth. 5 


34 


gleichs-Material. Für Mittheilung lebender Hexactinelliden und Lithistiden 
bin ich Herrn Dr. W. Marshall in Weimar und Herrn Dr. J. W. Carter 
in BudleighSalterton zu besonderem Danke verpflichtet. 

Der nachstehende Versuch eines Hexactinelliden-Systems ist nicht 
aus dem Wunsche hervorgegangen; die bisherigen Classificationen um 
jeden Preis umzugestalten, allen nachdem die mikroscopische Unter- 
suchungsmethode, welche sich bereits bei den lebenden Hexactinelliden so 
vortrefflich bewährt hatte, auch auf die fossilen Spongien angewendet 
worden war, ergaben sich so viele neue Thatsachen und Gesichtspunkte, 
dass nothwendiger Weise nicht nur in den bisherigen Classifications- 
versuchen der fossilen, sondern auch der lebenden Hexactinelliden mehr 
oder weniger tiefgreifende Veränderungen nothwendig wurden. 


Uebersicht der fossilen und lebenden Hexactinelliden geordnet 


nach ihren Verwandtschafts-Verhältnissen. 


Classe: Spongiae. 
Ordnung: Hexactinellidae. O. Schmidt. 
Kieselschwämme mit isolirten oder gitterförmig verschmolzenen Nadeln von 
sechsstrahliger Form. Sämmtlichen Kieselgebilden liegt ein Awenkreuz aus 
drei rechtwinklich sich schneidenden Centralcanälen zu Grunde. Ausser 
den eigentlichen Skeleinadeln?®) sind häufig noch zahlreiche isolirte „Fleisch- 
nadeln‘“ von meist sehr zierlicher Form vorhanden. 


I. Unter-Ordnung: Dietyonina. 


Skelet-Nadeln in der Art verschmolzen, das jeder Arm eines Sechsstrahlers 
sich an den entsprechenden Arm einer benachbarten Nadel anlegt, wobei beide 
von einer gemeinsamen Kieselhülle umschlossen werden. Die zusammen- 


38) Die Skeletnadeln werden von Carter (l. c. 8. 353) ursprünglich definirt als: „large spicules 
which are only concerned in the formation of the supporting structure or skeleten“. In einer 
soeben erschienenen Abhandlung „on two vitreohexactinellid sponges“ (Ann. Mag. nat. hist. 
1877. 8. 121) wird die Bezeichnung „Skeletnadeln‘‘ lediglich auf die grösseren, [reien Kiesel- 
gebilde der Hexactinelliden angewendet. Die verschmolzenen Sechsstrahler, welche das zu- 
sammenbängende Gitterskelet bilden und welche ich in der vorliegenden Abhandlung vorzugsweise 
Skeletnadeln genannt habe, heissen bei Carter „vitrous fibre“. (Anmerkung während des 
Druckes). 


35 


hängenden Skelete bestehen aus einem Gitterwerk mit Maschen von cubischer 
und unregelmässiger Form. Fleischnadeln vorhanden oder fehlend. 


1. Familie: Astylospongidae. 


Schwammkörper sehr dickwandig, ungestielt, frei (zuweilen auch mit breiter 
Basis festgewachsen). Wassergefässsystem aus radialen von der Oberfläche 
nach dem Centrum gerichteten Canälen bestehend, zu denen meist noch 
Verticalröhren kommen, die ebenfalls zu 8—10 in radialen Reihen 
stehen. Gittergerüst ziemlich unregelmässig mit dichten 
Kreuzungsknoten. 


Astylospongia F. Roem. Silur. 
Palaeomanon F. Roem. Silur. 
Protachilleum. Zitt. Silur. 
Eospongia. Billings. Silur. 


2. Familie: Euretidae. 
Schwammkörper becherförmig, cylindrisch, kreiselförmig oder ästig, fest- 
gewachsen. Skelet güterförmig, die Kreuzungsknoten der verschmolzenen 
Sechsstrahler undurchbohrt. Oberfläche nackt oder durch Verdichtung der 
äusseren Skeletschicht geschützt, zuweilen mit einem sehr zarten Netz ver- 
schmolzener Nadeln überzogen,. welche in der Form'von denen des übrigen 
Skeletes wenig abweichen. Diese maschige Oberhaut überspinnt auch die 
Ostien. Wurzelstruktur jener des übrigen Schwammkörpers ähnlich. Fleisch- 
nadeln fehlend oder vorhanden. 


a. Canalsystem wohl entwickelt. Ostien der blinden Radialcanäle 
abwechselnd auf beiden Oberflächen. 

?Protospongia. Salt. Silur. 

Calathium. Billings. Silur. 

Archaeocyathus. Billings. Silur. 

?’Trachyum. Billings. Silur. 

?Steganodictyon. M’Coy. Devon. 

Tremadictyon. Zitt. Ob. Jura. 

Craticularia. Zitt. Mittl. u. ob. Jura. Kreide. Miocaen. 

?Eubrochus. Sollas. Gault. 

Sphenaulax. Zitt. Ob. Jura. 


5* 


36 


Sporadopyle. Zitt. Ob. Jura. 
*Sclerothamnus. Marsh.??) 
b. Canalsystem fehlend oder kaum entwickelt. 

*Farrea. Bowb. Tertiär. 

*Eurete. Marshall. 

Verrucocoelia. Ob. Jura. Kreide. 

*Aulodietyon. S. Kent. 

3. Familie: Coseinoporidae. 

Schwammkörper becherförmig, sternförmig oder ästig, öfters zusammen- 
gedrückt. Radialcanäle sehr zahlreich, einfach, gerade, blind. Ostien 
klein, Skelet feinmaschig, dicht, steinartig, durch die zahlreichen Radial- 
canäle an einer regelmässigen Bildung von cubischen Maschen gehindert. 
Kreuzungsknoten der Sechsstrahler dicht, selten durchbohrt. Deckschicht 
meist fehlend oder nur durch Verdichtung der äussersten Skeletlage gebildet. 


?Bothroconus. King. Dyas. 
Leptophragma. Zitt. Kreide. 
Pleurostoma. Roem. Kreide. 
Guettardia. Mich. Kreide. Eocaen. 
Coscinopora. Goldf. Kreide. 


4. Familie: Mellitionidae. 

Schwammkörper üästig, kugelig oder plattig. Wand von zahlreichen röhren- 
förmigen Wassercanälen vollständig durchbohrt und dadurch in waben- 
ähnliche Zellen eingetheilt. Skeletnadeln mit dichten Kreuzungsknoten. Ober- 
fläche (?2nackt oder) mit einer zarten, maschigen oder porösen Kieselhaut 
übersponnen, welche auch die Oeffnungen der Canäle bedeckt. Wurzel fehlt. 

*Aphrocallistes. Gray. Kreide. Miocaen. 

*?Fieldingia Sav. Kent. *°) R 


5. Familie: Ventrieulitidae. 
Schwammkörper einfach oder polyzoisch, becher-, trichter-, cylinder-, kreisel- 
förmig oder ästig. Wand mäandrisch gefaltet. Gittergerüst mit octaedrisch 


39) Die mit * bezeichneten Gattungen gehören der Jetztzeit an. 
40) Ausserdem Stauronema Sollas. Vgl. Anhang. (Spätere Anmerkung.) 


37 


durchbohrten Kreuzungsknoten. Canalsystem meist wohlentwickelt. Radial- 


canäle blind. Beide Oberflächen mit Ostien oder Längsfurchen. Deck- 
schicht selten fehlend, in der Regel durch Verdichtung der äussern Skelet- 


lage entstanden. Wurzel aus verlängerten, durch Querbrücken verbundenen 
Kieselfasern ohne Axencanäle bestehend. 


a. Ohne Wurzel. 


Pachyteichisma. Zitt. Jura. 
Trochobolus. Zitt. Jura. 


b. Mit Wurzel. 
Ventriculites. Mantell. Kreide. 
Schizorhabdus. Zitt. Kreide. 
Tretostamnia. Pomel. Miocaen. 
Rhizopoterion. Zitt. Kreide. 
Sporadoscinia. Pomel. Kreide. 
Licmosinion. Pomel. Kreide. 
Polyblastidium. Zitt. Kreide. 


c. Oberrand des Bechers mit feinporöser Deckschicht. 
Cephalites. Toulmin Smith (p. p.). Kreide. 


d. Aeussere Oberfläche mit einer dichten Kieselhaut versehen. 


Lepidospongia. Roem. Kreide. 


6. Familie: Staurodermidae. 
Schwammkörper kreisel-, trichter-, cylinderförmig, selten ästig. Gütterskelet 
mehr oder weniger regelmässig. Kreuzungsknoten dicht oder octaedrisch durch- 
bohrt. Aeussere oder beide Oberflächen der Wand mit sternförmigen Na- 
deln versehen, welche sich in der Form von denen des übrigen Skeletes 
unterscheiden und entweder nur lose mit einander verkittet sind, oder in 
einer zusammenhängenden Kieselhaut eingebettet liegen. 


a. Canalsystem wohl entwickelt. Schwammkörper becherförmig, eylindrisch 
oder ästig. 


Cypellia. Pomel. Jura. 
Stauroderma. Zitt. Jura. 


38 


Porocypellia. Pomel. Jura. 
Casearia. Quenst. Jura. 
b. Canalsystem schwach entwickelt. Schwammkörper plattig. 


Porospongia. d’Orb. Jura. 
Ophrystoma. Zitt. Kreide. 
?Placochlaenia. Pomel. Miocaen. 


7. Familie: Maeandrospongidae. 


Schwammkörper aus mäandrisch verschlungenen und anastomosirenden, dünn- 
wandigen Röhren oder Blättern bestehend. Canalsystem fehlend oder kaum 
entwickelt. Imtercanalsysiem stets vorhanden. Deckschicht fehlend oder 


eine zusammenhängende Kieselhaut auf der Oberfläche bildend. 


a. Ohne besondere Deckschicht. 
Plocoscyphia. Reuss. Kreide. 
*Dactylocalyx. Stutchb. 
*Periphragella. Marshall. 
"Myliusia. Gray. (p. p.) 
; b. Mit Deckschicht. 
Tremabolites. Zitt. Kreide. 
Etheridgia. Tate. Kreide. 
Toulminia. Zitt. Kreide. 
Camerospongia. d’Ürb. Kreide. 
Cystispongia. Roem. Kreide. 


8. Familie: Callodietyonidae. 


Schwammkörper becherförmig. Wand aus sehr regelmässigem weitmaschigem 
Gittergerüst mit octaödrischen Kreuzungsknoten bestehend; Canalsystem 
fehlend oder auf die zuweilen sehr dicke Deckschicht der Aussenseite be- 
schränkt. Im Innern der Wand findet die Wassercirculation direct durch 


die Maschen des Gitterskelets statt. 


a. Wand nackt. 
Callodietyon. Zitt. Kreide. 
Marshallia. Zitt. Kreide. 
Becksia. Schlüter. Kreide. 


39 


b. Aussenseite der Wand mit einer dicken Deckschicht versehen, welche 
in der Struktur mit dem Wurzelgewebe übereinstimmt. 


Pleurope. Zitt. Kreide. 
Diplodietyon. Zitt. Kreide. 


; 9. Familie: Coeloptychidae. 

Schwammkörper schirmförmig, gestielt. Wand dünn, tief gefaltet, die 
Centralhöhle in radiale Kammern zerlegt. Oberseite flach oder vertieft ganz 
von einer zusammenhängenden Deckschicht überzogen, welche in der Regel 
aus abwechselnd grob und fein porösen Streifen besteht. Canalostien nur 
auf der Unterseite des Schirms auf dem Rücken der Falten, zuweilen auch 
auf dem Stiel. Gittergerüst mit grossen, regelmässigen cubischen Maschen. 
Die Kreuzungsknoten der verschmolzenen Sechsstrahler octaedrisch durch- 
bohrt; Arme der Sechsstrahler mit dornigen und wurzelartigen Fortsätzen. 


Coeloptychium. Goldf. Kreide. 


II. Unter-Ordnung: Lyssakina. 
Ganzes Skelet aus Nadeln bestehend, welche nur durch Sarkode (ausnahms- 
weise auch durch plattige Kieselsubstanz in unregelmässiger Weise) verbun- 
den sind. Fleischnadeln meist reichlich vorhanden und sehr differenzirt. 


1. Familie: Monakidae. Marshall. 
Ganzer Schwammkörper nur aus gleichartigen Nadeln zusammengesetzt. 
Acanthospongia. Salt. Silur. Kohlenkalk. 
Stauractinella. Zitt. Jura. 


2. Familie: Pleionakidae. Marsh. 
Hauptmasse des Skeleis aus reinen Sechsstrahlern, daneben Besengabeln oder 
N Rosetten. 
*"Askonema. Kent. 
*Lanuginella. Schmidt. 


3. Familie: Pollakidae. Marsh. 
Form der Skelet- und Fleischnadeln sehr mannigfaltig. Besonderes Dermal- 
skelet und Auskleidung der -Magenhöhlungen vorhanden. Basis meist einen 
Wurzelschopf aus langen Kieselnadeln bildend. 


40 


*Holtenia. Schmidt. 
*Pheronema. Leidy. 
*Crateromorpha. Gray. 
*Rosella. Carter. 
*Sympagella. Schmidt. 
*P]lacodictyon. Schmidt. 
*Euplectella. Owen. 
*Habrodictyon. W. Thomson. 
*Labaria. Gray. | 
*Semperella. Marshall. (Meyerina. Gray.) 
*Hyalonema. (Carteria) Gray. 
?Acestra. Roem. Silur. 


Existenzbedingungen und Verbreitung der fossilen Hexacti- 
nelliden. 


W. Marshall gibt in seiner ersten, mehrfach erwähnten Abhand- 
lung*') eine tabellarische Uebersicht des geographischen und bathy- 
metrischen Vorkommens der lebenden Hexactinelliden, Darnach finden 
sich diese Schwämme von circa 65° n. Br. bis gegen 50° s. Br. und 
zwar in der beträchtlichen Tiefe von 500 bis 4000 Fuss. Die lebenden 
Hexactinelliden sind somit exquisite Tiefseebewohner. 

Diese Thatsache berechtigt a priori zu dem Schlusse, dass auch die 
fossilen Formen wahrscheinlich unter ähnlichen Verhältnissen existirt 
haben. Berücksichtigt man nun die Art und Weise des Vorkommens der 
fossilen Hexactinelliden, so gelangt man in der That zum gleichen 
Resultat. $ ; 

Die paläozoischen Formen gewähren in dieser Hinsicht allerdings 
keinen Aufschluss. Die bis jetzt im Silur bekannten Gattungen (Astylo- 
spongia, Palaeomanon, Protachilleum, Eospongia, Protospongia, Calathium, 
Trachyum, Archaeocyathus, Acanthospongia und ?Acestra) unterscheiden 
sich in wesentlichen Merkmalen von den späteren Hexactinelliden und 


41) 1. c. 8. 150. 


4] 


bedurften möglicherweise anderer Lebensbedingungen als ihre Nachfolger. 
Im Devon, Kohlenkalk und im der Dyas ist unsere Ordnung bis jetzt 
nur durch die sehr ungenügend untersuchten Gattungen Steganodietyon 
(Devon), Acanthospongia (Carbon) und Bothroconis (Dyas) vertreten. 
In Canada finden sich Archaeocyathus und Eospongia in der Potsdam-. 
Calathium und Trachyum im der Quebec-Gruppe, also bereits in den 
ältesten Silur- (resp. Cambrischen) Bildungen; in Tennessee liegen 
zahlreiche Exemplare von Astylospongia und Palaeomanon im mittel- 
silurischem Kalk, während in Europa die erstere Gattung in Esthland und 
Gotland in obersilurischen Ablagerungen und in ganz Norddeutschland 
als Diluvialgeschiebe auf secundärer Lagerstätte aufgefunden wird. In 
der Regel werden die Spongien begleitet von Brachiopoden. Trilobiten 
und Pteropoden und kommen in Ablagerungen vor, denen ıman wohl 
ebensogut einen pelagischen als litoralen Charakter zuschreiben darf. 

Aus Trias und Lias sind bis jetzt keine Hexactinelliden bekannt und 
auch im Dogger finden sich nur vereinzelte Exemplare der Gattungen 
Tremadietyon und Craticularia und zwar im unteren Oolith, m der 
Bath- und Kelloway-Gruppe. 

Eine reiche Entfaltung von Hexactinelliden zeigt der obere Jura, 
jedoch nur da, wo derselbe in der Form von Kalkstein auftritt. Die 
Spongitenkalke des weissen Jura y und d, sowie der sog. Birmensdorfer 
Schichten in Polen, im schweizerischen und französischen Jura und in 
der Gegend von Niort sind die Hauptfundorte von jurassischen Hexacti- 
nelliden und Lithistiden. Ganz vereinzelt treten sie auch in der Corallen- 
facies verschiedener Localitäten auf. Sie fehlen jedoch vollständig den 
schlammigen oder sandigen Litoralbildungen Nordfrankreichs, Englands 
und Norddeutschlands.. Wirft man einen Blick auf die übrige Fauna 
der eigentlichen Spongitenkalke, so spricht auch der Reichthum an 
Brachiopoden, Crinoiden und stellenweise an -Foraminiferen, sowie der 
‚ Mangel an ächten uferbewohnenden Gastropoden und Lamellibranchiern 
für eine Entstehung dieser Ablagerungen in tiefem Wasser. Die im 
oberen Jura verbreiteten Gattungen sind Tremadicetyon, Craticularia, 
Sphenaulax, Sporadopyle, Verrucocoelia, Pachyteichisma, Trochobolus, 
Cypellia, Stauroderma, (Casearia, Porospongia, Porocypellia, Stau- 


ractinella. 
Abh.d. II. Cl.d.k. Ak.d. Wiss. XIIT. Bd. I. Abth. 6 


42 


Zum gleichen Ergebniss führt die Verbreitung der Hexactinelliden 
in der Kreideformation. Sie fehlen in den älteren Stufen fast ganz oder 
kommen doch nur vereinzelt vor. Erst mit der Genoman-Gruppe 
stellen sie sich da in grösserer Menge ein, wo die als „Pläner“ ent- 
wickelten Ablagerungen durch Reichthum an Foraminiferen und Armuth 
an Litoralthieren den Charakter von Tiefseegebilden tragen. In Nord- 
deutschland, Sachsen, Böhmen, Schlesien und Polen liegen die ausgiebigsten 
Fundorte für mitteleretacische Hexactinelliden aus den Gattungen Ventri- 
eulites, Cystispongia. Camerospongia, Diplodietyon, Plocoseyphia, Pleu- 
rostoma etc. 

Die grösste Mannichfaltigkeit an fossilen Hexactinelliden und Lithi- 
stiden liefert die obere Abtheilung der cretacischen Formation, jedoch 
nur in solchen Ablagerungen, welche wie die Schreibkreide oder gewisse 
Kreidemergel seit langer Zeit aus vielfachen Gründen als Tiefseebildungen 
betrachtet werden. Im litoralen Kreidetuff von Maestricht, im Korallen- 
kalk von Faxoe oder in der craie pisolitique des Pariser Beckens hat 
ınan bis jetzt vergeblich nach Hexactinelliden gesucht. Die cretacischen 
Hexactinelliden zeichnen sich zum grössten Theil durch octa&drisch durch- 
bohrte Kreuzungsknoten der Sechsstrahler gegenüber den paläozoischen und 
jurassischen Formen aus und gehören mit wenig Ausnahmen eigenthüm- 
lichen, auf die Kreideformation beschränkten Gattungen an.  (Ventri- 
culites, Schizorhabdus, Liemosinion, Sporadoscinia, Rhizopoterion, Cepha- 
lites, Lepidospongia, Leptophragma, Pleurostoma, Guettardia, Coscinopora, 
ÖOphrystoma, Plocoscyphia, Tremabolites, Etheridgia, Toulminia, Camero- 
spongia, Oystispongia, Marshallıa, Callodietyon, Pleurope, Diplodietyon, 
Coeloptychium). Mit der Juraformation gemeinsam sind nur die Gat- 
tungen Craticularia und Verrucocoelia. 

Der Mangel an eigentlich abyssischen Absätzen in Nordeuropa während 
der verschiedenen Phasen der Tertiärzeit dürfte den Mangel an Hexacti- 
nelliden in dieser Formation am einfachsten erklären. Abgesehen von 
kleinen Skelettrümmern, die möglicher Weise zu den Gattungen Farrea und 
Myliusia gehören aus eocänem Sandstein von Brüssel*?) und aus miocänem 
Sand von Ruditz in Mähren, sowie einem miocänen Aphrocallistes aus 


42) Rutotl. c. pl. 3. Fig. 33. 34. 


43 


kKussland kenne ich keine tertiären Hexactinelliden aus dem nördlichen 
und mittleren Europa. 

Aber auch in den südeuropäischen Nummulitenbildungen, denen man 
theilweise wenigstens eine Entstehung in tiefem Wasser zuschreibt, 
kommen sie auffallender Weise nur als grosse Seltenheiten vor. Der 
einzige sichere Nachweis besteht in einer eocänen Gruettardia, welche 
d’Archiac aus der Gegend von Biarritz beschrieben hat. 

Diese vorläufig noch unaufgeklärte Lücke wird indess durch A. Pomel’s 
wichtige Entdeckung von zahlreichen Miocänspongien in der Provinz 
Oran theilweise ausgefüllt. Unter den nordafrikanischen Hexactinelliden 
spielt die Gattung Craticularia Zitt. (Laocoetis Pom.) durch erstaunlichen 
Formenreichthum die Hauptrolle, daneben werden noch Arten von Aphro- 
callistes (Badinskia Pom.), Tretostamnia Pom. und Placochlaenia Pom, 
sowie eine beträchtliche Menge Lithistiden beschrieben. 

Wenn sich somit die fossilen Hexactinelliden durch ihre eigenthüm- 
liche geologische Verbreitung fast ebenso bestimmt als Tiefseebewohner 
ausweisen, wie ihre lebenden Verwandten, so gewinnen wir in diesen 
Organismen ein wichtiges Moment zur Beurtheilung der Bildungsweise 
urweltlicher Ablagerungen. 

Die Beschränkung der fossilen Hexactinelliden auf Tiefseeabsätze 
bedingt aber auch mit Nothwendigkeit das sprungweise, durch lange 
Unterbrechungen geschiedene Auftreten derselben. In Formationsgliedern, 
welche bis jetzt nur in litoraler Facies bekannt sind, gibt es keine 
Hexactinelliden. Die verschiedenen Spongienhorizonte sind desshalb 
auch theilweise durch enorme zeitliche Zwischenräume auseinander ge- 
rückt. Es folgen z. B. auf die silurischen Formen unmittelbar 
die oberjurassischen (im Devon, Kohlenkalk und in der Dyas kennt man 
keine eigentlichen Spongitenschichten) und auch diese sind wieder 
durch eine weite Kluft von den mittel- und obercretacischen ge- 
schieden. Dies erklärt am besten die fundamentalen Verschiedenheiten. 
der im Alter aufeinander folgenden Spongienfaunen in Silur, in Jura, in 
Kreide und im Miocän. Wir haben uns unter diesen Umständen eher 
darüber zu wundern, dass überhaupt einzelne Gattungen zwei Formationen 
gemein sind, als dass z. B. die jurassischen und cretacischen Hexacti- 
nelliden grosse Verschiedenheiten aufweisen. 

6* 


44 


Es dürfte überhaupt wenige erhaltungsfähige Abtheilungen des 
'Thierreichs geben, von welchen die Paläontologie ein gleich fragmen- 
tarisches Bild ihrer Phylogenie liefert. Unsere ganze Kenntniss der fossilen 
Hexactinelliden beschränkt sich auf vereinzelte weit zerstreute Reste 
einer Entwicklungsreihe, deren Zwischenglieder vielleicht in Ablagerungen 
begraben liegen, welche jetzt unter den Meeresspiegel versenkt sind 
oder sich in noch unerforschten Erdtheilen befinden. Dass bei solchen 
Verhältnissen die Construction von Stammbäumen zur Zeit wenigstens 
ein ebenso unfruchtbares als undankbares Bemühen bleiben muss, bedarf 
kaum noch der Erwähnung. 


Uebersicht 


der fossilen Hexactinelliden-Gattungen. *°) 
A. Dietyowina. Zitt. 


1. Familie: Astylospongidae. 
Astylospongia. Ferd. Roem. 
Silur. Fauna des westl. Tennesee. 8. 8. 


Schwammkörper kugelig oder dick scheibenförmig, frei, ohne Anwachsstelle. 
Oentralhöhle klein, schwach veriieft oder ganz fehlend. Wassercirculations- 
system aus zahlreichen von der Peripherie nach dem Centrum verlaufenden 
und aus verlicalen dem Umriss des Schwammkörpers parallelen Canälen 
gebildet. Skelet aus verschmolzenen Sechsstrahlern mit dichten Kreuzungs- 
knoten bestehend. Gittergerüst unregelmässig mit polyödrischen, dreieckigen 


43) Beiden mit Diagnosen versehenen Gattungen habe ich abgesehen von wenigen Ausnahmen die 
Mikrostructur selbst untersucht. Genera, von denen mir keine Originalstücke zugänglich waren, sind 
ohne weitere Bemerkung unter Hinweis auf die Originalbeschreibung eitirt. Eine Synonymik 
wurde nicht angestrebt, wohl aber sind bei jeder Gattung eine oder mehrere typische Arten 
als Beispiele angegeben. Wo mir eine Art nur aus Abbildung und Beschreibung bekannt 
wurde, ist ein beigefügt. Diejenigen Arten, von denen ich die Originalexemplare eines 
früheren Autors untersuchen konnte, sind mit * bezeichnet. 


45 


oder viereckigen Maschen. In der Regel heften sich an einen Kreuzungs- 
knoten Arme mehrerer benachbarten Sechsstrahler an. 
Astylospongia praemorsa. Goldf. sp. Roem. |. ec. I. 1. 
Astylospongia castanea. Roem. Silur. Fauna von Sadewitz II. 3. 


Palaeomanon. F. Roem. Sılur Fauna. des westl. Tennsee. 8. 12. 


Von voriger Gattung nur durch die napfförmige Gestalt, weite Central- 
höhle und grösseren Ostien «auf den Seiten verschieden. 
P. cratera. F. Roem. 1. e. IL. 4. 


Protachilleum. Zitt. 


Schwammkörper pilzförmig, gestielt, Oberseite gewölbt, ohne Centralhöhle. 
Skelet aus grossen verschmolzenen Sechsstrahlern mit verdickten Kreuzungs- 
knoten bestehend. 

+P. Kayseri. Zitt. Kayser Beitr. zur Geol. und Paläontol. der Argent. 
Republik Il. 1. S. 22. t. V. Fig. 10. 


?’Eospongia. Billings. 
Geolog. Surv. of Ganada. Palaezoic foss. Vol. I. S. 19. 


3. Familie: Euretidae. 


Protospongia. Salter. 
Quart. journ. geol. Soc. 1864. XX. S. 238 t. XII. 12. %%) 


Calathium. Billings. 
Palaeozoic fossils. Geolog. Surv. of Canada. Vol. I. 1865. S. 208—211. 
335—38. 358. 


’Trachyum. Billings ibid. S. 211. 
Archaeocyathus. Billings ibid. S. 3—5. 354. 


?Steganodictyum. M’Coy. 
Palaeozoic fossils of the Cambridge Museum. t. 2 A. Fig. 14. 


44) ? Amphispongia Salt. (Mem. geol. Surv. Explanation of Edinburgh Sheet etc. pl. 2. Fig. 3) ge- 
hört möglicher Weise hierher, vielleicht aber auch zu den Lyssakinen. 


46 


Tremadictyon. Zitt. 


Becherförmig, tellerartig, walzig. Centralhöhle weit. Wand auf beiden 
Seiten mit ziemlich grossen in alternirenden Reihen stehenden rhom- 
boidischen oder ovalen Ostien. Badialcanäle blind. Wurzel knollig. Giter- 
skelet der Wand und Wurzel aus grossen, aber ungleichen und unregel- 
mässig geformten Maschen bestehend, indem die Arme der verschmolzenen 
Sechsstrahler sich häufig verdicken oder plattig ausbreiten. Kreuzungs- 
knoten dicht. Oberfläche der Wand beiderseits mit einem äusserst zarten, 
maschigen Netz verschmolzener Sechsstrahler überzogen, welches auch die 
Ostien überspinnt. Wurzel ohne Ostien und Canäle. 
Scyphia reticulata. Goldf. t. VI. 1. 
(Scyphia polyommata. Goldf.). 
Spongites obliquatus. Quenst. Jura t. 81. 9r. 


Craticularıa. Zitt. 


Schwammkörper einfach oder üästig. Beide Oberflächen mit zahlreichen 
rundlichen oder ovalen ÖOstien, welche in verticalen und horizontalen Reihen 
stehen und sich rechtwinklich kreuzen; zuweilen liegen die Ostien der einen 
Oberfläche auch in Längsfurchen. Die blinden Radialcanäle sind gerad- 
linig, ziemlich stark. Skelet aus grossen verschmolzenen Sechsstrahlern mit 
dichten Kreuzungsknoten bestehend, welche ein regelmässiges, lockeres Netz- 
werk mit cubischen Maschen bilden. Zuweilen ein Deckgespinnst wie bei 
Tremadictyon vorhanden. 

"Scyphia parallela. Goldf. t. II. 3. 

Scyphia clathrata. Goldf. II. 1. 

*Scyphia paradoxa. Münst. Goldf. XXI. 6. 

*Scyphia Beaumonti. Reuss. Böhm. Kr. t. XV. 12. 

jLaocoetis infundibulata. Pom. Paleontologie de l’Oran. T’® 3. 4. 

fLaocoetis dichotoma. Pom. 1. c. t. IIP® 3. 5. 


Eubrochus. Sollas. *) 
(eolog. Mag. 1876. S. 398. 


45) Die Gattung Eubrochus ist ungenügend charakterisirt, möglicherweise identisch mit Craticularia. 


47 


Sphenaulax. Zitt. 
Kreisel-, becher- oder keilförmig. - Oberrand abgestutzt. Wand dick, in 
grobe mändrische Falten gelegt, die auf der Aussenseite durch tiefe Längs- 
furchen geschieden sind. Die Falten von blinden Radialcanälen durchzogen, 
deren runde Ostien an der Wand der Ceniralhöhle münden und in hori- 
zontalen und vertikalen Reihen stehen, welche sich rechtwinklich kreuzen. 
Skelet und Deckhaut wie bei Craticularia. 
Sceyphia costata. Golfd. t. I. Fig. 10. 


Sporadopyle. Zitt. 
Becherförmig, trichterförmig oder ästig. Aeussere Oberfläche mit zerstreut 
oder im Quincunz stehenden Ostien. Radialcanäle einfach, blind. Innere 
Wund mit reihenförmig geordneten Ostien. sSkelet und Oberflächenschicht 
ähnlich Craticularia. 
Scyphia obliqua. Goldf. II. 5° >“ 
*Seyphia texturata. Goldf. I. 5. 
*Scyphia secunda. Mst. Goldf. XXXIH. 7. 
Spongites ramosus. Quenst. Jura. t. 83. ı. 


Verrucocoelia. Etallon. 

Actes de la societe jusassiene d’&mulation de Porrentruy 1860.8. 129. 
Polyzoisch, ästig, häufig mit knospenarlig um einen gemeinsamen Stamm 
gestellten Kelchen. Centralhöhlen röhrig, communicirend, mit terminaler 
Oeffnung oder geschlossen. Canalsystem kaum entwickelt, Ostien sehr klein, 

unregelmässig vertheilt. Oberfläche nackt. Skelet wie Sporadopyle. 
Achsencanäle der Sechsstrahler weit. 

*Scyphia verrucosa. Goldf. t. XXXVIIL. 8° 

Scyphia gregaria. Quenst. Jura. t. 81. 80. 

*Polycoelia laevigata. F. A. Roem. Spongit. t. XL. 8. 


3. Familie: Coscinoporidae. 


?Bothroconis. King. *°) 
A. Monograph of the Permian fossils. Pal. Soc. 1849. S. 14. 


46) Die Stellung dieser Gattung ist sehr zweifelhaft. Nach der Abbildung (Perm. foss. t. II. Fig. 7a) 
scheint sie zu den Hexactinelliden zu gehören. Noch problematischer ist Conis Lonsd. 
Quart. journ. V. S. 55—65 aus Atherfield, die möglicher Weise ein Kalkskelet besass. 


48 


Leptophragma. Zitt. 
Schwammkörper becherförmig. Wand dünn. Beide Oberflächen mit zahl- 
reichen, kleinen, meist in Längs- und (uerreihen geordneten Ostien 
von ganz feinen, blinden Radialcanälen. Skelet steinartig aus dichtem 
Gittergewebe von ziemlich unregelmässiger Anordnung bestehend. Die 
Maschen zwischen den Kieselfasern von sehr verschiedenartiger Gestalt. 
Kreuzungsknoten der Sechsstrahler dicht. Struktur der Wurzel mit der 
Wand übereinstimmend. 
*Seyphia Murchisoni. Goldf. t. LXV. 8. 
Scyphia striato-punctata. Roem. Kr. 3. 7. 
Scyphia angularis. Roem. Kr. 3. 2. 
Scyphia fragılis. Roem. Kr. 3. ıı. 


Pleurostoımna. Roem. (p. p-) 

Nordd. Kr. 8. 5. 
Schwammkörper blatt- und becherförnüg oder ästig, stets stark zusammen- 
gedrückt, mit einer Reihe grosser Oeffnungen an den abgerundeten schmalen 
Seiten. Wund dünn, beiderseits mit zahlreichen, unregelmässig geordneten, 

kleinen Ostien. Radialcanäle einfach blind. Skeletstruktur wie bei 

voriger Gattung. 
Pleurostoma radiatum. Roem. Kr. 1. 11.*%) 
Pleurostoma Bohemicum. Zitt. nsp. 


Guettardia. Mich. 

Ieonogr. zoophyt. 5. 121. 
Schwammkörper sternförmig gefaltet. Die 3—8& Falten der Wand reichen fast 
bis zum Centrum und werden von zwei parallelen, ebenen Wänden begrenet, 
die einen canalartigen, in die Centralhöhle mimdenden Raum einschliessen. 
Auf den stumpfen Kanten der Flügel befinden sich mehrere übereinander 
stehende grosse Oeffnungen. Beide Oberflächen der Wand sind mit zahl- 

reichen, runden Ostien von feinen, blinden Liadialcanälen bedeckt. 

Skelet wie bei Pleurostoma. 

Guettardia stellata. Mich. Ic. zooph. pl. 30 (exel. Fig. 6.) 

TVentriculites quadrangularis Mant. geol. Sup. XV. 6. 

Pleurostoma trilobata. Roem. Spongit. V. 8. 


47) Pleurostoma lacunosum. Roem. gehört in die Familie der Callodietyonidae und ist die typische 
Species der Gattung Pleurope. 


49 


fGuettardia Thiolati. d’Arch. M&m. Soc. geol. 2 ser. II. pl. V. 15. 
pl. VIII. 5—7. 


Coscinopora. Goldf. 
Petr. Germ. 1. S. 30. 
Becherförmig, mit verästelter Wurzel. Wand beiderseits mit zahlreichen 
im Quincunx stehenden Ostien von geraden blinden Radialcanälen bedeckt. 
Skelet zwischen den Canälen aus sehr unregelmässigem Gittergerüst gebildet, 
welches sich sowohl an der Oberfläche, als an den Wandungen der Canäle 
durch Zwischenbalken verdichtet. Kreuzungsknoten der Sechsstrahler zum 
Theil octaedrisch durchbohrt, zum Theil dicht. Wurzel aus langen durch 
Querbrücken verbundenen Kieselfasern bestehend. 
Coscinopora infundibuliformis. Goldf. IX. 16. XXX. 10. 
Coscinopora macropora. Goldf. ibid. IX. 17. 


4. Familie: Mellitionidae, 


Aphrocallistes. Gray. 

Proceed. zool. Soc. 1858. $. 115. 
Polyzoisch, ästig, knollig; die röhrigen Aeste am Ende geschlossen. Wand 
aus prismatischen, beiderseits offenen Radialröhren von sechsseitiger Form 
bestehend. Diese perforirenden Radialcanäle sind durch dünne Wände aus 
Gitterskelet geschieden. Letzteres besteht aus verschmolzenen Sechsstrahlern, 
welche durch die Canäle an einer regelmässigen Anordnung gehindert sind. 
Die Kreuzungsknoten sind undurchbohrt. Bei den lebenden Arten überzieht 
ein sehr zartes Gitternetz die Oberfläche und die Ostien der Canäle; ausser- 

dem sind sog. Desengabeln als Fleischnadeln reichlich vorhanden. 

Scyphia alveolites. Roem. Kr. II. 6. 

Aphrocallistes beatrix. Gray. Proceed. zool. Soc. 1858. $. 115. 

Aphrocallistes Bocagei. Wright. Quart. journ. mieroscop. Soc. vol. X. 
Be24.,pr 1: 


5. Familie; Ventriculitidae. 


Pachyteichisma. Zitt. 
Kreiselförmig oder schüsselförmig, mit sehr dicker aus senkrechten, mäan- 
drischen Falten bestehender Wand. Die Falten sind auf der Aussenwand 


durch tiefe, auf der Innenwand durch seichte Längsfurchen von einander 
Abh.d. 11.01. d.k. Ak.d. Wiss. XIII. Bd. I. Abth. 7 


50 


geschieden. Im Innern der Falten befinden sich blinde Radialcanäle, deren 
runde Ostien in Längsreihen auf der Magenwand stehen. Durch Abreibung 
der Oberfläche sind die Canäle häufig auch äusserlich sichtbar. Skelet aus 
sehr regelmässig geordneten grossen Sechsstrahlern mit octaedrischen Knoten- 
punkten bestehend. Deckschicht und Wurzel fehlen. 
Pachyteichisma Carteri. Zitt.: 
(= Fungit. Knorr & Walch Petref. tab. F. 3. Nr. 48. Fig. 5.) 
‘ Spongites lopas. (Juenst. Jura. 83. 5. 


Trochobolus. Zitt. 
Kreiselförmig oder cylindrisch, dickwandig mit ziemlich enger Centralhöhle. 
Oberfläche mit schollenförmigen Erhöhungen, welche durch tiefe Kurchen 
von einander geschieden sind. Die Ostien der meist gewundenen Radial- 
canäle befinden sich auf der Wand der Leibeshöhle. Skelet ähnlich der 
vorigen Gattung, die Maschen jedoch beträchtlich kleiner. Deckschicht und 
Wurzel fehlen. 
Trochobolus crassicosta. Zitt. nsp. (Ob. Jura. Streitberg.) 
Scyphia texata. Goldf. XXXH. 7. 


Ventriculites. Mantell. 

Fossils of the South Downs. pag. 167—178. 
Schwammkörper schüssel-, becher-, cylinder- oder trichterförmig. _Üen- 
tralhöhle weit. Wand mäandriscn gefaltet, die Falten entweder auf einer 
oder auf beiden Seiten durch. Längsfurchen geschieden oder dicht an- 
einander gedräng. KRadialcanäle zahlreich, ziemlich wei, meist in 
Längsreihen stehend, stets blind, ihre Ostien in sehr verschiedener Weise 
geordnet, theils auf beiden Seiten vorhanden, theils auf der inneren oder 
äusseren Oberfläche der Wand durch Furchen ersetzi. Skelet aus ver- 
schmolzenen Sechsstrahlern mit octaödrischen Kreuzungsknoten. Anordnung 
derselben mehr oder weniger unregelmässig, Maschen ziemlich gross. Die 
Oberfläche der Wand und der Canäle durch plattige Ausbreitung oder 
Verdickung der Sechsstrahlerbalken zu einer porösen Deckschicht verdichtet. 

Wurzel aus langen, durch Querbrücken verbundenen Längsfasern 

ohne Awencanäle. 
Ventriculites striatus. T. Smith. Ann. Mag. 1848. XII. 6 u. 13. 
*Scyphia Oeynhauseni. Goldf. LXV. 7. 


51 


*Coeloptychium muricatum. Roem. Kr. IV. 16. 
Scyphia angustata. Roem. Kr. VII. 10. 
*Scyphia Zippei. Reuss. Böhm. Kr. XVII. 5. 


Schizorhabdus. Zitt. 


Stabförmig, gegen oben schwach erweitert. Die ganze Wand auf einer Seite 

vom Rand bis zum Beginn der Wurzel aufgeschlitzi. Beide Seiten mit 

mehrfach sich spaltenden Längsfürchen versehen, in welchen sich die Ostien 

der blinden Radialcanäle befinden. Wurzel sehr stark verlängert, einfach, 

selten mit sSeitenknospen; auf der Oberfläche gefurcht, im Innern mit 
zahlreichen Verticalröhren. Mikrostruktur wie bei Ventricultes. 
Schizorhabdus libycus. Zitt. nsp. 


Tretostamnia. Pomel. 
Pal&eontologie de /’Oran. 8. 70. 


Rhizopoterion. Zitt. 


Schwammkörper becherförmig, gegen unten allmälig in einen sehr dicken 
verlängerten Stamm übergehend, welcher an seiner Basis horizontale Seiten- 
äste aussendet. Beide Oberflächen des oberen becherförmigen Theiles mit 
länglich ovalen, in alternirenden Lüngsreihen stehenden Ostien von blinden 
Radialcanälen bedeckt. Die Radialcanäle nehmen nach unten immer schiefere 
Richtung an und verwandeln sich schliesslich in verticale Röhren, welche 
in grosser Zahl den Stamm und die Wurzelausläufer des Schwammkörpers 
durchziehen. Mikrostruktur des Dechers wie bei Ventriculites. Stamm und 
Wurzeläste bestehen aus länglichen Kieselfasern ohne Axencanäle, die durch 
Querverbindungen ein hexactinellidenähnliches Gitterwerk hervorrufen. 
*Scyphia cervicornis. Goldf. IV. 11. XXV. 11. 


Sporadoscinia. Pomel. (emend. Zitt.) 
Pal&ont. de POran. 8. 84. 


Becher- oder cylinderförmig, gegen unten verschmälert, mit kurzer, einfacher 

oder ästiger Wurzel. Beide Oberflächen der Wand mit einer zusammen- 

hängenden, zuweilen porösen Deckschicht überzogen, in welcher zahlreiche 

Axenkreuze eingebettet liegen. Im dieser Deckschicht eingesenkt befinden 

sich auf der Aussenseite unregelmässig geformte Ostien von blinden Radial- 
Te 


52 


canälen. Auf der Innenseite stehen die Ostien in alternirenden Reihen 
oder in Längsfurchen. Wurzel schwach entwickelt, mit Verticalröhren. 
Mikrostruktur der vorigen Gattung ähnlich. 
Scyphia mierommata. Roem. Kr. II. 11. 
*Scyphia Decheni. Goldf. LXV. 6. 
*COribrospongia cariosa. Roem. Spongit. IX. 7. 


Licmosinion. Pomel. 
Palöont. de l’Oran. 8. 89. 
Schwammkörper blattförmig, mit kurzem Stiel festgewachsen. Beide Ober- 
flächen der Wand mit zahlreichen, ziemlich grossen, unregelmässig gestellten 
Ostien von blinden Canälen versehen. Skelet aus octaödrisch durchbohrten 
Sechsstrahlern bestehend, auf der Oberfläche zu einer porösen Deckschicht 
mit Axencanälen verdichtet. 
*Diplostoma folium. Roem. Spongit. IX. 6. 


Polyblastidium. Zitt. 
Schwammkörper polyzoisch, mit zahlreichen rings um eine verlängerte Axe 
stehenden Knospen. Letztere sind von kreiselförmiger Gestalt, am Ober- 
rand abgestutzt mit ziemlich enger ÜOentralhöhle. Güttergerüst weit maschig, 
mit octaedrisch durchbohrten Kreuzungsknoten. Die ganze Oberfläche von 
einer zusammenhängenden, porösen Deckschicht mit zahlreichen Axenkreuzen 
überzogen. Radialcanäle und Ostien fehlen. In den Zwischenräumen des 
Skelets befinden sich zahlreiche isolirte Stabnadeln. 
P. luxurians. Zitt. nsp. (Linden bei Hannover). 


Cephalites. T. Smith. (pars). *) 
Ann. Mag. 1848. S. 46. 279. 
Wie Ventriculites, nur Oberrand des Trichters abgestutzt, etwas verdickt 
und mit fein poröser Kieselhaut überzogen. 
jCephalites longitudinalis. T. Smith. Ann. Mag. nat. hist. 1848 pl. XIV. 1. 
}Cephalites guttatus, T. Smith. ib. XIV. 2. 
jCephalites paradoxus. T. Smith. ib. XIV. 3. 


Lepidospongia. Roem. 
Spongit. 8. 9. 
Aeussere Form ähnlich Ventriculites; Wand dünn, mäandrisch gefaltet, auf 


48) Ich kenne diese Gattung, welche übrigens in viel engerem Sinn als bei T. Smith gefasst ist, 
nur aus Beschreibung und Abbildung. 


33 


der Innenseite mit Längsfurchen. Aeussere Oberfläche mit einer dichten 

Kieselhaut überzogen, welche durch zahlreiche, in horizontaler Richtung ver- 

laufende Querspalien unterbrochen ist. Skeletstruktur wie bei Ventriculites. 
L. rugosa. Schlüt. Spongitariensch. des Münsterl. I. 1—4. 


6. Familie: Staurodermidae. 
Cypellia. Pomel. (emend. Zitt.) 

Pal&ont. de l’Oran S. 76. 
Kreiselförmig, schüsselförmig oder ästig, dickwandig ohne Wurzel. Gitter- 
gewebe unregelmässig, Kreuzungsknoten löcherig oder octaedrisch durchbohrt. 
Radialcanäle meist gebogen, perforirend, mit rundlichen oder länglichen, 
unregelmässig vertheilten Ostien auf beiden Seiten. Aeussere Oberfläche 
mit grossen kreuzförmigen Sechsstrahlern, deren nach Aussen gerichtete 
Arme verkümmert sind. Diese grossen Nadeln sind entweder durch plattige 
oder fadenförmige Kieselbrücken unregelmässig mit einander verkittet oder 

sie liegen in einer löcherigen Kieselhaut, welche die ganze Oberfläche 
überzieht. 
Scyphia rugosa. Goldf. II. 6. 
(Spongites dolosus. Quenst. S. 671). 


Stauroderma. Zitt. 
Polyzoisch. Trichter- oder tellerformig, oben ausgebreitet mit seichter 
Oentralhöhle.e. Wand dick. Auf der inmeren (resp. oberen) Oberfläche mit 
zahlreichen, Mündungen von vertieften Magenhöhlen. Aeussere (resp. 
untere) Oberfläche. wie bei Tremadictyon beschaffen. - Güterskelet ziem- 
lich unregelmässig, die Kieseltrabekeln oft verdickt oder plattig aus- 
gebreite. Kreuzungsknoten undurchbohrt. Die Ostien der Badialcanäle 
liegen auf der Aussenwand, die Canäle gehen schräg durch die Wand, 
laufen dann eine Strecke weit unter der innern Oberfläche fort und münden 
in die Oscula der Oberseite. Deide Oberflächen mit einer aus verkitteten 
Kreuznadeln von mässiger Grösse bestehenden Deckschicht übersponnen. 
Spongites Lochensis Quenst. Jura. t. 89. 96. 
(= Seyphia Buchi. Goldf. XXXN. 8). 


Porocypellia. Pomel. (emend. Zitt.) 
Paleont. de l’Oran 8. 77. 


Kreisel- oder bernförmig, klein, dickwandig, mit dem spitzen unteren Ende 


54 


festgeheftet. Centralhöhle röhrenförmig, an ihrer Wand mit runden, in 
Längsreihen stehen Ostien von einfachen, geraden Radialcanälen. Gitter- 
skelet unregelmässig mit octaedrischen Kreuzungsknoten; die Seitenöffnungen 
der hohlen Octaeder sind klein und meist ungleich, oft etwas verzerrt. 
Oberfläche und Oberrand mit einer glatten, von grossen runden Poren 
durchlöcherten Kieselhaut überzogen, in welcher die Axen von grossen 
Sechsstrahlern eingebettet liegen. 
"Scyphia pyriformis. Golaf. IH. 9. 


Casearia. Quenst. 

Jura S. 681. 
Oylindrisch oder becherförmig, nach unten zugespitzt, durch zahlreiche Ein- 
schmürungen in ringförmige Abschnitte getheilt. Centralhöhle röhrenförmig. 
Oberfläche mit einem sehr regelmässigen Gittergewebe überzogen, das aus 
normal verschmolzenen Sechsstrahlern mit breiten und kurzen Armen besteht, 
bei denen der nach Aussen gerichtete Arm siets verkümmert ist. Diese 
Deckschicht dringt an den Einschmürungsstellen in die Wand ein und 
bildet convexe Böden, wodurch die einzelnen Segmente von einander ge- 
schieden werden. Die Ostien der geraden HRadialcanäle sind aussen und 
innen von der Deckschicht übersponnen. Das eigentliche Gitterskelet der 
Wand ist ungemein wnregelmässig, indem sich die verschmolzenen Sechs- 
strahler ohne Ordnung um die Canäle gruppiren und überdies oft plattig 
ausgebreitete und verzerrte Arme besitzen, in denen wieder selbstständige 

Awenkreuze liegen. Die Kreuzungsknoten sind undurchbohrt. 
*Scyphia articulata. Goldf. II. 8. 
Casearia eurygaster. Zitt. 


Porospongia. d’Orb. 
Cours elem. de Paleont. I. S. 211. 
Plattig ausgebreitet, seltener kmollig oder cylindrisch., Auf der Oberseite 
mit mehr oder weniger zahlreichen kreisrunden Mündungen von Magen- 
höhlen. Die mit Osculis versehene Oberfläche ist von einer fein porösen 
oder dichten Kieselhaut überzogen, worin schwach erhabene, sehr grosse 
Kreuznadeln, sowie zahlreiche kleine sechsstrahlige Axenkreuze eingebettet 


. 


55 


liegen. Unterseite mit einem zarten, maschigen Netze verkitteter Kreuz- 
nadeln übersponnen. Die Wand besteht aus regelmässig zu cubischen 
Maschen von beträchtlicher Grösse verschmolzenen Sechsstrahlern mit dichten 
Kreuzungsknoten. Auf der Unterseite befinden sich kleine Ostien von ganz 
kurzen schwach entwickelten Canälen. 

*Manon marginatum. Goldf. XXXIV. 9%" 

*Manon impressum. Münst. ib. XXXIV. 10. 

*Porospongia fungiformis. Zitt. Goldf. XXXIV. 8*®* 


OÖphrystoma. Zitt. 

Von voriger Gattung durch die Deckschicht, in welcher nur kleime Axen- 
kreuze liegen und durch die octaödrisch dwrchbohrten Kreuzungsknoten der 
Skeletnadeln unterschieden. 

*Porospongia micrommata. Roem. Spongit. IV. 14. 


?Placochlaenia. Pomel. 1. c. 73. 


7. Familie: Maeandrospongidae. 


Plocoscyphia. Reuss. 

Böhm. Kr. S. 77. 
Schwammkörper knollig, kugelig oder unregelmässig, aus mäandrisch ge- 
wundenen, anastomosirenden und communicirenden Röhren oder Blättern be- 
stehend. Oberseite gewölbt, eben oder mit einer centralen Einsenkung. Wände 
der Röhren sehr dünn, zuweilen mit kleinen Ostien. Skelet aus ziemlich regel- 
mässig geordneten verschmolzenen Sechsstrahlern mit octaedrisch durch- 
bohrten Kreuzungsknoten bestehend. Bei einzelnen Arten besitzen die der 

Oberfläche genäherten Gitternadeln undurchbohrte Kreuzungsknoten. 

*Plocoscyphia labyrinthica. Reuss. Böhm. Kr. t. XVIIL 10. 

*Achilleum morchella. Goldf. XXIX. 6. 

*Plocoscyphia maeandrina. Roem. Spongit. X. 8. 


Tremabolites. Zitt. 
Schwammkörper knollig oder plattig, aus mäandrisch gewundenen, anastomosiren- 
den, dünnwandigen Röhren oder Blättern bestehend. Oberseite mit einer glatten, 
feinporösen Kieselhaut überzogen, in welcher ziemlich grosse, rundliche oder 


56 


ovale Oeffnungen, die zum Intercanalsystem gehören, liegen. Skelet aus 
verschmolgenen Laternennadeln bestehend. 
Manon megastoma. Roem. Kr. 1. 9. 
Coeloptychium confluens. Fischer v. Waldh. Bull. Soc. imp. des natur. 
de Moscou 1843. vol. XVI. pl. XVIL. 1. ' 


Etheridgia. R. Tate. 

Quart. journ. geol. Soc. 1874. vol. XXI. 43. 
Halbkugelig; auf der ebenen Unterseite gehen vom Üentrum radiale Röhren 
aus, welche entweder durch breite Querbrücken verbunden sind oder dicht 
nebeneinander liegen. Diese Röhren senden gegen oben verschlungene und 
anastomosirende Röhren aus, welche die halbkugelige Oberseite bilden. Diese 
ist von einer glatten, feinporösen Kieselhaui überzogen; in ihrem Scheitel 
befindet sich eine tiefe Einsenkung ; andere gleichfalls dem Intercanalsystem 
angehörige Oeffnungen von unregelmässiger Form sind ohne alle Ordnung 
auf der Oberseite vertheili. Das Skelet der dünnwandigen Röhren besteht 

aus Laternennadeln. 

Coeloptychium verrucosum. Fischer v. Waldh. Bull. Soc. imp. des 
nat. de Moscou 1843. vol. XVI. pl. XVL 

Coeloptychium Goldfussi. Fisch. ib. 1844. XVIL pl. VIL 2. 3. 

jEtheridgia mirabilis. R. Tate. Quart. journ. geol. Soc. 1864. XXI. 
DE VE 


Toulminia. Zitt. 
Schwammkörper becherförmig, sehr dickwandig, mit tiefer Centralhöhle. 
Wurzel verästelt. Wand aus dünnen mäandrisch gewundenen Blättern 
bestehend. Oberrand abgestuzt, breit, mit glatter, feinporöser Kieselhaut 
überzogen. 

jCephalites catenifer. Toulmin Smith. Ann. Mag. nat. hist. 1848. 
pl. WW. p. 14. 15:16: 

fCephalites compressus. T. Smith. ib. XIV. 10. 


Camerospongia. d’Orb. 
1847. Traite el&em. de Paleont. II. S. 212. 
Schwammkörper kugelig, halbkugelig oder birnförmig. Obere Hälfte mit 
einer glatten, dichten oder feinporösen Kieselhaut überzogen, in der Mitte 


57 


mit einer kreisrunden trichterförmigen Vertiefung. Untere Hälfte des 
Schwammkörpers «uf der Aussenseite mit gewundenen Rippen. Der 
Schwammkörper selbst besteht aus dünnwandigen, mäandrisch verschlungenen 
Röhren, welche aus mehreren Lagen regelmässig geordneter verschmolzener 
Sechsstrahler mit octaedrisch durchbohrten Kreuzungsknoten 
zusammengesetzt sind. 

Scyphia fungiformis. Goldf. LXV. 4. 

Gephalites campanulatus. Toulm. Smith. 1. ec. pl. XIV. 12. 13. 

*Camerospongia Schlönbachi. Roem. Spongit. 3. 5. 


Cystispongia. Roem. 
Spongit. 7. 
Birnförmig, eiförmig, vollständig von einer dichten Kieselhaut überzogen, 
welche nur eine oder mehrere (2—4) grosse umrandete Oeffnungen von 
unregelmässiger Gestalt frei lässt; diese Oeffnungen sind beträchtlich ver- 
tieft. Im Innern befinden sich mäandrisch verschlungene, sehr dünnwandige, 
undeutlich radial geordnete Röhren, deren geschlossene Enden in die zu 
den grossen Oeffnungen gehörigen Einsenkungen hineinreichen. Das Gitter- 
skelet der Röhren besteht aus verschmolzenen Sechsstrahlern mit undurch- 
bohrten Kreuzungsknolen und zeigt meist eine sehr unregelmässige Anordnung, 
indem sich Arme von Sechsstrahlern an die Kreuzungsknoten einer benach- 
barten Nadel anheften. 


Cystispongia bursa Quenst. Roem. Spongit. IV. 7. 


Ss. Familie: Callodietyonidae. 


Callodictyon. Zitt. 
Trichterförmig, dünnwandig.  Centralraum sehr weit. Wand eben, aus 
mehreren Schichten verschmolzener Sechsstrahlern bestehend, welche reihen- 
förmig geordnete quadratische Maschen bilden. Die Kreuzungsknoten der 
Sechsstrahler sind octaedrisch durchbohrt, die Kieselarme mit Dornen be- 
waffnet. Die Oberflächenschicht wird durch plattige Ausbreitung der Kiesel- 
stäbe der äusseren Skeletlagen gebildet, wobei jedoch alle Maschen zur 
Wassercirculation offen bleiben. Canäle und Ostien fehlen. 
C. infundibulum. Zitt. nsp. (Ob. Kreide von Ahlten.) 
Abh. d. I. Cl.d. k. Ak.d. Wiss. XII. Bd. I. Abtb. 8 


Marshallia. Zitt. 

Wie vorige Gattung, aber die dünne Wand mit wenigen breiten spiralen 
oder longitudinalen Falten versehen, auf deren Rücken sich vereinzelte 
grössere Oeffnungen befinden. 

*Pleurostoma tortuosum. Roem. Spongit. VI. 1. 
*Coeloptychium alternans. Roem. Kr. IV. 6. 


Becksiıa. Schlüt. 

Sitzungsb. d. niederrh. Ges. Bonn. 1868. S. 93. 
Schwammkörper becherförmig, an der Basis mit stacheligen Anhängen. 
Centralraum sehr weit. Oberer Theil der dünnen Wand eben, gegen die 
Basis mit groben, rundlichen Falten, zwischen denen Oeffnungen freibleiben. 
Diese Oeffnungen stehen mit Röhren in Verbindung, welche sich in einem 
horizontalen Hohlring vereinigen. Die Wand des Bechers in den Röhren 
besteht aus regelmässig geordneten Laternennadeln, deren Arme mit Stacheln 

oder wurzelförmigen Fortsätzen verziert sind. 

Becksia Soekelandi. Schlüt. Spongitarienschichten des Münsterlandes 

DCDUETLE Ted Be 


Pleurope. Zitt. 
Schwammkörper schmal, blattförmig, verlängert, zusammengedrückt, auf den 
schmalen Seitenflächen mit grossen, runden oder ovalen Oeffnungen. Basis 
verlängert, aus dichten Längsfasern mit Querverbindungen bestehend. Die 
Wand des oberen Theiles des Schwammkörpers wird aus 3—5 regelmässig 
angeordneten Schichten verschmolzener Sechsstrahlern mit  octaedrischen 
Kreuzumgsknoten gebildet, welche grosse cubische Maschen zwischen sich 
frei lassen. Dieses Gitterskelet wird jedoch auf der Aussenseite von mehr 
oder weniger dicken Schichten des Wurzelgewebes überzogen; letzteres. vst 
auf der Oberfläche mit zahlreichen kleinen Ostien versehen und von feinen 
Radialcanälen durchzogen, welche sich indess nicht in das Gitterskelet der 
Wand fortsetzen. Die Innenseite der Wand ist nackt und mit vielen kleinen 
Ostien versehen, die mit den Maschen des Gittergerüstes communiciren. 
Die Wurzel besitzt weder Ostien noch Candle. 


Pleurostoma lacunosum. Roem. Kr. I. 19. 


Diplodictyon. Zitt. 
Schwammkörper zusammengedrückt, breit, mit dickem, knolligem Stiel und 
flacher Basis. Die schmalen Seiten, wie. bei Pleurope, mit grossen rund- 
lichen Löchern. Die Wand des zusammengedrückten Dechers besteht aus 
zwei verschiedenen Skeletschichten. Die innere wird von regelmässig ver- 
schmolzenen Laternennadeln mit sehr dicken, glatten Armen gebildet; die 
äussere dagegen ist aus unregelmässig geordneten Sechsstrahlern mit dichten 
Kreuzungsknoten zusammengesetzt. Diese Sechsstrahler der Aussenseite ent- 
wickeln sich gegen unten immer stärker und bilden das Material des ganzen 
Wurzelstockes. Die äussere Loge der Wand isi am oberen Theil des 
Schwammkörpers mit zahlreichen Ostien von Radialcanälen bedeckt, welche 
nur bis zur innern weitmaschigen Schicht reichen. Auf der Imnenwand 
dienen die Maschenöffnungen als Einströmungsostien. 


*Scyphia heteromorpha. Reuss. Böhm. Kr. XVII. 1. 2. (non 3. 4.) 


9. Familie: Coeloptychidae. 


Coeloptychium. Goldf. vgl. S. 39. 


Coeloptychium agaricoides. Goldf. (Zitt. Abhandlungen k. bayr. Ak. 
el Baal. IN. 3.59.) 
Coeloptychium deciminum. Roem. Zitt. ibid. 


8. 62 
Coeloptychium lobatum. Goldf. Zitt. ibid. S. 73. 


. 


B. Lyssakina. Zitt.*°) 
Acanthospongia. M’Coy. Synopsis Silur. foss. of Ireland 8. 67. 


Die grosse Axe der Nadeln wird 5—10"”" lang, die beiden andern sind 
kürzer. Die Kreuzungsknoten sind verdickt und dich. Die 6 Arme 


49) Möglichlicher Weise ist zu den Lyssakinen auch die Gattung Astraeospongia Roem. als aber- 
rante Form zu rechnen, obwohl die grossen aus Kalkspath bestehenden Sternnadeln dieses 
Schwammes 3 in einer Ebene liegende Axen und ausserdem noch eine senkrechte, jedoch 
immer verkümmerte Axe besitzen. : 

g* 


60 


werden gegen die Spitzen dünner und schwellen gegen das Centrum an. 
Axencanäle deutlich sichtbar. 
}Acanthospongia Siluriensis. M’Coy. 1. c. 8. 67. 
Acanthospongia Smithi. Young. Nature 1876. 8. 481. 


Stauractinella. Zitt. 
Form des Schwammkörpers kugelig, ungestielt. Skelet aus grossen, ein- 
fachen isolirten Sechsstrahlern mit ungleich langen Armen bestehend. In 
der Regel ist ein Strahl stark verlängert (6—8”" lang). Die Stelle 
wo sich die 6 Arme kreuzen, ist kaum verdickt, überhaupt besitzen die 
Arme ihrer ganzen Länge nach so ziemlich die gleiche Stärke. 
St. jurassica. Zitt. 


?Acestra. F. Roem. 
Fossile Fauna der Geschiebe von Sadewitz. S. 56. t. VI. 7. 


Die stabförmigen Körper sind möglicher Weise Nadeln aus dem 
Wurzelschopf einer Hexactinellide. 


Nachtrag. 


Die vorstehende Abhandlung wurde am 13. Januar 1877 in der 
mathem.-physikalischen Classe vorgelegt und gelangte unmittelbar darauf 
in den Druck. In den ersten Tagen des Februar kam mir die Januar- 
Nummer der „Annals and Magazine of Natural history* pro 1877 zu 
Gesicht, worin eine Abhandlung von W. J. Sollas „on Stauronema, a 
new genus of fossil Hexactinellid Sponges, with a description of its two 
species, St. Carteri and St. lobata“ enthalten ist. 

Herr Sollas beschreibt sehr ausführlich die äussere Form, den 
Aufbau und die Mikrostruktur der blattförmigen, an den Seitenrändern 
etwas umgebogenen Schwammkörper und beschäftigt sich zum Schluss 
eingehend mit dem Erhaltungszustand und den eigenthümlichen bei 
diesen Versteinerungen vorkommenden Fossilisationserscheinungen. Ich 
kann mir nicht versagen, auf diese Arbeit des Herrn Sollas mit beson- 
derer Befriedigung hinzuweisen. Er ist der einzige Paläontologe, dessen 
Untersuchungsmethode mit der in vorstehender Abhandlung, sowie in 
meiner Monographie von Coeloptychium eingeschlagenen der Hauptsache 
nach übereinstimmt und es spricht gewiss für die Zuverlässigkeit der- 
selben, wenn zwei ganz unabhängig arbeitende Beobachter in wesentlichen 
Punkten zu gleichem Ergebniss gelangen. 

Als ich im August 1876 bei Gelegenheit der Generalversammlung 
der Deutschen geologischen Gesellschaft zu Jena in einem Vortrag über 
die Organisation und Systematik der fossilen Spongien°®) unter Vorlage 


50) Zeitschr. d. deutschen geolog. Ges. XXVII. S. 631. 


62 


zahlreicher nach mikroscopischen Präparaten hergestellter Zeichnungen 
auf die grosse Uebereinstimmung gewisser lebender und fossiler Hexactı- 
nelliden hinwies und gleichzeitig die bei fossilen Hexactinelliden und 


Lithistiden so häufie 


g zu beobachtende Umwandlung des ursprünglich 


kieseligen Skeletes in Kalkspath °!) erörterte, wurden mir im Privat- 
gespräch mehrfache Bedenken gegen diese chemische Substitution ge- 
äussert. Es scheint mir darum bemerkenswerth, dass Herr Sollas in dieser 
Frage genau dieselbe Ansicht ausspricht; ebenso stimmen seine Beob- 
achtungen bezüglich des optischen Verhaltens der fossilen Hexacti- 
nellidenskelete vollständig mit den meinigen überein. °?) 

Was die Gattung Stauronema betrifft, die bis jetzt nur aus dem 
Gault von Folkestone und dem oberen Grünsand der Insel Wight be- 
kannt ist, so schliesst. sich dieselbe zunächst an Aphrocallistes an. 

Aus der ausführlichen Beschreibung und den bildlichen Darstellungen 
von Sollas glaube ich folgende Gattungsdiagnose ableiten zu dürfen: 


Familie: Mellitionidae. Zitt. 
Gattung: Stauronema. Sollas. 


Schwammkörper blatiförmig, an den Seitenrändern etwas umgebogen, auf 
einer Seite gewölbt, auf der andern concav, mit der verschmälerten Basis 
festgewachsen. Wand dick mit zahlreichen geraden im (Quwincunz stehenden 
perforirenden Canälen. Das Skelet besteht aus einem sehr regelmässigen 
Gitterwerk ziemlich grosser Sechsstrahler, deren Arme und dichte Kreuzungs- 
knoten so beträchtlich verdickt sind, dass die Maschen ein kleines Lumen 
und eine rundliche Gestalt erhalten. Beide Oberflächen sind mit einer 
dünnen Kieselhaut überzogen, welche von zahllosen ungleichgrossen, rund- 
lichen oder unregelmässig geformten Poren und Oeffnungen durchbrochen 
ist. Diese poröse Deckschicht überspinnt auch die Ostien der Canäle. 
St. Carteri u. lobata. Sollas. 


‚»l) Vgl. diese Abhandlung 8. 11. 12. 13, 

52) „J cannot attempt to explain all the various mineral changes and replacements which we have 
now described; they are as obcure as most of the pseudomorphic alterations which oceurs in 
fossilization; but two most important facts stand out from all the rest in my mind: — first, 
that siliceous fibre may be completely replaced by carbonate of lime without obliterating its 
structure; and next, that spicular silica may with laps of time pass from the colloid to the 
erystalline state.“ 1. c. 8. 21. 


63 


Schliesslich möchte ich noch bemerken, dass Herr Sollas die 
Stromatoporen ??) für Hexactinelliden hält, eine Auffassung, welche ich 
nicht zu theilen vermag. Die zoologische Stellung von Stromatopora 
und Parkeria scheint mir nach den neuesten scharfsinnigen Untersuch- 
ungen Carter’s5#) kaum noch zweifelhaft zu sein. Darnach sind 
die genannten Gattungen weder Spongien, noch Foraminiferen, sondern 
die nächsten Verwandten der Hydractinien mit kalkigem Skelet und 
schliessen sich als solche den Hydromedusen an. Zur gleichen Gruppe 
gehört nach Lindstroem ®) auch die Gattung Labechia Edw. u. H. 
aus der ehemaligen Ordnung der Zoantharia tabulata. 


München, den 15. Februar 1877. 


58) 1. c. S. 2. 
54) Annals and Magazine of nat. hist. 1877. vol. XIX. S. 44. 
55) ibid. 1870. vol. XVII. S. 4. 


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Studien 


über 


fossile Spongien, 


Zweite Abtheilung: 


Lithistidae. 


Von 


Karl Alfred Zittel, 


ordentl. Mitglied der k. bayer. Akademie der Wissenschaften. 


Abh.d.II.Cl.d.k. Ak.d. Wiss. XIII. Bd. I. Abth. 


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Studien über fossile Spongien. 


II. Lithistidae. 


A. Allgemeiner Theil. 


Seit Veröffentlichung der ersten Abtheilung dieser Studien ist die 
Literatur über fossile Spongien um ein Werk von hervorragender Be- 
deutung. bereichert worden. Vom fünften Bande der „Petrefaktenkunde 
Deutschlands“ von F. A. Quenstedt sind die drei ersten Lieferungen 
erschienen. Dieselben handeln ausschliesslich von fossilen Spongien. Auf 
16 Foliotafeln wird der bewunderungswürdige Reichthum an Seeschwämmen 
im weissen Jura von Schwaben und Franken zur Anschauung gebracht 
und zwar stehen die Abbildungen hinsichtlich ihrer Naturwahrheit und 
Genauigkeit bis jetzt unübertroffen da. Leider hat es Herr Professor 
Quenstedt verschmäht, auch den histologischen Verhältnissen seine Auf- 
merksamkeit zu schenken. Die Strukturverhältnisse sind nur so weit 
berücksichtigt, als sie sich mit der Lupe erkennen lassen und dadurch 
ist der zoologische Werth dieses wichtigen Werkes wesentlich beein- 
trächtigt. Bei der Gruppirung der einzelnen Formen wird dem geolo- 
gischen Vorkommen und dem allgemeinen Habitus in erster Linie Rech- 

9* 


68 


nung getragen, auf eine systematische Behandlung des Materials im 
zoologischen Sinne ist von vornherein Verzicht geleistet; es bleibt dem 
Leser überlassen, die an einzelnen Species gemachten Beobachtungen zu- 
sammenzufassen und daraus Gattungen, Familien u. s. w. zu construiren. 
Quenstedt’s Monographie besteht lediglich aus Speciesbeschreibungen; 
Gattungsnamen für einzelne Gruppen werden zwar gelegentlich vorge- 
schlagen, jedoch selten im Text consequent beibehalten und niemals durch 
Diagnosen präcisirt. z 

Bei den Gitterschwämmen wird gelegentlich auf die lebenden 
Hexactinelliden hingewiesen, bei allen übrigen Formen dagegen ver- 
misst man Andeutungen über ihre Stellung zu den Spongien der Jetzt- 
zeit. Fossile und lebende Seeschwämme stehen darum in Quenstedt’s 
neuester Publikation noch ebenso unvermittelt gegenüber, wie in den 
Werken von Goldfuss, Michelin, d’Orbigny, Fromentel u. A. 
So vortrefflich auch Quenstedt die äussere Erscheinung und theilweise 
auch das Canalsystem der oberjurassischen Lithistiden, welche zumeist unter 
den Gattungsnamen Siphonia, Cnemidium (Unemispongia), Tragos und 
Planispongiae begriffen werden, durch zahlreiche Abbildungen zur An- 
schauung bringt, so erhalten wir doch nicht die mindeste Belehrung 
über ihre feineren Struckturverhältnisse und systematische Gruppirung. 
Es dürften desshalb auch die nachfolgenden, nach anderer Methode und 
anderen Gesichtspunkten ausgeführten Untersuchungen durch die Quen- 
stedt’sche Monographie nicht überflüssig geworden sein. 

Den ersten sicheren Nachweis von der Existenz fossiler Lithistiden 
verdankt man Oscar Schmidt.!) Bald darauf (1871) erkannte H. Carter?) 
einige isolirte Kieselkörperchen aus dem Grünsand von Haldon als 
Lithistiden-Reste. Gabelanker und vierstrahlige Skelet-Körperchen von 
Lithistiden bilden P. Wright?) aus der Kreide von Irland und Rutot?) aus 
eocänem Sand von Brüssel ab. In einer Abhandlung über die fossile 
Spongiengattung Pharetrospongia erwähnt endlich Herr W. J. Sollas, dass 
die Gattungen Siphonia und Polypothecia zu den Lithistiden gehören. °) 


1) Grundzüge einer Spongienfauna des Atlantischen Gebietes. Leipzig 1870. S. 24. 

2) Annals and Magaz. of nat. history. 4 ser. vol. VII. S. 112. 

3) Report of Belfast Naturalist’s field Club 1873. 74 Append.t. fig. 16, 17, 18. t. III fig. 2, 3. 8—10. 
4) Annales de la societe malacologique de Belgique t. IX 1874 pl. III fig. 9—11. 22—26. 43. 45 u. 46. 
5) Quarterly journ. geol. Soc. 1877. vol. XXX S. 252. 


69 


Ich selbst habe mich seit mehr als zwei Jahren fast ausschliesslich 
mit dem Studium der fossilen Spongien beschäftigt und bereits bei Ge- 
legenheit der Jahres-Versammlung der deutschen geologischen Gesellschaft 
in Jena im Herbst 18769), sowie bei der 50. Naturforscher-Versammlung 
in München im September 1877°) Mittheilungen über die Organisations- 
verhältnisse, Mikrostructur und geologische Verbreitung der fossilen Hexac- 
tinelliden und Lithistiden gemacht und dieselben durch Vorlage mikro- 
scopischer Präparate und zahlreicher Zeichnungen erläutert. 

Darauf beschränkt sich meines Wissens Alles, was bis jetzt über das 
Vorkommen fossiler Lithistiden bekannt geworden ist. Auch die Literatur 
über die lebenden Vertreter dieser Spongiengruppe besitzt nur geringen 
Umfang. Die ersten hierher gehörigen Formen wurden von Johnson,®) 
Gray,’) Bowerbank'®) und Bocage'') beschrieben, jedoch trotz der 
Eigenthümlichkeit ihrer Struktur-Verhältnisse nicht von den übrigen See- 
schwämmen mit glasartigem (siliceo-fibrous) Skelet geschieden. Erst im 
Jahr 1870 veranlasste die Untersuchung mehrerer im Atlantischen Ocean 
neu entdeckter Arten Oscar Schmidt!?) zur Errichtung einer selbst- 
ständigen Ordnung der Lithistiden. Oscar Schmidt bezeichnet (l. c. 
S. 21) als solche „die Spongien mit zusammenhängendem Kieselge- 
webe, dessen Fasern nicht nach dem dreiaxigen Typus wachsen, sondern 
ein scheinbar ganz regelloses Gewirr bilden. In diesem ist in der Regel 
eine centrifugale und eine concentrische Hauptrichtung nicht zu verkennen, 
worin sich jedoch nicht der Einfluss eines dominirenden Nadeltypus aus- 
spricht, sondern die Anpassung an die allgemein gültigen Strömungs- 
verhältnisse. Obschon auch ihre Sarcode Eigenschaften hat, welche sie 
einigermassen den Hexactinelliden und mit ihnen wahrscheinlich den 
fossilen Spongien nähert, schliessen sie sich in dem bei jener Gruppe ganz 
unklaren Canalsystem ganz eng an die (anderen) lebenden Spongien an. In 


6) Zeitschr. d. deutschen geolog. Ges. Band 28. S. 631. 

7) Amtl. Ber. über d. 50. Versammlung deutscher Naturforscher u. Aerzte in München 1877. S. 161. 
8) Proceed. zool. Soc. Lond. 1863. S. 259. 

9) ib. 1859. S. 565. fig. 1.; 1867. S. 507 u. 1868. S. 565. 

10) ib. 1869. S. 66—100. pl. II—VI. 8. 323. 

11) Journal des Sc. math. Phys. et Nat. Lisbonne 1869 No. IV. 

12) Grundzüge einer Spongienfauna des Atlant. Gebietes. Leipzig 1840. 8. 21. 


70 


der äusseren Körperform ist innerhalb der Familie keine Uebereinstim- 
mung, doch sind schüssel- und löffelförmige Arten häufig.“ 

Was dieser Charakteristik an Schärfe und Bestimmtheit abgeht, wird 
ersetzt durch die sorgfältige Beschreibung und Abbildung von acht Arten, 
welche O. Schmidt unter die drei Gattungen Leiodermatium, Corallistes 
und Lyidium vertheilt. 

Eine vollständige Zusammenstellung und kritische Besprechung 
sämmtlicher bis zum Jahre 1873 bekannter Lithistiden veröffentlichte 
H. Carter.") 

In dieser trefflichen Abhandlung werden die Merkmale der Lithi- 
stiden schärfer, als es durch Oscar Schmidt geschehen war, festge- 
stellt und die ganze Gruppe folgendermassen charakterisirt: „Spicules 
developed upon a quadriradiate division of the central canal, held together 
by amorphous sarcode and an interlocking of their filigreed arms, forming 
a reticulated glassy structure, whose interspaces are more or less irregular 
and curvilinear. Composed of two kinds of „Skeleton spicules“, viz. 
those which form a layer on the surface and are accompanied by minute 
or „flesh spicules“ characterizing the species, and those forming the body, 
which are more or less alike in all the species and accompagnied by 
fewer flesh-spieules.. The skeleton spieules of the surface, which, for 
the most part, are provided with a smooth, pointed, vertical shaft, directed, 
inwards, and a horizontal head of different shapes according to the species, 
will be termed „surface-“ and the spicules of the body, which inter- 
lock with their neighbours through a filigreed development of all the 
arms, will be termed „body-spicules.“ 

« Von Carter wurden ausserdem später mehrere durch Professor W y- 
ville Thomson an Bord der Porcupine im Atlantischen Ocean aufge- 
fischte Tiefsee-Lithistiden einer genauen Analyse unterworfen.'*) 

Auch A. Pomel”) gibt in seinem grossen Werk über die fossilen 
Spongien von Oran (Pl. A., B und E.) Abbildungen von mehreren lebenden 
Lithistiden. Leider fehlt jedoch den Gattungen Cisselia, Aegophymia und 
Pumicia Pom. eine genauere Beschreibung der feineren Strukturverhältnisse, 


13) Annals and Mag. nat. hist. 1873. 4 Ser. vol. XII. S. 349—372. 437—472. 
14) ib. 1876. 4 Ser. vol. XVIII 8. 460 —468. 
15) Paleontologie de l’Oran. 1873. 


rt 


so dass sich kauim mit Sicherheit entscheiden lässt, ob dieselben mit bereits 
. bekannten Formen übereinstimmen, oder ob sie als neue Gattungen oder 
Arten zu betrachten sind. 

Aeussere Gestalt. 

Die äussere Erscheinung der Lithistiden ist überaus mannigfaltig und 
selbst innerhalb ein und derselben Gattung nichts weniger als beständig. 
Bei der soliden, steinartigen Beschaffenheit des Skeletes hätte man eine 
grössere Formbeständigkeit als bei den übrigen Spongien, erwarten können, 
allein trotz dieses Umstandes lässt sich auch auf die Lithistiden der Satz 
anwenden, dass die allgemeine Gestalt in der Systematik der Spongien 
nur eine secundäre Rolle zu spielen hat und niemals zur Charakterisirung 
von Ordnungen oder Familien verwerthet werden darf. 

Die Lithistiden ahmen am häufigsten die Form von Schüsseln, 
Bechern, Blättern, Kreiseln, Cylindern nach, aber auch kugelige, birn- 
förmige, knollige und unförmliche Körper erscheinen nicht selten, während 
ästige und buschige Stöcke nur bei wenigen Gattungen vorkommen. Sie 
sind in der Regel festgewachsen. Bei vielen entwickelt sich der untere 
Theil des Schwammkörpers zu einem längeren oder kürzeren Stiel, welcher 
am Ende wieder mit wurzelartigen Ausläufern versehen ist; andere be- 
festigen sich mit breiter Basis auf ihrer Unterlage, ja leben unter Um- 
ständen als parasitische Krusten auf fremden Körpern und nur wenige 
(Aulocopium, Plinthosella, Spongodiscus) scheinen überhaupt jeder An- 
heftungsstelle zu entbehren. 

Von den Hexactinelliden unterscheiden sich die Lithistiden im All- 
gemeinen durch ihre viel diekeren Wandungen und durch das dichtere 
Gewebe des Kieselskeletes. Dünnwandige Röhren oder mäandrisch ge- 
wundene zarte Blätter, welche man nicht selten bei den Hexactinelliden 
beobachtet, (Euplectella, Eurete, Plocoscyphia, Myliusia), kommen bei den 
Lithistiden nie vor. Der Schwammkörper besteht aus einer compakten, 
steinartigen Masse von grosser Festigkeit, welche bei makroscopischer 
Betrachtung. eher an die Struktur gewisser Korallen und Hydromedusen 
mit stark entwickeltem Coenenchym als an jene der eigentlichen Spongien 
erinnert. 

Von wesentlichem Einfluss auf die äussere Erscheinung ist das Vor- 
handensein oder der Mangel einer oder auch mehrerer Magenhöhlen. 


72 


Senkt sich eine einzige centrale Leibeshöhle von trichter- oder röhren- 
förmiger Beschaffenheit in einen Schwammkörper von cylindrischer, kegel- 
förmiger, kugeliger oder birnförmiger Gestalt ein, so steht der mono- 
zoische Charakter desselben ausser Zweifel. Die Gattungen Aulocopium, 
Melonella, Cylindrophyma, Coelocorypha, Scytalia, Pachynion, Siphonia, 
Trachysycon, Phymatella, Theonella, Discodermia, Isoraphinia u. A. ge- 
hören hierher. 

Ebenso entschieden dürfen als polyzoische Stöcke solche Formen be- 
trachtet werden, bei denen vereinzelte grössere Oscula mit entsprechend 
vertiefter Canal-Einsenkung in grösserer Entfernung auf einem knolligen 
oder ästigen Körper vertheilt sind, wie z. B. bei den Gattungen Astro- 
bolia und Astrocladia. 

Eine für gewisse fossile Lithistiden sehr charakteristische Erscheinung 
ist der Ersatz einer einfachen Magenhöhle durch eine grössere oder ge- 
ringere Anzahl, theils zu Bündeln gruppirter, theils in Reihen geordneter, 
theils unregelmässig vertheilter Verticalröhren, welche in senkrechter 
oder doch nahezu senkrechter Richtung die Skeletmasse des Schwamm- 
körpers durchdringen und meist bis zur Basis hinabreichen. Diese Röhren 
sind gewöhnlich kreisrund, unverzweigt, federkielartig und in ihrer ganzen 
Länge nahezu von gleichem Durchmesser, während die eigentlichen Magen- 
höhlen sich immer mehr oder weniger nach unten verengen. Ihre Münd- 
ungen liegen im Scheitel oder am Oberrand des Schwammkörpers, der 
in den meisten Fällen eine cylindrische, ästige oder länglich birnförmige 
Gestalt besitzt. Bei dieser Gruppe von Lithistiden ist die Frage nach der 
monozoischen oder polyzoischen Natur schwierig zu lösen. Ihr Canal- 
system verhält sich genau, wie bei den monozoischen Formen der ersten 
Gruppe und wenn die Fortpflanzung durch Knospung erfolgt, so besitzt 
jeder Zweig eine ähnliche Zahl von Röhren, wie der Mutterkörper. Will 
man somit jede der eben beschriebenen Röhren als besondere Magenhöhle 
betrachten und man ist hiezu berechtigt, da dieselben ohne allen Zweifel 
als Ausfuhrcanäle dienen, so bieten uns die hierher gehörigen Spongien 
Beispiele von „syndesmotischen“ Formen, bei denen jede Person nur 
in Verbindung mit mehreren andern zu existiren vermag. Die Gattungen 
Jerea, 'Thecosiphonia, Polyjerea, Marginospongia, Stichophyma, Jereica, 
Turonia, Doryderma, Carterella u. A. dienen als Typen dieser Erscheinung. 


75 


Noch schwieriger stellt sich die Individualitätsfrage bei den becher- 
und vasenförnigen Schwämmen. Hier schliesst die Wand einen gegen 
oben sehr weiten, gegen unten trichterartig verengten Centralraum ein, 
dessen Deutung als Magenhöhle nicht unbedenklich ist, obwohl zahlreiche 
gleichartige Radialcanäle von einheitlicher Beschaffenheit und Richtung 
in denselben münden. In manchen Fällen gewinnen nämlich die Oscula 
dieser Radialcanäle eine beträchtliche Grösse und erhalten ihrerseits 
wieder Zuzug von besonderen Seitencanälchen, so dass sie selbst die Rolle 
von Schornsteinen oder Magenhöhlen spielen und der ganze Schwamm- 
körper, wie jene des lebenden Badeschwammes füglich als zusammen- 
gesetzter Stock angesehen werden kann. Da übrigens junge Stöcke die- 
selbe becher- oder vasenförmige Gestalt besitzen, wie die vollständig 
ausgewachsenen, da ferner die Entwickelung eines der beschriebenen Oscula 
zu einem selbstständigen, dem Mutterkörper ähnlichen Stock niemals 
beobachtet wird und da überdies diese secundären Magenhöhlen zugleich 
auch als Radialcanäle der Gesammtcolonie fungiren, so lasse ich die 
Individuenfrage unentschieden, bezeichne derartige „strobiloide Stöcke“ 
als einfache Schwammkörper und stelle sie in Gegensatz zu den „zu- 
sammengesetzten“, bei welchen durch verschiedenartige Knospung mehrere 
derartige strobiloide Individuen von übereinstimmendem Habitus zu einer 
Colonie vereinigt werden. Wir haben also hier, wie bei den Hexactinel- 
liden, wahrscheinlich polyzoische Formen, die in ihrer äusseren Erschein- 
ung einem Einzel-Individuum gleichen und einem solchen in gewissem 
Sinne auch ‘gleichwerthig sind. Diese Auffassung findet darin eine 
weitere Stütze, dass zuweilen in ein und derselben Gattung die Central- 
höhle an Umfang einbüsst und’ sich allmälig zu einem weiteren oder 
engeren Trichter umgestaltet, dessen Deutung als Magen kaum zweifelhaft 
sein kann. Man steht übrigens bei den trichter- und vasenförmigen Ge- 
stalten stets vor dem Dilemma, ob der Central-Raum als gemeinsame Aus- 
fuhröffnung zu betrachten sei und ob das Canalsystem als ein einheit- 
liches, zusammengehöriges aufgefasst werden darf, oder ob jedes grössere 
Osculum, mit dem zugehörigen Canal als besondere Magenhöhle fungirt. 
Für die letztere Annahme spricht noch der Umstand, dass zuweilen neben 
becherförmigen Arten ein und derselben Gattung auch plattige Formen 


ohne alle Centralhöhle vorkommen, bei denen die mit Osculis versehenen 
Abh. d. II. Cl. d. k. Ak.d. Wiss. XII. Bd. I. Abth. 10 


74 


Canäle offenbar als Magenhöhlen dienen. Man sieht aus solchen Bei- 
spielen, dass die Abgrenzung der Individuen bei den Lithistiden, wie bei 
allen Spongien eine sehr unsichere und unvollkommene ist und darum 
auch nur mit Vorsicht in der Systematik verwerthet werden darf. 

Zu den zweifelhaften Typen von becherförmiger Gestalt, bei denen 
die Individualitätsfrage im einen oder anderen Sinne entschieden werden 
kann, je nachdem man den Schwammkörper als einen strobiloiden Stock 
oder als einfache Person erklärt, gehören die Gattungen: Verruculina, 
Amphithelion, Epistomella, Leiodorella, Hyalotragos, Azorica, Mac Andrewia, 
Corallistes, Leiodermatium, Callopegma u. A. 

Wenn schon bei den vasenförmigen Lithistiden das Vorhandensein 
einer einfachen Magenhöhle zweifelhaft erscheint, so fehlt dieselbe ganz 
entschieden einer Anzahl plattiger, knolliger oder scheibenförmiger Li- 
thistiden, bei denen eine oder auch beide Oberflächen lediglich mit kleinen 
Mündungen oder auch nur mit feinen Poren versehen sind, von denen 
feine Canäle mehr oder weniger tief in den Schwammkörper eindringen. 
Diese Poren spielen genau dieselbe Rolle, wie die Oscula bei der vorher- 
gehenden Gruppe und können somit entweder als Magenhöhlen besonderer 
Individuen eines polyzoischen Stockes oder als Canalostien eines einfachen, 
unregelmässig gestalteten Schwammkörpers betrachtet werden. Hierher 
sind die Gattungen Chonella, Seliscothon, Chenendopora, Ragadınla- etc. 
zu rechnen. 

Bei einer letzten Gruppe von Lithistiden herrscht endlich vollkommene 
Astomie. Der ganze Schwammkörper besteht aus einem lockeren gleich- 
mässigen Gewebe von Skeletelementen, in deren Zwischenräumen sich die 
Wassercirculation ohne Beihilfe von Canälen oder Magenhöhlen vollzieht. 
Die fossilen Gattungen Platychonia, Lecanella, Bolidium, Mastosia und 
Spongodiscus liefern bei den Lithistiden Beispiele dieser Art. 


Canal-System. 

Das Wassercirculations-System bietet bei den Lithistiden grössere 
Abwechslung, als bei den Hexactinelliden und übertrifft an Mannigfaltig- 
keit sogar das der Kalkschwämme. Bei der compakten und dickwandigen 
Beschaffenheit der meisten Lithistiden-Skelete konnte eine Wasserführung 
in der Regel nur dadurch bewerkstelligt werden, dass sich bestimmte 


75 


Wege bildeten, welche frei von Skeletelementen blieben. Indem sich nun 
die letzteren rings um diese constanten Wasserröhrchen ablagerten, trat 
schliesslich eine förmliche Versteinerung des Canalsystems ein, die uns 
bei den Lithistiden in Stande setzt, an macerirten oder fossilen Skeleten 
das Canalsysteın ebenso sicher zu studiren, als an frischen Exemplaren. 

Es lassen sich bei den Lithistiden sechs verschiedene Modifikationen 
der Wassercirculation unterscheiden: 

1) Ein besonderes Canalsystem fehlt vollständig. 

2) Von einer oder beiden Oberflächen dringen feinere oder gröbere, 
gebogene und häufig verzweigte Canäle mehr oder weniger tief in die 
Wand ein. 

3) Einfache oder ästige, mehr oder weniger gebogene Canäle ver- 
laufen in nahezu horizontaler Richtung von Aussen nach Innen und endigen 
in der Magenhöhle, während ein zweites System ähnlicher Radialcanäle 
in centrifugaler Richtung die Wand durchzieht und an der Oberfläche 
ausmündet. 

4) Einfache, gerade, oft haarfeine Radialcanäle durchziehen die Wand 
in centrifugaler Richtung von Innen nach Aussen; neben diesen verläuft 
zuweilen ein zweites System bogenförmiger dem äusseren Umfange mehr 
oder weniger parallele Canäle, welche in die Magenhöhle einmünden. 

5) Der Schwammkörper wird von verticalen Röhren durchzogen, zu 
denen häufig noch Radial-Canäle hinzukommen. 

6) Die ganze Wand besteht mehr oder weniger deutlich aus senk- 
rechten Skeletlamellen, oder keilförmigen Abschnitten, zwischen denen die 
Wassercirculation in radialer Richtung stattfindet. 

Der erste und einfachste Fall, gänzlicher Mangel eines eigentlichen 
Canalsystems, kommt nur bei wenigen Gattungen (Spongodiscus, Lecanella, 
Platychonia, Bolidium, Mastosia) von kugeliger, scheibenförmiger oder knol- 
liger Gestalt vor. Es erfolgt hier die ganze Wassercirculation lediglich 
durch die grösseren oder kleineren Zwischenräume der Skeletsubstanz. 
An der Oberfläche fehlen alle grösseren Oscula, und ebenso findet sich 
bei diesen Formen nie eine Magenhöhle. Entweder bietet die Oberfläche 
genau dieselbe Struktur, wie der ganze übrige Schwammkörper (Spongo- 
discus) oder die Skeletsubstanz verdichtet sich etwas und lässt dazwischen 
feine, rundliche Poren frei. (Bolidium, Mastosia). 

10% 


| 
[er) 


Von dieser einfachsten Einrichtung gibt es alle Zwischenstufen zur 
zweiten Modification, bei welcher die Oberfläche mit grösseren oder 
kleineren Oeffnungen besetzt ist, von denen mehr oder weniger gebogene 
Canäle in das Innere der Wand eindringen. In der äussern Erscheinung 
der hierhergehörigen Lithistiden herrscht die Becher-, Vasen-, Napf- oder 
Blatt-Form vor. Bei gewissen Gattungen (Chonella) sind die Oeffnungen 
kaum 1a—1 mm. gross, porenförmig und dem entsprechend auch die Canäle 
fein und wenig entwickelt. Die blattförmigen oder becherartigen Schwamm- 
körper besitzen also ebenfalls keine ausgesprochenen Magenhöhlen, wenn 
nicht etwa der weite Centralraum der Becher als solche aufgefasst wird. 
Zuweilen sind beide Oberffächen gleichartig beschaffen und die Canäle 
dringen von beiden Seiten entweder als einfache, zuerst etwas gebogene 
Röhrchen, in das Skelet ein, oder sie theilen sich gegen Innen in zwei 
bis drei Aeste. Eine so ausgiebige Verästelung, wie sie Haeckel bei 
den Leuconen beschrieben hat, konnte ich bei Lithistiden niemals beob- 
achten. Auch penetrirende, die ganze Dicke der Wand durchsetzende 
Canäle fehlen in der ganzen zweiten Gruppe, dagegen gibt es allerdines 
Fälle, wo die Canäle erst unmittelbar unter der entgegengesetzten Ober- 
fläche endigen. (Öhenendopora). 

Nicht immer sind die beiden in entgegengesetzter Richtung verlaufen- 
den Canalsysteme gleichmässig entwickelt. Sehr häufig trägt eine Ober- 
fläche 4—5 mm. messende oder noch grössere vertiefte (Hyalotragos, 
Chenendopora) oder hervorragende und gerandete Oscula, (Verruculina, 
Epistomella, Mac Andrewia, Azorica) und die andere ist lediglich mit feinen 
Poren besetzt. Es wird dann das eine System zu einem Capillarnetz her- 
abgedrückt, während das andere vorzugsweise die Wasserausfuhr (viel- 
leicht auch Zufuhr?) besorgt. In der Regel stehen bei den becherförmigen 
Schwammkörpern die grösseren Oscula auf der inneren Oberfläche (Ver- 
ruculina, Corallistes, Mac Andrewia), doch auch der entgegengesetzte Fall 
lässt sich nachweisen. (Leiodermatium). Sind beide Oberflächen mit grös- 
seren Osculis besetzt (Leiodorella, Amphithelion,) so kann man aus der 
Grösse der Mündungen auf die Entwicklung des Canalsystems einen Rück- 
schluss ziehen. 

Die dritte Modification des Canalsystems zeigt sich nur bei 
Gattungen mit wohl entwickelter Magenhöhle von cylindrischer, kreisel- 


ar 


förmiger oder ähnlicher Gestalt. Betrachtet man die Wand des Magens 
als die innere Oberfläche eines becherförmigen Schwammkörpers, so gilt 
alles was über den Verlauf des Canalsystems der vorhergehenden Gruppe 
erwähnt wurde, auch für die vorliegende. Die Ostien der nach der Magen- 
höhle einmündenden Radialcanäle stehen entweder in Reihen oder gänz- 
lich regellos vertheilt. Die von ihnen in die Wand eindringenden Canäle 
sind etwas wellig gebogen, seltener geradlinig; gegen Aussen nehmen sie 
allmälig an Stärke ab, indem sie sich zuweilen in wenige Aeste ver- 
gabeln. Aehnliche Canäle entspringen im Innern der Wand und nehmen 
ihren Verlauf in radialer Richtung nach Aussen, wo sie mit kleineren 
oder grösseren Ostien an der Oberfläche münden. Die Gattungen Cy- 
liädrophyma, Phymatella, Inostelia, Calymmatina, Megalithista u. A. be- 
sitzen ein derartiges Canalsystem. 

Bei einer vierten Gruppe von kugeligen, birnförmigen, kreisel- 
förmigen oder eylindrischen Schwammkörpern mit meist enger ÜOentral- 
höhle ziehen gerade, zuweilen haarfeine Radialcanäle in horizontaler oder 
schräger Richtung vom Centrum nach der Peripherie und münden an der 
Oberfläche als feine Poren aus. Diese Canäle sind dicht gedrängt, in grosser 
Zahl vorhanden und niemals verästelt; sie verleihen dem Schwamm im 
Quer- oder Längsschnitt eine faserähnliche Struktur. Manchmal com- 
binirt sich mit diesen strahligen Radialcanälen noch das Canalsystem der 
vorhergehenden Gruppe. Als typische Gattungen dieser Art sind zu 
nennen: Coelocorypha, Scytalia, Pachynion. 

Etwas complicirter wird das Canalsystem bei der fünften Gruppe, 
wohin Aulocopium, Siphonia und einige verwandte Gattungen gehören. 
Bei diesen münden in die trichterartige Magenhöhle bogenförmige an- 
fänglich dem Umfang parallele, gegen die Mitte aber fast senkrechte 
Canäle von ansehnlicher Stärke. Ausser diesen Bogencanälen verlaufen 
in schräger Richtung von Innen nach Aussen einfache gerade Radıal- 
canäle von ähnlicher oder geringerer Stärke, deren Zahl im Verhältniss 
zu ihrem Durchmesser steht, so dass bei Formen mit dicken Radial- 
canälen (Siphonia, Melonella) verhältnissmässig wenige vorhanden sind, 
während dieselben zuweilen (z. B. bei gewissen Aulocopien) durch ihre 
haarförmige Beschaffenheit und dichtgedrängte Stellung fast den Anschein 
einer faserigen Struktur erwecken. Diese Modification des Canalsystems 


78 


ist bereits von F. Roemer") für die Gattung Aulocopium, von Quen- 
stedt'”) für Melonella und von Sowerby), für Siphonia vortrefflich 
abgebildet worden. 


Eine sehr charakteristische Form von Canälen bei den Lithistiden 
sind die Verticalröhren, welche schon oben (S. 72) beschrieben wurden. 
Dieselben scheinen häufig die Centralhöhle zu ersetzen (Jerea, Jereica, 
Stichophyma, Carterella. Sie stehen entweder in Bündeln beisammen oder 
sind mehr vereinzelt und durchziehen als runde Röhren die ganze Länge 
des Schwammkörpers; bei ästigen Stöcken sind der Hauptstamm und alle 
Nebenäste von solchen Röhren durchbohrt. Die Wände derselben sind 
gewöhnlich mit Poren, den Mündungen feiner Radialcanälchen versehen. 
Besitzt das Skelet eine sehr lockere Beschaffenheit und stehen die Ver- 
ticalröhren dicht gedrängt, so können sie einen polygonalen Durchmesser 
annehmen und sind dann gewöhnlich durch dünne Wände von einander 
geschieden. (Hyalotragos, Pyrgochonia). Mit den Röhrencanälen können 
sich noch Radialcanäle der verschiedensten Art combiniren. 


Ein letzter Typus von Canalsystem scheint, soweit mir bekannt, 
nur bei einzelnen Lithistiden vorzukommen. Hier besteht die ganze, meist 
dicke Wand des becher-, schüssel-, kreiselförmigen oder cylindrischen 
Schwammkörpers aus verticalen Blättern von geringer Dicke oder aus 
keilförmigen Ausschnitten, welche durch senkrechte, einfache oder gegen 
Aussen gegabelte Spalten von einander geschieden sind. Der ganze 
Schwamm erhält dadurch einen entschieden radiären Aufbau und erinnert 
in manchen Fällen an einen Korallenkelch mit zahlreichen Sternleisten. 
(Taf. I. Fig. 11®). Die verticalen Spalten werden in gewissen, regelmäs- 
sigen Abständen durch Skeletlagen überbrückt, welche somit jede Spalte 
in ein ganzes System übereinanderstehender paralleler Radialcanäle zer- 
legen. Letztere durchbohren die Wand und münden an der äusseren 
Oberfläche und auf der Wand der Centralhöhle in rundlichen oder 
verzerrten Poren. Ausgezeichnete Beispiele für diese Form des Canal- 


16), Die fossile Fauna der silurischen Diluvialgeschiebe von Sadewitz Taf. II Fig. 1°, 2», 3b 
Tat Iu. Eie. 1 P)270, 

17) Petrefaktenkunde Deutschlands V. Taf. 126. Fig. 61. 62. 62. 

13) Fitton, Strata between the Chalk. Geol. Trans. 2 ser. vol. IV. pl. XV *. Fig. 4--7. 


79 


systems liefern die Gattungen Cnemidiastrum, Corallidium und Selis- 
cothon. | 

Schliesslich mag noch erwähnt werden, dass sehr häufig auf der 
Oberfläche, wo die Wachsthumszunahme des Schwammes erfolgt, also 
namentlich am Scheitel, die in der Bildung begriffenen Canäle als strahlige 
Furchen von sehr verschiedenartiger Beschaffenheit erscheinen und bis zu 
einem gewissen Grad den Verlauf des Canalsystems im ganzen Schwamm- 
körper anzeigen. 


Skelet- und Erhaltungszustand. 


Das Skelet der Lithistiden zeichnet sich durch seine steinartige, feste 
Beschaffenheit aus. Die Sarkode tritt gegenüber den kieseligen Abson- 
derungen zurück und ist bei lebenden Formen in verhältnissmässig ge- 
ringer Quantität vorhanden. Da überdies die Wände oder auch der 
ganze Schwammkörper eine ansehnliche Dicke besitzen und meist nur 
von verhältnissmässig feinen Canälen durchzogen sind, so dürfen dieselben 
zu den dauerhaftesten und widerstandsfähigsten Spongien gerechnet werden. 
Es verschmelzen zwar die kleinen Skeletelemente nicht, wie bei den He- 
xactinelliden, zu einem zusammenhängenden Gerüst, aber sie sind so innig 
mit einander verflochten, dass sie auch nach dem Absterben des Thieres 
nicht auseinderfallen und nicht wie die Nadeln anderer Kieselschwämme 
von den Wellen zerstreut werden. Diese steinartige Beschaffenheit der 
Lithistiden macht dieselben vorzugsweise zur Erhaltung in den Erd- 
schichten geeignet. In der That gehört ein grosser Theil der ehemaligen 
Petrospongien hierher. Wohlerhaltene, durch Salzsäure vom Nebengestein 
befreite Skelete unterscheiden sich in ihrer ganzen Erscheinung und Be- 
schaffenheit kaum von frisch macerirten oder direct dem Meere ent- 
nommenen, abgestorbenen Körpern recenter Formen. 

Es gibt gewisse Lokalitäten, namentlich in der oberen Kreide Nord- 
deutschlands (Ahlten, Lemförde und Linden in Hannover, Vordorf und 
Biewende in Braunschweig, Coesfeld, Legden und Darup in Westfalen), 
wo die fossilen Lithistidenskelete fast gänzlich unverändert überliefert 
wurden. Man hat die Gesteinsstücke lediglich mit verdünnter Salzsäure 
zu behandeln, um nach kurzer Frist das ganze Skelet in untadeliger 
Schönheit vor sich zu sehen. Auch in der weissen Kreide von England 


50 


und Frankreich kommen zuweilen Lithistiden namentlich aus der Gattung 
Siphonia (Choanites) vor, die in einer Rinde von Feuerstein eingeschlossen, 
die Skeletelemente in vorzüglicher Erhaltung zeigen: allein bei diesen 
ist das Canalsystem mit ınehliger, kieseliger Substanz ausgefüllt, welche 
sich durch Behandlung mit Säure nicht beseitigen lässt. 

Die bisher genannten Skelete verhalten sich bei mikroscopischer 
Untersuchung genau, wie lebende Lithistiden. Sie besitzen in Canada- 
balsam, Harzen und Glycerin die gleichen optischen Eigenschaften wie jene. 

Nur selten findet sich jedoch dieser günstige Erhaltungszustand. 

In England scheint die weisse Kreide von Flamboroughhead in 
Yorkshire die zahlreichsten Lithistiden zu liefern; allein wenn auch diese 
Exemplare nach Behandlung mit Salzsäure alle äusseren Merkmale des 
Schwammkörpers und namentlich das Canalsystem in bewunderungswür- 
diger Schönheit erkennen lassen, so eignen sich dieselben doch wenig 
zur mikroscopischen Untersuchung. Die einzelnen, meist zu Fasern ver- 
einigten Skeletelemente, sind fast immer durch Zufuhr von Kieselerde 
mit einander verschmolzen, mehr oder weniger in krystallinische Kiesel- 
erde umgewandelt und so sehr verändert, dass es nur ausnahmsweise noch 
gelingt, ihre ursprüngliche Gestalt zu ermitteln. Aehnlich verhalten sich 
auch gewisse Exemplare aus dem Coralrag von Nattheim und den oberen 
Juraschichten von Muggendorf und Amberg im fränkischen Jura. 

Ein anderer Verkieselungsprocess findet bei den meisten aus der 
mittleren und oberen Kreide von Frankreich (Touraine, Normandie), sowie 
bei vielen aus der norddeutschen Kreide stammenden Lithistiden statt. 
Bei diesen ist zwar das Skelet häufig wohlerhalten, aber in alle Zwischen- 
räume derselben ist Feuerstein eingedrungen, so dass an eine Isolirung 
der einzelnen Theilchen nicht mehr gedacht werden kann. Eine Betrachtung 
mit scharfer Lupe unter dem Mikroscop bei auffallendem Licht führt in 
solchen Fällen meist am schnellsten zur Bestimmung; zur eingehenderen 
Untersuchung dagegen müssen Dünnschliffe hergestellt werden. Unter 
Umstände genügen auch feine durchscheinende Splitter. 

In Braunschweig (bei Boimstdorf und Gliesmarode) finden sich der- 
artig erhaltene, von Feuerstein durchdrungene Lithistiden auf secundärer 
Lagerstätte (Diluvium) in grosser Menge. Das Skelet ist häufig dunkel- 
gefärbt und stellenweise etwas zersetzt, jedoch der Hauptsache nach er- 


sl 


halten und durch Dünnschliffe sichtbar zu machen. Aehnlich verhalten 
sich die meisten Kreidespongien aus der Touraine. Bei den letztern ist 
jedoch der Zersetzungsprocess nicht selten weiter vorgeschritten; man 
bemerkt in Dünnschliffen nur vereinzelte, wohl erhaltene Skeletelemente, 
dazwischen liegt eine Unzahl schwärzlicher oder rostbrauner Kügelchen 
(wahrscheinlich von Eisenoxydhydrat), die bald ganz unregelmässig ver- 
theilt, bald unzweifelhaft in die leeren Formen von früher vorhandenen 
und ausgelaugten Skeletelementen gelangt sind und dieselben vollständig 
ausfüllen. 


In der weissen Kreide von England, sowie in der Umgebung von 
Rouen liegen in grosser Menge unförmliche Feuersteinknollen, aus welchen 
sich beim Zerschlagen häufig trefflich erhaltene Spongien herauslösen, 
Der Schwammkörper wird durch eine weisse, poröse Rinde von zersetztem 
Feuerstein umhüllt. Gewöhnlich befindet sich zwischen derselben und dem 
Schwamm noch eine dünne Schicht von schneeweissem Kieselmehl, worin 
zahlreiche wohl erhaltene Spongiennadeln liegen. Der Schwammkörper 
selbst zeigt entweder die bereits oben bei den Lithistiden von Flamborough- 
head beschriebene Erhaltung oder noch öfter ist er im Innern vollständig 
mit homogener Feuersteinmasse ausgefüllt. In dieser ist alle Spongien- 
struktur zerstört; sie erscheint in Dünnschliffen als gleichförmige, amorphe 
Substanz. Die Oberfläche der Schwämme dagegen, sowie alle mit weissem 
Kieselmehl bedeckten Stellen pflegen vortrefflich erhalten zu sein und 
eignen sich dieselben vorzüglich zur Untersuchung bei auffallendem Licht. 


Ein minder günstiger Erhaltungszustand der verkieselten Lithistiden 
besteht darin, dass die ursprünglichen Skeletelemente aufgelöst und weg- 
geführt wurden und nunmehr durch Hohlräume ersetzt sind, die in der 
kieseligen Ausfüllungsmasse liegen und ein negatives, mehr oder weniger 
treues Abbild des früher vorhandenen Skeletes darstellen. Zahlreiche 
Exemplare aus der Touraine, aus der weissen Kreide von England, aus 
dem Grünsand von Regensburg und dem Coralrag von Nattheim, Gingen, 
Muggendorf und Amberg zeigen diese Erscheinung. 


Aehnliche „negative“ Skelete, jedoch nicht in Feuerstein, sondern in 
Phosphorsäure -haltigen glaukonitischen Kalksand eingehüllt, finden sich 
in der oberen Kreide von Saratow in Russland, wo zuweilen die Hohlräume 
“ Abh.d. II. Cl.d.k. Ak.d. Wiss. XIUI. Bd. I. Abth. 11 


82 


auch von Brauneisenstein ausgefüllt erscheinen. Ich habe auf (diesen Er- 
haltungszustand, der auch bei den Hexactinelliden vorkommt, schon in 
der ersten Abtheilung dieser Studien (l. ec. S. 15) aufmerksam gemacht. 


Lithistiden, bei denen das ursprüngliche Kieselskelet durch rostfar- 
biges Eisenoxydhydrat ersetzt ist, finden sich besonders häufig in der 
Mucronaten- und Quadratenkreide von Schwiechelt, Peine und Vordorf in 
Braunschweig, zuweilen bei Ahlten in Hannover, in der weissen Kreide 
von Frankreich, ferner im norddeutschen, böhmischen und sächsischen 
Pläner, öfters auch im fränkisch-schwäbischen Jura. 


Schliesslich wären noch die verkalkten Lithistiden-Skelete zu er- 
wähnen. Schon an den Stücken von dem berühmten Spongien-Fundort 
Sutmerberg bei Goslar lassen die meist kieseligen Skelete.der Lithistiden 
den Beginn einer Pseudomorphose erkennen. Legt man dieselben in ver- 
dünnte Salzsäure, so werden zuweilen ein Theil des Schwammkörpers und 
zwar in der Regel die Oberfläche und die der Oberfläche zunächst ge- 
legenen Parthieen aufgelöst. Das übrige Skelet bestekt aus Kieselerde, 
ja nicht selten ist das Innere geradezu mit Feuerstein imprägnirt. 


Untersucht man die kieseligen Skelettheile näher, so zeigen sie meist 
eine matte, corrodirte Oberfläche, und die feineren Verzierungen der 
kleinen Skeletkörperchen sind grossentheils verschwunden. In optischser 
Hinsicht unterscheiden sie sich von lebenden und anderen cretacischen 
Lithistiden dadurch, dass sie fast die gleiche Lichtbrechung wie Canada- 
balsam besitzen und desshalb in Glycerm, Wasser, Oel oder sonstigen 
Medien untersucht werden müssen. Aehnlich verhalten sich auch die Li- 
thistiden aus gewissen oberjurassischen Fundorten im fränkisch - schwäbi- 
schen Jura (Schauergraben bei Streitberg, Uetzing in Franken, Sozenhausen, 
Pappelau und Sontheim in Würtemberg) und im Krakauer Gebiet (Wodna, 
Kobilany, Luszowice), nur ist hier die Verkalkung in der Regel viel weiter 
vorgeschritten, als am Sutmerberg, so dass beim Aetzen grosse Parthieen 
des Schwammkörpers zerstört werden. Die zurückbleibenden Theile ver- 
halten sich optisch wie die an den gleichen Fundorten vorkommenden 
Hexactinelliden. ?°) 


20) Vgl. 1 Abthlg. 8. 10. 11. 


33 


In der Regel beschränkt sich die Pseudomorphose der oberjurassischen 
Lithistiden nicht auf einzelne Parthieen des Schwammkörpers, sondern 
meist zeigt sich das ganze Skelet durchaus in Kalkspath umgewandelt. 
Ausnahmslos sind bei derartigen Formen die Zwischenräume zwischen den 
Skelettheilchen und die Canäle mit Gesteinsmasse und zwar gewöhnlich 
mit Kalkstein ausgefüllt. In den schwäbisch - fränkischen Spon- 
gitenkalken des weissen Jura ?, y und d sind die meisten Lithisti- 
den vollständig verkalkt und nur hin und wieder erhält man beim 
Aetzen vereinzelte kieselige Skeletkörperchen im Rückstand. Denselben 
Brhaltungszustand zeigen die Lithistiden aus den oberen und unteren 
Spongitenkalken der Schweiz (Badener und Birmensdorfer Schichten) und 
des französischen Jura, des Rhonethals, der Cevennen und der Gegend von 
Niort. Auch im Pläner von Sachsen und Böhmen überwiegen die 
verkalkten Skelete.e Eine Erklärung dieser auffälligen Umwandlung 
habe ich bereits in der ersten Abtheilung dieser Studien zu geben ver- 
sucht. (S. 13. 14.) 


Merkwürdigerweise ist bei der Pseudomorphose eines ursprünglich 
kieseligen Skeletes in Kalkspath in der Regel keine beträchtliche Formver- 
unstaltung der kleinen Skelettheilchen eingetreten. Schleift man z. B. ein 
Cnemidiastrum oder einen Hyalotragos aus dem schwäbischen Jura an einer 
beliebigen Stellean und untersucht die Schlifffläche mit Lupe oder bei auffal- 
lendem Lichte unter dem Mikroscop, so heben sich die etwas dunkel gefärbten, 
aus Kalkspath bestehenden Skeletkörperchen scharf von der eingedrungenen 
lichten Gesteinsmasse ab und es lässt sich die Struktur auf solche Weise 
ohne weitere Vorbereitung erkennen. Bei einiger Uebung genügt über- 
haupt schon die Betrachtung mit Lupe, ja unter Umständen sogar mit 
blossem Auge, um die verschiedenen Gattungen von Hexactinelliden und 
Lithistiden sofort zu erkennen. 


Carter unterscheidet im Skelet der Lithistiden dreierlei charakter- 
istische Kieselgebilde : 
1) die eigentlichen durch Sarkode und durch ihre filigranartig 


verzweigten Enden mit einander verflochtenen „Skelet-Nadeln;“ 
11* 


84 


2) die in der Regel mit einem verticalen Schaft versehenen „Ober- 
flächen-Nadeln“ und 

3) die sogenannten „Fleisch-Nadeln“: einaxige Kieselkörperchen 
von meist geringer Grösse, welche in grösster Menge an der Oberfläche 
des Schwammkörpers frei in der Sarkode liegen, aber auch mehr oder 
weniger häufig im Innern vorkommen. 

Von diesen drei Bestandtheilen fehlen die kleineren Fleisch-Na- 
deln?!) sämmtlichen fossilen Lithidisten. Aber auch an lebenden Exem- 
plaren sind .dieselben nur dann zu beobachten, wenn die Skelete noch 
mit ihrem Sarkodeüberzug versehen sind. Ist letztere durch Fäulniss 
entfernt, so sind mit ihr auch die winzigen Körperchen verloren gegangen. 

Nach den neuesten Untersuchungen von Sollas werden die Fleisch- 
nadeln durch Alkalien rasch zerstört und dürften desshalb wohl auch 
dem Fossilisationsprozess nicht lange widerstehen. 

Abgesehen von diesen kleinen Fleischnadeln sind viele Lithistiden 
auch noch mit grösseren einaxigen Stabnadeln oder Walzen versehen, 
welche gleichfalls in grosser Menge an der Oberfläche oder auch in den 
Canälen liegen und zuweilen einen vollständigen Nadelüberzug bilden 
Diese grösseren Stabnadeln scheinen bei gewissen fossilen Lithistiden die 
ankerförmigen Oberflächen-Nadeln zu ersetzen und mögen somit weiter 
unten mit jenen genauer betrachtet werden. 

Auf die eigentlich skeletbildenden Elemente der Lithistiden, welche 
die Hauptmasse des Schwammkörpers ausmachen, passt die Bezeichnung 
Nadeln schlecht. Höchst selten erinnern diese Körperchen in ihrer Gestalt 
an Nadeln; sie sind nie einfach, geradlinig und beiderseits oder an einem 
Ende zugespitzt, sondern es sind stets zusammengesetzte, mehr oder weniger 
stark verästelte, meist mit wurzelartigen Anhängen versehene Körperchen 
die mit den kieseligen Skeletelementen anderer Spongien ur geringe 
Aehnlichkeit besitzen. Ich halte es desshalb auch für unstatthaft bei den 
Lithistiden von „Skelet-Nadeln“ zu sprechen und werde dafür die 
Bezeichnung Skelet-Elemente oder Skelet-Körperchen wählen. 

Im Ganzen herrscht bei den Lithistiden eine grosse Uebereinstimmung 


21) Gute Abbildungen dieser kleinen Fleischnadeln findet man in Bowerbank's Monographie der 
Kiesel-Spongien 1. c. pl. V. fig. 7. 8. pl. VI. fig. 8, 10. 11. 12. 13. 14. pl. XXIIL fig. 6. 


85 


hinsichtlich der Form ihrer Skelet- Körperchen, so dass dieselben 
für sich allein nur ausnahmsweise zur Charakterisirung einer Gattung 
ausreichen. 


Bei den ausgeprägtesten und wahrscheinlich auch höchststehenden 
Lithistiden sind fast sämmtliche Bestandtheile des Skeletes, sowohl die 
eigentlichen Skeletkörperchen als auch die Oberflächennadeln vierstrahlig, 
was übrigens nicht ausschliesst, dass einer von den 4 Strahlen eine von 
den drei übrigen abweichende Ausbildung erhält. Ich bezeichne diese 
Gruppe als Tetracladina. Legt man ein beliebiges Stück vom Skelet 
einer Phymatella, Siphonia, Callopesma, Aulaxinia, Turonia, Jerea u. A. 
(Taf. VII. 2. 5°. Taf. IX. Taf. X. 1—4) unter das Mikroscop, so zeigt 
sich dasselbe aus lauter ähnlich geformten und auch in der Grösse ziemlich 
übereinstimmenden vierstrahligen Körperchen zusammengesetzt. Sämmt- 
liche vier gleichlange Arme treffen im Centrum unter Winkeln von 120° 
zusammen; sie sind meist glatt, seltener mit warzigen Auswüchsen be- 
setzt und an ihren dem Centrum abgewendeten Enden in wenige kurze 
Aeste vergabelt, die ihrerseits wieder mit wurzelartigen Ausläufern besetzt 
sein können. Je nachdem sich die 4 Arme zuerst in 2 oder mehr dicke Aeste 
und diese wieder in feinere Zweige oder sogar in kurze Fasern vergabeln, 
entstehen an den Enden polsterartige, aus kleinen wurzelförmigen Fasern 
zusammengesetzte Ausbreitungen. Bei günstiger Erhaltung erkennt man 
ım Innern dieser Kieselkörperchen ein vierstrahliges Kreuz von Canälen, 
welche den Axen einer gleichseitigen Pyramide entsprechen. Die vier 
unter 120° im Centrum zusammenstossenden Canäle haben häufig nur 
geringe Länge, sie hören entweder schon vor der ersten Vergabelung 
der Arme auf, oder sie spalten sich durch Bifurcation und gehen noch 
eine kurze Strecke in die beiden Hauptäste hinein, ohne jedoch die wurzel- 
förmigen Ausläufer zu erreichen. Meist sind diese Canäle haarfein, zu- 
weilen aber auch, wahrscheinlich durch chemische Einflüsse während des 
Fossilisationsprocesses ansehnlich erweitert. In: meiner Abhandlung über 
Coeloptychium ??) habe ich eine Anzahl derartiger Körperchen aus dem 
inneren Skelet verschiedener Lithistiden - Gattungen abbilden lassen. 
Unter den lebenden Lithistiden schliessen sich die Gattungen Kaliapsis, 


22) Denkschriften d. k. Bayr. Ak. II. Cl. Bd. XII. t. VII. fig. 11—15. 20 - 23. 28. 32. 38. 


36 


(Taf. I. 12) Discodermia (Taf. I. 7), Racodiscula und Theonella (Taf. I. 
9) den obengenannten fossilen Formen an. 

Die Verbindung derselben erfolgt in der Weise, dass sich die aus- 
gebreiteten und verästelten Enden von 2 oder mehr Armen benachbarter 
Vierstrahler aneinander legen, wobei sich ihre wurzelartigen Fortsätze so 
dicht in einander verflechten, dass das Skelet nicht leicht in seine ein- 
zelnen Theilchen zerfallen kann. 

Bei den Gattungen Spongodiscus (Taf. X. 6) und Plinthosella (Taf. X. 
5) zeichnen sich die mehr oder weniger regelmässig vierstrahligen Skelet- 
körperchen durch ihre knorrige Beschaffenheit und die geringe Ver- 
ästelung ihrer Arme aus. Fast die ganze Oberfläche dieser Vierstrahler 
ist mit stumpfen, warzigen Auswüchsen besetzt, einer der vier Arme zu- 
weilen verkürzt und die Enden derselben etwas verdickt. Das Axenkreuz 
im Innern besteht aus 4 kurzen, haarfeinen Canälen, die durch spätere 
Einflüsse stark erweitert werden können. ??) Die Verbindung dieser knor- 
rigen Vierstrahler erfolgt dadurch, dass sich die Enden benachbarter Arme 
dicht aneinander legen, so dass dadurch ein scheinbar zusammenhängen- 
des, grobfaseriges Skelet hervorgerufen wird. In der Regel besteht bei 
den Lithistiden der ganze Schwammkörper (abgesehen von den Oberflächen- 
Nadeln) aus gleichartigen Skeletelementen, so dass es ziemlich ‚gleichgültig 
ist, von welchem Theil desselben irgend eine Probe mikroscopisch unter- 
sucht wird. Bei einzelnen Tetracladinen jedoch (Siphonia, Phymatella 
(Taf. VIII. 3), Aulaxinia (Taf. VIII. 4) unterscheidet sich die Basis vom 
oberen, eigentlichen Schwammkörper durch abweichende Mikrostruktur. 
Hier werden die normalen, mit stark vergabelten Armen versehenen Vier- 
strahler gegen unten immer unregelmässiger und gestalten sich theilweise 
zu langgestreckten, an den Enden ästig vergabelten und ausserdem mit 
Seitenausläufern versehenen Kiesel-Fasern um. Zwischen den verlängerten 
Fasern liegen mehr oder weniger zahlreich kürzere, ästige Skeletkörper- 
chen, die sich im Ganzen als unregelmässige Vierstrahler zu erkennen 
geben. Bemerkenswerth ist der Umstand, dass die in die Länge gezerrten 
Wurzelelemente nicht 4 Axencanäle, sondern nur einen einzigen und zwar 
meist kurzen und feinen Central-Canal besitzen. 


23) Abbildungen derartiger Vierstrahler finden sich in meiner Monographie der Gattung Coelop- 
tyckium Taf. VII. Fig. 16. 17. 18. 19. 20. 


87 


Durch diese letztgenannten Wurzelelemente werden die Tetracladinen 
mit einer anderen Gruppe von Lithistiden verbunden, die ich wegen ihrer 
ungewöhnlich grossen und langgestreckten Skeletelemente unter der Be- 
zeichnung Megamorina (uögıov Theilchen) zusammenfasse. 

Bei diesen verschwindet der vierstrahlige Bau fast ganz oder lässt 
sich nur ausnahmsweise nachweisen; aber auch dann sind die vier 
Arme immer ungleich entwickelt, verschiedenartig verzweigt und stossen 
überdiess nicht unter bestimmtem Winkel im Centrum zusammen. Die 
glatten, meist langgestreckten gebogenen Körperchen erreichen eine Länge 
von 2—4 mm. und sind schon mit unbewaffnetem Auge deutlich erkennbar. 
‚Bei einzelnen Gattungen (Doryderma (Taf. VII. 1), Lyidium (Taf. I. 10), 
Heterostinia (Taf. v1. 3) sind dieselben in mehrere ungleiche Aeste getheilt, 
die sich wieder in wenige kurze und stumpfe Seitenzweige vergabeln 
können; bei anderen (Megalithista Taf. VI. 4, Carterella Taf. VII. 2) ent- 
springen an den Enden der langgestreckten und gekrümmten Skelet- 
körperchen kurze Aeste, die rasch an Dicke abnehmen und sich meistnur ein- 
höchstens zwei mal vergabeln. Ausserdem gehen vom Hauptstamm hin und 
wieder kurze knorrige Fortsätze aus. Bei der Gattung Isoraphinia (Taf. 
VII. 3) nehmen die Skeletkörper beinahe die Form einfacher, gekrümmter, 
cylindrischer Nadeln an, erweisen sich jedoch durch ihre verdickten und 
häufig in zwei kurze Aeste gespaltenen Enden als ächte Lithistidenelemente. 

Sämmtliche Megamorinen besitzen einen einfachen Axencanal, welcher 
zuweilen fast die ganze Länge des Hauptstammes durchzieht, ohne jedoch 
jemals an den Enden zu Tage zu treten, zuweilen aber auch nur als kurzer 
haarfeiner Centralcanal in der Mitte der ästigen Skeletkörperchen liest. 

Die letzteren setzen entweder für sich allein das ganze innere Skelet 
des Schwammkörpers zusammen (Isoraphinia, Doryderma, Lyidium, Me- 
galithista) oder sie sind von viel kleineren stark verästelten Kiesel- 
elementen begleitet (Heterostinia), diein ihrem ganzen Verhalten mit denen 
der nächsten Gruppe übereinstimmen. Die Verbindung der grossen Me- 
gamorinen-Körperchen geschieht in der "Weise, dass sich die gebogenen 
ästigen Enden an benachbarte Skeletkörperchen anlegen und dieselben 
manchmal vollständig umfassen. 

Eine kleine, bis jetzt nur in fossilem Zusand bekannte Gruppe von 
Lithistiden zeichnet sich durch unregelmässig ästige Skeletkörperchen aus, 


88 


deren Aeste in einem knotig verdicktem Centrum zusammenstossen, 
Da dieselben an ihren Enden nur mässig verzweigt sind, so entsteht 
ein maschiges Netzwerk, das in manchen Fällen grosse Aehnlichkeit 
mit dem Gittergerüst gewisser Hexactinelliden erhält und bei flüchtiger 
Betrachtung auch damit verwechselt werden kann. Durch die Gabelung: 
der 4—7 in der Regel glatten Arme erweisen sich diese Spongien, für 
welche ich die Bezeichnung Anomocladina gewählt habe. als ächte 
Lithistiden. Die Gattungen Cylindrophyma (Taf. V. 6), Melonella, Lecanella 
(Taf. VI. 1) und Mastosia (Taf. VI. 2) sind die Repräsentanten dieser 
Gruppe, aus welcher sich möglicherweise die Tetracladina entwickelt 
haben. 

Bei der grossen Mehrzahl der Lithistiden besteht” das Skelet weder 
aus diesen Anomocladinen-Körperchen,. noch aus deutlichen Vierstrahlern, 
noch aus grossen schwach verästelten Megamorinen-Elementen, sondern 
aus zierlichen, theilweise winzigen Kieselkörperchen. welche sich durch 
ihre unregelmässig ästige, vielzackige Form auszeichnen. Die schlanken 
gekrümmten Aeste sind entweder gleichmässig entwickelt oder einer gibt 
sich durch seine Stärke und Länge als Hauptstamm zu erkennen. von 
dem die übrigen als Nebenäste ausgehen. Hauptstamm und Aeste sind 
stets mit wurzelartigen oder knorrigen, einfachen oder gegabelten Seiten- 
Ausläufern besetzt. Diese fligranartig gezackten Körperchen, nach welchen 
ich diese Gruppe Rhizomorina nenne, gabeln sich nicht selten in 4 Haupt- - 
arme und erinnern dann an die Tetracladinen. doch stossen die 4 Aeste 
höchst selten regelmässig unter Winkeln von 120° zusammen. Im All- 
gemeinen lässt sich für die Rhizomorinen hinsichtlich ihrer Vergabelung 
kein allgemein gültiges Gesetz aufstellen, sie sind unregelmässig geformt 
und nur innerhalb ein und derselben Gattung und Art von bestimmter 
typischer Form. 

Das Vorhandensein eines Axencanals ist meist schwierig zu constatiren, 
da die runden zackigen Aestchen bei durchfallendem Licht in der 
Regel vollständig dicht erscheinen. Bei günstiger Erhaltung und Be- 
leuchtung konnte ich indess sowohl an lebenden, als auch an fossilen. 
Rhizomorinen einen Axencanal beobachten. Bei den jurassischen Formen 
Hyalotragos (Taf. IH. 4.5), Platychonia (Taf. II. 8—10), Cnemidiastrum 
(Tat. II. 1—3 u. s. w.) befindet sich im Hauptstamm ein kurzer, ge- 


89 


rader und einfacher, an beiden Enden geschlossener Axencanal bei den 
cretacischen und recenten Rhizomorinen folgt der weite, undeutlich be- 
grenzte und zuweilen wie ein etwas bräunlich gefärbter Kernstreifen durch- 
schimmernde Axencanal, dem Verlauf des Hauptstammes und sendet in 
der Regel auch Abzweigungen in die grösseren Aeste; die kleineren Aeste 
und wurzelförmigen Anhänge dagegen sind vollkommen dicht. ©. Schmidt 
hat derartige Axencanäle bei Corallistes microtuberculatus (1. c. t. II. 
Fig. 4) und Corallistes typus (l. ec. t. II. Fig. 3) abgebildet. Unter den 
fossilen Lithistiden lassen die Gattungen Seliscothon (Taf. IV. 3) Chonella. 
Verruculina u. A. die Axencanäle deutlich erkennen. 


In der Anordnung und Verbindung dieser kleinen zackigen Skelet- 
Elemente herrscht grosse Mannichfaltigkeit. Entweder verflechten sich die 
feinen Fortsätze der benachbarten Körperchen zu einem lockern, ver- 
worrenen Gewebe, das beim Aetzen entweder in seine einzelnen Theilchen 
zerfällt, zuweilen aber auch in lockerem Zusammenhang bleibt, oder sie 
gruppiren sich dicht zusammen und bilden anastomosirende oder paral- 
lele Faserzüge, in welchen die meist nach bestimmten Richtungen ge- 
lagerten Theilchen mit ihren Aestchen und wurzelartigen Fortsätzen sehr 
innie mit einander verflochten sind. 


Grössere Manmnichfaltigkeit, als bei den eigentlichen Skeletele- 
menten herrscht bei den isolirten Kieselgebilden, die theils an der Ober- 
fläche, theils im Skelet zerstreut liegen und welche als „Oberflächen- 
Nadeln“ und „Fleischnadeln“ bezeichnet werden. Dieselben gehören 
entweder zu den einaxigen oder zu den vieraxigen Kieselgebilden. 


Die ersteren bieten keine nennenswerthen Eigenthümlichkeiten dar. 
Stabnadeln in der Länge von 0,5”"" bis 10 und 20”” schwankend lassen 
sich in den verschiedensten Abstufungen beobachten. Sie sind meist 
beiderseits zugespitzt und spindelförmig, zuweilen an einem Ende stumpf, 
am andern spitz oder auch beiderseits abgerundet. Am häufigsten sind 
sie gerade, doch kommen auch gebogene Sförmig- und zuweilen wellig- 
gekrümmte Nadeln vor. Ihre Oberfläche ist glatt, seltener dornig. Bei 
einer lebenden, noch unbeschriebenen Art, die ich von Herrn Dr. W. 
Marshall mitgetheilt erhielt, finden sich lange, wellig gekrümmte Na- 
deln, die in regelmässigen Abständen mit zugeschärften kragenartigen 

Abh. d. II. Cl.d. k. Ak.d. Wiss. XIII. Bd. I. Abth. 12 


90 


Vorsprüngen versehen sind und in ihrem Habitus an die von Bower- 
bank (Monogr. Brit. Sp. pl. I Fig. 14) abgebildete Nadelform erinnern. 

In viel mannichfaltigerer Gestalt erscheinen die Nadeln des vier- 
axigen Typus, die man mit Carter besser als „trifid“ oder „ternate“ be- 
zeichnen würde, da eine Axe immer abweichend entwickelt ist und bald 
als langer Schaft, bald als kurzes Stielchen, bald nur als knopfförmige 
Verdickung erscheint. Völlige Gleichheit der 4 Strahlen kommt bei den 
Lithistiden, wie es scheint, nie oder doch nur höchst selten vor. Ich 
habe wenigstens die sogenannten spanischen Reiter weder an lebenden, 
noch an fossilen Formen beobachtet. 

Am öftesten findet man Anker mit langem einfachem, am freien 
Ende verschmälertem Schaft. Die drei Zinken am entgegengesetzten 
Ende sind selten einfach und dann meist kurz (patento-ternate, recurvo- 
ternate, expando-ternate, incurvo-porrecto-ternate spicules u. s.w. nach Bo- 
werbank 1. c. Fig. 45—54, Fig. 128. 129), gewöhnlich spalten sie sich wieder 
in zwei (sehr selten in mehr) Zinken und bilden dann sogenannte Doppel- 
anker (bifurcated-expando-ternate spicules Bowb. 1. c. pl. V. Fig. 130, furcated 


attenuato - patento -ternate Fig. 50. 52, spiculated dichotomo- patento- 


ternate Fig. 53 u. s. w.). 

Bei den einfachen Ankern divergiren die 3 Zacken entweder unter 
gleichem Winkel schräg nach aussen, oder sie sind zurückgekrümmt. Das- 
selbe kommt auch bei den Gabelankern vor, doch liegen bei diesen 
die 3 gegabelten Zinken viel häufiger in einer Ebene und gehen recht- 
winklich vom Schafte aus oder sie biegen sich mit ihren Enden sogar 
etwas rückwärts. In meiner Monographie der Gattung Coeloptychium 
habe ich auf Taf. VI Fig. 5—30 und Taf. VII Fig. 1—10 zahlreiche der- 
artige ankerförmige Gebilde, die vermuthlich sammt und sonders von 
Lithistiden herrühren abgebildet, so dass eine weitere Beschreibung über- 
flüssig erscheint. Unter diesen Abbildungen befinden sich einige (Taf. 
VII Fig. 9. 10), bei denen die Gabelarme nicht glatt und gerade, sondern 
auf der Aussenseite mit ästigen Auswüchsen versehen sind. Aehnliche 
ınit knorrigen Warzen besetzte Gabelanker kommen auch bei einer le- 
benden Lithistidenform (Corallistes noli tangere Taf. I. 2°) vor. 

Eine bemerkenswerthe Modification der Gabelanker mit rechtwink- 


lich vom Schaft abstehenden Armen lässt sich bei der Gattung Theonella 


91 


beobachten. (Taf. I. 9°*°“) Hier ist der Schaft zu einem kurzen zu- 
gespitzten Stiel reducirt, die drei Arme sind von oben zusammengedrückt, 
gebogen und an den Enden in 2 kurze Aeste gespalten. (vgl. Bowb. 
l. ec. Fig. 306 und Proceed. zool. soc. 1869 pl. V Fig. 8. 9). Bei der fos- 
silen Gattung Ragadınia (Taf. X 4°) und einer mir durch Herrn 
Carter freundlichst mitgetheilten lebenden noch unbeschriebenen Racodis- 
cula ist der Schaft noch kürzer und die sehr breiten, zusammengedrückten 
Arme spalten sich in 2, 3 oder mehr unregelmässige Lappen. (Taf. 1. 8.) 
Im Centrum derselben befindet sich ein ganz kurzes, vierstrahliges Axen- 
kreuz. Oberflächennadeln dieser Art habe ich m meiner Monographie 
von Coeloptychium Taf. VII Fig. 25—27, 29—30 abgebildet. Von Carter 
wurden ähnliche Formen aus dem Grünsand von Haldon?®) unter dem 
Namen Dactylocalycites Vicaryi beschrieben. Redueirt sich der Schaft zu 
einem winzigen Stielchen, werden die Strahlen der Axencanäle noch kürzer, 
die niedergedrückten Arme des Gabelankers breiter und die lappigen 
Aeste derselben zahlreicher, so entstehen Gebilde, wie die in meiner Mono- 
eraphie von Coeloptychium Taf. VII Eig. 36. 37. oder wie die von Öse. 
Schmidt (l. ce. Taf. II Fig. 8) als Corallistes polydiscus Sdt. (non Bo- 
cage) von Bowerbank (Brit. spong. Fig. 104—106) als foliato-peltate 
spicules, und von Carter (l. c. pl. 7. Fig. 3. 4.) als Dactylocalycites po- 
Iydiscus aus dem Grünsand von Haldon dargestellten kurzgestielten, viellap- 
pigen Kieselscheiben. Taf. I. 12. zeigt derartige Scheibchen bei Kaliapsıs. 


Diesen schliessen sich unmittelbar die bald kreisrunden, bald ovalen 
ganzrandigen Kieselscheibehen von Discodermia polydiscus Bocage (vgl. 
Bowb. Proceed. zool. soc. 1869 pl. VI Fig. 10. 11) an, bei denen sich 
im Centrum ein winziges, conisches Stielchen und ein kurzes 4strahliges 
Axenkreuz befindet. Dieselben Scheiben hat Carter (l. c. pl. VII Fig. 
5) auch fossil aufgefunden und diesen dürften sich wohl auch die grossen 
unregelmässigen und eckigen Kieselplatten der fossilen Gattung Plintho- 
sella (Taf. X. 5°) anreihen. 


Möglicherweise gehören in die Nähe von Discodermia auch jene zier- 
lichen, am Rande durchbrochenen Kieselscheibchen mit stark entwickelten. 
vielfach gespaltenen Radialcanälen, wovon ich schon früher mehrere 


24‘ Ann. Mag. nat. hist. 1871. 4 ser. vol. VII. pl. 7 Fig. 1. 2. 


u 


12* 


92 


Exemplare habe abbilden lassen (Coeloptychium Taf. V Fig. 32—35). 
Aehnliche beschreibt Carter aus dem Grünsand von Haldon (l. e. pl. IX. 
Fig. 40—42). 

Kehren wir wieder zu den einfachern, kurzgestielten Gabelankern mit 
gebogenen Armen von Theonella zurück, so schliessen sich an diese an- 
dere etwas complieirtere Formen an. Es reducirt sich nämlich der Schaft 
zu einem kurzen conischen Stiel und die gebogenen Arme senden Seiten- 
ästchen aus, die wieder mit wurzelartigen Auswüchsen besetzt sind. Da- 
durch entstehen zierliche Gebilde (vgl. Bowbk. Proceed. zool. soc. 1869 
pl. V 2—4 und pl. XXV 4), welche sich in ihrem Aussehen den 
eigentlichen Skeletkörperchen schon bedeutend nähern. (Mac Andrewia. 
Taf. I. 3°%. Noch grösser wird diese Aehnlichkeit, wenn auch der 
kurze Schaft an seinem Ende in filigranartige Aeste ausläuft. (Azorica 
Pfeifferae Cart.) 

Bei diesen letztgenannten „Oberflächen-Nadeln“ sind die Beziehungen 
zu den Skeletelementen schon ganz unzweifelhaft; es gibt aber viele und 
namentlich fossile Lithistiden, bei denen die Kieselkörperchen der Ober- 
fläche zwar durch abweichende Grösse und Verästelung vom übrigen Skelet 
differiren, aber doch nur als modificirte Skeletkörperchen aufgefasst, nicht 
aber auf ankerartige Bildung zurückgeführt werden dürfen (Leioderma- 
tium, Leiodorella, Verruculina, Amphithelion, Seliscothon, Chonella etc.) 
Ich halte derartige „Oberflächen-Nadeln“ lediglich für junge, noch un- 
entwickelte Skeletelemente. 

Die Anordnung der ankerförmigen Oberflächen- Nadeln ist fast un- 
veränderlich derart, dass der Schaft nach innen, die Zinken dagegen 
gegen Aussen gerichtet sind. Bei Corallistes, Turonia (Taf. IX. 2) 
Callopegma (Taf. VII. 5°), Calymmatina, Theonella (Taf. I. 9°), u. A. 
bilden die in einer Ebene ausgebreiteten Doppelzinken der Gabelanker 
ein ungemein zierliches sternförmiges Pflaster, dessen Zwischenräume 
im lebenden Zustand mit Sarkode und winzigen Fleischnadeln aus- 
gefüllt war. Bei Doryderma (Taf. VII 1° zeichnen sich die mit 
kurzen Doppelzinken versehenen Anker durch die ansehnliche Länge 
ihrer Schäfte aus. Sie sind zu dichten Büscheln zusammengruppirt 
und stecken mit ihren Zacken nach Aussen in maschenartigen Vertief- 
ungen des Skeletes. Auch die lappigen und gezackten, kurzstieligen 


93 


Anker sowie die Kieselscheiben von Discodermia u. A. bilden eine mehr 
oder weniger dichte Oberflächenschichte, die um so vergänglicher ist, je 
‚weniger tief die nach innen gerichteten Stiele in die Skeletmasse ein- 
dringen. 

Sehr enge drängen sich in der Regel jene Oberflächen -Gebilde zu- 
‚sammen, welche in ihrem Gesammthabitus am wenigsten von den eigent- 
lichen Skeletkörperchen abweichen und wahrscheinlich nur junge, noch 
unausgebildete Skelettheilchen sind. Dieselben bilden unter Umständen 
eine scheinbar dichte und glatte Kieselhaut, die entweder nur gewisse 
Theile des Schwammkörpers (Turonia, Chenendopora, Thecosiphonia) be- 
deckt, oder aber als eine förmliche feine Kieselhülle den ganzen Schwamm 
überkleidet. (Calymmatina, Taf. II 2, Astrocladia),. D’Orbigny, Fro- 
mentel, Courtiller und Pomel haben auf diese eigenthümliche Deck- 
schicht wiederholt hingewiesen, dieselbe aber vielfach mit den Epithekal- 
Gebilden der Korallen oder dem dichten Ueberzug der fossilen Kalks- 
chwämme verwechselt. 


Versuch einer Systematik der Lithistiden. 


Ueber die Stellung der Lithistiden zu den übrigen Spongien gehen 
die Ansichten der Zoologen etwas auseinander. 

O0. Schmidt?®) gruppirt in seiner letzten grösseren Abhandlung 
sämmtliche Spongien in 4 Ordnungen: die erste enthält die Hexactinel- 
liden mit sechsstrahligen Nadeln, die zweite umfasst die Spongien 
mit ankerförmigen Nadeln oder mit Nadeln des pyramidalen Typus; die 
dritte jene mit einaxigen Kieselnadeln sowie alle nadellosen Formen, 
und die vierte die Kalkschwämme. 

In der zweiten Ordnung finden wir die Familie der Lithistiden neben 
den Geodiniden, Ancoriniden und den fossilen Vermiculaten. Dass diese 
letztere, übrigens nur provisorisch aufgestellte Familie nicht aufrecht er- 
halten werden kann, da sie aus den verschiedenartigsten Elementen be- 
. steht, habe ich bereits anderwärts nachgewiesen.?°) Es bleiben somit für 


25) Grundzüge einer Spongienfauna des Atl. Geb. S. 83. 
26) Studien über fossile Spongien 1. S. 6. 


94 


die zweite Ordnung nur die ehemaligen Corticaten (Geodinidae und An- 
corinidae) nebst den Lithistiden übrig. 

An ähnlicher Stelle finden wir die Lithistiden auch in der 3. Auf- 
lage des Claus’schen Handbuchs der Zoologie. Claus stellt die Calci- 
spongia allen anderen Seeschwämmen (Fibrospongia) als gleichwerthige 
Gruppe gegenüber. Die Fibrospongia werden in 12 Familien zerlegt, von 
denen die Ancoriniden, Geodmiden, Lithistiden und Hexactinelliden in der 
angegebenen Reihenfolge den Schluss bilden. Wir finden also auch hier 
die Lithistiden in unmittelbarster Nachbarschaft einerseits der Geodiniden 
und Ancoriniden und anderseits der Hexactinelliden. 

Eine abweichende etwas complicirtere Eintheilung der Spongien ist 
von H. Carter?‘) vorgeschlagen worden. Von den 8 Ordnungen Car- 
ter’s: Carnosa, Ceratina, Psammonemata, Raphidonemata, Echinoneinata. 
Holoraphidota, Hexactinellida und Calcarea entsprechen die 5 ersten und 
ein grosser Theil der 6. der dritten Gruppe Oscar Schmidt’s. Von den 
5 ersten Ordnungen zerfällt jede wieder in 2—4 Gruppen und diese wie- 
der eine grössere Anzahl von Familien. 

Die Ordnung der Holoraphidoten ist unter allen die umfänglichste und 
besteht aus Bestandtheilen, die kaum in sehr enger genetischer Beziehung 
stehen dürften. Wir finden nämlich unter den 5 hierhergehörigen Gruppen 
einerseits die Renierida, Suberitida und Potamospongida (Spongilla) mit 
einaxigen Nadeln und anderseits die Pachytragida und Pachastrellida mit 
drei- oder vier-strahligen Kieselelementen. Unter den Pachastrelliden befindet 
sich dann als Section dritter Ordnung die Familie der Lithistinen. 

Ich beschränke mich auf die Erwähnung dieser drei neuesten Classi- 
ficationsversuche der Spongien, da ich schon früher nachzuweisen ver- 
sucht habe, wie wenig sich die ältere Ansicht von Bowerbank, Gray 
und Wyville Thomson, die Lithistiden und Hexactinelliden in engere 
Verbindung zu bringen, rechtfertigen lässt. 

In einem Punkt stimmen Oscar Schmidt, Claus und Carter 
überein: sie stellen die Lithistiden unmittelbar neben die Geodiniden und 
Ancoriniden (Pachytragidae Cart). Aber während ihnen Claus den Rang 
einer selbständigen Ordnung zuerkennt, treten sie bei Oscar Schmidt 


27) Annals and Mag. nat. hist. 1875. 4ser. vol. XVI. S. 1. 126. 176. 


B; 


95 


nur noch als Familie einer Ordnung auf, welche alle Spongien mit 
vierstrahligen Nadeln umfasst, und bei Carter sind sie sogar zu einer 
Unterabtheilung (Familie) der Pachastrelliden degradirt. 


Die Uebereinstimmung der Lithistiden mit den genannten Spongien 
besteht darin, dass die ankerförmigen Oberflächen-Nadeln vieler 
Lithistiden-Gattungen gewissen Skelet-Nadeln der Ancoriniden und 
„Geodinidden zum Verwechseln ähnlich sehen. Damit ist aber auch Alles 
erschöpft, was sich zu Gunsten der Verwandschaft dieser Spongien mit 
den Lithistiden sagen lässt. Zieht man dagegen in Betracht. dass bei 
den Lithistiden weder typische Vierstrahler (wie bei Steletta), noch Acht- 
strahler, noch Kieselsternchen, oder strahlige Kieselkugeln und Kiesel- 
scheiben beobachtet werden, so ergibt sich schon bei den freien Kiesel- 
gebilden eine namhafte Differenz. Dieselbe ist aber geradezu fundamental, 
sobald man die eigentlichen Skeletelemente berücksichtigt. Keine bis jetzt 
bekannte Ordnung der Spongien besitzt ähnliche zusammengesetzte. man- 
nichfach verästelte Kieselkörperchen. Wenn den Tetracladinen auch ein vier- 
strahliges Axenkreuz zu Grunde liegt, so besteht doch ein tiefgreifender 
Unterschied zwischen den vierstrahligen Sternen der Pachytragiden, bei 
denen die einzelnen Arme gerade und zugespitzt sind und den an den 
Enden mehr oder weniger verästelten Lithistidenkörpern. Auch für die 
eigenthümliche Verbindung der letzteren zu einem meist innig verfloch- 
tenen Gewebe und für die dadurch hervorgerufene steinartige Beschaffenheit 
des ganzen Schwammkörpers lässt sich höchstens bei den Hexatinelliden, 
nicht aber bei den übrigen Kieselschwämmen eine gewisse Analogie auf- 
finden. Nimmt man schliesslich noch auf das complicirte Canalsystem 
und die äussere Erscheinung der Lithistiden Rücksicht, so sind es unter 
den Kieselspongien wieder nur die Hexactinelliden, sowie eine später noch 
näher zu charakterisirende, ausgestorbene Gruppe von Kalkschwämmen, 
welche sich in Vergleich bringen lassen. 


Schliesslich spricht auch die geologische Verbreitung der Lithistiden 
und die ausserordentliche Constanz, womit sie ihre Skeletmerkmale aus 
den frühesten Erdperioden fortgeerbt haben, für das hohe Alter dieser 
Gruppe und gegen ihre Entstehung oder auch nur engere Verwandtschaft 
mit den Pachytragiden, die ich eher als einen aberranten Seitenzweig der 


96 


Lithistiden auffassen möchte, wenn überhaupt ein genetischer Zusammen- 
hang beider angenommen werden soll. 

Alle diese Thatsachen veranlassen mich die Lithistiden als eine be- 
sondere, den Hexactinelliden gleichwerthige Ordnung anzusehen, die ihren 
Platz im System zwischen den Pachytragiden, Geodiniden und Ancorini- 
den einerseits und den Hexactinelliden anderseits erhalten muss. 


Eine speciellere Classification der Lithistiden ist bis jetzt von keiner 
Seite angestrebt worden, da die wenigen lebenden Gattungen keine weiteren 
Unterabtheilungen nothwendig erscheinen liessen und über die fossilen 
Formen bisher soviel wie Nichts bekannt war. Carter liefert in seiner 
schon mehrfach erwähnten Zusammenstellung allerdings werthvolle Winke 
zu einer Gruppirung der lebenden Lithistiden und deutet auch schon an, 
an, dass die Gattung Corallistes Sdt. aus verschiedenartigen Elementen 
zusammengesetzt sei, allein eine systematische Anordnung oder auch nur 
eine schärfere Charakterisirung der einzelnen Gattungen lag offenbar nicht 
in der Absicht des ausgezeichneten englischen Spongiologen. 


Fügt man den lebenden Formen die weit zahlreicheren fossilen bei, 
so ergibt sich das unabweisbare Bedürfniss nach einer systematischen An- 
ordnung des umfänglichen Materials. 

Wie bei den Hexactinelliden berücksichtige ich auch hier in erster 
Linie für die Charakterisirung der grösseren Gruppen die Merkmale der 
eigentlichen Skeletkörperchen, in zweiter Linie die Oberflächen - Nadeln 
und das Canalsystem und in dritter die äussere Form. 


Nach diesen Principien zerfallen die Lithistiden in 4 Familien 
(Rhizomorina, Megamorina, Anomocladina und Tetracladina) und diese 
zum Theil wieder in mehrere Sectionen. 


Uebersicht und Schlüssel zum Bestimmen der fossilen und lebenden 
Lithistiden-Gattungen. 


Classe: Spongiae. 
Ordnung: Lithistidae. O. Schmidt 1870. 

Massive, steinartige, diekwandige, meist festgewachsene Kieselschwämme von sehr 
mannichfaltiger äusserer Form. Monozoisch oder polyzoisch. Mit centraler Magen- 
höhle oder zerstreuten Osculis. Magenhöhle zuweilen durch verticale Röhren ersetzt. 
Schwammkörper aus mehr oder weniger deutlich vierstrahligen, oder unregelmässig 


97 


ästigen, an den Enden der Aeste oder auch ihrer ganzen Länge nach mit knorrigen 
oder wurzelartigen Ausläufern versehenen, gebogenen, innig verflochtenen aber nicht 
verwachsenen Skeletelementen, zuweilen auch aus diesen und aus ÖOberflächen- 
Nadeln von vieraxigem oder einaxigem Typus zusammengesetzt. Die Oberflächen- 
Nadeln entweder Gabel-Anker mit langenı nach Innen gerichtetem Schaft, oder kurz- 
sestielte Anker mit gebogenen, zuweilen knorrigen oder ästigen Zinken, oder kurz- 
gestielte Kieselscheiben oder endlich einaxige Nadeln von verschiedener Form und 
Grösse. Ausserdem in der Sarkode winzige Fleisch- Nadeln von einaxigem Typus. 


1. Familie: Rhizomorina. 


Skelet- Körperchen unregelmässig ästig, mit kürzeren oder längeren, ein- 
fachen oder zusammengesetzten, wurzelartigen Ausläufern oder knorrigen Auswüchsen 
besetzt, mit einfachem oder ästigem Centralkanal. Skelet-Elemente zu wirren Faser- 
zügen zusammen gruppirt oder locker in einanderverflochten. Öberflächen-Gebilde 
häufig denen des übrigen Skeletes ähnlich, ausserdem einaxige Nadeln und Gabel- 
Anker vorhanden. 


A) Skeletkörperchen mässig verzweigt, mit kurzem, einfachem Canal 
im Hauptstamm; locker mit einander verflochten. 


a) Schwammkörper diekwandig, kreiselförmig, knollig oder schüsselförmig mit verticalen 
häufig gegen aussen vergabelten Radialspalten, in welchen feine reihenförmig überein- 
ander stehende Radialcanäle verlaufen. 


2. L = ; kreiselförmig, knollig oder schüsselförmig mit kleinen 
Cnemidiastrum. Zi. Jura . . \ runden Canalostien auf den Radialspalten. 
an a era kreiselförmig. Oberfläche bis zum Oberrand' mit Epi- 

z i eh dermis überzogen. 


b) Schw. schüsselförmig, kreiselförmig oder plattig. Radiales Canalsystem sehr fein, 
undeutlich entwickelt, im Centrum zuweilen Verticalcanäle. 


schüsselförmig oder kreiselförmig. Oscula auf der Innen- 


"ag Zitt. Re: 
HELLES Zr | seite. Verticalcanäle vorhanden. 


schüsselförmig. Erhabene Oscula auf beiden Seiten. 
Verticalcanäle im Centrum. 


Pyrgochonia. Zitt. Jura 


scheibenförmig. Oberseite gewölbt, kraus, mit Central- 


Discostroma. Zitt. Jur 
; = höhle. Unterseite mit glatter Epidermis. 


Epistomella. Zit. Jura . S 
porös. 


plattig, eylindrisch, knollig. Beiderseits mit gerandeten 
Osculis; dazwischen glatte Epidermis. 

Platyehonia. Zitt. Jura . . __plattig. Beiderseits mit feinen Poren. 

Abh. d. II. Cl. d. k. Ak. d. Wiss. XIII. Bd. I. Bbth. 13 


\ 
| plattig. Oberseite mit erhabenen Oseulis. Unterseite 
Leiodorella. Zitt. Jura . | 


98 


B) Skeletkörperchen stark verästelt, mit ziemlich weitem ver- 
zweigtem Canal, häufig zu Faserzügen verflochten. 


a) Schw. knollig oder ästig, ohne deutliches Canalsystem. Oberfläche mit zerstreuten, 
bald grubigen, bald strahligen Oseulis, zuweilen auch nur mit feinen Poren. 


Bolidium. Zitt. Kreide. . . _knollig oder ästig ohne Oscula. 


. , : [ knollig mit zerstreuten strahligen oder grossen gruben- 
Astrobolia. Zitt. Kreide (en 


b) Schw. schüsselförmig, becherförmig, ohrförmig oder plattig. Wand auf einer oder 
beiden Oberflächen mit Osculis oder Poren, von denen einfache oder schwach verästelte 
meist gebogene Canäle in senkrechter Richtung in die Wand eindringen dieselbe aber 
nicht durchbohren. Oberflächen-Nadeln, wenn vorhanden, den Skelet - Elementen ähnlich, 
oder Gabelanker, zuweilen auch Anker mit drei zurückgebogenen Zacken. Ausserdem 
einaxige Nadeln meist reichlich vorhanden. 


Chonella. Zitt. Kreide becher- oder schüsselföürmig. Beide Oberflächen mit 
Poren versehen. 
[ste becher- oder tellerförmig. Wand aus ver- 


Seliscothon. Zitt. Kreide tiealen Blättern bestehend, auf den Radialcanälen 
der Innenseite stehen kleine Oscula. 
becherförmig, gestielt, mit ästiger Wurzel. Innenseite 
mit zerstreuten, vertieften Osculis. Stiel mit Vertical- 
röhren, Skeletkörperchen ziemlich gross, knorrig. 
dünn, incrustirend. Oberfläche mit Poren und feinen 
Furchen. 
becher-, schüsselföormig oder gebogen scheibenförmig, 
Oscula auf der Innenseite. Oberfläche mit einer Schicht 
Gabelanker bedeckt. 
fächerförmig, wellig gefaltet. Oberseite mit Osculis, Un- 
terseite porös. Oberflächen-Nadeln auf der Unterseite 
y gebogene Anker mit kurzen verdickten Zinken, auf 
der Oberseite glatte, unregelmässig verästelte Kör- 
perchen von geringer Grösse. 
vasen- oder keulenförmig. Innenseite mit warzigen Os- 
culis. Oberflächen-Nadeln aus kurzem Schaft und drei 
‘ ästigen feingezackten und gebogenen Armen be- 
stehend. Fleischnadeln einaxig, doppelt zugespitzt. 
vasenförmig, gestielt. Warzige Oscula auf der Innenseite. 


Chenendopora. Lamzx. Kreide 


Arabescula. Carter. lebend 


Corallistes. Sdi. lebend . 


Heterophymia. Pomel.lebend 


Mac Andrewia. Gray. lebend 


Skeletkörperchen klein. Hauptäste glatt, an den Enden 
stark verzweigt. Oberflächen-Gebilde den Skeletele- 
menten ähnlich. 

wie Azorica, aber die hervorragenden Oscula auf der 
Aussenseite. 

schüssel-, becher-, ohr-förmig oder plattig. Innen- 
(Ober-) Seite mit hervorragenden, warzigen Osculis. 
Oberflächenelemente denen des Skeletes ähnlich. 

Amphithelion, Zitt. Jura Kreide wie Verrueulina, aber beiderseits mit warzigen Osculis. 


Azorica. Cart. lebend 


Leiodermatium. Sdt. lebend 


Verrueulina. Zitt. Kreide 


99 


c) Schw. massiv, eylindrisch, Scheitel gewölbt, abgestutzt oder vertieft. Im Innern 
mit zerstreuten oder bündelförmig gruppirten Verticalröhren. Radialcanäle einfach, vom 
Centrum nach der Peripherie ausstrahlend. 


Stichophyma. A | Scheitel gewölbt mit zerstreuten, warzigen Osculis, 
\ welche mit Verticalröhren in Verbindung stehen. 
| Scheitel abgestutzt oder vertieft, in der Mitte mit 

| einem Bündel Verticalröhren. 
keulenförmig, Scheitel gewölbt, mit mehreren feinen 
> { in einer kleinen Vertiefung mündenden Verticalröhren. 
Pomelia. Zitt. Miocaen. lebend Ausserdem an den Seiten vereinzelte mit Röhren ver- 


sehene Gruben. Oberfläche fein porös. 


Jereica. Zitt. Kreide . 


d) Schw. ceylindrisch, kreiselförmig oder kugelig, diekwandig mit einfacher Central- 
höhle. Schräge, haarfeine, perforirende, zuweilen auch gröbere, in die Magenhöhle ein- 
mündende Radialcanäle vorhanden. 


Coelocorypha ZU Kenda ı. | kugelig oder Breirelfonuuz: Magenhöhle seicht; nur 
feine Radialcanäle vorhanden. 
| eylindrisch. Magenhöhle bis zur Basis reichend. Ausser 


Scytalia. Zitt. Kreide den feinen Radialcanälen noch gröbere in die Magen- 
höhle einmündende Canäle vorhanden. 
eylindrisch. Magenhöhle weit, tief. Skeletelemente 
knorrig, sehr gross. Oberflächenkörperchen klein, fein, 
verzweigt. 
Stachyspongia. Zitt. Kreide . eylindrisch. Magenhöhle einfach, röhrig. Oberfläche 
mit kegelförmigen Höckern. 


Pachynion. Zitt. Kreide 


32. Familie: Megamorina. 


Skeletelemente gross, verlängert, glatt, gebogen, unregelmässig ästig oder nur 
an den Enden vergabelt, mit einfachem Axencanal; locker in einander verflochten. 
Dazwischen zuweilen kleinere Skeletkörperchen von rhizomorinem Typus. Ober- 
flächen-Nadeln einaxig oder Gabelanker. 


ceylindrisch oder schüsselförmig mit einfacher Central- 
Megalithista. Zitt. Jura . . höhle. In der Oberflächenschicht zahlreiche Stab- 
nadeln und vereinzelte Gabelanker. 
cylindrisch oder ästig, im Centrum mit einem Bündel 
Verticalröhren. Oberfläche maschig; in den Maschen 
liegen Büschel von kurzgezackten Gabelankern mit 
sehr langem nach Innen gekehrtem Schaft. 
schüsselförmig, beiderseits mit Ostien von groben ein- 
fachen Canälen. Skeletelemente ästig, glatt‘, mit 


Doryderma. Zitt. Kreide e | 
| verdickten Enden. Oberflächen-Nadeln einaxig. 


Lyidium. 0. Schmidt. lebend 


eylindrisch, sehr verlängert, mit durchlaufenden Ver- 
ticalröhren. Skeletelemente sehr lang, wenig ästig. 
13* 


Carterella. Zitt. 


100 


Er : eylindrisch, mit weiter Centralhöhle, Skeletelemente nadel- 
Isöraphinja. Zt. Breidei | ähnlich, nur an den Endenschwach gegabelt oder verdickt. 
vasenförmig, gestielt, mit ästiger Wurzel. Wand bei- 
derseits mit Ostien und Radialcanälen. Skelet theils 

aus grossen, ästigen Megamorinen theils aus klei- 
neren, knorrigen Rhizomorinen-Elementen bestehend. 


Heterostinia. Zitt. Kreide . 


3. Familie: Anomocladina. 


Skeletelemente aus 4 oder mehr glatten, in einem verdiekten Centrum zusammen- 
stossenden Armen bestehend, welche an ihren Enden vergabelt sind. Ausserdem Stab- 
nadeln in grosser Menge vorhanden. 


kugelig oder birnförmig, mit weiter Centralböhle, in 
welche bogenförmige Canäle einmünden. Ausserdem 


Melonella. Zitt. Jura . . .- schräge, vom Centrum gegen oben und aussen ver- 
laufende Radialeanäle vorhanden. Basis mit Kiesel- 
epidermis. 

f , eylindrisch, mit weiter Uentralröhre. Radialcanäle hori- 

Cylindrophyma. Zitt. Jura tal 

Lecanella. Zitt. Jura . . . schüsselförmig, dünnwandig, Canalsystem fehlend. 

Massa Zi. ( knollig, mit warzigen Erhabenheiten, Oberfläche mit 


\ feinen Poren. 


4. Familie: Tetracladina. 
Skeletelemente vierstrahlig, die vier Arme an den Enden verästelt oder verdickt, 
mit vier unter‘Winkel von 120° zusammenstossenden Axencanälen. Oberflächen-Nadeln 


in der Regel reichlich vorhanden (Gabelanker, lappige oder ganzrandige Kiesel- 
scheiben, Stabnadeln). 


a) Schw. halbkugelig bis kreiselförmig, nicht fest gewachsen. Basis mit runzeliger 
Kieselhaut überzogen. Skeletelemente undeutlich vierstrahlig, die glatten Arme an den 
Enden stark verästelt. Magenhöhle einfach, mit Ostien von bogenförmigen Canälen ; ausser- 
dem schräg nach aussen gerichtete einfache Radialcanäle. 

Aulocopium. Oswald. Silur. 


b) Schw. cylindrisch, birnförmig, kugelig, selten schüsselförmig, einfach oder ästig. 
Skeletelemente mit vier gleichen glatten, selten etwas knorrigen, an den Enden ästig ver- 
zweigten Armen. Oberfläche mit Gabelanker und einaxigen Nadeln. 


Phymatella. | eylindrisch, mit knolligen Auswüchsen, Centralhöhle 
\ weit, Radialcanäle horizontal. 
länglich, birnförmig, massiv. Oberfläche mit Längs- 
furchen!, in welchen Radialcanäle münden. Wurzel 
mit verzerrten, länglichen Skeletelementen. 
Callopegma. Zitt. Kreide . . f schüsselförmig, mit weiter Centralhöhle. Oberfläche mit 
U  Gabelanker. 


Aulaxinia. Zitt. Kreide . 


101 


feigenförmig, mit röhriger Magenhöhle. Oberfläche mit 
conischen Warzen. Radialcanäle horizontal. 

feigen- oder birnförmig gestielt. Centralhöhle weit, mit 
Ostien gebogener Radialcanäle; ausserdem schräg 
von Innen nach Aussen verlaufende Canäle. 

([ wie Siphonia, aber mit einem Bündel Verticalröhren, 

deren Ostien im Scheitel ausmünden. 

keulenförmig. Scheitel mit den Ostien kurzer Verti- 
calröhren. Seiten mit Vertiefungen, in welche Canäle 
ausmünden. 

becherförmig; gestielt. Wand von Verticalröhren durch- 
zogen. 


Trachysycon. Zitt. Kreide . | 
J 
\ 
| buschig. Alle Individuen von Röhrencanälen durch- 


Siphonia. Park. Kreide. . . 


Jerea. Lamz. Kreide 


Nelumbia. Pomel. Kreide 


? Marginospongia. d’Orb. Kreide 


Polyjerea. From. Kreide zogen. Oberfläche mit Kieselhaut auskleinen, ästigen 
Lithistidenkörperchen überzogen. © 

einfach oder ästig, eylindrisch massiv. Oscula zerstreut, 
mit röhrigen Canälen in Verbindung. 

ästig oder einfach. Die Individuen kreiselförmig mit 
einfacher Magenhöhle. Oberfläche rauh, vollständig 
von einer Kieselhaut überzogen, worin Gabelanker 
liegen. 

einfach oder polyzoisch. Individuen kreiselförmig. Schei- 
tel mit vertiefter Grube, worin Mündungen von Ver- 
ticalröhren. Basis und ein Theil der Seiten mit Kie- 
selhaut überzogen. 

unregelmässig, knollig. Oberseite gewölbt oder conisch, 

Turonia. Mich. Kreide . . . rauh mit Längsfurchen. Im Innern zerstreute Ver- 

ticalröhren. Basis mit Kieselhaut, worin Gabelanker. 


Astroeladia. Zitt. Kreide 


Calymmatina. Zitt. Kreide . 


Thecosiphonia. Zitt. Kreide 


ce) Skeletelemente vierstrahlio, an den Enden stark verästelt. In der Oberfläche 
kurzschaftige Gabelanker mit gebogenen Zinken oder mit lappigen oder runden, kurzge- 
stielten Kieselscheiben. 
becherförmig. Aussenseite porös, Innenseite mit zahl- 
Theonella Gray.Kreide u. lebend | reichen, nicht erhabenen Osceulis. Anker der Ober- 
fläche mit gebogenen Gabelzinken. 
Discodermia, BocageKreide,lebend becherförmig. Oberfläche mit ganzrandigen rundlichen 
Kieselscheiben. - 
inerustrirend, dünn, ohne Oscula. Oberfläche mit zack- 
| igen, viellappigen, kurzgestielten Kieselscheibchen. 
keulenförmig, knollig, cylindrisch oder becherfürmig. 
Oberfläche mit lappigen, kurzgestielten Kieselscheiben. 
| schüsselförmig oder blattförmig. Oberfläche mit Fur- 


Kaliapsis. Bowbk. lebend . . 


Racodiseula. Zitt. Kreideu. lebend | 


Ragadinia. Zitt. Kreide . chencanälen. Deekschicht aus lappigen, kurz gestiel- 


ten Kieselscheiben uud Stabnadeln bestehend. 
d) Skeletelemente gross, vierstrahlig, knorrig, an den Enden entweder ganz schwach 


verzweigt oder nur verdickt. 

3 S : kugelig oder knollig. Oberfläche mit grossen, ziegelar- 
Flinthosella, Zi. Kreide | tigen, ganzrandigen oder lappigen Kieselscheiben. 
[ scheibenförmig. Oberseite mit strahligen Rippen. Ca- 


Spongodiscus. Zitt. Kreide naleysterm fehlt 


102 


Im vorliegenden System sind mit wenigen Ausnahmen nur solche Genera aufge- 
nommen, welche ich selbst mikroscopisch untersucht habe. Eine Anzahl Gattungen von 
Billings, Courtiller, Pomel u. A. habe ich unbeachtet gelassen, da die vorhandenen Be- 
schreibungen und Abbildungen über die feineren Strukturverhältnisse keinen Aufschluss 
gewähren. 

Einige Schwierigkeiten macht die silurische Gattung Aulocopium. Ihre Skeletelemente 
sind von ziemlich indifferentem Typus; sie gleichen in mancher Hinsicht den Tetracladinen, 
aber ihre Unregelmässigkeit nähert sie ebenso sehr den Anomocladinen und selbst ge- 
wissen Rhizomorinen. Es ist dies für die Entwicklungsgeschichte des Lithistidenstammes 
ein bedeutungsvoller Fingerzeig. In der Silurformation scheinen die verschiedenen Gruppen 
noch nicht ihre spätere Differenzirung erlangt zu haben; die Merkmale, welche sich nach- 
träglich ‚auf einzelne Familie vertheilten, sind theilweise noch in dem alten Collectivtypus 
vereinigt. 

Eine ähnliche Stellung nehmen auch die Anomocladina ein, Sie zeigen Beziehungen 
nach allen Seiten; allein es ist vorläufig nicht möglich , sie mit irgend einer anderen 
Gruppe der Lithistiden in genetischen Zusammenhang zu bringen. 

Die übrigen Gruppen Rhizomorina, Megamorina und Tetracladina lassen sich wie 
ein Blick auf die Tafeln zeigt, nach ihrer Mikrostruktur sehr sicher von einander unter- 
scheiden. Eine auffallende Verschiedenheit zeigen die Jurassischen Rhizomorinen durch ihren 
kurzen einfachen Axencanal gegenüber den cretacischen und recenten Repräsentanten dieser 
Gruppe. Sämmtliche jurassische Gattungen der Rhizomorinen besitzen überhaupt sehr 
ähnliche Skeletkörperchen , so dass zur generischen Bestimmung die Skeletbeschaffenheit 
allein nicht ausreicht. Das Gleiche gilt mutatis mutandis auch von den ceretacischen Rhi- 
zomorinen und Tetracladinen. 


Aufenthalt und Verbreitung der lebenden Lithistiden. 


Der Umstand, dass im Jahr 1859 die erste zu den Lithistiden gehörige lebende 
Form (Mae Andrewia Azorica Gray) beschrieben wurde, beweist hinlänglich, dass 
diese Schwämme nicht zu den leicht zugänglichen Bewohnern unserer Meeresküsten 
gehören. In der That, fast alle bis jetzt bekannte Arten sind durch das Schlepp- 
netz aus dem Ocean hervorgeholt worden, und die wenigen Anhaltspunkte über ihre 
bathymetrische Verbreitung, welche man 0. Schmidt und Carter verdankt, sprechen 
dafür, dass die Lithistiden Tiefen zwischen 75 und 374 Faden bewohnen, und häufig 
in Gesellschaft von Hexactinelliden vorkommen. Ueber ihre geographische und 
bathymetrische Verbreitung gibt nachstehende Tabelle Aufschluss?®): 


28) Die mit * bezeichneten Arten hatte ich Gelegenheit in natura zu untersuchen. 


103 


Art. Vaterland. Br Gewährsmann. 
A. Rhizomorina. 
3 S hi 3 4 i ; R 
ee ne on) || wueıh wer | TB-ITA | Carter 
Indien; Florida. y 
* 5 Masoni Bowbk. sp. . . Madeira. ? 
(Dactylocalyx Masoni.Bowbk. ) 
* ; en microtuberculatus. Sdt. . St. Jago, CapVerde. ? 
- elegantior. Sdt. Portugal. ? 
* 5 noli-tangere. Sdt. Portugal, St. Jago. ? 
Heterophymia(Dactylocalyx)heteroformis. 
(Val. sp.) Bowbk. Ak Shanghai. R 
»Mac Andrewia Azorica Gray. Azoren ; Faröer In- 
seln; St. Vincent, 
W. Indien. aA Carter: 
* „» (Corallistes) clavatella Sdt. | Florida. 152—270 | O. Schmidt. 
»Pomelia Schmidti. Zitt. Florida. ? 
»Azorica Pfeifferae. Cart. . Madeira,St.Vincent)| 75—374 | Carter. 
” (Corallistes) borealis. Cart. sp. | Faröer Inseln. ? 
»Leiodermatium Iynceus. Sdi Portugal. ? 
h ramosum. Sdt. . Florida. 125 O0. Schmidt. 
»Arabescula parasitica. Cart. . Canal. Seychellen. ? 
B. Megamorina. 
»Lyidium torquilla. Sat. Cuba. 970 Dr 
C. Tetracladina. 
»Theonella Swinhoei. Gray. Formosa. ? 
2 (Dactylocalyx) Pratti. Bowbk. | Ost-Indien. 2 
 Jabuee ferruginea. Haeck. in sched. ? ? 
Racodiscula asteroides. Cart. sp. . Florida. 152— 270 | ©. Schmidt. 
(Corallistes polydiscus Sdt. non. Bowbk.) 
* = Sp. noV. Philippinen. ? Carter. 
»Kaliapsis cidaris. Bowbk. . Süd-See. ? 
»Discodermia polydiscus. Bocage sp. . | Portugal, St. Jago, 
(Dactylocalyz: polydiscus Bowbk.) St. Vincent. 75—374 | Carter. 


104 


Phyletische Entwickelung. 


Aus der Lebensweise der lebenden Lithistiden darf wohl gefolgert werden, dass 
auch ihre fossilen Vorfahren einen Aufenthalt in mässig tiefem Wasser bevorzugt 
haben. Sehr häufig werden die fossilen Lithistiden, namentlich im oberen Jura und 
stellenweise auch in der oberen Kreide von zahlreichen Hexactinelliden begleitet, 
doch gibt es auch Localitäten (z. B. die Kreide der Touraine, Normandie und York- 
shire) wo die Lithistiden massenhaft, die Hexactinelliden dagegen nur äusserst spärlich 
vorkommen. Dies deutet an, dass die Existenzbedimngungen für die beiden Spongien- 
Gruppen ähnlich, aber doch nicht identisch waren. Im Allgemeinen scheinen die 
lebenden Lithistiden niemals in so grossen Tiefen vorzukommen, wie die Hexactinelliden. 

„Ablagerungen, worin die letzteren überwiegen, dürften darum in tieferem Wasser ge- 
bildet sein, als Lithistiden-reiche Gebilde. 

In entschieden litoralen Absätzen kennt man fast gar keine fossilen Lithistiden 
und dieser Umstand erklärt wohl vorzugsweise das offenbar sehr lückenhafte Material 
in unseren paläontologischen Museen. Sie sind auf vereinzelte, räumlich und zeitlich 
meist weit entfernte Ablagerungen beschränkt, von denen jede in der Regel eine 
ganz andere Spongienfauna enthält als die früher oder später gebildeten Schichten. 
Eine stetige und allmählige Entwicklung der fossilen Lithistiden lässt sich nicht 
nachweisen, ja sogar der Uebergang einer Gattung, geschweige denn einer Art von 
einer Formation in die folgende ist kaum zu constatiren. 

Die paläozoischen Formationen haben bis jetzt erst eine einzige sicher bestimmte 
Gattung (Aulopium) geliefert??). n 

Aus Trias und Lias sind mir keineLithistiden bekannt; dagegen habe ich in der 
Hohenegger’schen Sammlung aus braunem Jura des Krakauer Gebietes eine Melonella 
und eine Species von Unemidiastrum gefunden. 

Ungemein zahlreich, namentlich an Individuen, treten die Lithistiden in den 
Spongitenkalken des weissen Jura auf. Hier herrschen besonders die Gattungen Une- 
midiastrum, Hyalotragos, Platychonıa und Cylindrophyma vor. Mehr vereinzelt 
finden sich Leidorella, Epistomella, Pyrgochonia, Discostroma, Mesalithistida, Le- 
canella, Mastosia und Melonella. Sie finden sich im unteren weissen Jura in mässiger 
Zahl neben den dort vorherrschenden Hexactinelliden, ihre Hauptentwickelung tritt 
aber erst im weissen Jura d ein, wo die Hexactinelliden etwas spärlicher werden. In 
den älteren Horizonten der Kreideformation fehlen die Lithistiden zwar nicht gänzlich, 
kommen aber doch nur als Seltenheiten vor. Dagegen ist die Cenomanstufe die 
Heimath zahlreicher Arten von Siphonia, Jerea, Stichophyma, Chonella, Verrueulina, 
Amphithelion. Berühmte Fundorte sind der Grünsand von Blackdown und Haldon 


29) Möglicherweise gehören auch die ungenügend beschriebenen Gattungen Aulocopina, Cala- 
thium und Eospongia Billings zu den Lithistiden. Die silurischen Genera Archaeocyathus und Trachyum 
Billings bedürfen einer mikroscopischen Untersuchung, um festzustellen, ob sie wirklich den Hexacti- 
nelliden zuzutheilen sind. 


105 


in Wiltshire, die glaukonitische Kreide der Normandie und Touraine, der untere 
Pläner von Norddeutschland, Sachsen, Böhmen und Bayern. 

Den Höhepunkt ihrer Entwicklung erreichten die Lithistiden in der oberen 
Kreide. In der Touraine und Normandie, in Yorkshire und in gewissen Gebieten 
Norddeutschlands (am Sutmerberg, bei Ahlten, Linden, Boimstdorf, Ilsenburg, 
Döhrnten, Salzgitter) ist der Formenreichthum an Lithistiden geradezu erstaunlich. 
Die Gattungen Chonella, Seliscothon, Chenendopora, Verruculina, Amphithelion, Bo- 
lidium, Astrobolia, Stichophyma, Jereica, Uoeloeorypha, Sceytalia, Pachynion, Dory- 
derma, Isoraphinia, Phymatella, Callopegma, Trachysycon, Jerea, Polyjerea, Astro- 
eladia, Turonia, Ragadinia, Plinthosella, Spongodiscus u. A. haben hier entweder 
ihre ausschliessliche oder doch ihre vorwiegende Verbreitung. Mit der Juraformation 
hat die Kreide auffallender Weise keine einzige Gattung gemeinsam. 

Nach Ablauf der Kreideformation finden sich in Nordeuropa nurnoch le 
Trümmer von Lithistiden (z. B. im Eocänsand von Brüssel), dagegen hat Pomel in 
‘der Provinz Oran in Algerien eine ungemein reiche miocäne Lithistidenfauna ent- 
deckt und beschrieben. Leider stand mir aus diesem Gebiete kein Material zur Ver- 
fügung und da die Pomel’schen Beschreibungen und Abbildungen nur die äussere 
Form und das Canalsystem berücksichtigen, auf die feineren Strukturverhältnisse 
dagegen wenig Rücksicht nehmen, so muss ich vorläufig mein Urtheil über die 
meisten Gattungen noch zurückhalten. Im Gesammthabitus scheint sich indess die 
Lithistidenfauna aus dem Miocän von Oran mindestens ebenso eng an die lebenden 
Formen anzuschliessen, als an jene der Kreideformation. Unter den zahlreichen Arten 
der Gattungen Sceytophymia, Pleurophymia und Onemaulax dürften sich bei genauerer 
Untersuchung Vertreter von Corallistes, Mac Andrewia und Azorica finden, dagegen 
scheinen die in massenhafter Individuenzahl entwickelten Genera Jereopsis, Jerea, 
Allomera, Meta u. s. w. eher auf cretacische Vorläufer hinzuweisen. Ich habe mich 
zu meinem Bedauern genöthigt gesehen, die Pomel’schen Gattungen im speciellen Theil 
grösstentheils zu ignoriren, da eine definitive Einreihung derselben in das System 
erst dann möglich sein wird, wenn ihre Strukturverhältnisse genauer untersucht sind. 

Die nachstehende Tabelle gibt eine übersichtliche Darstellung der historischen 
Aufeinanderfolge der Lithistiden und gleichzeitig einige Andeutungen, wie man sich 
etwa ihre phyletische Entwicklung vorstellen könnte. An geschlossene Formenreihen 
oder gar an die Construction eines Stammbaumes lässt sich bei unserer lückenhaften 
Kenntniss der fossilen und lebenden Lithistiden vorläufig ebenso wenig, wie bei den 
Hexactinelliden, denken. 


Abh. d. IL Cl. d. k. Ak. d. Wiss. XIII. Bd. I. Abth. 14 


P Rhizomorina. Megamorina. 
Leiodermatium. 
Azorica. Discodermia. 
a Mac Andrewia. Pomel; Racodiseula. 
Jelzineit. Heterophymia, a Theonella. 
Corallistes. Be “  Kaliapsıs. 
Arabescula. Lyidium. 
? Marisca. 
Corallistes. 9 ee 
(Seytophymia, Pleurophy- Aha 
mia, Aegophymia). A streblia. 
Miocaen. |? Cnemaulax. ? Psilobolia. ? Dichojerea. 
?Spongoconia, ? Taseoconia, ? Pliobunia. ofenes 
? Tretolopia, ? Adelopia. ? Pleuromera. Bart 
DE AN ? Tereopsidea. 
? Histiodia. ? Allomera. ? Tereopsis. 
Callopegma. 
Phymatella. 
Aulaxinia. x 
Turonia. 
Calymmatina. 
Thecosiphonia. 
Obereundmitt- En nn E 
lere Kreide. Amphithelion. Marginojerea. 
Verrueulina. Polyjerea. 
Plococonia. Stachyspongia. Jereica. Isoraphina. Nelumbia. Discodermia. 
Seliscothon. Pachynion. Stichophyma. Heterostinia. Jerea. Ragadinia. 
Chenendopora. Coelocorypha. Astrobolia. Doryderma. Trachysycon. Plinthosella. 
Chonella. Sceytalia. Bolidium. Carterella. Siphonia. Spongodiscus 
Unt. Kreide. | Chonella. Jereica. 
Leiodorella. ß 
on a Anomocladina 
Malm Platychonia. Mesalithista. Lecanella. 
(weisser Jura). Discostroma. ' 
Corallidium. Pyrgochonia. Cylindrophyma 
Cnemidiastrum. Hyalotragos. Melonella. 
Dogger Cnemidiastrum. Melonella. 
Silur Formation. AsurloreorpEru.m: 


107 


B. Specieller "Theil. 


Das Material, welches dem speciellen Theil zu Grunde liegt, ist durch die Freund- 
lichkeit. womit meine Untersuchungen von vielen Seiten gefördert wurden, sehr um- 
fangreich geworden. Von zahlreichen in Deutschland und Böhmen vorkommenden Arten 
hatte ich Gelegenheit die Originaltypen von Münster, Goldfuss, F. A. Römer, 
Reuss und Ferd. Römer zu untersuchen, bei andern lagen mir wenigst 
authentisch bestimmte Exemplare vor. Ausser den bereits in der ersten Abtheilung 
genannten Herrn, welche mir fortdauernd ihr Wohlwollen durch Ueberlassung werth- 
voller Materialien an den Tag legten, erhielt ich durch die Herren P. von Loriol 
und Al. Humbert in Genf die gesammte Spongien-Sammlung des Genfer Museum’s, 
das sich durch grossen Reichthum namentlich an französischen Vorkommnissen aus- 
zeichnet. Diese letzteren wurden noch wesentlich vermehrt durch eine Sendung ver- 
kieselter Spongien aus der Touraine, für welche ich Herrn Prof. Geinitz in Dresden 
zu Danke verpflichtet bin. Aus Norddeutschland erhielt ich durch die Güte des Herrn 
Director Dr. von Groddeck in Clausthal eine Anzahl Originalien F. A. Römer’s, 
mein früherer Zuhörer Herr Dr. Steinmann in Strassburg hatte die Freundlich- 
keit, die reichsten Localitäten in Braunschweig und Hannover für das hiesige Museum 
auszubeuten, von Herrn Prof. Dr. Hosius in Münster wurden mir Spongien aus 
der westfälischen Kreide zugeschickt und von den Herrn Gottsche und Dr. Meyn 
bekam ich eine Anzahl Geschiebe aus Holstein und der Gegend von Hamburg. Von 
besonderer Wichtigkeit waren aber vor Allem die herrlich erhaltenen Stücke aus der 
oberen Kreide von Ahlten und Linden in Hannover, welche mir von meinem ver- 
ehrten Freunde Prof. von Seebach in Göttingen zur Untersuchung anvertraut wurden. 

An Jura-Spongien ist die Münchener paläontologische Staatssammlung sehr 
reich. Mancherlei Neues aus Schwaben konnte mir indess von Herrn Apotheker 
Wetzler in Günzburg, Herrn Pfarrer Dr. Engel in Ettlenschiess und Herrn Bau- 
inspektor Klemm in Geislingen mitgetheilt werden. Allen den genannten Herren, 
insbesondere aber auch Herrn H. Carter in Budleigh Salterton, Dr. W. Marshall 
in Weimar und Prof. OÖ. Schmidt in Strassburg, welche mich durch Mittheilung 
lebender Lithistiden unterstützten, fühle ich mich zu wärmstem Danke verpflichtet. 


Ich habe mich in dieser zweiten Abtheilung nicht wie bei den Hexactinelliden 
auf kurze Diagnosen der Genera beschränkt, sondern denselben in der Regel noch 
einige Bemerkungen, welche zum besseren Verständniss dienen dürften, beigefügt. 
Ausserdem ist jede Gattung von einem Verzeichniss derjenigen Arten begleitet, welche 
ich mit Sicherheit dahin rechnen zu dürfen glaube. Von den mit * versehenen 
Formen lagen mir die Originalstücke der betreffenden Autoren vor. Für die treff- 


lichen Abbildungen der mikroscopischen Skeletelemente, welche diese Abhandlungen 
14* 


108 


begleiten, bin ich abermals Herrn Conrad Schwager besonderen Dank schuldig. 
Dieselben sind (mit wenigen besonders bezeichneten Ausnahmen) in der gleichen 
Vergrösserung mittelst Camera lucida gezeichnet und liefern dadurch ein zuver- 


lässigeres Bild der relativen Dimensionsverhältnisse, als die umständlichsten Angaben 
von Maassen. 

Für die häufiger vorkommenden Abkürzungen gibt beifolgendes Literaturver- 
zeichniss den Schlüssel. In der Regel habe ich nur die Abbildungen eitirt und zwar 
mit Fettschrift die Tafel, mit kleinerer Schrift die Figuren bezeichnet. 


Court. Ep. foss. 


Et. Leth. Br. 


From. 


Intr. 


Gein. Elbth. 


Goldf. 


Mich. Ie. 


Pom. 


Quenst. Handb. 


DE] 


„ 


Reuss. 


Roem. 


„ 


„ 


Jura 
Bein..30) 


Kr. 


Kr. 


Spong. 


Sad. 


Courtiller A. Eponges fossiles des Sables du terrain cretace su- 
perieur des environs de Saumur., (Etage Senonien d’Orbieny). 
Annales de la Societe Linndenne de Maine et Loire. 1861. 
volgLy. 

Etallon et Thurmann, Lethaea Bruntrutana ou etudes pale- 
ontologiques et stratigraphiques sur le Jura Bernois. Neue 


Denkschriften der schweizerischen naturforschenden Gesellschaft. 
1863. Bd. XIX. und XX. 


Fromentel E. de, Introduction &a l’etude des &ponges fossiles. 
Memoires de la Soc. Linndenne de Normandie. Vol. XI. 1859. 
Geinilz, das Elbthalgebirg in Sachsen. Palaeontographica. 
BARS 2 


— Goldfuss und Münster, Petrefacta Germaniae. Bd. I. 1826— 1833. 


Michelin Hard., Iconographie zoophytologique. Paris. 1340— 1847. 
Pomel A. Paleontologie ou description des animaux fossiles de 
la Province d’Oran. Zoophytes. Oran. 1872. 

Quenstedt F. A. Handbuch der Petrefaktenkunde. 2. Aufl. 1867. 
Quenstedt F. A. Der Jura. Tübingen 18. 

(Quenstedt F. A. Petrefaktenkunde Deutschlands. Bd. V. Ko- 
rallen. Leipzig 1877. 

Reuss A. E. Die Versteinerungen der böhmischen Kreideforma- 
tion. Stuttgart 1845. 
Roemer F. Ad. Die Versteinerungen der Norddeutschen Kreide- 
formation. Hannover 1841. 

Roemer F, Ad. Die Spongitarien des Norddeutschen Kreidege- 
birges. Palaeontographica. XIII. 1864. 


Roemer Ferd. Die fossile Fauna der silurischen Diluvial-Ge- 
schiebe von Sadewitz bei Oels in Nieder-Schlesien. Breslau 1861. 


30) Während des Druckes ist mir die 4. Lieferung dieses Werkes zugegangen. Ich konnte 
wenigstens theilweise noch auf dieselbe Bezug nehmen. 


A. Rhizomorina. Zitt. 


Cnemidiastrum Zitt.. Taf. II. Fig. 8. 12. Taf. III. Fig. 1. 2. 


Syn. Cnemidium p. p. Achilleum p. p. Goldf.; Onemidium und Onemispongia Quenst.; 
Cupulospongia p. p. d’Orb.; Cnemiopelta, Cnemipsechia, Pachypsechia, ? Ceriopelta, Trachy- 
einclis Pomel (non Onemidium d’Orb. Pomel.). 


Schw. kreisel- oder. kegelförmig, eylindrisch oder schüsselförmig, mit vertiefter 
Centralhöhle, monozoisch, selten polyzoisch. Die dicke Wand wird von zahlreichen 
senkrechten Radialspalten (Rinnen) durchzogen, welche sich gegen aussen häufig ein- 
oder mehrfach gabeln und dann anastomosiren. Diese geraden oder welligen Radial- 
spalten sind durch eine mindestens doppelt so breite Skeletmasse von einander ge- 
schieden. An Stücken deren Oberfläche nicht abgerieben ist, zeigen sich die Radial- 
spalten aus lauter in verticalen Reihen dicht über einander folgenden Canälen 
zusammengesetzt, deren runde porenförmige Oeffnungen in den Rinnen deutlich zu 
unterscheiden sind. Auch im Innern der Wand sind die einzelnen Canäle einer Reihe 
häufig durch eine dünne Schicht Skeletmasse geschieden, zuweilen zerfliessen sie aber 
auch in einander und bilden einen einzigen Spaltcanal, welcher die ganze Höhe der 
Wand durchsetzt. Sind diese Spalten mit Gesteinsmasse erfüllt, welche der Verwit- 
terung grösseren Widerstand entgegensetzt, als das Skelet, so ragen sie als strahlige 
Leisten am Scheitel vor und verleihen dem Schwammkörper einige Aehnlichkeit mit 
dem Kelch einer Sternkoralle. 

Bei günstiger Erhaltung beobachtet man, dass die äussere und innere Oberfläche 
der Wand mit einer fast glatten Deckschicht bekleidet ist, aus welcher die runden, 
reihenförmig geordneten Oscula der Radialcanäle entweder als kleine durchbohrte 
Wärzehen hervorragen (Taf. II. Fig. 8°.) oder einfach eingesenkt sind. (Taf. II. 
Fig. 5.) Goldfuss hat ein mit wohl erhaltenen Osculis versehenes Exemplar von 
Cnemidiastrum stellatum unter dem Namen Cn. granulosum (35. 7.) vortrefflich ab- 
gebildet. 

Die meist in Kalkspath umgewandelten Skeletkörperchen sind von mässiger 
Grösse, gekrümmt, unregelmässig geformt, an den Enden ästig und überall mit zu- 
gespitzten oder stumpfen, dornigen Auswüchsen besetzt. 


Ich habe mich genöthigt gesehen für diese Gattung den Goldfuss’schen Namen Cne- 
midium aufzugeben, obwohl sich derselbe durch Quenstedt in Süddeutschland für die 
schüssel- und kreiselförmigen Schwämme mit strahligen Rinnen aus dem oberen Jura ein- 
gebürgert hat. Goldfuss hatte nämlich unter Cnemidium sehr verschiedene Dinge zu- 
sammengeworfen, und obwohl bei Aufstellung der Gattungsdiagnose offenbar Cnemidium 
rimulosum und stellatum besonders in’s Auge gefasst worden waren, so gehört doch gerade 
die erste Species (Cnemidium lamellosum) zu der Hexactinelliden-Gattung Pachyteichisma. 


110 


Quenstedt beschränkte den Namen Cnemidium im Jahre 1543 (Flötzgeb. S. 424) auf 
die Formen vom Habitus des Cnemidium stellatum, rimulosum u. s. w., leider folgten 
aber die französischen Autoren (d’Orbigny, Fromentel, Pomel) seinem Beispiel nicht, son- 
dern zogen es vor, Cnemidium lamellosum Goldf. als Typus der Gattung zu betrachten. 
Bei Pomel führt sogar eine Familie der Dictyosclerosa den Namen Cnemidiens. Da der 
Name Cnemidium nachträglich von anderen Autoren auf die verschiedensten Kalk- und 
Kieselschwämme bezogen wurde, so dürfte die Unterdrückung desselben das einzige sichere 
Mittel bilden, Confusionen zu vermeiden. 

In Quenstedt’s neuestem Werke (Petref. V.) finden sich auf Taf. 126, 127 und 128 
zahlreiche sehr naturwahre Abbildungen von oberjurassischen, meist ziemlich stark abge- 
riebenen Formen, welche die äussere Erscheinung und das Canalsystem vortrefflich 
illustriren. Mit den Goldfuss’schen Arten, namentlich mit Cn. stellatum, verfährt Quen- 
stedt allerdings ziemlich willkürlich. 


Geologische Verbreitung: In der Juraformation. 
1) Cnemidium stellatum Taf. IH. Fig. 1. 2 Goldf. &. 2. (non 30. 3). 
(Onemidium gramulosum. Münst. Goldf. 35. 7) 
(Cnemispongia Goldfussi. Quenst., Petr. V. 126. Fig. 73. 74 t. 12%. 1—16.) 
2) Cnemidium striato-punctatum. Goldf. 6. 3. 
(Onemispongia Goldfussi. Quenst. p. p. Petr. 127. 19. 20. 21. 22.) 
3) Cnemidium corallinum. Quenst. Jura 84. 1. Petr. 127. 16. 17. 18. 
4) Cnemidium rimulosum. Taf. III. Fig. 3. Goldf. 6. 4. Quenst. Petr. 128. 1-5. 
(Tragos granulosum. Quenst. Petr. 129. 4. 5.) 
5) Cnemidium pluristellatum. Zitt. 
(Onemidium stellatum Quenst. (non Goldf.) Jura 8. 676. Petr. 128. 6. 7.) 
(? Onemidium stellatum. Goldf. 30. 3 (non 4. 2.) 
*6) Achilleum tuberosum. Münst. Goldf. 34. 4. 


7) ns cancellatum. Münst. Goldf. 34. 5. 
S) Cnemidiastrum Hoheneggeri. Zitt. Taf. II. Fig. 8. Unt. weisser Jura. Wodna bei 
Krakau. 


Corallidium. Zitt. 
Sgn. Onemidium p. p. Quenst. 
Schw. kreiselförmig, kegelförmig bis eylindrisch; Scheitel mit enger Magen- 
höhle, von welcher zahlreiche äusserst feine Rinnen ausstrahlen, die den Schwamm- 


körper als verticale Spalten durchsetzen. Seiten vollständig mit einer dichten, etwas 
runzeligen Hülle überzogen. 


Einzige Art im oberen Jura von Kelheim. 


1) Cnemidium diceratinum. Quenst. Hdb. 1852. t. 61. Fig. 20. Petr. V. 128. 10— 12. 


Hyalotragos. Zit. Taf. III. Fig. 4. 5. 


Sgn. Tragos p. p. Goldfuss (non Schweigger), Quenst. et. auct., Chenendopora 2. D., 
Oupulospongia p. p., Ohenendroscyphia p. p. From; ? Oymbochlaenia, ? Bothrochlaenia, Dia- 
cyparia Pomel. 


Schw. schüssel-, teller-, triehter- oder kreisel-förmig, gegen unten zugespitzt 
' oder kurz gestielt. Oberseite vertieft, bald mit unregelmässig zerstreuten grösseren und 
sehr wenig vertieften, bald mit dichtgedrängten kleineren Oseulis versehen. Aussen- 
wand porös, oder mit einer glatten, meist concentrisch runzeligen Deckschicht über- 
zogen In der Mitte der vertieften Oberfläche mündet eine grössere oder geringere 
Anzahl verticaler Röhren, welche bis zur Basis den Schwammkörper durchziehen. 
Ausserdem verlaufen in der Wand parallel der Oberfläche sehr feine Radialcanäle von 
der Basis bis zum Oberrand und da dieselben häufig in radiale Verticalreihen ge- 
ordnet sind, so entsteht eme der Gattung Cnemidium ähnliche, jedoch viel feinere 
und undeutlichere strahlige Struktur. 


Die meist in Kalkspath umgewandelten Skeletelemente sind ziemlich gross und 
bestehen aus einem gebogenen, in mehrere zackige Aeste gespaltenen Stamme, der 
nur spärlich mit dornigen Auswüchsen besetzt ist. Sie sind lose mit einander ver- 
flochten, niemals in grösseren Mengen zu Faserzügen zusammengruppirt, sondern 
reihen sich meist einzeln aneinander und verursachen auf diese Weise ein lockeres 
Maschennetz, das bereits von Goldfuss (3. 10° und 35. 5°) vortrefflich abgebildet 
worden ist. 


Diese Beschaffenheit des Skelets ist ungemein charakteristisch. Der ganze Schwamm- 
körper wird von einem Capillarnetz von Canälen durchzogen und das Skelet bildet 
eigentlich nur die äusserst feinen Wände dieser Canälee Wenn die letzteren eng neben 
einander stehen, wie im Centrum, so nehmen sie in der Regel polygonale Form an und 
erinnern einigermassen an die Röhren der Gattung Favosites. 

Nur an der Oberfläche und zwar sowohl auf der äussern, wie auf der inneren sind 
die Skeletkörperchen dichter mit einander verflochten und bilden dadurch zuweilen eine 
dem unbewaffneten Auge dicht erscheinende glatte Kieselepidermis. 


Diese im oberen Jura überaus häufige Gattung unterscheidet sich von Cnemidiastrum 
vornehmlich durch den Mangel grober Radialspalten und von der cretacischen Gattung 
Verruculina, abgesehen von der abweichenden äusseren Form, durch das lockere, grobma- 
schige Skelet, durch die Form der mit einfachem Canal versehenen Skeletelemente, durch 
die Gruppirung derselben, sowie durch die verticalen Canäle. 

Goldfuss hat mehrere Formen dieser Gattung unter dem Aristotelischen Namen 
Tragos beschrieben, den Schweigger schon früher einem lebenden Hornschwamm bei- 
gelegt hatte. Zu Tragos rechnete indess Goldfuss auch noch andere, theils zu Kiesel- 
theils zu Kalkschwämmen gehörige Formen, so dass eine Beibehaltung dieses Namens aus 
zwiefachem Grunde unstatthaft erschemnt. In Quenstedt’s Petrefaktenkunde V. 


112 


Taf. 128. 129. sind die oberjurassischen Arten vortrefflich abgebildet; nichts desto we- 
niger unterliegt deren Unterscheidung wegen des meist mangelhaften Erhaltungszustandes 
grossen Schwierigkeiten. Die besten Stücke, welche ich kenne, stammen aus dem unteren 
weissen Jura (Zone des Am. transversarius) des Krakauer Gebietes, gehören jedoch meist 
unbeschriebenen Arten an. Bei den schwäbischen und fränkischen Exemplaren sind durch 
den Fossilisationsprocess und durch nachträgliche Verwitterung häufig gerade die bezeich- 
nendsten Merkmale verloren gegangen, so dass viele derselben als unbestimmbar bei Seite 
gelegt werden müssen. 
Sämmtliche Arten ‘finden sich im oberen Jura. 
*1) Hyalotragos (Tragos) patella. Taf. III. Fig. 4. 5. Goldf. sp. 5. 10. u. 85. 4. 
Quenst. Petr. +. 128. 26. 27. 28.5 BI. 23: 
2) ? Tragos radiatum. Goldf. 35. 2. Quenst. Petr. 128. 24. 25. 
3) „ reticulatum. Goldf. 35. 5. Quenst. Petr. 129. 10— 15. 


4) „  Infrajugosum. Quenst. ib. 129. 6. 
*5) „ rugosum. Goldf. 35. 4. 
6) „ pezizoides. Goldf. 5. 8. 


(Tragos fistulosum. Quenst. ib. 128. 15—23.) 


Pyrgochonia. Zit. 

Syn. Tragos p. p. Goldf., Quenst.; Forospongia p. ». d’Orb. Pomel. 

Schw. becherförmig, auf beiden Seiten mit werandeten, warzig hervortretenden 
ganz seicht in die Skeletmassen eingesenkten Osculis. Skeletstruktur und Canalsystem 
wie bei Hyalotragos, die Verticalröhren im Centrum schwaeb entwickelt. 

Die typische Art dieser Gattung (Tragos acetabulum. Goldf. 5. 9.) wurde von d’Or- 
bigny zu Forosponseia gerechnet. Da unter diesem Namen jedoch Formen aus verschie- 
denen Gattungen zusammengefasst wurden, und die Diagnose „Spongiaire lamelleux ou 
cupuliforme, cribl& de pores des deux cötes“ auf ein halbes Dutzend anderer Gattungen 
besser passt, so wurde derselbe fallen gelassen. j 

Abgeriebene Exemplare dieser oberjurassischen Gattung sind leicht mit Hyalotragos 
zu verwechseln. 

1) Pyrgochonia (Tragos) acetabulum. Goldf. t. 5. 9. Quenst. Petr. 129. 7. 8. 18. 

(Tragos infranudatum. Quenst. ib. 129. 6.) 
( » verrucosum. Goldf. 35. 6.) 


Discostroma. Zit. 

Syn. Tragos p. p. Quenst. 

Schw. scheibenförmig oder flach triehterförmig ; Oberseite gewölbt, polsterartig, 
mit krausen Gruben und Erhöhungen, in der Mitte mit centraler, zuweilen enger, 
aber ziemlich tiefer Centralhöhle. Unterseite kurz gestielt, mit diehter runzliger Deck- 
schicht. Skelet und Canalsystem wie bei Hyalotragos. 

Nur im oberen Jura. 

1) Discostroma (Tragos) intricatum. Quenst. Petr. 129. 20. 


113 


s 


Leiodorella. Zitt. Taf. II. Fig. 5. Taf. II. Fig. 11. 
(Asios glatt, doo« Haut.) 


Syn. Planispongia p. »., Tragos p. p. Quenst. 


Schw. plattig, ohrförmig, wellig gebogen, zuweilen knollig oder inerustirend. 
Beide Oberflächen mit glatter, scheinbar dichter Deckschicht überzogen, aus welcher 
zerstreute, gerandete, runde Oscula hervorragen. Von diesen dringen kurze röhrenartige, 
etwas gebogene und an ihren Enden verästelte Canäle senkrecht in die Wand ein. 

Das Skelet besteht aus einem ziemlich dicht verflochtenen Gewirr ästiger 
Lithistidenkörper mit kurzem einfachem Axencanal. Die kurzen und dicken Aeste 
sind mit einer mässigen Anzahl spitzer Fortsätze versehen. Die dichte Oberflächen- 
schicht wird durch kleine zackige und ästige Körperchen gebildet, deren Form wegen 
ungünstiger Erhaltung nicht sicher zu ermitteln war. 

Diese Gattung entspricht in ihrer äusseren Erscheinung ebenso genau der cretacischen 
Gattung Ampithelion, wie Epistomella als jurassischer Vorläufer von Verruculina angesehen 
werden kann. Beide jurassische Genera stimmen hinsichtlich ihrer Skeletelemente mit Hyalo- 
tragos, Cnemidium und Platychonia überein, während die cretacischen Gattungen durch viel 
schlankere, dünnere, überall mit knorrigen oder wurzelartigen Fortsätzen versehene Skelet- 
körperchen ausgezeichnet sind. Die Axencanäle der ersteren sind kurz und fein, während 
jene von Verruculina und Amphithelion mit ansehnlichem Durchmesser die ganze Länge 
des Hauptstammes durchziehen und sich hin und wieder auch in die Nebenäste ver- 
zweigen. Bis jetzt nur im oberen Jura bekannt. 


1) Leiodorella expansa. Zitt. t. II. Fig. 5. Taf. III. Fig. 11. 

Lappig oder ohrförmig, ziemlich dicke Blätter bildend, Rand abgerundet. Oscula 
gerandet, warzig hervorragend, in spärlicher Zahl weit auseinander stehend. Transversarius- 
Schichten. Wodna bei Krakau. 

2) Tragos tubatum. Quenst. Petr. 129. 19. 

Ausserdem mehrere andere Arten aus dem weissen Jura der Schweiz, Schwaben, 
Franken und dem Krakauer @ebiet. 


Epistomella. Zii. Taf. II. Fig. 3. Taf. III. Fig. 12. 
"(erei auf, oroue Mund.) 

Syn. Planispongia p. p., Spongites p. p. Quenst. 

Schw. ohr- oder blatt-förmig, seitlich gestielt. Oberseite mit zerstreuten, ge- 
randeten, runden Osculis; Unterseite mit Poren. Magenhöhlen der Oscula mässig 
vertieft. 

Skelet und Canalsystem wie bei Leiodorella. 

Im oberen Jura selten. 


Epistomella clivosa. Quenst. Petr. 131. 4. 5. 
Abh. d. II. Cl. d. k. Ak. d. Wiss. XIII. Bd. I. Abth. 15 


114 


Platyehonia. Zit. Taf. III. Fig. 8. 9. 10. 

Syn. Spongites p. p. Planispongia p. pP. Quenst., Amorphospongia p. p, d’Orb., ? Plo- 
cocoelia EBtallon. 

Schw. blattförmig, ohrförmig, wellig gebogen, gefaltet, selten becher- oder 
schüsselförmig. Beide Oberflächen mit Poren besetzt. Canalsystem sehr unvollkommen 
entwickelt, zuweilen lediglich durch das lockere wirre Geflecht des Skeletes ersetzt; 
häufig bewegt sich die Wasserströmung aber auch in zahlreichen reihenweise geord- 
neten Capillarröhren durch die ganze Länge der Wand und verleiht dieser ein fa- 
seriges oder strahliges Aussehen (vgl. Goldfuss t. 33 Fig. 5a.). Die Skeletelemente 
unterscheiden sich wenig von denen der Gattung Hyalotragos und sind auch genau 
in derselben Weise mit einander verflochten. 

Diese Gattung ist schwer definirbar ; sie stellt sich einerseits Hyalotragos unmittelbar 
zur Seite, anderseits ist sie namentlich in ihren äusseren Merkmalen Chonella sehr ähnlich. 
Von Hyalotragos unterscheidet sich Platychonia durch die ganz unregelmässige, meist 
plattige, seltener schüssel- oder becherförmige Gestalt, durch den Mangel an grösseren 
Osculis und an verticalen Röhrencanälen; von Chonella durch die abweichende Beschaffen- 
heit des Skeletes. Während sich nämlich bei Platychonia die ziemlich grossen, mässig ver- 
ästelten Skeletkörperchen einzeln mit einander verflechten und äusserst feine, vielfach über- 
brückte Züge zwischen den Capillarcanälen bilden, gruppiren sich die weit kleineren, stärker 
verästelten und gezackten Elemente von Chonella gerne zu gröberen Fasern zusammen 
und geben dadurch dem Skelet eine weit dichtere und solidere Struktur. Diese Be- 
schaffenheit bedingt aber ein wohl entwickeltes Canalsystem und in der That dringen bei 
Chonella von den porenförmigen Oeffnungen der Oberfläche senkrechte Canäle in die 
Wand ein. 1 

Im oberen Jura gibt es verschiedene Arten dieser Gattung, deren Unterscheidung 
indess schon wegen des mangelhaften Erhaltungszustandes grosse Schwierigkeiten verur- 
ursacht. Quenstedt fasste sie früher als Spongites vagans zusammen, unterscheidet aber 
neuerdings Petr. V. 8. 317—323 unteı dem Namen Planispongiae verschiedene Arten. 

1) Platychonia (Spongites) vagans. Taf. III. Fig. 8. Quenst. Jura 82. 8. 

2) Platychonia auriformis. Taf. III. Fig. 9. Quenst. Petr. V. 131. 1. 

3) Seyphia Schlotheimi. Münst. Taf. HI. Fig. 10. Goldf. 33. 5. 

4) Spongites triangulus. Quenst. Petr. V. 131. 2. 

5) 2 stragulus. Quenst. ib. 131. 9. 

+6) 2 feralis. Quenst. ib. 131. 14. 

7) ? Plococoelia obsura. Et. Leth. Br. 59. 16. 


Bolidium. Zitt. Taf. IV. Fig. 8. 
Syn. Amorphospongia p. p. D’Orb., Röm.; Amorphofungia p. p. From.; ? Lithosia, 
? Cladolithosia Pomel.; Stellispongia p. p. Röm.; Sparsispongia Gein., Achilleum p. p. Reuss. 


Schw. knollig, mit gerundeter oder warziger Oberfläche, zuweilen ästig, dick. 
Oberfläche nur mit feinen Poren versehen. Skelet aus kleinen knorrigen, ge- 


115 


krümmten, an den Enden verästelten Lithistidenkörperchen bestehend. Oberfläche 
in der Nähe der Basis häufig mit einer dichten Lage junger, in einander verfilzter 
Skeletkörperchen bedeckt. 

Ich fasse unter dieser Bezeichnung eine Anzahl indifferenter, formloser Schwamm- 
körper ohne grössere Ostien oder Canäle zusammen, welche sich hinsichtlich ihrer Skelet- 
beschaffenheit von Astrobolia und Chonella nicht unterscheiden lassen. Sie wurden bisher 
in der Regel zu Amorphospongia gerechnet. 


*]) Amorphospongia palmata. Roem. Spongit. 19. 8. Senon, Sutmerberg. 


Astroboliıa. Zitt. 


Syn. Asterospongia p. p. Roem., Stellispongia p. p. Roem.; Cnemidium p. p. Reuss.; 
Cytoracea, Rhagosphecion, Asteropagia p. p. Pomel. 


Schw. knollig, ganz unregelmässig geformt. Ganze Oberfläche mit gröberen 
oder feineren Poren, von welchen dünne Canäle in das Skelet eindringen; ausserdem 
auf der Oberseite mehrere grössere Oscula, welche durch einmündende Furchen ein 
sternförmiges Aussehen erhalten. Skelet gleichmässig aus knorrigen, an den Enden 
ästigen Lithistidenelementen, welche in ihrer Form mit denen von Bolidium über- 
stimmen, gebildet. 

Die Arten dieser durch die strahligen Oscula und durch die unregelmässige Form 
leicht kenntlichen Gattung wurden bisher meist unter der Bezeichnung Asterospongia oder 
Stellispongia aufgeführt. Diese Gattungen bilden aber ein Mixtum compositum von Lithi- 
stiden, Kalkschwämmen, Wurzelfragmenten u. s. w. so dass es nicht möglich ist eine der- 
selben in dem von d’Orbigny und Römer gemeinten Sinne aufrecht zu halten. Für die 
Formen mit grossen, grubigen Osculis (Stellispongia impressa Roem.) errichtete Pomel 
eine besondere Gattung Üytoracea. 

Alle Arten finden sich in der Kreide. 


*]) Cnemidium conglobatum. Reuss. Böhm. Kr. 16. 2. 3. Cenoman. 


2) Cnemidium stellatum. Reuss. ib. 16. 1. Cenoman. 
(Stellispongia Reussi. Gein. Elbthalgeb. 6. 3.) 


3) Stellispongia Michelini. Gein. ib. 6. 2. Cenoman. 


*4) a5 hemisphaerica. Roem. Spongit. 17. 3. Senon. 

#5) 55 conglomerata. Roem. ib. 17. 4. Turon, Salzgitter. 

6) Asterospongia globosa. Roem. Spongit. 19. 5. Senon. Sutmerberg. 

N) hs tenella. Roem. 54. 6. Senon. Sutmerberg. 

8) Stellispongia Plauensis. p. p. Gein. Elbthalgeb. 6. 1. (non Taf. 5. Fig. 7—8) 
Cenoman. 


9) Stellispongia impressa. Roem. Spongit. 17. 2. Senon. Sutmerberg. 
(Quenst. Petr. V. t. 133. 12.) 
?10) Stellispongia grandis. oem. ib. t. 17. 1. Sutmerberg. 


15* 


116 


Die Gattungen Tretolopia, Adelopia. Pliobunia, Streblia, Pliobolia und Psilo- 
bolia Pomel aus dem Miocän von Oran würden sich ihrem äusseren Habitus am 
besten hier anschliessen. 


Chonella. Zitt. Taf. III. Fig. 6. 7. 
(zovn Trichter.) 


Syn. Cupulospongia p. p., W’Orb.; Chenendopora p. p. auct.; Oculispongia p. P., Stelli- 
spongia p. p. Roem.; Cupulochonia, Dischonia p. p. Fromentel. 

Schw. unregelmässig trichter- oder tellerförmig, einfach oder zusammengesetzt, 
zuweilen aus einem zusammengebogenen Blatt bestehend; kurz gestielt oder mit ver- 
diekter Wurzel. Beide Oberflächen mit kleinen ovalen oder runden porenförmigen 
Oeffnungen besetzt, von welchen gerade oder gebogene Öanälchen in das Innere der 
Wand eindringen. Diese besteht aus einem wirren Geflecht von Fasern, die aus kleinen 
unregelmässig gestalteten, filigranartig gezackten und an den Enden ästigen Kiesel- 
körperchen zusammengesetzt sind. Die Enden dieser Skeletelemente werden häufig 
durch ein ziemlich dichtes Gewebe winziger Kieselkörperchen von ähnlicher Form, 
aber weniger gezackt, verbunden. Sowohl auf der Oberfläche, als auch im Geflecht 
der Wand liegen zahlreiche einaxige Nadeln von verschiedener Form und Grösse und 
ganz vereinzelt auch kleine Anker, deren 3 Zinken rückwärts gebogen sind. 

Als Typus der vorliegenden Gattung betrachte ich Cupulospongia tenuis Röm., von 
welcher mir zahlreiche trefflich erhaltene Stücke aus Linden in Hannover und Biwende 
in Braunschweig vorliegen. 

Chonella unterscheidet sich von der sehr nahe stehenden Gattung Seliscothon nur 
durch den Mangel einer radialen Anordnung der Skeletelemente. ‚Von den älteren Autoren 
wurden die hierher gehörigen Arten meist als Cupulospongia und Chenendopora be- 
zeichnet, In der äusseren Erscheinung zeigt Chonella in der That auch die grösste Aehn- 
lichkeit mit Chenendopora Lamx. Die Skeletbeschaffenheit beider Gattungen ist indess sehr 
verschieden. Bei Chenendopora besitzen die Skeletkörperchen eine viel ansehnlichere 
Grösse, sind weniger stark verästelt, nicht filigranartig gezackt,, sondern mit knorrigen 
stumpfen Höckern besetzt. Ausserdem zeichnet sich Chenendopora durch stärkere Canäle 
und meist auch durch einen langen, mit starken Verticalröhren durchzogenen Stiel aus. 

Alle bekannten Arten stammen aus der Kreide. 


1) Cupulospongia tenuis. Taf. III. Fig. 6. 7. Roem. Spongit. 17. 7. Senon. 

2) Achilleum auriformis. Rloem. Kr. 1. 3. Senon. Peine. 

3) Cupulospongia contorta. Roem. Spongit. 18. 2. Cenoman, 

4) Cupulospongia Roemeri, Gein. Elbthalgeb. I. 8. 29. t. 5. Fig. 1—6. Cenoman. 

5) Chonella Geinitzi. Zitt. Cenoman. | 
(Stellispongia Plauensis. p. p. Gein. Elbthalgeb. S. 30. t. 5. Fig. 6—8 non t. 6. 
Fig. 1). 


117 


An Chonella reihen sich wahrscheinlich die Pomel’schen Gattungen Cne- 
maulax, Spongoconia, Taseoconia und Pliobolia aus dem Miocän von Oran an, von 
denen bis jetzt nur die äussere Form bekannt ist. Hieher wohl auch: 


Plococonia. Pomel. Pal. de l’Oran. S. 248. 
Syn. Spongia, Plocoscyphia p. p. auct. 
Schw. aus mäandrisch gewundenen, dicken Lamellen bestehend, gestielt. Skelet? 


1) Spongia contorto-lobata. Mich. Icon. 42. 1. Senonien. Tours. 


Seliscothon. Zitt. Taf. IV. Fie. 2. 3. 4. 
(veAis Blatt, zu9wrv Becher). 


Syn. Scyphia Goldf.; Spongia Phil.; Chenendopora p..p., Qupulospongia p. p., Ocel- 
laria p. p. Roem.; Trachydictya, Laosciadia Pomel. 


Schw. teller-, schüssel-, trichter- oder becher-förmig, gestielt. Oberrand dick, 
gerundet oder schräg abgestutzt. Wand aus dünnen, radialen, senkrechten Lamellen 
zusammengesetzt. welche durch spaltförmige Zwischenräume von gleicher Breite ge- 
schieden sind. Diese leeren Zwischenräurie ersetzen das Canalsystem und dienen zur 
Wassereirculation, Oberseite (Innenseite) mit runden, seichten Ostien, zuweilen auch 
nur mit zahlreichen porenförmigen ÖOeffnungen bedeckt. Unterseite (Aussenseite) 
glatt, oder mit einer verdichteten Kieselhaut bekleidet. Die Ostien der Oberfläche 
münden direct in die radialen Verticalspalten. 


Das Skelet besteht aus feinen, unregelmässig verästelten Kieselkörperehen, dıe 
allenthalben mit dornigen oder wurzelartigen Auswüchsen besetzt sind und sich an 
den Enden der Hauptarme sparrig vergabeln. Diese Lithistidenkörperchen legen sich 
in den Verticallamellen der Wand dicht neben einander und sind durch ihre seit- 
liehen und endständigen wurzelartigen Fortsätze innig miteinander verflochten. Ein- 
zelne derselben ragen in gewissen Abständen in die Verticalcanäle herein und heften 
sich mit ihren Enden an die benachbarte Lamelle an, indem sie auf diese Weise 
eine balkenartige Brücke zwischen den beiden Lamellen herstellen. (vgl. Goldf. t. 65. 
Fig. 5°”) An der Oberfläche sind die Skeletkörperchen etwas stärker verästelt, als im 
im Innern und bilden dort eine fein poröse Deckschicht, in welcher zahlreiche dop- 
pelt zugespitzte Stabnadeln eingestreut liegen. 


Diese Gattung unterscheidet sich von Chonella durch die radialen Verticallamellen, 
aus denen die Wand zusammengesetzt ist und durch den Mangel an besonderen Canälen. 
Manchmal freilich wird die blätterige Beschaffenheit der Wand undeutlicher, die einzelnen 
Lamellen sind gebogen, häufiger durch Querbrücken verbunden, so dass schwer zu classi- 
fieirende Formen entstehen, welche einen fast unmerklichen Uebergang zur Gattung Cho- 
nella bilden. 


118 


Pomel schlägt für die hiehergehörigen Schwämme zwei Gattungen vor, wovon 
Laoseiadia die mit deutlichen Ostien versehenen Formen, wie S. plana Phil. sp. in sich 
begreift, während unter dem Namen Trachydietya die Arten mit feinporöser Oberfläche, 
wie $. Mantelli, gemeint sind. Letztere Gattung befindet sich im Pomel’schen System 
unter den Gitterschwämmen (Hexactinelliden). 

Simmtliche Arten stammen aus der mittleren und oberen Kreide. 

1) Spongia plana. Phil. Geology of Yorksh. II. t. 1. Fig. 1. Upp. Chalk. 
3) Spongia capitata. Phil. ib. t. 1. Fig. 2. Upp. Ch. 
*3) Chenendopora explanata. Taf. IV. Fig. 2. Roem. Spongit. 16. 3. Senon. 
*4) Scyphia Mantelli. Taf. IV. Fig. 3. Goldf. 65. 5. Senon. 
5) Seliseothon Roemeri. Pomel sp. Senon. 

(Cupulospongia Mantelli. Roem. (non Goldf.) Spongit. 17. 6.) 
6) Cupulospongia gigantea. Taf. IV. Fig..4. Roem. Spongit. 18. 1. Senon. 
7) Cupulospongia marginata. Roem. Kr. 2. 7. Senon. 

*8) Ocellaria subtilis. Roem. Spongit. 7. 5. Senon. 

(Die Abbildungen Taf. 133. Fig. 4—7 in Quenstedt’s Petrefactenkunde V. stellen 
verschiedene Arten der Gattung Seliscothon dar.) 


Chenendopora. Lamx. Taf. III. Fig. 13. 14. 
1821. Exposition method. des genres de l’ordre des Polypiers. Sr ro en Tl Wire. OU 


Syn. Chenendopora p. p. auct.; Jerea p. p. Mich.; Bicupula, Platispongia, Cupulo- 
spongia Court. 

Schw. becher-, trichter- oder napf-förmig, diekwandig, meist mehr oder weniger 
lang gestielt, mit wurzelartiger, ästiger Basis, selten ungestielt. Oberrand abgestutzt 
oder gerundet, breit. Innenseite des Bechers mit vertieften, unregelmässig vertheilten 
Osculis besetzt, von welchen einfache gerade oder gebogene Canäle in die dicke Wand 
eindringen und unmittelbar unter der entgegengesetzten Oberfläche endigen. Gegen 
unten verlaufen die Canäle immer schräger und werden schliesslich zu Vertical- 
röhren, welche die ganze Länge des Stieles durchziehen und sich in die Wurzelver- 
zweigungen fortsetzen. Aussenseite des Bechers zuweilen mit einer feinporösen, ziemlich 
dichten runzeligen Deckschicht überzogen. 


Das Skelet besteht aus knorrigen, fast durchaus mit warzigen Höckern besetzten 
ästigen Lithistidenkörpern von ziemlich ansehnlicher Grösse. Die Enden der Zweige 
sind gegabelt, zaserig verästelt und sämmtliche wurzelartige Fortsätze mit stumpfen 
knorrigen Auswüchsen versehen. 


Die wurzelartigen Enden der benachbarten Skeletelemente sind mit einander ver- 
flochten und bilden an der Oberfläche die oben erwähnte feinporöse Deckschicht. Am 
Stiel, dessen Oberfläche meist mit Längsfurchen versehen ist, sind die knorrigen 
Skeletkörperchen stark in die Länge verzerrt. 


1) 


Von Äsolirten Kieselgebilden finden sich grosse Stabnadeln ziemlich häufig. 
Diese schon von Lamouroux im Jahre 1821 aufgestellte Gattung ist vielfach 
verkannt und der Name Chenendopora auf Spongien von sehr verschiedener Struktur an- 
gewendet worden. Die typische Art (Chenendopora fungiformis Lamx.) stammt, wie Mi- 
chelin nachgewiesen hat, nicht aus dem Jura von Caen, sondern aus den oberen Kreide- 
Ablagerungen der Normandie. Sie kommt nebst verwandten Formen roh verkieselt massen- 
haft in der Touraine vor, von wo Courtiller unter den Gattungsnamen Bicupula, 
Platispongia und Cupulospongia eine grosse Anzahl meist schlecht charakterisirter Arten 
beschrieben hat. 
Bis jetzt sind nur cretacische Arten bekannt. 
1) Chenendopora fungiformis. Taf. II. Fig. 13. 14. Lama. 1. e. t. 75. Fig. 9. 10. 
(Guettard. Mem. tome III pl. 9. Fig. 1.) 
(Parkinson Org, rem. II. pl. 11. Fig. 5.) 
(Michelin. Icon. p. 130. pl. 34. Fig. 3 (non Fig. 2). 


Zu der gleichen oder doch zu sehr nahe stehenden Arten gehören folgende 
von Courtiller aus der Gegend von Saumur beschriebenen Formen: 
a) Bicupula gratiosa, capitata, compressa, clavata, excavata, auricula, prolifera, 
pateraeformis, lata, sinuata, conica Court. pl. 35. 36. 37. 
b) Platispongia speculum, discus, verticalis, rupa, obliqua Court. pl. 38. 
c) Cupulospongia glomerata, contorta, infundibulum, elegans, terebrata Court. 
pl. 39. 
3) Seyphia terebrata. Mich. Ic. 29. 4. Senon. 
3) Chenendopora pateraeformis. Mich. ib. 37. 2. Senon. 
4) Chenendopora pocillum. Mich. 33. 5. Senon. 
Jerea arborescens. Mich. p. p. Icon. t. 42. Fig. 2° (non 2°) ist die Wurzel einer 
Chenendopora. 


An Chenendopora schliessen sich wahrscheinlich an: 

Poecilospongia. Court. Ep. 8. 9. 

„Schw. becherförmig mit mehr oder weniger verenster Oeffnung. Centralhöhle un- 
regelmässig, mit horizontalen Streifen oder Furchen und Osculis versehen. Aeussere Uber- 
fläche ungleich, oft eingedrückt; Oscula vorzüglich in diesen Vertiefungen gelegen.“ 

Ob. Kreide. Touraine. 


Dimorpha Court. Ep. 8. 7. 

Syn. Tragalimus, Dimorpha, Elasmalimus Pomel. 

„Unterer Theil wie Cupulospongia. Innere Seite des Becherrandes bildet Ausbreit- 
ungen von verschiedener Form, welche alle auf der Aussenseite Oscula tragen und die 
sich beinahe immer mit ihrer oberen Parthie vereinigen, indem sie am Scheitel nur eine 
oder zwei kleine Oeffnungen frei lassen. 

Ob. Kreide. Touraine. 


120 


Arabescula. Carter. Taf. I. Fig. 11.°!) 
(Ann. Mag. nat. hist. 4 ser. vol. XII. S. 464. pl. 17, Fig. 7—9.) 


Schw. dünn, inerustrirend; Oberfläche mit Poren und feinen Furchen. Skelet 
aus gebogenen, ästigen, filigranartig gezackten Skeletkörperehen bestehend, welche sich 
mit den benachbarten verflechten und eine membranartige Ausbreitung bilden; dieselben 
sind auf der Aussenseite glatt, auf der Innenseite mit kleinen Warzen besetzt. 

Nur lebend. — Seychellen und Aermel-Canal. 


Corallistes. 0. Schmidt. (em. Zitt.) Taf. I. Fig. 1. 2. 
Atlant. Spong. S. 22. 


Schw. becher-, schüssel- oder gebogen scheiben-förmig. Oscula auf der Ober- 
(resp. Innen-) Seite. Skeletkörperchen gekrümmt, unregelmässig ästig, an den Enden 
mit wurzelartigen Ausläufern, am Stamm und den Aesten mit kmorrigen Warzen be- 
setzt. Axencanal den Aesten folgend, verzweigt, ziemlich weit, aber undeutlich begrenzt. 
Manchmal hat es den Anschein, als ob der unbestimmt angedeutete Axencanal aus 
mehreren neben einander herlaufenden Canälen zusammengesetzt sei. (Taf. I. Fig 2°.) 


Beide Oberflächen sind mit einer Schicht Gabelanker bedeckt, deren ausge- 
breitete Zinken in einer Ebene liegen, während der Schaft nach Innen gerichtet ist. 

Die fünf hierher gehörigen lebenden Arten, von denen ich nur Corallistes elegantior 
nicht aus eigener Anschauung kenne, sind bereits auf S. 103. erwähnt. Ich habe auf Taf. 1. 
Fig. 2% das von Herrn Prof. O0. Schmidt freundlichst mitgetheilte Original- Exemplar von 
Coralüstes noli-tangere in natürlicher Grösse abbilden lassen, um die überraschende äusser- 
liche Aehnlichkeit dieses recenten Vertreters der Lithistiden mit gewissen fossilen Formen 
zur Anschauung zu bringen. Fig. 2° derselben Tafel stellt das Skelet und Fig. 2° einen 
Gabelanker von Corallistes noli-tangere Sdt. dar und zwar sind diese Figuren genau in 
der gleichen Vergrösserung gezeichnet, wie alle übrigen Bilder der folgenden Tafeln, welche 
die Skeletstruktur der fossilen Lithistiden darstellen. 


In gleicher Vergrösserung sind Taf. I. Fig. 1°, mehrere Skeletkörperchen und 
Fig. 1% die Gabelanker der Oberfläche von Corallistes microtuberculatus Sdt. gezeichnet. 
Von Corallistes Bowerbanki Johnson und C. Masoni Bowbk. liefert die Bowerbank’sche 
Monographie der „siliceo- fibrous sponges“ Proceed. zool. soc. 1869. pl. II. Fig. 5—8 und 
pl. VI. Fig. 1—4 vortreffliche Abbildungen. 


An Corallistes schliessen sich wahrscheinlich die ungenügend charakterisirten Gat- 
tungen Oegophymia, Pumicia, Cisselia, Scythophymia, Pleurophymia und Histiodia Pomel an. 


31) Die bis jetzt nicht in fossilem Zustand bekannten Gattungen sind mit Cursivschrift 
gedruckt. 


121 


Heterophymia. Pomel. Pal. de l’Oran. S. 143. 

Syn. Dactylocalyx p. p. Bowb. 

Schw. fächerförmig oder blattförmig, wellig gefaltet. Oberseite mit grossen, zer- 
streuten Osculis, Unterseite porös. Skelet-Elemente wie bei Corallistes, die beiden 
Oberflächen dagegen mit verschiedenen isolirten Kieselkörpern versehen. Unterseite 
mit langgestielten, etwas gebogenen Ankern mit kurzen verdickten Zinken und grossen 
Stabnadeln. Oberseite mit glatten, unregelmässig verästelten Körperchen von geringer 
Grösse. 

Die einzige hierher gehörige lebende Art aus China (Dactylocalyx heteroformis. 
Bowbk.) ist in Bowerbank’s Monographie 1. ce. $. 86 ausführlich beschrieben und auf 
Taf. IV. Fig. 1—4 abgebildet. 

A. Pomel hat für diese Gattung, welche in der Sammlung des Jardin des plantes 
den Manuscript-Namen Coseinospongia heteroformis Valenc. trägt, die Bezeichnung Hetero- 
phymia vorgeschlagen, da Coscinospongia leicht zu Verwechslungen mit der Hexactinelliden- 
Gattung Coscinopora Goldf. führt. 

Bowerbank hatte die vorliegende Art zu Dactycalyx gestellt, allein dieser Name 
muss auf eine lebende Hexactinelliden-Form beschränkt bleiben. 


Mac Andrewia. Gray. Taf. I. Fig. 3. 
1859. Proceedings zool. Soc. of London. 8. 438 pl. XV. 


" Sym. Dactylocalyx p. p. Bowbk.; Corallistes p. p. Schmidt. 

Schw. becher-, schüssel- oder keulen-förmig. Innenseite mit zerstreuten, warzig 
hervortretenden Osculis. Skeletkörperchen gebogen, ästig, an den Enden stark wurzel- 
artig verzweigt; die Hauptäste glatt, mit wenig dornförmigen Auswüchsen besetzt. 
Oberflächen-Nadeln mit kurzem, zugespitztem Schaft, von dessen äusserem Ende drei 
gebogene ästige Arme in horizontaler Richtung ausgehen. Diese platt gedrückten Arnıe 
sind an beiden Rändern mit zackigen Fortsätzen und Seitenästchen besetzt. Ausser- 
dem winzige, doppelt zugespitzte Fleischnadeln in grosser Zahl vorhanden. 

Von den beiden bis jetzt bekammten lebenden Arten ist Mac Andrewia Azorica von 
Gray und Bowerbank (l. e. pl. V. Fig. 1—5) beschrieben und abgebildet. 

Von Mac Andrewia (Corallistes) elavatella Sdt. habe ich auf Taf. I. Fig. 3% ein 
Exemplar aus Florida in natürlicher Grösse und daneben Fig. 3° einige Skeletkörperchen, 
Fig. 3° ein Stück Oberfläche in 50 facher Vergrösserung darstellen lassen. 

Das Original verdanke ich Herrn Prof. Oscar Schmidt. 


Azorica. Cart. Taf. 1. Fig. 6. 
Ann. Mag. nat. hist. 4 ser. XII. S. 442. 


Schw. becherförmig, stark gefaltet, kurz gestielt; auf der Innenseite warzenförmige 
Oscula, auf der Aussenseite feine Poren; Skelet aus kleinen, glatten, unregelmässig 
ästigen, an den Enden wurzelartig verzweigten Kieselelementen bestehend. Oberflächen- 

Abh. d. II. Cl. d. k. Ak. d. Wiss. XIII. Bd. I. Abth. 15 


122 


schicht mit Körperchen von ähnlicher Form, welche sich nur durch vereinzelte Knoten 
von den inneren unterscheiden. Fleischnadeln stabförmig. — Recent. 

Da das Skelet der einzigen bekannten Art (Azorica Pfeifferae. Cart.) noch nicht ab- 
gebildet ist, so habe ich ein Stück der inmeren Wand nach einem von Herrn Carter freund- 
lichst mitgetheilten Fragment aus Madeira darstellen lassen. 


Leiodermatium. 0. Schmidt. Taf. I. Fig. 5. 
Spongienfauna des Atlant. Oceans 8. 21. 


Wie Azorica, die Oscula aber auf der Aussenseite. Nur recent. 

Die Abbildungen der Skeletkörperchen dieser Gattung im Schmidt’schen Werk (t. III. 
Fig. 2) sind nicht gelungen. Es schien mir desshalb nothwendig, dieselben nochmals zeichnen 
zu lassen und zwar nach einem Präparat, welches vom Original- Exemplar von Leioderma- 
tium Iynceus Sdt. herrührt. 


Verrueulina. Zitt. Taf. IV. Fig. 1. 

Syn. Spongia p. p. Phill.; Manon. p. p. Roem. Reuss; Chenendopora p. p. Mich. 
Roem. Gein. : 

Schw. unregelmässig trichter-, napf-, ohr- oder blattförmig, häufig gebogen, 
mit kurzem Stiel aufgewachsen oder sitzend, Rand abgerundet. Oscula nur auf der 
oberen (resp. inneren) Seite auf warzenartig hervorragenden Erhöbungen befindlich. 
Die untere }(änssere) Wand ist mit zahlreichen feinen, porenförmigen Oeffnungen 
versehen. Von den Osculis dringen ziemlich weite gebogene Canäle etwa bis in die 
Mitte der dieken Wand ein und nehmen dabei von allen Seiten zahllose Capillar- 
röhrchen auf. Etwas feinere von Aussen nach Innen verlaufende Canäle begmnen auf 
der äusseren (unteren) Fläche und bilden die dort befindlichen Poren. 

Durch die zahlreichen feinen Canäle werden die kleinen Kieselelemente 
des Skeletes zu anastomosirenden Fasern zusammengruppirt, welche dem unbe- 
waffneten Auge als ein wurmförmiges Geflecht erscheinen. Unter dem Mikroskop 
betrachtet, stellt sich jede dieser scheinbar einfachen Fasern als ein Aggregat von 
kleinen, länglichen, gebogenen, mit vielen kürzeren und längeren wurzelartigen Seiten- 
ästen versehenen Kieselkörperchen dar, welche durch die Seitenausläufer dicht mit 
einander verflochten sind. Sowohl die mit erhabenen Oseculis, als auch die mit Poren 
versebene Seite des Schwammkörpers ist mit einer scheinbar dichten Deckschicht 
bekleidet. Indess auch diese besteht aus einem innigen Geflecht von filigranartig ge- 
zackten Kieselkörperchen, welche sich von denen der Wand nur durch geringere 
(srösse, und zuweilen auch durch stärkere Entwickelung der Seitenäste unterscheiden. 
Ich halte diese Oberflächen - Kieselgebilde für junge unentwickelte Skeletkörperchen. 
Die verdichtete. Oberhaut, welche auch die röhrig verlängerten Wände der Oscula 
bildet, löst sich an geätzten Exemplaren leicht ab und dann bemerkt man in der 
Regel auf der Oberfläche einfache oder vergabelte, horizontale Canäle, welche in die 
verticalen Röhren der Oscula eiumünden. 


123 


Von freien Kieselgebilden kommen zugespitzte oder abgestumpfte, gerade oder 
gebogene Stabnadeln von verschiedener Grösse vor. 


Diese von den älteren Autoren als Manon und Chenendopora bezeichnete Gattung 
steht den noch jetzt lebenden Gattungen Azorica und Leiodermatium sowohl nach der 
äusseren Form, als auch nach der miskroscopischen Beschaffenheit des Skeletes sehr nahe. 
Alle drei zeichnen sich durch den Mangel einer besonderen, aus anker- oder scheiben- 
förmigen Nadeln gebildeten Oberflächenschicht aus. Dieselbe ist ersetzt durch- eine dichte 
Lage von jungen Skeletkörperchen, welche von denen der Wand nur wenig abweichen. 

Die vorliegende Gattung kann übrigens mit den genannten lebenden Formen nicht 
vereinigt werden, da sich die Skeletkörperchen sehr bestimmt durch ihre knorrige Be- 
schaffenheit von den glatten und an den Enden wurzelartig verzweigten Elementen von 
Azorica und Leiodermatium unterscheiden. Sie sind überdies erheblich grösser, als jene 
der lebenden Gattungen. 

Von Chenendopora Lamx. unterscheidet sich Verruculina durch die warzenförmig er- 
höhten Oscula und namentlich durch die kurzen gebogenen Magenhöhlen, welche nur bis 
in die Mitte der Wand reichen. Ueberdies besitzt Chenendopora stets trichter- oder becher- 
förmige Schwammkörper und meist eine lange von Verticalröhren durchzogene Wurzel. 

Alle bisher bekannten Arten der Gattung Verruculina stammen aus der mittleren 
und oberen Kreide. 


1) M. (Manon) mierommata. F. A. Roem. Kr. I. 4.; Quenst. Petr. V. 132. 52. 
Quadraten Kr. Sutmerberg. 

*2) Manon seriatopora. Taf. IV. Fig. 1. F. A. Roem. Kr. I. 6. Quad. Kr. Sut- 
merberg. 

*3) Manon Phillipsi. Reuss. Böhm. Kr. 19. 7—9. 
(Chenendopora undulata Gein. Elbthalgeb. 7. 5—6) non Ch. undulata. Mich. 
34. 3. nec non Ch. fungiformis. Lamx. Mich. 34. 2. Bei diesen beiden 
Arten ist die Nummerirung auf Taf. 34 vertauscht.) 

Cenoman. Böhmen. Sachsen. 

4) Manon distans. F. A. Roem. Nord. Kr. S. 3. Quadr. Kr. Goslar. 

*5) Chenendopora aurita. F. A. Roem. Spongit. S. 43. Quadr. Kr. Hannover. 

6) Spongia marginata. Phil. Yorksh. 1. 5. Upp. Chalk. Quenst. Petr. V. 132. 54. 


Amphithelion. Zi. Taf. III. Fig. 15. 
(«ugi ringsum, 97An Warze.) 
Syn. Manon ». p. Roem. Reuss; Verrucocoelia und Chenendopora p. p. F. A. Roem.; 


Diplostoma p. p., Chenendroscyphia p. p. From.; Stelgis p. p., Cladostelgis, Pleurostelgis. 
Pomel. 


Schw. triehter-, schüssel-, ohr- oder blatt-förmig, seltener ästig; gestieit. Bei- 
IS 


124 


derseits mit warzenförmig hervorstehenden Oscenlis besetzt. Oscula der inneren resp. 
oberen Seite der Wand meist grösser als die der äusseren Oberfläche. Canalsystem, 
Skelet und Oberflächenschicht wie bei Verruculina. 

Die vorliegende Gattung hat vielleicht nur die Berechtigung eines Subgenus, denn 
die ganze Differenz von Verruculina besteht darin, dass die erhabenen Oscula sich nicht 
auf die Innenseite des Trichters beschränken, sondern auch auf der äusseren Oberfläche 
vorhanden sind. Zuweilen zeigen die beiderseitigen Oscula gleichmässige Ausbildung, in der 
Regel übertreffen indess die inneren jene der Aussenseite an Grösse; letztere sinken zu- 
weilen zu feinen, runden, aber stets etwas hervorragenden Poren herab. 

Pomel hat die hieher gehörigen Formen in 3 Gattungen vertheilt, sonderbarer 
Weise wird aber als typische Art der Hauptgattung Stelgis eine Hexactinelliden -Form 
(Ventrieulites radiatus Mant.) angeführt. 


Sämmtliche Arten stammen aus der oberen Kreide. 

1) Spongia oseulifera. Phill. Geology of Yorksh. II. t. I. Fig. 3. Upp. Chalk. 
9) Manon eircumporosum. Quenst. Petr. V. 132. 55. Senon. 

*3) Manon miliaris. Reuss. Böhm. Kr. 19. 10—13. Cenoman, 


4) Manon tenue. F. A. Roem. Kr. 1. 7. Turon. Cenoman. 
(Chenendopora tenuis. Quenst. Petr. V. 131. 8. 132. 14—48.) 


5) Chenendopora crassa. Roem. Spongit. 16. 1. Cuvieri-Plaener. 
6) Spongia convoluta. Quenst. Petr. V. 132. 49.. 50. Ob. Kr. 
7) Verrucospongia macrommata. Taf. III. Fig. 15. Roem. Spongit. 16. 4. Senon. 


8) Verrucospongia damaecornis. Roem. Spongit. 16. 5. Cenoman. 


Stichophyma. Pom. Taf. IV. Fig. 5—6. 


Manon p. p. Roem. Reuss.; Verrucospongia p. p. d’Orb. Roem.; Polyjerea p. p. Roem.; 
Stichophyma, Pomel. 


Schw. einfach, seltener ästig, walzen-, keulen-, kreisel-förmig oder knollig. Auf 
dem Scheitel befinden sich einige in der Regel umrandete und etwas vorstehende 
Oeffnungen von Verticalcanälen, welche fast die gauze Höhe des Schwammkörpers 
durchbohren. Auch auf den Seiten sind meist warzenartig hervorragende Oscula vor- 
handen, die mit horizontalen Canälen in Verbindung stehen, oder dieselben sind 
durch einfache rundliche Oeffnungen ersetzt. Ausser den grösseren Vertical- und 
Horizontal-Canälen sind noch ganz feine von der Öentralaxe nach der Peripherie aus- 
strahlende Radialcanälchen vorhanden. Die Basis ist meist verengt, aber nicht gestielt. 

Das Skelet besteht aus kleinen, kurzen, gekrümmten, unregelmässig in mehrere 
Aeste vergabelten Körpern, welche allseitig mit kurzen, wurzelartigen Fortsätzen be- 
setzt sind. An der Oberfläche drängen sich dieselben zuweilen dieht zusammen und 
bilden eine dem unbewaffneten Auge fast glatt erscheinende Deckschicht. 


125 


Die hierher gehörigen Arten wurden von d’Orbigny zu Verrucospongia gerechnet. 
Da übrigens unter diesem Namen Kalk- und Kieselschwämme aus verschiedenen Gattungen 
zusammengefasst wurden, so ist es zweckmässig den Namen ganz fallen zu lassen, 
namentlich weil schon bei den Hexactinelliden eine Gattung Verrucocoelia vorhanden ist. 
Sämmtliche von mir untersuchte Formen stammen aus der Kreideformation. 
1) Manon turbinatum. Taf. IV. Fig. 5. Roem. Kr. I. 5. Senon. Sutmerberg. 


2) Stichophyma serialis. Pom. Pal d’Oran $. 188. 
(Manon turbinatum. Reuss. Böhm. Kr. S. 78. t. 19. Fig. 1—6.) Cenoman. 
3) Manon sparsum. Taf. IV. Fig. 6. Reuss. B. Kr. S. 78. t. 18. Fig. 12—20. 
Cenoman. 


4) Polyjerea verrucosa. Roem. Spongit. 13. 5. Cuvieri Pl. Salgitter. 


Nachstehende unvollständig bekannte Gattungen dürften sich am besten an Sticho- 
phyma anreihen lassen: 


Allomera. Pomel. Pal de l’Oran. p. 194. 


Schw. einfach, schief, mit dickem Stiel festgewachsen, oft ziemlich kurz, fast sitzend, 
kugelig oder länglich, am Scheitel abgestutzt, woselbst bei jungen Individuen vereinzelte, 
bei älteren ein lockerer Bündel von Verticalröhren münden. Eine Seite, welche durch die 
schiefe Stellung des Schwammes zur oberen wird, ist von völlig dichter Struktur; die 
Oberflächen der übrigen Seiten sind mit feinen Poren bedeckt. Letztere sind namentlich 
auf der nach unten gerichteten Oberfläche entwickelt. Scheitel dicht, mit feinen Furchen 
versehen. 

Skeletstruktur unbekannt. 

Im Miocän von Öran. 


Pleuromera. Pomel ib. S. 199. 


Schw. 'einfach, plattig, sitzend, Unterseite mit Poren versehen, Oberseite dicht, mit 
einer Grube, worin röhrenförmige Canäle münden. Rand dick mit feinen Furchen. 


Im Miocän von Oran. 


Perimera. Pomel ib. S. 200. 


Syn. Polystoma. Court. (non Zeder) p. P. 

Schw. knollig, zusammengesetzt. Die Individuen im Scheitel mit einer runden Oeffnung, 
mit welcher eine röhrenförmige Magenhöhle in Verbindung steht. Einzelne Theile der 
Oberfläche mit porenförmigen Oeffnungen versehen. 

Skelet? 

Obere Kreide. 

Polystoma boletiformis, simplex, elongata, lobata, contorta, irregularis, ambigua etc. 
Court. Ep. t. 12. Fig. 5. 6. pl. 13. pl. 14. Senon. 


126 


Meta. Pomel. Pal de l’Oran. S. 188. 


Schw. eylindrisch, keulenförmig oder beinahe kugelig. Oscula zerstreut im Scheitel. 


Miocän. Oran. 


Marisca. Pomel. Pal de l’Oran. S. 192. 


Schw. birnförmig, bis kugelig, im Scheitel mit gestrahlter Grube, worin ein Bündel 
feiner Ausströmungsröhren mündet. Oberfläche mit zerstreuten grossen Poren. 


Miocän. Oran. 


Pomelia. Zitt. Taf. I. Fig. 4. 


Schw. keulenförmig bis cylindrisch, kurzgestielt, mit breiter Basis festgewachsen. 
Scheitel gewölbt mit einer grubenförmigen Vertiefung, worin sich mehrere kleine, kreis- 
runde Mündungen von feinen, den Schwammkörper durchziehenden Verticalröhren be- 
finden. Vereinzelte mit Röhrencanälen verschene Gruben von gleicher beschaffenhett 
bemerkt man auch an den Seiten. Oberfläche sehr regelmässig mit feinen Poren 
versehen. Skelet aus kurzen gekrümmten, ziemlich dicken ästigen, überall mit 
knorrigen Fortsätzen versehenen Lithistidenkörperchen bestehend, welche in Züge ge- 
ordnet sind und zwar in der Art, dass sich die vergabelten Enden der Aeste dicht 
in einander verfilzen. Die Skeletkörper der Oberfläche haben die gleiche Gestalt, wie 
jene im Innern. 

Der Taf. I. Fig. 4 abgebildete recente Schwammkörper aus Florida wurde mir von 
Herrn Prof. O0. Schmidt unter der Bezeichnung Corallistes ? polydıscus mitgetheilt. Eine 
Untersuchumg des Shkeletes zeigte indess sofort, dass das Stück weder zu Discodermia noch 
zu Racodiseula gehören könne; aber ebenso wenig liess sich dasselbe mit irgend einer an- 
deren noch jetzt existirenden Lithistiden - Gattung vereinigen. Leider fehlen dem weissen, 
übrigens schr frisch aussehenden und soliden Original- Exemplar, alle Oberflächen- und 
Fleischnadeln ; sie sind offenbar mit der Sarcode weggeführt worden, wenn überhaupt der- 
gleichen vorhanden waren. i 

Ich habe diese Gattung mach Herrn A. Pomel, dem Entdecker der miocänen Spon- 
gienfauma in Oran benannt. Sie steht verschiedenen von Pomel als Jerea, Polyjerea, Ma- 
risca und Jereopsis bezeichneten Schwämmen aus Oran äusserlich ungemein nahe, so dass 
ich vermuthe, dass sich ein Theil derselben viel eher an die vorliegende Gattung anschliessen, 
als an die cretacischen Jerea- und Jereica-Formen. 


Jereiea. Zi. Da IV. Fig. 11..12. Taf. V. Big. 1 
(Jerea u. &rxös ähnlich.) 
Syn. Jerea p. p. auct.; Polyjerea p. p. auct.; Spumispongia p. 9. Quenst. 
Schw. einfach oder zusammengesetzt, eylindrisch, kreisel-, birn-, keulen- oder 
umgekehrt kegelförmig, kurz gestielt und mit horizontal ausgebreitetem scheiben- 
artigem Fuss festgewachsen. Scheitel abgestutzt oder mit seichter Grube, worin 


127 


die Mündungen einer grösseren oder geringeren Anzahl runder Ausfuhrröhren, 
welche in verticaler Richtung die ganze Höhe des Schwammkörpers durchziehen. 
Oberfläche gleichmässig mit porenförmigen Oeffnungen besetzt, von welchen haar- 
feme Radialeanälchen bis zum Centrum des Schwammes eindringen. 

Das Skelet besteht aus feinen, wurzelartigen, unregelmässig verzweigten oder 
auch einfachen Kieselkörpern, welche durch zahlreiche kürzere und längere Seiten- 
ästehen ein zierliches filigranartiges Aussehen erhalten. Dieselben liegen dicht neben 
und durchemander und sind durch ihre wurzelartigen Auswüchse mit einander ver- 
flochten und in radiale Züge vereinigt, die dem unbewaffneten Auge als einfache 
Fasern erscheinen. 

Bei gewissen Arten (J. punctata Taf. V. Fig. 1) stehen die Radialcanälchen 
in Verticalreihen und in diesem Falle werden die senkrechten Wände zwischen zwei 
benachbarten Canalreihen von den stark entwickelten, wurzelartig verästelten und 
dicht in einander verfilzten Enden der knorrigen Skeletkörperchen gebildet, deren 
Hauptarnıe sich als Verbindungspfeiler zwischen zwei benachbarte Verticallamellen 
legen.” 

Diese Gattung ist in ihrem Habitus den Jereen so ähnlich, dass sie ohne Unter- 
suchung der Mikrostruktur nicht davon unterschieden werden kann. Die Skeletelemente 
sind bei Jerea allerdings ganz verschieden geformt und auch ganz anders angeordnet. Es 
sind dort mehr oder weniger regelmässige Vierstrahler von ziemlich ansehnlicher Grösse, 
welche ein lockeres, maschiges Gewebe bilden und lediglich durch ihre verästelten Enden 
mit einander verbunden sind. Bei der vorliegenden Gattung dagegen haben die viel kleineren 
langgestreckten Skeletkörperchen eine unregelmässige Form und sind zu faserähnlichen Strängen 
vereinigt. Aeusserlich unterscheidet sich Jereica von Jerea durch die feineren und gleichmäs- 
sigeren Poren auf der Oberfläche, durch den Mangel einer verästelten Basis und durch 
die sehr zahlreichen, haarfeinen Radialcanälchen. Häufig stehen die Oscula der Vertical- 
röhren in einer scharf begrenzten seichten Scheitelgrube. 

Als typische Jereica-Arten erwähne ich: 

*]) Jerea polystoma. Taf. IV. Fig. 11. 12. Roem. Spongit. 12. 5. Senon. Ahlten. 

*3) Jerea tuberculata. Roem. ib. 13. Fig. 3. Senon. Ahlten. 


3) Jerea punctata. Taf. V. Fig. 1. Goldf. 65. 13. Senon. Sutmerbersg. 
(Spumispongia punctata. Quenst. Petr. V. 134. 10—12.) 

4) Jerea sexplicata. Roem. Spongit. Senon. 12. 4. 

5) Spumispongia alveare. Quenst. Petr. V, 134. 20. Senon. Ilsenburg. 

Hieher wohl auch Jerea ocellata, oligostoma, tesselata und mammillosa Roem. aus 
der Kreide von Ilsenburg. 

Höchst wahrscheinlich gehören viele der von Pomel aus dem Miocän von Oran 
als Jerea, Jereopsis, Ischadia, Polyjerea und Dichojerea beschriebenen Schwämme zu Jereica; 
eine sichere Bestimmung derselben wird aber erst möglich sein, wenn ihre Mikrostruktur 
untersucht ist. 


Coelocorypha. Zitt. Taf. II. Fig. 4. Taf. IV. Fig. 9. 10. 
(xoiRos hohl, xooupn Scheitel.) 

Syn. Seyphia p. p., Siphonia p. p., Eudea p. p., Siphonocoelia p. p. F. A. Roem.; 
Spumispongia p. p. Quenst. 

Schw. einfach oder zusammengesetzt, aus einem oder mehreren, mit breiter 
Basis verwachsenen oder eylindrischen Individuen bestehend. Im gewölbten Scheitel 
befindet sich eine röhrenförmige, mehr oder weniger tief in den sehr diekwandigen 
Schwammkörper eindringende zuweilen auch ganz seichte Magenhöhle. Häufig gehen 
vom oberen Rand derselben strahlenförmige, verästelte, auf der Oberfläche verlaufende 
Furchen aus. Die Seiten sind gleichmässig mit zahlreichen poreuförmigen Oeffnungen 
bedeckt, von denen feine Radialeanälchen in die Skeletmasse eindringen. 

Das Skelet besteht aus kleinen, unregelmässig verästelten, überall mit warzigen 
oder dornigen Fortsätzen bewaffneten Lithistidenkörperchen. Zuweilen befindet sich 
auf einem Theil der Oberfläche eine scheinbar glatte Deckschicht, die aus jungen 
dicht verfilzten Skeletkörperchen gebildet wird. 

Die vorliegende Gattung ist von Scytalia durch ihre engere und seichtere Central- 
höhle, durch die plumperen, knorrigeren Skeletkörperchen und durch den Mangel stärkerer 
in die Centralhöhle einmündender Radialcanäle unterschieden. Keine isolirten Nadeln be- 
obachtet. 


a. Einfache Formen: 
1) Siphonocoelia nidulifera. Roem. Spongit. t. 11. 3. Senon. 
*9) Eudea crassa. Ioem. ib. 10. 4. Senon. 
3) Coelocorypha subglobosa. Zitt. Taf. II. Fig. 4. Taf."VI. Fig. 9. Senon. 
(Spumispongia punctata p. p. Quenst. Petr. V. 134. 9. 13. 14. 15.) 
4) Chaetetes eretaceus. Trautsch. Bull. soc. nat. Mosc. 1877. t. VI. Fig. 5. 
Senon. 


5) Scyphia acuta. Roem. ib. t. II. Fig. 4. Senon, Sutmerberg. 


b. Zusammengesetzte Formen: 
6) Polycoelia familiaris. oem. Spongit. 11. 10. Senon. Sutmerberg. 
*7) Siphonia socialis. Taf. IV. Fig. 10. oem. Nord. Kr. 2. 5. Senon. Sutmerberg. 


Seytalia, Zit. Taf. V. Fig. 3. 4. 
(oxur@An Walze.), 
Syn. Seyphia p. p., Siphonocoelia p. p., Jerea p. p., Eudea p. p. auct., Tubulospongia 
p- pP. Court.; ? Oladocalpia, Calpia p. p. Pomel. 


Schw. länglich walzen-, seltener keulen-förmig, einfach oder ästig, diekwandig, 
mit runder, röhrenförmiger, gewöhnlich bis in die Nähe der Basis reichenden Cen- 
tralhöhle, In diese münden zahlreiche Radialeanäle, welche gegen aussen dünner 
werdend und sich öfters verüstelnd an der Oberfläche in porenartige Ostien ausgehen. 


Vom unteren Ende der Centralhöhle verlaufen senkrechte Canälchen bis in die ver- 
schmälerte Basis. 

Das Skelet besteht aus gebogenen, mit zugespitzten wurzelförmigen Ausläufern 
versehenen, an den Enden etwas ästigen Lithistidenkörperchen, zwischen denen zu- 
weilen Stabnadeln und verschiedenartige Anker mit 3 und 6 Zinken eingestreut sind. 

Die hieher gehörigen Formen bilden eine Gattung , welche in ihrer fiusseren Form 
mit verschiedenen Kiesel- und Kalkschwämmen von ganz abweichender Mikrostruktur über- 
einstimmt. Fromentel hat allen einfachen, eylindrischen, mit runder Centralröhre versehenen 
fossilen Spongien ohne Rücksicht auf die Strukturverhältnisse den Namen Siphonoeoelia 
beigelegt und diese Bezeichnung hat auch ziemlich allgemein Eingang in die Literatur 
gefunden. Die beiden in der Introduction ü l’ötude des &ponges fossiles eitirten Formen 
(S. elegans Münst. und S. compressa. From.) gehören indess ebensowenig zu den Lithistiden, 
als alle übrigen, von Fromentel spüter beschriebenen und abgebildeten Siphonocoelia-Arten. 

Möglicherweise füllt ein Theil der von Courtiller als Tubulospongia bezeichneten 
Formen der Gattung Seytalia zu, ich habe indess keine Gelegenheit gehabt die Mikro- 
struktur dieser Spongien zu studiren. 

Simmtliche Arten stammen aus der Kreide. - 

*1) Jerea turbinata. Taf. V. Fig. 3. Roem. Spongit. 12. 1. Senon. Ahlten. 

*9) CUnemidium pertusum. Reuss. Böhm. 16. 7. 8. 11—14. Üenoman. 

3) Spongia radieiformis. Taf. V. Fig. 4. Phil. Yorksh. Il. t. I. Fig. 9. Senon. 

4) Spongia terebrata. Phil. ib. t. 1. 10. Senon. 

5) Spongia digitalis. Roem. Spongit. 10. 10. Tourtia. 
*6) Ventrieulites mieroporus. Roem. Spongit. 7. 6. Senon. 
7) Eudea annulata. Roem. Spongit. 11. 2. Turon. 
‘ 8) Epeudea nodosa. Roem. ib. 14. 3. Cenoman. 
9) Spongitas eylindripes. Quenst. Petr. V. 133. 21. 22. Cuv. Plaener. 
[? Tubulospongia insignis, limbata, elongata, ficoidea, contorta, dendroidea (non T. 


tuber und multiporella).] 


Stachyspongia. Zitt. Taf. V. Fig. 5. 
(or«@yvs Achre.) 
Syn. Siphonocoelia p. pP. Rocm. 
Schw. eylindrisch, stark verlängert, an den beiden Enden etwas verschmälert, 


sehr diekwandig, mit einfacher, den ganzen Schwamm von der Spitze bis zur Basıs 
durchziehenden Centralhöhle. Auf der Aussenseite mit ziemlich grossen kegelförmigen 


Höckern besetzt. 
Skelet und Canalsystem, wie bei Seytalia. Nur in der Kreide. 


1) Siphonocoelia spiea, Taf. V. Fig. 5. Roem. Spongit. 11. 5. Tourtia. 
9) Siphonoeoelia tubereulosa. Zoem. 11. 4. Senon. Sutmerberg. 


Abh. d. II. Cl.d. k. Ak. d. Wiss. XIII Bd. I. Abth. 17 


Pachinion. Zitt. Taf. V. Fig. 2. 
(rr&yvs dick, is Faser.) 
Syn. Jerea p. p. Roem. 


Schw. walzen- oder keulen-förmig, einfach, gegen die Basis verschmälert und 
kurz gestielt. Centralhöhle weit, einfach, tief; an ihrem unteren Ende mit mehreren 
Verticalröhren, welche sich in die Basis fortsetzen. Die dieke Wand erscheint dem 
unbewaffneten Auge aus groben anastomosirenden Fasern zusammengesetzt, welche 
weite ganz unregelmässig verlaufende, gebogene Lücken zur Wassercirculation 
zwischen sich frei lassen. Diese Fasern bestehen aus gekrümmten, an den Enden 
ästigen und überall mit kurzen Höckern und Knorren besetzten Lithistidenkörpern 
von ansehnlicher Grösse, welche durch ihre Aeste und Fortsätze in einander ver- 
flochten sind. An der Oberfläche zieht sich über das grobe Skelet eine Deckschicht, 
welche aus kleinen, zierlichen, filigranartig gezackten und stark verästelten Kiesel- 
körperchen und zahllosen in denselben eingespickten Gabelankern besteht. Die di- 
chotomen Zacken der letzteren liegen in einer Ebene, der verlängerte Schaft ist nach 
innen gerichtet. 

Einzige Art: 

1) Jerea scripta. Taf. V. Fig. 2. Roem. Spongit. 13. 1. aus der Mucronaten-Kreide 
von Schwiechelt und Thadensen bei Duddenstedt. 

Das Göttinger Museum besitzt zahlreiche vortrefflich erhaltene Exemplare dieser 
Gattung. 


B. Megamorina. 


Megalithista Zitt. Taf. VI. Fig. 4. 
Syn. Bulespongia p. p. Quenst. 


Schw. birnförmig, cylindrisch oder becherförmig, diekwandig, mit ziemlich 
weiter, röhriger Centralhöhle. Sowohl die äussere Oberfläche, als auch die Wand der 
Magenhöhle sind mit runden, verschieden grossen, unregelmässig zerstreuten Ostien 
besetzt, von denen kräftige Canäle in die Wand eindringen. 

Das Skelet besteht aus sehr grossen, glatten, stets gekrümmten, an beiden 
Enden meist in 2—3 Aeste vergabelten Kieselkörpern, die mit kürzeren oder län- 
geren Axencanälen versehen sind. Dieselben sind ganz unregelmässig mit einander 
verflochten. Von sonstigen Kieselgebilden kommen noch einfache Stabnadeln und 
selten Gabel-Anker vor, welche an Grösse hinter den lithistidenartigen Skeletkörpern 
zurückstehen. 

Die typische Art dieser Gattung aus dem Coralrag von Nattheim ist: 

1) Megalithista foraminosa. Zitt. Taf: VI. Fig. 4. 


Unregelmässig eylindrisch oder länglich eiförmig, an der Oberfläche zuweilen mit 


Bi. 
Fan" 
. 


131 


wenigen breiten Längsfalten oder Höckern. Ostien von verschiedener Grösse, die grösseren 
nicht gleichmässig vertheilt, sondern auf einzelne Parthieen concentrirt. Centralhöhle ziem- 
lich weit. Oberrand gerundet. 

Ist bisher mit Cylindrophyma milleporata Goldf. zusammengeworfen worden, welcher 
sie in ihrem äussern Habitus auch vollständig gleicht. Möglicherweise gehört hieher auch 
eines der beiden von Quenstedt (Petr. V. 120. 7) als Eulespongia bezeichneten Frag- 
mente aus dem weissen Jura & des ÖOerlinger Thales bei Ulm. 


Doryderma. Ziit. Taf. VII. Fig. 1. 
(dsov Lanze, d&pu« Haut.) 


Syn. Spongia Phil.; Polyjerea. p. p. Roem.; Dichojerea p. p. Pomel. 


Schw. einfach oder zusammengesetzt cylindrisch, birnförmig, plattig oder aus wal- 
zigen, gabeligen, an den Enden abgerundeten Aesten bestehend. Im Innern mit mehreren 
der Längs-Axe parallelen Verticalröhren. Oberfläche mit Vs bis 11» mm. grossen, 
maschenartigen Oeffnungen versehen, welche durch eine netzförmige Lagerung der 
Skeletkörper gebildet werden. Von diesen Ostien dringen einfache Radialeanäle in 
das Innere des Schwammkörpers ein. 

Die ganze Masse des Skeletes besteht aus sehr grossen glatten Lithistiden- 
körpern von unregelmässig ästigem Bau; die dieken Arme dieser Körper sind 
stets mehr oder weniger gebogen, ein oder zweimal vergabelt, an den Enden nie 
in wurzelartige Ausläufer verästelt. Ihr Axencanal ist kurz, einfach, selten an einem 
Ende in 2—3 kurze Aeste zertheilt. Sie sind locker mit einander verflochten und 
bilden an der Oberfläche ein grobmaschiges Netz. An gut erhaltenen Exemplaren sind 
die Maschen (Taf. VI. Fig. 1*) mit einem dichten Bündel langschaftiger Gabelanker 
ausgefüllt, die eine gewisse Aehnlichkeit mit Turnierianzen besitzen. Das nach Innen 
gerichtete Ende des Schaftes ist zugespitzt, das entgegengesetzte verdickt und am 
äusseren Ende mit drei sehr kurzen Zinken versehen, die sich in der Regel noch 
einmal gabeln, häufig aber auch einfach bleiben. Sind mehrere benachbarte Maschen 
vollständig mit diesen Spiessnadeln ausgefüllt, so verdecken die gegabelten Köpfe 
das darunter liegende Skelet vollständig, indem sie eine dem unbewaffneten Auge 
feinkörnig erscheinende Deckschicht bilden. Ausser diesen Gabelankern, die in ihrer 
Grösse sehr variiren, kommen auch noch glatte Stabnadeln vor. 


Die von Carter (Ann. Mag. 1871. vol. VII. pl. 8) abgebildeten Skeletkörper aus 
dem Grünsand von Haldon gehören höchst wahrscheinlich zur vorliegenden Gattung; 
ebenso glaube ich, dass die unter der Bezeichnung Geodites haldonensis. Cart. 1. c. pl. 10 
abgebildeten lanzenförmigen Anker von Doryderma herrühren. Auch von den als Moni- 
lites beschriebenen Nadeln Cart. 1. c. pl. 9. Fig. 46. 47 habe ich einmal ein Exemplar 
bei Doryderma gefunden. 

1) Polyjerea dichotoma. Taf. VII. Fig. 1. Roem. Spongit. 16. 1. Quenst. Petr. 
VOR INENSenon: 


132 


2)2Spongia ramosa. Mant. Geol. Yorksh. 15. 11. Senon. 
3) Doryderma cylindrica. Zitt. nsp. 
Einfach, ceylindrisch, gegen oben verengt unten mit kurzem Stiel. Mehrere zerstreute 
Verticalröhren im Innern. In der Mucronaten-Kreide von Ahlten und Biewende. 


Lyidium. O. Schmidt. Taf. I. Fig. 10. 
Atlant. Spong. 8. 


Schw. schüsselförmig, beiderseits mit den grossen, runden Ostien einfacher Canäle. 
Skeletkörper glatt, gekrümmt, ästig, die Aeste an den Enden in eine scheibenartige 
oder becherförmige Ausbreitung ausgehend. In der Surcode der Oberfläche liegen 
zahlreiche einfache Stubnadeln von ansehnlicher Grösse. Recent. 


Carterella Zi. Taf. II. Fig. 7. und Taf. VI. Fig. 2. 
Syn. Jerea p. p. Roem. Gümb.; Eulespongia p. p. Quenst. 


Schw. eylindrisch, sehr verlängert, gegen unten verschmälert; Scheitel abge- 
rundet, gewölbt, mit den zerstreuten Oeffnungen von mehreren runden, federkiel- 
artigen Verticalröhren, welche die ganze Länge des Schwammes durchziehen. Öber- 
fläche mit unregelmässig geformten, meist länglichen ÖOstien, gegen unten ‘mit 
Längsfurchen. Von der Oberfläche führen zahlreiche feine horizontale Radialcanäle 
bis zum Centrum. 


Das Skelet besteht der Hauptsache nach aus grossen, fadenförmigen, meist 
etwas wellig gebogenen oder gekrümmten, beiderseits abgestumpften nadelähnlichen 
Körpern mit starken und langen Axencanälen. Dieselben sind stellenweise mit 
kurzen höckerigen Auswüchsen versehen, und zuweilen sind ihre beiden etwas ver- 
dünnten Enden schwach verästelt. Diese Skeletkörper liegen zu dicken, der Haupt- 
axe parallelen Strängen zusammengruppirt und sind dicht ineinander verflochten. 
Zwischen ihnen befinden sich in polsterähnlichen Parthieen kleine stark verästelte und 
überall mit knorrigen Auswüchsen versehene Lithistidenkörperchen. 


In der Kreide 


1) Carterella eylindrica Zitt. nsp. Taf. II: Fig. 7" * 
(= Jerea arborescens, cylindrica und elongata Gümb. Ostb. Grenzgeb. S. 761.) 


Sehr lange, cylindrische, einfache, seltener gegen oben dichotom gespaltene Körper, 
seitlich etwas zusammengedrückt, mit langer, einfacher, stark gefurchter Wurzel; Scheitel 
gerundet. Auf der Öberfliche grob netzförmig gegittert mit zahlreichen geraden 
Horizontalcanälen, welche dem Querschnitt ein strahliges Aussehen verleihen. Der ganze 
Schwamm wird von mehreren Verticalröhren durchzogen und besteht aus groben, glatten, 
gebogenen Fasernadeln, die nur selten Neigung zur Vergabelung zeigen. 


Im Grünsand von Kelheim und Regensburg sehr häufig. 


135 


*2) Jerea spiculigera. Taf. VII. Fig. 2. Roem. Spongit. 12. 6. Quenst. Petr. 
V. 135. 1. 2. ‘Cuvieri-Pläner und Macronaten-Kreide. 
?3) Eulespongia sp. Quenst. Petr. V. 135. 1. 2. Cuv. Plaener. 


Heterostinia. Zit. Taf. VI. Fig. 3. 
(Ereoos, ungleich, core, Skelet.) 

Becherförmig, meist gestielt, mit ästiger Wurzel. Beide Oberflächen mit zer- 
streuten, eingesenkten Ostien von Radialcanälen; ım Stiel Verticalcanäle. 

Skelet aus zweierlei Elementen von verschiedener Grösse bestehend. Die 
kleineren, welche die Hauptmasse des Schwamnikörpers bilden, sind stark gekrümmt, 
vielästig und überall filigranartig gezackt; die grossen glatt, ästig mit verdünnten 
und zugespitzten Enden. 

Die einzige mir bekannte Art (Heterostinia cyathiformis. Zitt.) stammt aus der 
Senonkreide von Rouen. Sie stimmt in ihrer äusseren Form vollständig mit den Figuren 
von Chenendopora subplena und obliqua. Mich. Icon. 41. 1. 2. überein und es ist mir 
auch sehr wahrscheinlich, dass Michelin bei der Beschreibung der einen oder anderen 
Art unsere Heterostinia vor Augen hatte. 

Das Genfer Museum besitzt zahlreiche Exemplare dieser merkwürdigen Gattung. 


Isoraphinia. Zit. Taf. VII. Fig. 3. Taf. V. Fig. 8. 
(toos, gleich, ödpıs, Nadel.) 

Sym. Siphonocoelia p. p. Roem. Eulespongia p. 2. Quenst. 

Walzenförmig einfach, gegen unten verschmälert, gestielt, oben gerade ab- 
gestutzt; Wand von mässiger Dicke, Centralhöhle weit, röhrenförmig. Oberfläche 
ziemlich eben, ohne grössere Ostien. Der ganze Schwammkörper besteht aus sehr 
grossen, schwach gebogenen, walzigen, an den Enden verdickten, selten diehotom 
gespaltenen Nadeln mit weitem und langem Üentralcanal. Im Innern der Wand 
sind diese Nadeln zu Bündeln vereinigt und in der Weise mit einander verbunden, 
dass ihre etwas gekrümmten Enden in regelmässigen Abständen in einem Knoten 
zusammentreffen und dort förmlich in einander verflochten sind. In jedem derartigen 
Knoten vereinigen sich mehrere radial zusammenlaufende Nadelbündel in der Art, dass 
sie das Bild eines vierstrahligen Lithistidenkörpers im Grossen wiederholen. An der 
Oberfläche liegen Nadeln von derselben Form und Grösse regellos neben und durch 
einander, und kilden eine dichte, zuweilen I—3 mm. dicke Deckschicht. 

Freie Nadeln von anderer Form habe ich nicht beobachtet. 

Die typische Art dieser Gattung: 

*]) Siphonocoelia texta. Taf. V. Fig. 8. Taf. VII. Fig. 3. Roem. Spongit. 

10. fig. 11 findet sich sehr häufig im Cuvieri Pläner von Döhrnten bei 
Salzgitter. Gute Abbildungen gibt Quenst. Petr. V. 135. 3. 4. 5. 6. 7. unter 
der Bezeichnung Eulespongia texta. 

Möglicherweise gehört auch Siphonocoelia hirta. Roem. Spong. 11. 6 zu Isoraphinia. 


©. Anomocladina. 


Cylindrophyma. Ziüt. Taf. V. Fig. 6. 
Syn. Scyphia auct.;. Siphomocoelia p. p. Froment.; Hippalimus p. p. d’Orb. 


Cylindrisch, gegen unten etwas verschmälert, diekwandig, mit weiter röhriger 
oder trichterförmiger, bis zur Basis reichender Centralhöhle Auf der Wand der 
Magenhöhle befinden sich runde Ostien von horizontalen Radialcanälen, die tief in 
die Wand eindringen, indem sie gegen Aussen immer feiner werden. Oberfläche 
mit kleineren zerstreuten Ostien bedeckt, mit denen ebenfalls horizontale Einström- 
ungs-Canäle in Verbindung stehen. 

An gut erhaltenen Exemplaren ist das untere Ende des Schwammkörpers mit 
einer Kieselepidermis überzogen. 

Skelet aus ästigen Kieselkörperchen bestehend, bei denen von einem etwas ver- 
dickten Centralknoten mehrere glatte Arme ausstrahlen, die sich an ihren distalen 
Enden in 2—3 kurze, in wurzelartige Fasern auslaufende Aeste vergabeln. Diese 
Enden legen sich an entsprechend gebildete Enden benachbarter Skeletkörperchen 
und bilden mit jenen polsterartig:, knorrige Knoten. Da die Arme häufig nahezu 
rechtwinklich von dem Centrum ausstrahlen und auch die verdickten Vereinigungs- 
stellen an ihren Enden in ziemlich gleichen Abständen sich befinden, so erhält das 
Skelet eine regelmässige, maschige Beschaffenheit, welche an die Struktur gewisser 
Hexactinelliden erinnert. 

Diese im oberen Jura von Schwaben und Franken ungemein häufige Gattung findet 
sich meist in schlecht erhaltenem Zustand, welcher der mikroscopischen Untersuchung 
grosse Schwierigkeiten entgegenstellt. In den tieferen Schichten (weisser Jura 8 und y) 
ist das Skelet fast immer in Kalkspath umgewandelt, im oberen weissen Jura 
(ö, e und [) dagegen ist der ganze Schwammkörper meist roh verkieselt und wenig 
zur Untersuchung geeignet. Es liegen mir indess aus Gussenstadt, Sontheim und Beuren 
eine Anzahl Stücke vor, bei denen sich das Skelet in untadeliger Schönheit erhalten 
hat und nach diesen sind die Zeichnungen Taf. V. Fig. 6. ausgeführt. 

Nur im oberen Jura. 

1) Scyphia milleporata Taf. V. Fig. 6. Goldf. 3. 2. (male) Quenst. Petr. V. 121. 
NH 
2) Scyphia millleporacea. Goldf. 33. 10. 


Melonella. Zit. Taf. V. Fig. 7. 
Syn. Siphonia p. Goldf. Quenst. 


Schw. apfelförmig oder halbkugelig, mit breiter oder ganz kurz gestielter 
Basis. Unterseite mit runzeliger, dichter Kieselhaut bekleidet. Centralhöhle trichter- 
förmig, tief, aber nicht sonderlich breit. Wand der Magenhöhle mit zahlreichen, in 
Längsreihen stehenden, runden Canalostien versehen. Die Hauptcanäle verlaufen 


135 


bogenförmig, parallel der äussern Umfangslinie und werden von einem zweiten 
System etwas feinerer Wassercanäle gekreuzt, welche sich von der Basis der Magen- 
höhle in schräger Richtung gegen Oben und Aussen wenden. Diese letzteren (Ein- 
strömungs-Canäle) münden, nachdem sie die ganze Dicke des Schwammkörpers durch- 
zogen haben, an der Oberfläche in rundlichen Ostien von mittlerer Grösse. An ab- 
geriebenen Exemplaren erscheinen die concentrisch gebogenen Canäle als radiale, 
vom Scheitel ausstrahlende Furchen. (Vgl. Quenst. Petr. V. 126. 61—64.) 


Skelet wie bei Cylindrophyma; an sämmtlichen mir vorliegenden Exemplaren 
in Kalkspath umgewandelt. 

Diese bis jetzt nur im oberen Jura aufgefundene Gattung steht in ihrer äusseren 
Form den Gattungen Aulocopium und Siphonia sehr nahe, unterscheidet sich aber sehr 
leicht von beiden durch die Skeletstruktur. 


Einzige Art. 
1) Melonella (Siphonia) radiata. Quenst. Jura S. 679. t. 82. Fig: 13. und Petr. V. 


t. 126. 60—72. 
(Siphonia pyriformis p. p. Goldf. Petr. 35. 10. (non t. VI. Fig. 7.) 


Lecanella. Zi. Taf. Vl. Fig. 1. 


Niedrig trichterförmig bis schüsselförmig, dünnwandig, beiderseits mit feinen 
Poren besetzt, ohne entwickeltes Canalsystem; Wand gegen den Öberrand etwas 
dünner werdend. 

Skelet aus unregelmässig ästigen Kieselkörpern von ziemlich beträchtlicher 
Grösse bestehend. Die 4—6 glatten Aeste gehen von einem knotig verdickten oder 
scheibenartigen Centrum aus und spalten sich an ihren Enden in 2 bis 3 kurze, 
abgerundete, conische Aestchen. Sonstige Auswüchse (Höcker, Dornen oder zaserige 
Fortsätze) sind nicht vorhanden. Die an der Oberfläche liegenden Skeletkörper 
zeigen etwas regelmässigere Form (Taf. V1. Fig. 1”, als die aus dem Innern der 
Wand und lassen sich vielleicht als stark modifieirte Gabelanker mit kurzem Schaft 
deuten. Ausserdem ist die Oberfläche mit grossen einfachen Stabnadeln und-zahl- 
losen Geodia-ähnlichen Kieselkugeln bedeckt. 

Es liegt mir von dieser Gattung das Fragment eines sehr niedrigen Trichters aus 
dem weissen Jura & von Sontheim vor, der im vollständigen Zustand einen Durchmesser 
von 150 mm. besass.. Das Skelet ist prachtvoll erhalten; die grossen ästigen Kiesel- 
körperchen sind locker mit einander verbunden und bilden ein unregelmässiges Maschen- 
netz, welches an das Gittergewebe der Hexactinelliden erinnert. Diese Skeletbeschaffen- 
heit macht eine Verwechselung mit der äusserlich nicht zu unterscheidenden Gattung 
. Platychonia unmöglich. 

Ich bezeichne das Original-Exemplar aus dem weissen Jura ge von Sontheim, welches 
obiger Beschreibung zu Grunde liegt, als Lecanella pateraeformis. Höchst wahrscheinlich 
gehört auch Quenstedt’s Spongites flabellum Petr. V. 131. 7. hierher. 


136 
Mastosia. Zit. Taf. VI. Fig. 2. 


(udoros, Zitze.) 


Schw. knollig, mit: breiter ausgehöhlter Basis. Oberseite mit zahlreichen grossen 
zitzenförmigen Höckern besetzt, welche dem Schwammkörper eine gewisse Aehnlich- 
keit mit der Euter eines kleinen Wiederkäuers verleihen. Die Oberfläche der Höcker 
und ihrer Zwischenräume ist gleichmässig fein porös. Oscula fehlen, ebenso ein 
deutliches Canalsystem. 

Das Skelet besteht aus kleinen Kieselkörperchen, bei denen von einem knopf- 
förmig verdickten Centrum 6—8 glatte, gerade oder schwach gebogene Arme aus- 
gehen. Dadurch dass sich diese Arme entweder direkt an einen benachbarten Knoten 
oder mit ihrem etwas verdiekten Ende an den Strahl eines Nachbarsterns anheften, 
entsteht ein Hexactinelliden-ähnliches Gitterwerk. 

Der ganze Schwammkörper des Original-Exemplars ist mit Nadeln und isolirten 
Kieselkörperchen gespickt, von denen wohl nur ein Theil zu Mastosia gehört. Unter den 
letztern sind die geodienartigen Kugeln am massenhaftesten. Ausserdem findet man 
grosse und kleine an einem Ende oder beiderseits zugespitzte Stabnadeln, kleine walzen- 
förmige Nadeln mit gerundeten Enden, einfache Vierstrahler (spanische Reiter) und zwar 
mit glatten oder auch mit dornigen Armen (Bowb. 84), Nadeln mit kurzem Schaft und 
kurze Gabel-Anker. 

Ich kenne diese merkwürdige neue Gatfae nur aus den Grenzschichten des weissen 
Jura & und { von Sozenhausen bei Günzburg, wo sie durch Herrn Apotheker Wetzler 
entdeckt wurde. 

Die grössten der vorliegenden Stücke erreichen einen Durchmesser von beinahe 2 dm. 

Ich nenne die typische Art M. Wetzleri. 


D. Tetracladina. 


Aulocopium. Oswald 1846. Taf. VIII. Fig. 1. 


(Schlesische Gesellschaft für vaterl. Cultur 1847. 8. 58. 1861. F. Roemer, fossile Fauna 
von Sadewitz S. 2.) 


Schw. frei (nicht festgewachsen), halbkugelig, seltener kugelig oder kreisel- 
förmig, mit vertiefter Centralhöhle; Unterseite mit einer runzeligen, dichten Kiesel- 
hant überzogen. Vom unteren Ende der Centralhöhle strahlen zahlreiche Wasser- 
Canäle nach der Peripherie aus; ausser diesen Radialeanälen münden noch gebogene, 
der Umfangslinie parallele Canäle von grösserem Durchmesser in die Magenhöhle. 

Das Skelet besteht aus glatten unregelmässig vierstrahligen Elementen, bei 
denen sich jeder Strahl am Ende wurzelförmig verästelt. In der Regel sind die- 
selben reihenweise in der Art geordnet, dass die verzweigten Enden von zwei benach- 
barten Reihen in einer den Radialcanälen des Schwammkörpers parallelen Ebene an 


Bey: 
Yi . 


137 


einander stossen. Dadurch wird im Querschnitt des Schwammkörpers die strahlige 
Struktur noch wesentlich erhöht. 

Im norddeutschen Diluvium, namentlich auf Sylt, finden sich die Aulocopien als 
Chalcedongeschiebe.e An solchen Exemplaren ist in der Regel die mikroseopische Struktur 
des Skeletes wohl erhalten und kann durch Dünnschliffe sichtbar gemacht werden. An 
anderen Orten, wie bei Sadewitz in Schlesien, ist der ganze Schwammkörper von Kalk- 
stein ausgefült und das ursprüngliche Kieselskelet in Kalkspath umgewandelt. Den 
gleichen ungünstigen Erhaltungszustand zeigen auch die aus anstehenden -Silurschichten 
Esthland’s stammenden Stücke, von denen ich durch die Güte des Herrn Akademikers F. 
Schmidt in St. Petersburg eine reiche Serie zur Untersuchung erhielt. An den Sade- 
witzer Formen ist zuweilen der obere Theil verkalkt, der untere dagegen, soweit die 
Runzelschicht reicht, in Chalcedon umgewandelt. Letzterer löst sich dann nicht selten 
vom übrigen Schwammkörper ab, so dass beide Theile isolirt gefunden werden. 

Sämmtliche Arten stammen aus der Silurformation : 

1) Aulocopium aurantium Osw. in F. Roem. Sad. S. 4. t. I. Fig. 1°". 


2) B diadema Osw. ibid. S. 5. t. I. Fig. 1°". 

3) n hemisphaericum. F. Roem. ib. 8. 6. t. I. Fig. 3. 
4) = cepa. F. Roem. ib. 8. 7. t. II. Fig. 2. 

5) n diseus. F. Roem. ib. 8. 8. t. II. Fig. 1. 

6) er eylindraceum. F. Roem. ib. 8. 9. t. II. £. 2. 


Phymatehla.0 Zi. TakzIl: Big.)T. Tab VIl.; Fig. 2. 3: 
(pvue Geschwulst.) 


Syn. Seyphia ». p. Roem. Mich. Court.; Siphonia p. p. Reuss; Eudea »p. »., Cylindro- 
spongia p. p.. Hippalimus p. p. Roem.; Polythyra, Hypothyra, ? Physocalpia Pomel. 

Schw. einfach, cylindrisch, birn-, flaschen-förmig oder knollig; sitzend oder 
lang gestielt, mit tiefer und ziemlich weiter bis zur Wurzel reichenden Centralhöhle; 
:n der Nähe der Basis mit wulstigen oder knolligen Auswüchsen, die durch Ver- 
tiefungen von einander geschieden sind. Manchmal ist die Wand an diesen ver- 
tieften Stellen sogar durchbrochen und mit grossen Löchern versehen. Oberfläche 
mit zahlreichen, unregelmässig zerstreuten, kreisrunden oder ovalen Ostien von ver- 
schiedener Grösse bedeckt, von denen einfache Radialcanäle in die Wand eindringen. 
Aehnliche horizontale Canäle beginnen in der Nähe der Oberfläche und münden in 
die Centralhöhle. Das Skelet besteht aus regelmässig vierstrahligen Körperchen von 
ziemlich ansehnlicher Grösse. Die 4 Hauptarme sind glatt und rund, ihre Enden in 
mehrere mit kurzen wurzelartigen Fortsätzen versehene Aeste vergabelt. 

An gut erhaltenen Stücken zeigt die Oberfläche einen Beleg von zierlichen Gabel- 
Ankern. Ausserdem liegen zahlreiche einaxige, doppelt zugespitzte oder walzige Nadeln 
von verschiedener Grösse zwischen den Lithistidenkörperchen. 

Bei einzelnen Arten geht der Schwammkörper nach unten in einen zuweilen 
50—80 mm. langen, cylindrischen Stiel aus. Derselbe unterscheidet sich von dem oberen 

Abh.d. II. Cl.d. k. Ak.d. Wiss. XIII. Bd. I. Abth. 18 


158 


Theil nicht allein durch den Mangel an Östien, sowie durch das Vorhandensein von Ver- 
ticalröhren, sondern auch durch eine ganz abweichende Mikrostruktur. Schon dem unbe- 
waffneten Auge erscheint der Stiel aus langen, etwas gekrümmten, der Längsaxe paral- 
lelen Fasern zusammengesetzt. Unter dem Mikroscop erweisen sich diese Fasern als stark in 
die Länge gezerrte Lithistidenkörper, bei denen sich ein Strahl auf Kosten der übrigen, 
welche zu schwachen Seitenästen reducirt sind, vergrössert. Die vierstrahlige Form wird 
dadurch ganz undeutlich und auch die 4 Axencanäle sind durch einen kurzen in dem 
verlängerten Arm befindlichen einfachen Canal ersetzt. Je weiter nach unten, desto 
schwächer werden die Seitenäste. Im oberen Theil des Stieles dagegen liegen zwischen 
den Längsfasern noch kleine, undeutlich vierstrahlige, stark verästelte Lithistidenkörperchen. 
Sämmtliche Arten stammen aus der oberen Kreide. 


*1) Eudea intumescens. F!. A. Roem. Spongit. 11. 1. Cuv. Pläner. Quenst. Petr. V. 
133. 23— 26. 

*9) Cylindrospongia heteromorpha. Roem. ib. 8. 11. Cuv. Pläner. 

3) Scyphia heteropora. Taf. VIII. Fig. 2. Roem. Kr. 2. 3. Quadr. Kr. 

*4) Phymatella bulbosa. Taf. II. Fig. 1. Zitt. nsp. 

Vielgestaltig, an der Basis sehr stark verdickt und mit knolligen Aus- 
wüchsen versehen, ungestielt. Centralhöhle von verschiedener Weite. Ziemlich 
häufig in der Quadratenkreide von Biewende in Braunschweig und in der 
Mucronaten-Kreide von Ahlten in Hannover. 

5) Spongites plicatus. Quenst. V. 134. 1. 2. Pläner. Oppeln. 

6) Spongites tuberosus. Quenst. Petr. V. 8. 388. t. 133. Fig. 18—20. Senon. 

7) Hippalimus lobatus. Roem. Spongit. 10. 1. Senon. 

8) ?Hippalimus depressus. Roem. Spongit. 10. 2. Senon. 

*9) Siphonia elongata. Reuss. Böhm. Kr. 34. 1. Cenoman. 
*10) ?Actinospongia dichotoma. Roem. Spongit. 19. 4. Cuv. Pläner. 

11) Seyphia trilobata. Mich. Icon. 28. 2. Cenoman. 

12) Seyphia attenuata. Court. Ep. pl. 5. 2. Senon. 

13) Seyphia perforata. Court. ib. 5. 3. Senon. 

14) Scyphia conica. Court. ib. 5. 7. Senon. 

Hieher vielleicht auch Scyphia echinata, mammillata, sphaerica, coronata, digitata. 

Court. ib. pl. 6. Senon. 


Aulaxinia. Zit. Taf. VIII. Fig. 4. 
(«vA«E Furche.) 
Syn. Siphonocoelia p. p. Roem. 


Schw. länglich birnförmig bis eylindrisch, gestielt. Scheitel mit ganz seichter 
breiter Vertiefung, von welcher kräftige Furchen ausgehen, die an den Seiten des 
Schwammkörpers bis zum Anfang des Stieles herablaufen. Dieselben sind durch er- 
habene Zwischenräume von ungefähr gleicher Breite von einander geschieden. Auf 


139 


den letzteren stehen in Längsreihen geordnet runde Ostien, von welchen Canäle in 
den diehten Schwammkörper eindringen. Auf der einfachen, seltener ästigen Wurzel 
fehlen die Ostien. 

Das Skelet des eigentlichen Schwammkörpers ist: genau wie bei Phymatella 
beschaffen. Vereinzelte Gabelanker mit langem Schaft, sowie grosse Stabnadeln lassen 
auf die Anwesenheit einer besonderen Oberflächen-Nadelschicht schliessen. Die Wurzel 
besteht aus sehr unregelmässig verzerrten, vierstrahligen Körpern, bei denen ein Arm 
stark verlängert ist und den blinden Centralcanal enthält; gegen das untere Ende 
des Stieles ist die Oberfläche von sehr langen, mit zahlreichen kurzen Seitenästen 
versehenen, etwas wellig gebogenen Fasern bedeckt. Auch bei diesen ist der einfache 
Axencanal kurz und beiderseits geschlossen. 

Die einzige bis jetzt bekannte Art ist: 

*1) Siphonocoelia suleifera. Taf. VII. Fig. 4. Roem. Spongit. 11. 7. aus der 

oberen Kreide von Linden, Ahlten und Dolberg bei Hamm. 


Callopesma. Zitt- Taf. WM. Fig. 6. Taf. VII. Fig. 5. Taf. IX. Fig. 1. 
(x@ARos schön, anyuc Gerüst.) 

Syn. Cupulospongia p. p. auct. 

Schw. schüssel- oder triehter-förmig, sitzend oder kurz gestielt, diekwandig; 
äussere Oberfläche mit runden Poren, innere im Oentrum zuweilen mit grösseren Os- 
culis versehen, von denen Verticalcanäle in den Schwammkörper eindringen. 

Das Skelet ist grobmaschig, locker und besteht aus grossen ziemlich regel- 
mässigen Vierstrahlern mit glatten Armen, welche an ihren Enden sehr stark ver- 
ästelt sind, so dass an den Vereinigungsstellen der Arme dicke, aus wurzelartigen 
Fasern bestehende Polster entstehen. Die kurzen Canäle der 4 Arme bilden im 
Centrum ein vierstrahliges Kreuz. Die Oberfläche des’ Schwammkörpers ist an gut 
erhaltenen Exemplaren mit zahlreichen Gabelankern belegt, deren verlängerter Schaft 
gegen Innen gerichtet ist. Ausser diesen Gabelankern kommen noch zahlreiche Stab- 
nadeln von verschiedener Form und Grösse und vereinzelte kleine Anker mit 3 zu- 
rückgebogenen einfachen Zinken vor. 

Die 2 bis jetzt bekannten Arten stammen aus der oberen Kreide von Norddeutsch- 
land und Belgien. 3 

*]) Callopegma acaule. Zitt. Taf. II. Fig. 6°” Taf. VIII Fig. 5. 

Schüsselförmig bis halbkugelig, entweder mit ganz kurzem warzenförmigem 
Stiel aufgewachsen oder frei. Sehr dickwandig, im Grunde der vertieften 
Oberfläche mehrere grosse, runde Oscula.. Aussenwand porös. Unterseite mit 
einigen vorspringenden Höckern versehen. 

Ahlten, Linden, Ciply. 

*9) Callopegma Schlönbachi. Zitt. Taf. IX. Fig. 1. 

Schüssel- oder trichter-förmig; Centralhöhle sehr weit und tief, Schwamm 
mit breiter Basis festgewachen. Mucronaten-Kreide. Ahlten. 

18* 


140 


Trachysycon. Zit. Taf. IX. Fig. 4. 
Syn. Plocoscyphia p. p. Roem.; Sporocalpia p. P. Pomel. 


Schw. feigen- bis länglich ei-förmig, gestielt, mit röhrenförmiger Centralhöhle, 
auf deren Wand die Ostien der ziemlich groben Radialcanäle liegen. Oberfläche mit 
conischen, zugespitzten Warzen besetzt, von deren Gipfel feine Furchen nach allen 
Seiten ausstrahlen. Der Stiel und der unterste Theil des verdickten Schwammkörpers 
sind glatt, nur mit porenförmigen Ostien versehen, zuweilen mit einer runzeligen 
Kieselhaut überzogen. 

Skeletkörperehen ziemlich gross, unregelmässig vierstrahlig. Die 4 dicken und 
kurzen Hauptarme kurz und glatt, an den Enden in mehrere knorrige Aestchen 
vergabelt. 

Die einzige bis jetzt bekannte Art dieser Gattung ist Trachysycon (Plocoscyphia) 
muricatum. Roem. Spongit. S. 20. t. X. Fig. 9 aus der Quadraten-Kreide des Sutmer- 
bergs bei Goslar. 

Pomel erwähnt dieselbe unter dem Namen Sporocalpia, worunter indess eine ächte 
Hexactinellide (Plocoseyphia Morchella Roem.) und die vorstehende Lithistidenform ver- 
einist sind. 


Siphonia. Park. 1822. Taf. IX. Fig. 5. 6. 7.°%) 


Syn. Caricoides Guettard;, Siphonia p. p. Park. et auct.; Ohoamites p. p. Mant.; Hal- 
lirhoa Lamx.; Siphoneudea und Polysiphoneudea From., Siphonia, Hallirhoa, Angidia p. P., 
Plethosiphonia, Polysiphonia, Pterocalpia, ? Physocalpia Pomel. 


Schw. feigen-, birn- oder apfel-förmig, zuweilen durch Einschnürungen lappig, 
meist einfach, kurz oder lang gestielt, selten ungestielt. Scheitel mit tief eingesenkter 
Centralhöhle, auf deren Wand sich die meist in Längs- und Querreihen geordneten, 


31) Erst während des Druckes der letzten Bogen dieser Abhandlung kam mir das Novemberheft vom 
23. Band des Quarterly Journal of the igeological society 1877 zu Gesicht, worin sich (S. 790) eine 
grössere Abhandlung von J. Sollas über die Struktur und Verwandtschaft des Genus Siphonia be- 
findet. Ich freue mich auf die bemerkenswerthe Uebereinstimmung der Resultate dieser trefflichen Ar- 
beit mit meinen eigenen Beobachtungen hinweisen zu können. Alles was Herr Sollas über die Mikro- 
struktur, über die Verbindung der Skeletkörperchen, über das Canalsystem und über Erhaltungszu- 
stand anführt, steht mit meinen Angaben in Einklang. Auch über die Verwandtschaft mit den le- 
benden Lithistiden und namentlich mit der Gattung Discodermia befinden wir uns in Uebereinstimm- 
ung. Verschiedene Punkte, z. B. die Anordnung der Skeletkörperchen, die übrigens bei den einzelnen 
Arten sehr stark variirt, ferner die verschiedenen Erhaltungszustände sind von Hrn. Sollas mit grosser 
Sorgfalt studirt und eingehender geschildert, als im allgemeinen Theil meiner Abhandlung. Wer sich 
für diese Fragen specieller interessirt, wird darum bei Sollas vielfache Belehrung finden. Die einzige 
nennenswerthe Differenz zwischen Herrn Sollas und mir besteht darin, dass ich Siphonia Websteri - 
Sow. zu Jerea stelle und aus praktischen Gründen die Genera Siphonia und Jerea trenne. 


141 


runden Ostien von Ausfuhrcanälen befinden. Diese ziemlich weiten Canäle verlaufen 
bogenförmig, parallel dem äusseren Umfang des Schwammes, werden gegen die Mitte 
hin aber immer steiler und stellen sich schliesslich senkrecht, indem sie als Röhren- 
bündel in den Stiel und die Wurzel fortsetzen. Die Bogencanäle nehmen gegen 
Aussen an Stärke ab und beginnen an der Oberfläche in mehreren feinen Röhrchen, 
welche sich vereinigen und dann der Cloake zulaufen. Ausser diesen Haupteanälen 
sind noch zahlreiche schwächere Einströmungscanäle vorhanden, welche schräg von 
Innen nach Aussen verlaufen, die Bogencanäle kreuzen und an der Oberfläche in ver- 
tieften runden Östien beginnen. 

Das Skelet wird aus ziemlich grossen, deutlich vierstrahligen Lithistidenkörpern 
gebildet. Die vier Arme sind glatt oder mit schwachen Höckern versehen, ihre Enden 
mehr oder weniger stark in 2—3 oder mehr mit wurzelförmigen Fortsätzen ver- 
sehene Aeste vergabelt, die mit den entsprechenden Verästelungen benachbarter 
Skeletkörperchen verflochten sind und dadurch förmliche Polster bilden. In der Regel 
sind die Skeletkörperchen nach dem Verlauf der Canäle reihenförmig angeordnet und 
die verdiekten und verflochtenen Enden derselben bilden förmliche Radial-Bänder>?). 

An der Oberfläche, in den Canälen und im Skelet selbst finden sich grosse 
Stabnadeln, selten auch Anker mit gabeligen Zinken°?). 


Viele Arten dieser formenreichen Gattung verändern mit zunehmender Grösse ihre 
äussere Gestalt. Junge Exemplare sind meist cylindrisch und von beinahe senkrechten 
Röhren durchbohrt, bei weiterem Wachsthum schwellen sie in der Mitte an und nehmen 
nach und nack birnförmige oder fast kugelige Form an. Diese Veränderungen stellt So- 
werby bei Siphonia tulipa in einer Reihe schöner Abbildungen dar. (Geol. Trans. 92. 
ser. V. t. 15.) 


In der äusseren Erscheinung steht Siphonia der Gattung Jerea sehr nahe; ja sie 
ist durch unmerkliche Uebergänge mit derselben so enge verbunden, dass sich schwer eine 
scharfe Grenze ziehen lässt. Der einzige Unterschied beruht in dem Vorhandensein einer 
vertieften Centralhöhle bei Siphonia, in welcher die Ostien der gebogenen Hauptcanäle 
münden. Typische Formen mit enger, tiefer Centralhöhle und stark gebogenen Canälen 
weichen erheblich von Jerea ab; wird jedoch die Centralhöhle weit und seicht, dann 


32) Die Mikrostruktur der Wurzel stimmt meist mit jener des übrigen Skeletes überein, nur 
bei einzelnen Arten mit sehr langem Stiel sind sämmtliche Arme der Skeletkörperchen oder wenigstens 
einer derselben verlängert und in parallele Züge nach der Richtung der Längsaxe angeordnet. Die 
Arme sind ästig, aber die Enden derselben nicht wurzelartig zerfasert, sondern einfach. Die Verbin- 
dung der Körperchen erfolgt desshalb auch nicht mehr durch die Verflechtung der verdiekten wurzel- 
artigen Enden sondern sie schieben sich locker zwischen entgegenkommende Aeste anderer Körperchen 
und werden auf diese Weise an einander gehalten. (Sollas 1. c. pl. XXVI. Fie. 7.) 

33) Mantell (Medals of creation 2 ed vol. I. S. 234) bildet bereits isolirte Nadeln von Cho- 
anites Königi ab. Die kleinen vierstrahligen Körper sind übrigens keine Nadeln, sondern Skeletelemente, 
deren wurzelartig verzweigte Enden abgebrochen sind. 


142 


stellen sich auch die Canäle steiler und es entstehen Formen, die sich unmittelbar an Je- 
reen anschliessen. 

Die feinere Struktur des Skeletes, sowie die isolirten Kieselgebilde stimmen bei 
Siphonia und Jerea völlig überein. 

Diese unzweifelhafte Verwandtschaft beider Gattungen findet auch in der Literatur 
ihren Ausdruck. 

Parkinson’s3*) unbestimmte Diagnose von Siphonia passt ebenso gut auf Jerea 
wie auf Siphonia und in der That finden sich unter den später von Parkinson als Si- 
phonia abgebildeten Schwämmen neben einer Anzahl ächter Siphonien auch zwei Jerea- 


Arten. 
Fast gleichzeitig mit Parkinson publicirte Mantell (Geolosy of Sussex vol. I. 


8. 178) eine Gattung Choanites, welche er mit dem lebenden Aleyonium ficus Lin. ver- 
glich. Auch hier ist die Charakteristik sehr unbestimmt gehalten. Von den 3 Arten ge- 
hören die 2 ersten zu den Hexactinelliden, während sich die letzte (Ch. Königi) trotz 
ihres eigenthümlichen‘, durch den Erhaltungszustand bedingten Aussehens Parkinson’s Si- 
phonien anschliesst. 

In einem späteren Werk (Medals 2. ed. S. 230. 233) hält übrigens Mautell Si- 
phonia und Choanites auseinander und unterscheidet Choanites durch den Mangel eines 
mit Röhren versehenen Stiels. 

Von den meisten späteren Autoren wurde die Gattung Choanites fallen gelassen und 
mit Siphonia vereinigt. Nur Ounnington (Institut 1849. XVII. 14.) will in der tief 
eingesenkten Centralhöhle und in einem angeblich vorhandenen Spiralcanal, ‘welcher am 
Boden der letzteren beginnt und sich in 5—6 Windungen um diese in die Höhe zieht, 
Merkmale zur generischen Unterscheidung gefunden haben. Indess weder die Abbildungen 
von Mantell und Dixon, noch meine Untersuchung verschiedener Original-Exemplare 
aus England lassen das Vorhandensein eines solchen Spiralcanals erkennen. 

Von Goldfuss, Michelin, F. A. Römer, Reuss, d’Orbigny u. a. Autoren 
wurden unter dem Gattungsnamen Siphonia sehr verschiedene Schwämme zusammengefasst; 
Courtiller rechnet eine grosse Anzahl ächter Jereen zu Siphonia, während Fromentel 
und Pomel die beiden Gattungen in zwei verschiedene Familien stellen, und jede der- 
selben wieder in einige weitere Gattungen zerlegen. 

Trotz dieser verschiedenartigen Verwendung des alten Parkinson’schen Namens 
habe ich denselben dennoch für die oben näher beschriebenen Spongien festgehalten, weil 
derselbe für die typischen Formen wie Siphonia piriformis, tulipa, fieus, nueiformis ete. 
bisher fast ohne Ausnahme in Gebrauch stand und weil Parkinson diese jedenfalls 
unter seiner Gattung Siphonia begriffen wissen wollte. 

Die geologische Verbreitung der Gattung Siphonia beschränkt sich auf die Kreide- 
formation. Von den typischen Formen lassen sich die gelappten als ein besonderes Sub- 
genus Hallirhoa Lamx. unterscheiden. 


34) An indroduction to the study of fossil organic remains S. 50, 


in 


143 


A. Von typischen Siphonia-Arten mögen erwähnt werden: 
1) Siphonia piriformis. Taf. IX. Fig. 7. Goldf. Petr. 6. 7° Mich. Icon. 33. 1. Senon, 
2) Siphonia tulipa. Zitt. Taf. IX. Fig. 5°°). Cenoman. Blackdown. 


(Siphonia piriformis. Sow. in Fitton. geol. Trans. 2 ser. vol. VI. pl. XV). 
(Siphonia Websteri. Quenst. (non Sow.) Petr. V. 135. 15—19.) 


3) Siphonia Geinitzi. Zitt. 


(Siphonia pyriformis. Gein. Elbthalgeb. I. 8. 38. t. 9. t. 10. Fig. 4) Cenoman. 


4) Siphonia bovista. @ein. ib. t. 10. Fig. 5. 6. Cenoman. 

5) Siphonia feus. Taf. IX. Fig. 6. Goldf. 65. 14. Senon. 

6) Choanites Koenigi. Mant. Geol. Suss. t. 16. Fig. 19—21. Ob. Kr. 
7) Siphonia incrassata. Goldf. 30. 5. Senon. 


8) 

9) 
10) 
11) 
12) 
13) 
14) 
15) 


nuciformis. Mich. Icon. 33. 4. ? Cenoman. 

4 multioculata. Mich. ib. 33. 6. Turon. 

arbuscula. Mich. ib. 33. 2. Turon, 

x ficoidea. Mich. ib. 29. 5. Cenoman. 

5 acaulis. Mich. ib. 38. 2. Cenoman. 

G ornata. F. A. Roem. Spongit. 10..9. Quadr. Kr. 
Morrisi. Mant. Med. 2 ed. $. 254. Upp. Ch. 

= Kittoni. Mich. Icon. 29. 6. Senon. 


Ausserdem zahlreiche meist schlecht charakterisirte und vielfach mit bereits früher 


beschriebenen Formen zusammenfallende Arten von Courtiller, wie Siphonia decipiens, 
osculata, parasitica, sphaerica, curta, cylindrica, intermedia, conica, rariosculata etc. 


B. Subgenus Hallirhoa. Lama. 
1) Hallirhoa costata. Lamx. Mich. ib. 31. 3. Cenoman. 


2) 
3) 


5 brevicostata. Mich. Icon. 31. 1. Cenoman. 
n Tessonis. Mich. ib. 34. 1. Cenoman. 


Hieher vielleicht auch Scyphia alata und palmata Courtiller. 


35) Ich habe diese im Grünsand von Blackdown und Haldon ungemein häufige und in allen 
grösseren Sammlungen verbreitete Art mit einem neuen Namen belegt. Sie wird in der Regel mit Si- 
phonia piriformis Goldf. vereinigt, unterscheidet sich aber durch die plötzliche Einschnürung des birn- 
förmigen Kopfes unmittelbar über dem ungewöhnlich schlanken, dünnen und sehr verlängerten Stiel, 
durch die groben Bogen- und Radial- Canäle, durch die Mikrostruktnr sowohl des Körpers als auch 
namentlich des Stieles schr bestimmt von der im Senon verbreiteten S: piriformis. Quenstedt trennt 
diese Art in seinem neuesten Werk ebenfalls von $. piriformis, identifieirt sie jedoch irrthümlicher 
Weise mit Jerea Websteri Sow., von welcher Sollas (l. c.) neuerdings gute Abbildunger und Beschrei- 
bung veröffentlicht hat. Siphonia Fittoni' Mich. aus der oberen Kreide schliesst sich enger an Siph. 
piriformis Goldf. als an Siphonia tulipa Zitt. an. 


e 


144 


Jerea. Lamouroux. Taf. X. 1. 2. 


(1821 Exposition method. des genres de l’ordre des Polypiers. 8. 79. t. 78. Fig. 3.) 


Syn. Siphonia p. p-, Jerea p. p. auct.; Manon p. p. Goldf.; Bhysospongia, Jerea, 
Cupulina, Siphonia p. p. Courtill.; Polypothecia p. p. Bennet, Mich.; Jerea p. p., Rhizospongia 
(Rhysospongia) d’Orb.; Jerea, Polyjerea p. p., Rhizospongia, Rhizostele, Rhizogonium Pomel. 


Schw. birnförmig, kugelig, umgekehrt flaschenförmig, conisch bis eylindrisch, 
einfach, seltener zu ästigen Stöcken verwachsen, mit kurzem oder langem Stiel 
und mehr oder weniger verdickter, zuweilen massig entwickelter, ausgebreiteter 
oder ästiger Basis. Scheitel abgestutzt, oder mit einer Einsenkung, stets mit einer 
Anzahl runder Oeffnungen, den Mündungen eines Bündels röhrenförmiger Vertical- 
canäle, welche entweder in senkrechter oder etwas dem äussern Umriss !ent- 
sprechender Biegung den ganzen Schwammkörper bis zur Basis durchsetzen. Ober- 
fläche mit zahlreichen, ungleich grossen, zerstreuten kleinern Ostien, von denen 
gröbere oder auch haarfeine Canäle bis in das Centrum des Schwammes eindringen. 
Am Stiel verschwinden diese Ostien allmälig. 

Das Skelet des eigentlichen Schwammkörpers sowie des Stieles und der Wurzel 
besteht aus vierarmigen Kieselkörpern von ziemlich ansehnlicher Grösse; die Arme 
sind in der Nähe des Vereinigungspunktes in der Regel glatt, zuweilen aber auch 
mit knorrigen, stumpfen Auswüchsen besetzt, ihre Enden mehr oder weniger wurzel- 
artig verästelt, zuweilen sogar zu verfilzten Ballen verdickt. Bei einzelnen Arten 
spalten sich alle oder einzelne Arme in zwei Hauptäste. Sämmtliche Skeletelemente 
sind mit einander durch die verästelten Enden der Arme verflochten. 


Von isolirten Kieselgebilden kommen vereinzelte Gabelanker und einfache Stab- 
nadeln vor.- 


Die Gattung Jerea wurde schon im Jahr 1821 von Lamouroux in unverkenn- 
barer Weise charakterisirt und abgebildet. Goldfuss beschreibt mehrere Arten unter 
den Gattungs-Namen Jerea, Siphonia und Manon, auch Michelin vermischt Jerea mit 
Siphonia, dagegen schliesst sich d’Orbigny etwas enger der Lamouroux’schen Auf- 
fassung an, zweigt jedoch die mit sehr massiger horizontal ausgebreiteter Wurzel ver- 
sehenen Formen unter dem Namen Rhizospongia (im Prodrome Rhysospongia) von 
Jerea ab. Michelin hatte derartige Wurzeln, welche in der Touraine häufig isolirt 
vorkommen, schon früher der Gattung Polypothecia zugetheilt. 

Fromentel begnügte sich die zusammengesetzten Formen als Polyjerea von den 
einfachen zu trennen, Courtillier und Pomel dagegen zerlegen Jerea in mehrere Gat- 
tungen. Für Courtillier gehören nur die Formen mit gerade abgestutztem Scheitel zu 
Jerea, die mit Scheitelvertiefung versehenen werden Cupulina genannt. Eine grosse An- 
zahl ächter Jereen werden vom gleichen Autor zu Siphonia und die mit grosser Wurzel 
und kurzem, dickem Stiel versehenen zu Rhysospongia d’Orb. gerechnet. 


Da die vermeintliche Epithek von Rhizospongia d’Orb. nicht existirt, so halte ich 


145 


diese Gattung für ebenso überflüssig, wie Rhizostele, Rhizogonium und Rhizogonima. 
Pomel spaltet aber auch die zusammengesetzten stockförmigen Jereen in mehrere 
Gattungen. Der Name Polyjerea wird lediglich für die Formen mit Basilarprolification 
beibehalten, wie Jerea caespitosa und gregaria Mich., Siphonia ternata Reuss etc. Für 
die ästigen Formen, welche sich durch Seitenknospung vermehren, stellt er zwei besondere 
Gattungen auf. Diese beiden Genera Callojerea und Dichojerea sind lediglich auf äusser- 
liche Merkmale basirt und enthalten zum Theil ganz fremdartige Elemente, welche sich 
meist ziemlich weit von Jerea entfernen; sie können darum schon aus terminologischen 
Gründen nicht aufrecht erhalten bleiben. Auf die Unterschiede von Jerea mit der äusser- 
lich ungemein nahestehenden Gattung Jereica Zitt. wurde schon früher hingewiesen. 

Die Gattung Jerea beginnt in der Kreide und reicht möglicher Weise bis ins Miocaen, 

wenn einzelne der von Pomel aus Oran beschriebenen Arten wirklich hieher gehören sollten. 

Als typische Arten mögen angeführt werden: 

*1) Jerea pyriformis. Lamx. Expos. meth. S. 79. t. 78 Fig. 3. Cenoman. 
(= Jerea pyriformis und elongata p. p. Mich. Icon. 36. 3. u. 39. 4.) 
(= Jerea amygdaloidea. Gümb. Ostbayr. Grenzgeb. S. 771.) 
3) Aleyonolithes Stadensis. Blumb. Spec. archaeol. tell. II. Fig. 5. 6. 
(= Siphonia %ucumis Mke. Jahrb. 1841. t. I. Fig. c.) 
(= Siphonia, Kraussi Hag.) 
(= Jerea pyriformis u. elongata Mich. p. p. 1. c.) 
(= Jerea pyriformis u. intricata. Court. pl. 34. f. 2. 3.) 
3) Jerea Quenstedti Zitt. Taf. X. Fig. 2. Quadr. Kr. Linden bei Hannover. 
= Siphonia ficus Quenst. Petr. V. 135. 20—23.) 
An obige Arten schliessen sich an: 

4) Siphonia prolifera, clavata, acuta, polycephala, difformis, ?coronata, acaulis 
Court. Cupulina elata, pocillum, latiosulcata, glomerata, rhysospongioides, 
elongata, parallela, ficoidea, capitata, acaulis. Court. Epong. foss. des envir. de 
Saumur. pl. 29. 30. 

5) Siphonia ternata Reuss. Böhm. Kr. II. 17. 1. 3. Turon. 

6) Jerea excavata Taf. X. Fig. 1. Mich. Icon Baader 
(= Polypothecia Pictonica. Mich. ib. 3%. 1.) 

(= Jerea tuberosa. Mich. ib. 39. 3.) 
‘ (Rhysospongia Pictonica, pateraeformis, eyathiformis, vestita, crassa, elongata, 
semiglobosa, elavata, attenuata, trumcata, costata, digitata. Court. I. c. pl. 1—4.) 
7) Siphonia multiformis. Bronn. Leth. geogn. 27. 20. Peine. 


Marginospougia. dOrb. Prodr. II. S. 137. 
Syn. Alcyonium Lam. ; Chenendopora p. p. Mich.; Marginojerea From.; Margino- 
spongia, Placojerea Pom. 
Schw. becher- oder trichter-förmig, gestielt. Oberrand mit zahlreichen, runden 
Abh. d. 11. Cl.d.k. Ak. d. Wiss. XIII. Bd. I. Abth. 19 


146 


Oefinungen von röhrigen Verticalcanälen, welche die ganze Wand und den Stiel 
durchziehen. Skelet? — Nur in der Kreide. 
1) Aleyonium infundibulum. Lamzx. 1830. (teste d’Orb.) 
(Chenendopora Parkinsoni. Mich. Ie. 81. 1.) Cenoman. 
9) Marginospongia irregularis. d’Orb. Prodr. Et. 22. Nro. 1500. Senon. 
?3) Jerea Desnoyersi. Mich. 1. ce. 89. 1. 


Nelumbia. Pomel. 1872. 
Pal. d’Oran. 8. 194. 

Sym. Polystoma Court. p. P- 

Schw. keulenförmig, gestielt, Scheitel abgestutzt oder mit schwacher Vertiefung, 
bedeckt mit runden Ostien von Vertiealcanälen, welche nicht sehr tief (?) m den 
Schwammkörper eindringen. Seiten mit vereinzelten Vertiefungen, in welche kurze 
gewundene oder gerade Quereanäle einmünden. Nach Courtiller ist der Schwamm 
zuweilen mit einer zarten Kieselhaut überzogen. 

Skelet wie bei Jerea. 

Die Verbreitung dieser erst unvollständig bekannten, vielleicht nur als Section von 
Jerea zu betrachtenden Gattung beschränkt sich auf die obere Kreide. 

Courtiller 1. c. bildet auf Taf. 15 verschiedene Formen ab, die vielleicht zu einer 
einzigen Species gehören und stellt dieselben als besondere Section in seine Gattung 
Polystoma. 


Polyjerea. Fromentel emend. Zitt. 

Syn. Jerea Mich.; Siphonia ». p. Court.; Jerea p. p. d’Orb.; Polyjerea, Dichojerea 
». p. Pom. (non Polyjerea F. A. Roem.) 

Schw. zusammengesetzt buschig oder ästig, selten einfach, die cylindrischen 
oder tonnenförmigen Einzel-Individnen oft an ihrer Basis verwachsen, mit gerun- 
detem Scheitel, in welchem mehrere Oeffnungen von röhrenförmigen Verticalcanälen 
ausmünden, die den ganzen Schwammkörper durchziehen. Die Basis, sowie die ganze 
oder ein grosser Theil der Oberfläche des Schwammes sind mit emer glatten Kiesel- 
epidermis bekleidet, unter welcher dieOstien der wenig entwickelten Radialcanäle liegen. 

Das Skelet besteht der Hauptsache nach, wie bei Jerea aus ziemlich grossen, 
glatten Vierstrahlern mit wurzelartig verzweigten Enden, ausserdem aber noch aus 
sehr kleinen ungemein zierlich filigranartig verästelten, undeutlich vierstrahligen 
Kieselkörperchen, welche sich an der Oberfläche eng aneinander legen und die dichte 
Kieselhaut bilden. 

Diese Gattung unterscheidet sich von Jerea hauptsächlich durch die Kieselepidermis, 
welche meist den ganzen Schwamm überzieht, durch die sehr schwach entwickelten Ra- 
dialcanäle, sowie durch die zusammengesetzte Form. 

Die Vermehrung erfolgt entweder durch basilare oder durch seitliche Knospung. Im 
ersten Falle entstehen buschige, im zweiten baumförmig verästelte Stöcke. 


147 


Ich beschränke die Gattung Polyjerea lediglich auf die mit Kieselhaut bekleideten, 
fast immer zusammengesetzten Formen, wie P. caespitosa und gregaria Mich., für welche 
Fromentel seine Gattung Polyjerea ursprünglich aufgestellt hat. In die Gattung Jerea 
dagegen verweise ich sämmtliche stockförmige Jereen mit wohlentwickelten Radialcanälen, 
der die Kieselepidermis fehlt. Zu diesen letzteren gehören fast alle von Roemer unter 
dem Namen Polyjerea beschriebenen Formen aus der norddeutschen Kreide. 

Polyjerea steht der Gattung Thecosiphonia überaus nahe. Bei letzterer beschränkt 
sich die Kieselhaut auf den unteren Theil des Schwammkörpers, die Einzel - Individuen 
zeichnen sich durch beträchtlichere Grösse aus, die viel zahlreicheren Verticaleanäle münden 
in eine Scheitelvertiefung und die Radialcanäle sind viel besser entwickelt. 

Als typische Art habe ich eine im Senon bei Evreux sehr häufig vorkommende 
Form 

1) Polyjerea ramifera Zitt. untersucht, welche sich von Jerea gregaria und caes- 
pitosa durch deutlichere Trennung und Vergabelung der Aeste unterscheidet. 


Es gehören ferner hieher: 
2) Jerea arborescems. Mich. 42. 2°. Senon. (non 2°.) 
3) „  gregaria. Mich. Icon. 38. 1. Senon. 


4) „ ceaespitosa. Mich. 41. 4. Senon. 
(Siphonia arborescens. Court. t. 24. Fig. 2.) 


Astrocladia. Zit. Taf. IX. Fig. 9. 


(«ozno Stern, #Addos Zweig.) 


Syn. Siphonia p. p. Mich.; Asterospongia p. p., Stellispongia p. p. Roem.; Callojerea 
». p. Pomel. 


Schw. eylindrisch oder durch dichotome Verzweigung baumförmig, massiv, ohne 
Centralhöhle. Oberfläche mit einer glatten, scheinbar dichten Deckschicht überzogen, 
in welcher vereinzelte, sehr entfernt stehende Oscula liegen. Gewöhnlich bestehen 
dieselben aus einigen kurzen, feinen Röhren, welche im Grunde einer gemeinsamen 
kleinen Vertiefung oder auch auf einer warzenförmigen Erhöhung ausmünden. Diese 
Oscula erhalten sehr oft ein ausgezeichnet sternförmiges Aussehen durch radiale an 
den Enden fein verästelte Furchen, welche unter der Deckschicht auf der Oberfläche 
der eigentlichen Skeletmasse nach den Ausströmungsöffnungen verlaufen. Ausser den 
sternförmigen oder aus Röhrenbündeln bestehenden Osculis ist die Oberfläche unter 
der Deckschicht mit feinen Poren, den Oeffnungen kleiner Radialeanälchen versehen. 
Durch den ganzen Schwammkörper verlaufen in der Richtung seiner Längsaxe einige 
feine Verticalröhren 

Das Skelet besteht aus kleinen, deutlich vierarmigen Lithistidenkörperchen mit 
kurzem Axenkreuz; die Arme sind glatt, an ihren Enden stets sehr stark wurzel- 
artig verzweigt, so dass an den Berührungsstellen mit den Nachbararmen förmliche 


Polster von Kieselgeflecht entstehen. Die beinahe dichte Deckschicht ist aus sehr 
1192 


148 


kleinen, dicht ineinander verflochtenen , stark verästelten Lithistidenkörperchen von 
unregelmässiger Form gebildet und blättert leicht ab. Besondere Oberflächen-Nadeln 
scheinen zu fehlen. 

*1) Asterospongia laevis. Roem. Spongit. 19. 2. Cuv.-Plaener. 


*9) Asterospongia subramosa. Taf. IX. Fig. 9. Roem. ib. 19. 3. Quadr. Kr. Sut- 
merberg. Ahlten. i 


*3) Stellispongia verrucosa. Roem. ib. 1%. 5. Quadr. Kr. 2 
4) Siphonia ramosa. Mich. Icon. zooph. 28. 5. Courtill. 24. 1. 


*5) Tremospongia clavata. Roem. Spongit. 13. 13. Cuv.-Plaener. 


Thecosiphonia Zitt. Taf. X. Fig. 3. 


Lymmnorea ». p. Tremospongia F. A. Roem.; Tremospongia Gein. non d’Orb.; Di- 
estosphecion p. p-., Cytorca Pomel; Polyjerea p. p. From. 


Schw. einfach oder zusammengesetzt; die Individuen gross, länglich, kreiselförmig 
oder eylindrisch; Scheitel mit seichter Vertiefung, in welche ein Bündel röhren- 
förmiger Verticaleanäle einmündet. Von diesen Canälen verlaufen die obersten fast 
parallel mit dem Umfang und verursachen an abgeriebenen Exemplaren strahlige 
Furchen auf der Oberfläche; die in der Mitte befindlichen durchziehen in nahezu 
senkrechter oder sogar in etwas nach Aussen divergirender Richtung den Schwamm- 
körper. Ausser diesen Hauptcanälen "beobachtet man noch schräge von Aussen nach 
Innen und Unten gerichtete Radialcanäle, deren runde Östien auf der Oberfläche zer- 
streut liegen. Letztere ist rauh, mit gekrümmten Gruben und Furchen versehen. 
Die einfache oder mit wurzelartigen Anhängen besetzte Basis, sowie ein grösserer 
oder kleinerer Theil des ganzen Schwammkörpers sind mit einer dichten kieseligen 
Deckschicht überzogen. Bei zusammengesetzten Stöcken verbindet diese Epithek 
sämmmtliche verwachsene Individuen. 


Die Skeletelemente sind von ansehnlicher Grösse, regelmässig vierarmig; die vier 
Strahlen glatt mit wurzelartig verzweigten Enden. Sie unterscheiden sich durch ihre 
ansehnliche Grösse von denen der Gattung Siphonia. Vereinzelte Stabnadeln liegen 
zerstreut im Skelet. 


Diese von Roemer und Pomel gänzlich verkannte und mit Kalkschwämmen ver- 
einigte Gattung steht den Gattungen Siphonia und Jerea sehr nahe, unterscheidet sich 
aber von beiden sofort durch die stark entwickelte Deckschicht, sowie auch durch grössere 
und regelmässigere Skeletelemente. Vortreffliche Abbildungen dieser Gattung gibt Quen- 
stedt im 5. Band seiner Petrefaktenkunde Deutschlands. (Taf. 133. Fig. S. 9. 10. 11.) 

*1) Lymnorea nobilis. F. A. Roem. Spongit. 15. 1. Cuvieri-Plaener. 

*2) Tremospongia grandis. Taf. X. Fig. 3. Roem. ib. 15. 3. Cuvieri-Plaener. 

3) Tremospongia Klieni. Gein. Elbthalgeb. I. S. 28. 4. 3. Cenoman. 


149 


Calymmatina. Zit. Taf. II. Fig. 2. Taf. IX. Fig. 8. 
(zeAvuue Hülle, Ueberzug.) 


Syn. Cnemidium p. p., Sceyphia p. p. Mich.; Turonia p. p. d’Orb.; ? Pseudosiphonia 
Court. 


Schw. zusammengesetzt oder einfach. Die Einzel-Individuen kreiselförmig, kurz- 
eylindrisch oder knollig, meist durch basale Verwachsung zu Stöcken verbunden. 
Wand dick, Scheitel gerundet, mit einfacher Centralhöhle. Basis häufig mit Aus- 
wüchsen verseben, dickknollig oder zu einem Stiel verschmälert. An gut erhaltenen 
Exemplaren ist der ganze Schwammkörper mit einer diehten, glatten oder runzeligen 
Kieselhaut überkleidet. Dieselbe ist indess in der Regel am Scheitel und dem obern 
Theil der Seiten abgerieben. Diese der Epidermis beraubten Parthien sind stets mit 
vertieften, ganz unregelmässigen, kurzen Längs- und Querfurchen bedeckt und er- 
halten dadurch eine rauhe Oberfläche. Im Grund dieser Furchen liegen Ostien von 
einfachen Radialcanälen, die gegen Innen feiner werden. Aehnliche Canäle verlaufen 
in umgekehrter Richtung” von Aussen nach der Oentralhöhle. 


Das Skelet besteht aus zweierlei Elementen: 1) aus ziemlich grossen, vierstrah- 
ligen Lithistidenkörpern mit stark wurzelförmig verzweigten Enden und knorrigen 
oder glatten Armen; 2) aus sehr kleinen, durchaus knorrigen Kieselkörperchen von 
unregelmässiger oder undeutlich vierstrahliger Form, welche in den Zwischenräumen 
der grösseren Skeletelemente liegen. Diese kleinen Körperchen drängen sich an der 
Oberfläche dieht aneinander und bilden die oben beschriebene glatte oder runzelige 
Deckschicht, unter welcher die Ostien der Aussenseite münden. 


Bei günstiger Erhaltung bemerkt man in der Deckschicht zierliche Gabelanker, über- 
diess liegen zahlreiche grosse Stabnadeln im Skelet und in den Canälen zerstreut. 


Diese Gattung steht Turonia Mich. am nächsten, unterscheidet sich aber von 
dieser, abgesehen von ihrem abweichenden äussern Habitus durch das, Vorhandensein 
einer einfachen Centralhöhle, ausserdem durch die massenhaft zwischen den grossen 
Vierstrahlern vertheilten, kleinen knorrigen Kieselkörperchen, welche bei Turonia meist 
auf die Basalgegend beschränkt sind. Wahrscheinlich gehört Courtiller’s ungenügend 
charakterisirte Gattung Pseudosiphonia ebenfalls hieher. 


Bis jetzt sind nur Arten aus der oberen Kreide der Touraine bekannt. 
1) Scyphia sulcataria var. inflata. Mich. Ic. 28. 4. Senon. 
(Onemidium crassum. Mich. ib. 28. 3.) 


*9) Calymmatina rimosa. Zitt. Taf. II. Fig. 2. Taf. IX. Fig. 8. Senon. 
(Seyphia dichotoma. Mich. (non Bennet) Icon. 28. 5.) 


?3) Pseudosiphonia tuberculata. Court. Ep. 28. 1. 2. Senon. 


Turonia. Mich’ Taf. 1X Bro 2,33. 
1846 lIeonogr. zoophyt. S. 125. 


Syn. Turonifungia From.; Hippalimus p. p. Roem.; Turonia Pomel. 


Schw. sehr unregelmässig geformt, knollig oder biconisch, au der Basis, der 
unteren Hälfte oder auch nahezu auf der ganzen Oberfläche mit einer scheinbar glatten, 
rindenartigen Deckschicht von der Dieke eines Blattes feinen Papiers überzogen. Die 
nicht mit dieser Deckschicht bekleideten Parthieen (in der Regel die obere Hälfte) sind 
rauh, zuweilen mit strahligen, von einer oder mehreren seichten Vertiefungen aus- 
gehenden kräftigen Furchen durchzogen, in denen am Scheitel zerstreute, röhren- 
förmige Vertiealcanäle ausmünden. 

Das Skelet besteht aus ziemlich grossen, glatten, vierstrahligen Lithistidenkör- 
pern, welche mit den benachbarten Vierstrahlern durch kurze, plumpe, wurzelartige 
Verzweigungen verwachsen sind. Dadurch. dass fast immer 4 Arme von benachbarten 
Körperchen auf diese Weise sich verbinden, entstehen verdickte, rundliche Knoten. 
Die vierarmigen Skeletkörperchen besitzen ein feines Axenkreuz. 

In der Epidermis-ähnlichen Deckschicht unterscheidet man kleine, überall mit 
stumpfen und zugespitzten Fortsätzen versehene, platte, undeutlich dreiästige Lithi- 
stidenkörperchen , welche dicht über- und nebeneinander gelagert sind und kaum 
hin und wieder eine porenförmige Oeffnung frei lassen, ausserdem Gabelanker, deren 
drei sparrig gegabelte, verlängerte Zinken in einer Ebene, und zwar in der Regel ganz 
auf der äusseren Oberfläche liegen, wo die zierlichen, sechsarmigen Sterne bei gün- 
stiger Erhaltung schon mit der Lupe zu erkennen sind. 

Auf den durch die beschriebene Deckschicht unbedeckten Theilen des Schwamm- 
körpers liegen häufig grosse Stabnadeln zerstreut. 

Sämmtliche Arten aus der oberen Kreide. 


1) Turonia variabilis. Mich. Icon. 35. 1—8. Senon. Touraine. 
(T. variabilis u. sulcata Court.) 


2) Turonia constrieta. Taf. IX. Fig. 2. Zitt. nsp. 

Unregelmässig birnförmig, mit breiter fast horizontal abgestutzter Basis, welche mit 
zahlreichen stumpfen Höckern und Vertiefungen besetzt ist. Oberseite verlängert, stumpf- 
kegelförmig, mit unregelmässigen Quereinschnürungen ; im Scheitel gewöhnlich mit seichter 
Vertiefung, von welcher Furchen entspringen, die an den Seiten herablaufen und sich 
gegen unten in feine Aestchen vergabeln. Die glatte Deckschiebt überzieht in der Regel 
nur die Basis, zuweilen auch noch den unteren Theil der Oberseite. 

In der Mucronaten-Kreide von Ahlten häufig. 


3) Turonia induta. Zitt. Taf. IX. Fie. 2. 
Klein, knollig oder lappig, beinahe ganz von Epidermis überzogen. 
Quadr. Kreide. Linden. 


?4) Hippalimus depressus. Roem. Spongit. 10. 2. Senon. 


151 


Theonella. Gray. Taf. I. Fig. 9. 
(1868 Proceed. zool. Soc. p. 438. pl. XV,) 


Becherförmig, dickwandig, Centralhöhle einfach, Basis breit. Skelet aus kleinen 
Vierstrahlern mit stark verzweigten Enden bestehend. Oberflächenanker mit kurzem 
Schaft und 3 vergabelten, gebogenen horizontalen Zinken. 

Nur recent. 

1) Theonella Swinhoei. Gray I. c. Formosa. Taf. I. Fig. 9" 

2) Dactylocalyx Pratti. Taf. I. Fig. 9% * Bowbk. Proceed. 200l. Soc. 1869. 8. 89 
pl. V. Fig. 6—11. 

3) Theonella ferruginea. Haeck. Taf. I. Fig. 9. 

Ich habe das Skelet dieser neuen Species, von welcher ich durch Herrn Prof. Haeckel 
ein kleines Fragment mitgetheilt erhielt, abbilden lassen. Die Gabelanker der Oberfläche 
stimmen genau mit Th. Swinhoei überein. Die Skeletkörperchen dagegen unterscheiden sich 
durch ihre glatten Aeste vom den knorrigen der beiden vorigen Arten. 


Racodiseula. Zit. Taf. I. Fig. 8. 
Syn. Corallistes p. p. Sdt.; ? Dactylocalyecites Cart. 


Keulenförmig, knollig, eylindrisch oder becherförmig. Skelet aus unregel- 
mässig vierstrahligen Körperchen gebildet, deren Arme an den Enden stark ver- 
ästelt sind. Oberfläche mit kurzgestielten lappigen Kieselscheiben bedeckt. 

Recent und in der Kreide. 

1) Racodiscula asteroides. Cart. sp. Ann. Mag. 1873. vol. XI. 8. 441. 
(Corallistes polydiscus. p. p. Sdt. (non Bocage) Atl. Spong. 3. 8. 9. Florida.) 
2) Racodiscula nsp. Taf. I. Fig. 8. Philippinen (vgl. Cart. Ann. Mag. 1876. 
S. 464.) 
23) Dactylocalyeites Vicaryi. Cart. Ann. Mag. 1871. vol. VII. pl. VII 1. 2. 6. 
Cenoman. Haldon. 


Discodermia. Bocage. Taf. 1. Fig 7. 
(1869. Journ. des sc. math. phys. et nat. Lisbonne No. IV. pl. XI. fie. 1.) 


Becherförmig. Skeletkörperchen vierstrahlig mit stark verästelten Enden. Beide 
Oberflächen mit ganzrandigen (oder vielzackigen), sehr kurz gestielten Kieselscheiben 
bedeckt. 

Recent und in der Kreide. 

1) Discodermia polydiscus. oc. 1. ec. und Bowbk. Proceed. zool. Soc. 1869. 
S. 96. pl. VI. fig. 10—14. Recent Portugal, Cuba, Florida. 

?2) Dactylocalyeites callodiscus. Cart. Ann. Mag. nat. hist. 1871, vol. VII. pl. IX. 

fig. 40—42. Cenoman. Haldon. 

?3) Dactylocalyx ähnliche Scheiben. Zitt. Coelopt. 5. 32 — 35. Senon. Haldem, 

Vordorf. 


Kaliapsis. Bowbk. Taf. I. Fig. 12. 
(1869. Proceed. zool. Soc. S. 338 pl.. 25. fig. 25.) 


Incerustirend, dünn, ohne Oscula und Poren. Skelet aus glattarmigen Vier- 
strahlern bestehend, deren Enden feinverzweigt und filigranarlig gezackt sind. Bei 
den Skeletkörperchen der Basis ist der nach unten gerichtete Arm micht verästelt, 
sondern conisch zugespitzt. Oberfläche von vielzackigen oder ganzrandigen, im Centrum 
gekörnelten Kieselscheiben mit kurzem Stiel bedeckt. 


Recent. 
1) Kaliapsis cidaris. Bowbk. 1. e. Süd-See. 


Ragadinia Zit. Taf. E, Fig. 4. 
(oayas, Rık.) 

Syn. Cupulospongia p. p. Roem. 

Schw. ohrförmig, plattig oder schüsselförmig, seitlich mit kurzem Stiel fest- 
gewachsen, Wand dick, Rand abgerundet. Beide Oberflächen mit vielfach anastoma- 
sirenden rissigen Furchen, die entweder eine undeutlich radiale Anordnung erkennen 
lassen oder einen ganz unregelmässigen Verlauf besitzen, sich in verschiedenster 
Richtung durchkreuzen und zuweilen undeutlich sternförmige Figuren bilden. 

Von diesen Furchen dringen Canäle in gerader oder schräger Richtung in die 
Wand ein. 

Die 4 Arme der Skeletkörperchen sind in zwei oder mehr ziemlich lange warzige 
Aeste vergabelt, deren Enden wieder mehrfach gezackt sind. Ein Theil der vier- 
strahligen Körperchen ist ziemlich gleichmässig mit rundlichen, warzigen Höckern 
besetzt, während bei andern die 4 Hauptstämme in der Nähe des Centrums entweder 
glatt oder nur mit spärlichen Höckern versehen sind. 

Ausser den eigentlichen Skeletelementen befindet sich auf der Oberfläche eine 
vollständige Deckschicht aus glatten, grösseren und kleineren eigenthümlich geformten 
Kieselkörpern. Die grösseren besitzen einen stachelförmigen Schaft von dessen ver- 
dicktem Ende drei breite, horizontale, in zwei, drei oder ınehr, tief zerschlitzte Lappen 
getheilte Arme ausgehen. Im Centrum dieser gestielten lappigen Scheiben, welche den 
Öberflächenscheiben von Racodiseula zum Verwechseln ähnlich sehen, befindet sich 
ein kleines vierstrahliges Axenkreuz. 

Die lappigen Kieselscheiben werden mit einander verbunden durch ein Netz- 
werk von kleinen glattarmigen, aber mit grossen Zacken besetzten, unregelmässig 
geformten Kieselkörperchen 

Es ist bis jetzt erst eine einzige Art dieser interessanten Gattung beschrieben, 
welche Roemer Üupulospongia rimosa (Spongit. 8. 51. t. 17. Fig. 8) nannte. Die 
zahlreichen aus der oberen Kreide von Ahlten stammenden Exemplare, welche mir zur 
Untersuchung vorliegen, dürften sich indess in 2-3 verschiedenen Arten vertheilen, 
Einzelne Stücke erreichen eine Breite von 130—150 mm. bei einer Dicke der Wand von 


30 mm. 


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153 


Plinthosella. Zit. Taf. II. Fig. 10 u. Taf. X. Fig. 5. 


(aAiv$os Ziegel.) 
Syn. ? Achilleum und Amorphospongia ». p. Roem. 


Schw. kugelig oder unregelmässig knollig, frei oder mit kurzem Stiel 
festgewachsen, ohne Üentralhöhle. Oberfläche mit ganz unregelmässig” vertheilten 
Furchen und zerstreuten .Oeffnungen versehen, welche mit mehr oder weniger tiefen, 
gebogenen Canälen in Verbindung stehen. 

Der ganze Schwammkörper ist aus einem lockeren, groben Geflecht zusammen- 
hängender vierstrahliger Skeletkörper von ansehnlicher Grösse zusammengesetzt. Die- 
selben sind überall mit warzenartigen, rundlichen Knorren versehen und an den Enden 
gar nicht oder nur sehr schwach verästelt. Die einzelnen Skeletkörperehen sind zwar 
nicht verwachsen, allein sie legen sich mit ihren Enden so dicht aneinander an, dass 
sie beinahe ein Gewebe von anastomosirenden Fasern bilden. 

Die Oberfläche wird Yon einer dieken Schicht grosser, ziegelartig übereinander 
liegender, schuppiger Kieselplatten von ganz unregelmässiger Gestalt bedeckt; dieselben 
sind bald rundlich, bald polygonal, zuweilen verlängert und fast einer breiten Stabnadel 
ähnlich ; wieder andere sind lappig oder gar mit langen Fortsätzen besetzt. Ihre Ober- 
fläche zeigt eine rauhe, grubige Beschaffenheit. Axencanäle scheinen darin nicht vor- 
handen zu sein. 

Nur in der Kreide, 

1) Plinthosella squamosa. Zitt. Taf. II. Fig. 10. Taf. X. Fig. 5. 


(?Achilleum deforme. Roem. Kr. $. 2.) 


5—25 mm. grosse kugelige Körper. Das Skelet unter der Schuppendecke ist von 
Furchen durchzogen und mit rundlichen Östien versehen. 
Quadratenkreide von Ahlten und Linden in Hannover. 


Spongodiscus. Zitt. Taf. II. Fig. 9. Taf. X. Fig. 6. 
Syn. Turonia p. p. Court.; Lithosia p. p. Pomel. 


Schw. scheiben-, linsen-förmig oder halbkugelig, mit rundlichem oder rundlich 
sechsseitigem Umfang. Rand zugeschärft. Eine Oberfläche (seltener beide) schwach 
gewölbt, die andere eben und mit radialstrahligen Rippen bedeckt. Das Skelet 
besteht aus grossen, überall mit rundlichen Wärzchen besetzten vierstrahligen 
Lithistidenkörpern, bei denen die Enden der 4 Arme nicht verästelt sondern nur 
etwas verdickt oder höchstens ganz schwach gegabelt sind. Sie legen sich unmittelbar 
an die Enden benachbarter Skeletkörper an; dadurch entsteht ein ziemlich weitma- 
schiges, anastomosirendes Skelet, in welchem das Wasser ungehemmt circeuliren konnte. 
Es fehlt darum auch ein besonderes Canalsystem. Von isolirten Kieselgebilden kommen 
grosse Stabnadeln vor. 

Abh. d. II. Cl. d. k. Ak. d. Wiss. XIII. Bd. I. Abth. 20 


154 


Ich kenne 2 Arten aus der oberen Kreide: 


1) Spongodiscus radiatus. Zitt. Taf. II. Fig. 9 *b- Taf. X. Fig. 6. 
(Turonia radiata Court. Ep. foss. t. 40. Fig. 9. 10.) 


Scheibenförmig, Oberseite mit radialen Rippen und Furchen; Unterseite 
schwach gewölbt, glatt. Häufig in Feuersteinkugeln der Umgegend von Rouen 


und der Touraine. Orig. Ex. im Museum von Genf, 


3) Turonia mammillata. Court. ib. pl. 40. Fig. 7. 8. Touraine. 


Seite 13 Zeile 12 


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Tafel 1. 


Lithistiden der Jetztzeit. 


I. Rhizomorina. 


Fig. 1. Corallistes mierotuberculatus. Sdt. von Cap Verde (Original Exemplar 
von Herrn Professor Dr. ©. Schmidt). 
a. Oberflächenschicht aus Gabel-Ankern gebildet. 
b. Mehrere Gabel-Anker aus der Oberflächenschicht. 
c. Skeletkörperchen aus der Mitte der Wand. 
Fig. 2. Corallistes nolitangere. Sdt. von Florida. 
a. Original Exemplar von Prof. O. Schmidt in natürlicher Grösse. 
. Ein Gabel-Anker. 
. Ein Stück vom Skelet der Wand. 
. Ein einzelnes Skeletkörperchen mit Axencanal. 


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. Stück eines Skeletkörperchens sehr stark vergrössert, um die scheinbare Zu- 
sammensetzung des Axencanals aus vielen Röhren zu zeigen. 
f. Ein glattes Skeletkörperchen aus der Wand. 
Fig. 3. Mac Andrewia clavatella. Sdt. sp. von Florida. 
a. Original Exemplar von Prof. O. Schmidt in natürlicher Grösse. 
b. Mehrere Skeletkörperchen aus dem Innern des Schwammkörpers. 
c. Oberflächenschicht mit filigranartig gezackten Gabel-Scheibchen und 
Fleischnadeln. 
Fig. 4. Pomelia Schmidti. Zitt. aus Florida. 
a. Original Exemplar von Prof. OÖ. Schmidt in natürlicher Grösse. 
b. Oberfläche des Schwammkörpers. 
c. Skelet im Innern des Schwammkörpers. 
d. Zwei isolirte Skeletelemente. 
Fig. 5. Leiodermatium lynceus. Sdt. aus Portugal. 
Eine Parthie des Skeletes im Innern der Wand vom Original Exemplar im 
R Besitze des Herrn Prof. Dr. O. Schmidt in Strassburg. 
Fig. 6. Azorica Pfeifferae. Cart. von Madeira. 
Eine Parthie des Skeletes, nach einem von Herrn H. Carter mitgetheilten 
Fragment. 
Fig. 11. Arabescula parasitica. Cart. von den Seychellen. 
a. Eine Parthie des Skeletes von der Unterseite. 
b. Ein Skeletkörperchen von oben gesehen mit Axencanal, 
Nach einem von Herrn H. Carter mitgetheilten Präparat. 


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Fig. 8 
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Fig. 12 
Fig. 10 


(Sämmtliche Abbildungen sind, mit Ausnahme der Figuren 2°“ 3° und 4* von 


II. Tetracladina. 


Discodermia polydiscus. Bocage. St. Vincent. 

Ein Skeletkörperchen aus dem Innern der Wand, deutlich vierstrahlig mit 
Axencanal. 
Racodiscula nsp. von den Philippinen. 

Oberflächenkörperchen mit lappigen Armen nebst einigen Fleisch-Nadeln. (Nach 
einem von Herrn H. Carter mitgetheilten Fragment.) 


: Theonella ferruginea. Haeck. Patria? 


Inneres Skelet. 


- Theonella Pratti. Bowb. sp. 


Ein Öberflächen-Anker mit gebogenen Gabel-Armen. 
Kaliapsis cidaris. Bowbk. aus der Süd-See. 

Ein Stück des parasitischen Schwammkörpers von unten gesehen. Die 
conisch-zugespitzten einfachen Arme der Vierstrahler der untersten Skeletschicht 
sind in derZeichnung unten rechts nach oben, in der oben links nach der Seite 
gerichtet. Darüber liegen die gezackten Kieselscheibchen der Deckschicht. In 
Fig. 12° ist ein solches Scheibchen isolirt gezeichnet. 


III. Megamorina. 


Lyidium torquilla. Sdt. von Cuba. 
a. Zwei Skeletelemente. 
b. Eine Stabnadel der Oberfläche. 
Nach dem Orig. Exemplar im Besitze des Herrn Professor ©. Schmidt. 


Herrn Conrad Schwager in 64facher Vergrösserung durch die Camera lucida ge- 
zeichnet und auf Stein gravirt. Der unten beigefügte Maassstab [= 1 Millimeter nat. Gr.] 
gibt die Vergrösserung genau an.) 


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Tafel 1. 


Fossile Lithistiden. 


Phymatella bulbosa. Zit. aus der Mucronaten-Kreide von Ahlten in 
Hannover, gesammelt von HerrnDr. Steinmann. Orig. Ex. im paläontologischen 
Museum von München. 


- Ein Stück der Oberfläche etwas vergrössert. 


Calymmatina rimosa. Zitt. aus der Senon-Kreide von La Renaudiere bei 
Vierzon. Touraine. 

Epistomella clivosa. @Quenst. sp. Aus dem oberen Jura (£) von Sozen- 
hausen bei Günzburg. 3% von oben; 3®- eine Parthie der Unterseite. 
Coelocorypha subglobosa. Zitt. aus der Quadraten-Kreide des Sutmer- 
bergs bei Goslar. 

Verticaler Durchschnitt in der Medianebene. a 
Leiodorella expansa. Zitt. aus den Schichten mit Am. transversarius von 
Wodna bei Krakau. 

Callopegma acaule. Zitt. aus der Mucronaten-Kreide von Ahlten, Hannover. 

a. Exemplar in natürlicher Grösse aus dem geologisch - paläontologischen Mu- 


seum der Universität Göttingen, 
b. Ein Stück Oberfläche der Aussenseite etwas vergrössert. 


Carterella eylindrica. Zitt. aus dem Cenoman-Grünsand von Kelheim 


bei Regensburg. 


7° Ein Stück Oberfläche etwas vergrössert. 


Cnemidiastrum Hoheneggeri. Zift. aus den Schichten des Ammonites 

transversarius von Wodna bei Krakau. 

Ein Stück Oberfläche mit den Mündungen der Radialcanäle etwas vergrössert. 

Cnemidiastrum tuberosum. Mstr. sp. Oberfläche von der Wand der 

Centralhöhle mit Osculis der Radialcanäle. Natürliche Grösse. 

Spongodisceus radiatus. Zitt. aus der Senonkreide von Evreux bei Rouen. 
9a. Oberseite. IP- Skelet schwach vergrössert. 9° Unterseite eines kleineren 


Exemplars. 


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Zittel, Studien über fossile Spongien ll. 


- Abh.d. k.bayr- Akad. H.fl. Bd XU.2. 


Taf... 


Tafel HI. 


Rhizomorina. 


Fig. 1.2. C'nemidiastrum stellatum. dGoldf. sp. Verschiedene Skeletkörperchen 


Fig. 


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aus dem weissen Jura (8) von Streitberg in Franken. 
Cnemidiastrum rimulosum. Goldf. sp. Ebendaher. Skeletkörperchen. 
Hyalotragos patella. Goldf. sp. Isolirte Skeletkörperchen aus dem weissen 
Jura von Streitberg. 
Hyalotragos rugosum. Mst. sp. Ebendaher. Ein Stück des Skeletes im 
Zusammenhang. 
Chonella tenuis. Roem. sp. aus der Quadraten-Kreide von Linden, Hannover. 
Ein Stück Oberfläche der Innenseite schwach vergrössert. 
Chonella tenuis. Roem. sp. Ein Stück des Skeletes der Oberfläche im Zu- 
sammenhang. 
Anker mit drei Zinken. 7° Kleinere Skeletelemente aus der Nähe der Oberfläche. 
Platychonia vagans. d@uenst. sp. aus dem unteren weissen Jura von 
Streitberg in Franken. 
Platychonia auriformis. Quenst. sp. Ebendaher. 
Platychonia Schlotheimi. Mstr. sp. aus dem oberen weissen Jura (£) 
von Sozenhausen bei Ulm. 
Leiodorella expansa. Zitt. aus den Schichten des Am. transversarius von 
Wodna bei Krakau. 
Epistomella’clivosa. @uenst. sp. aus dem oberen weissen Jura (£) von 
Sozenhausen. 
Chenendopora fungiformis. _Lamx. Aus der Senonkreide von Chatel- 
lerault. Touraine. Skeletkörperchen aus der Wand des Bechers. 
Chenendopora fungiformis. _Lam«x. aus der Senonkreide von Evreux 
bei Rouen. 

Skeletelemente aus dem Stiel. 
Amphithelion macrommata. Roem. sp. aus der Mucronaten-Kreide von 
Ahlten in Hannover. Verschiedene Skeletkörperchen. 


(Sämmtliche Figuren sind mittelst Camera lucida in 64facher Vergrösserung von 
Herrn Conrad Schwager gezeichnet und auf Stein gravirt). 


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_Tittel, Studien über fossile Sponsien II. Taf. I. 


) .d. k. bayı: Akad IC. Bd.XM.2. gedr.v. Br. Keller,i. München. 


Fig. 1.2. 


Fig. 
Fig. 4 
Fig. 5 
Fig. 6 
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Fig 

Fig. 9 
Fig. 10 
Fig. 11 
Fig. 12 
Fig. 13 
Fig. 14. 
Fig. 15. 


Tafel IM. 


Rhizomorina. 


Cnemidiastrum stellatum. dGoldf. sp. Verschiedene Skeletkörperchen 
aus dem weissen Jura (#) von Streitberg in Franken. 

Cnemidiastrum rimulosum. Goldf. sp. Ebendaher. Skeletkörperchen. 
Hyalotragos patella. Goldf. sp. Isolirte Skeletkörperchen aus dem weissen 
Jura von Streitberg. 

Hyalotragos rugosum. Mst. sp. Ebendaher. Ein Stück des Skeletes im 
Zusammenhang. 

Chonella tenuis. Roem. sp. aus der Quadraten-Kreide von Linden, Hannover. 
Ein Stück Oberfläche der Innenseite schwach vergrössert. 

Chonella tenuis. Roem. sp. Ein Stück des Skeletes der Oberfläche im Zu- 


sammenhang. 


7b. Anker mit drei Zinken. 7 Kleinere Skeletelemente aus der Nähe der Oberfläche. 


Platychonia vagans. (uenst. sp. aus dem unteren weissen Jura von 
Streitberg in Franken. 
Platychonia auriformis. Quenst. sp. Ebendaher. 
Platychonia Schlotheimi. Mstr. sp. aus dem oberen weissen Jura (£) 
von Sozenhausen bei Ulm. 
Leiodorella expansa. Zitt. aus den Schichten des Am. transversarius von 
Wodna bei Krakau. 
Epistomellaclivosa. @Quenst. sp. aus dem oberen weissen Jura (6) von 
Sozenhausen. 
Chenendopora fungiformis. Lamx. Aus der Senonkreide von Chatel- 
lerault. Touraine. Skeletkörperchen aus der Wand des Bechers. 
Chenendopora fungiformis. Lamx. aus der Senonkreide von Evreux 
bei Rouen. 

Skeletelemente aus dem Stiel. 
Amphithelion macrommata. Roem. sp. aus der Mucronaten-Kreide von 
Ahlten in Hannover. Verschiedene Skeletkörperchen. 


(Sämmtliche Figuren sind mittelst Camera lucida in 64facher Vergrösserung von 
Herrn Conrad Schwager gezeichnet und auf Stein gravirt). 


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12. 


Tafel IV. 


Rhizomorina. 


Verruculina seriatopora. ARoem. sp. aus der Mucronaten-Kreide von 
Ahlten. Hannover. 
a. Oberfläche mit Osculis. b. Skeletkörperchen aus der Wand. 
Seliscothon explanatum. Roem. sp. Ebendaher 
a. Zwei Verticallamellen der Wand; dazwischen die Radialcanäle, welche durch 
Querbrücken von einander geschieden sind. 
b. Oberfläche mit Oseculis. 
Seliseothon Mantelli. Goldf. sp. aus der Quadraten-Kreide von Coesfeld. 
Westfalen. 
Mehrere Skeletkörperchen im optischen Querschnitt mit deutlich sichtbaren 
Axen-Canälen. 
Seliscothon marginatum. Roem. sp. aus der Quadraten-Kreide vom Sut- 
merberg. 
Ein Skeletkörperchen aus der Wand. 
Stichophyma turbinata. Roem. sp. Ebendaher. 
a. Oberfläche. b. Zwei Skeletkörperchen. 
Stichophyma sparsa. Reuss. aus dem Cenoman-Pläner von Schillinge bei 
Bilin. 
Zwei Skeletkörperchen. 
Seliscothon giganteum. NRoem. sp. aus der Quadraten-Kreide des Sut- 
merbergs bei Goslar. 
Zwei isolirte Skeletkörperchen. 
Bolidium palmatum. Roem. sp. aus der Quadraten-Kreide des Sutmerbergs. 
Drei Skeletkörperchen von Römer’s Original Exemplar der Amorphospongia 
palmata. 
Coelocorypha subglobosa. Zitt. aus der Quadraten-Kreide des Sutmerbergs. 
Coelocorypha socialis. Roem. sp. Ebendaher. Zwei Skeletkörperchen von 
Römer’s Original Exemplar der Siphonia socialis. 
Jereica polystoma. Roem. sp. aus der Mucronaten-Kreide von Ahlten in 
Hannover. Oberfläche. 
Jereica polystoma. Roem. sp. Ebendaher. 
Eine Parthie des Skeletes aus dem Innern des Schwammkörpers mit dem 
Lumen eines Radial-Canals. 


(Sämmtliche Abbildungen sind mittelst Camera lucida in 64 facher Vergrösserung 
von Herrn Conrad Schwager gezeichnet und auf Stein gravirt). 


Studien über fossile Spongien II. Tarn. 


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Rhizomorina. 


Jereica punctata. dGoldf. sp. aus der Quadraten-Kreide des Sutmerbergs 
bei Goslar. 

Eine Parthie vom Skelet. 
Pachinion seriptum. ARoem. sp. aus der Mucronaten-Kreide von Schwie- 
chelt in Braunschweig. 

a. Ein Stück des Skeletes aus dem Innern des Schwammkörpers in 25 facher 

Vergrösserung. 

b. Mehrere isolirte Skeletkörperchen aus dem Innern der Wand. 

c. Kleine glatte Skeletkörperchen von der Oberfläche. 

d. Ein Gabel-Anker der Oberfläche von der Seite und von unten. 
Seytalia turbinata. Roem. sp. aus der Mucronaten-Kreide von Ahlten 

a. Ein Stück des Skeletes aus dem Innern des Schwammkörpers. 

b. Ein isolirtes Skeletelement. 

c—f. Anker und Stabnadeln. 

Sämmtliche Präparate rühren von Römer’s Orig. Exempl. der Eudea turbinata her. 
Sceytalia radiciformis. Phi. sp. aus der Mucronaten-Kreide von Ahlten. 

a. Skelet an der Oberfläche b. Zwei Skeletkörperchen aus dem Innern der Wand. 
Stachyspongia spica. Roem.sp. Aus dem Cenomanien von Neu-Wallmoden. 

Ein isolirtes Skeletkörperchen aus dem Innnern. 


Anomocladina. 


Cylindrophyma milleporata. G@oldf. sp. aus dem oberen Jura (e) von 
Beuren, Gussenstadt und Sontheim. 
a. Ein Stück des Skeletes im Zusammenhang aus der Nähe der Oberfläche; 
von Beuren. 
b. Dessgleichen von einem Exemplar aus Gussenstadt. 
. Isolirte Skeletkörperchen mit theilweise abgebrochenen Enden. 
. Ansicht des Skeletes im Längsschnitt bei schwacher Lupenvergrösserung. 


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Melonella radiata. Goldf. sp. aus dem oberen weisen Jura von Hossingen. 
Ansicht des Skeletes im Längsschnitt bei schwacher Lupenvergrösserung. 


Tetracladina. 


Isoraphinia texta. Roem. sp. aus dem Cuvieri Pläner von Döhrnten bei 
Salzgitter. 

a Ansicht des Skeletes bei schwacher Lupenvergrösserung. 

b. Oberfläche bei derselben Vergrösserung. 


(Mit Ausnahme von Fig. 2*, 6°, 7 und 8°” sind alle übrigen Figuren mittelst 


Camera lucida in 64 facher Vergrösserung von Herrn Conrad Schwager gezeichnet 
und auf Stein gravirt.) 


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Tafel VI. 


Anomocladina. 


Lecanella pateraeformis. Zitt. aus dem weissen Jura (e) von Sontheim. 
a. Eine Parthie vom Skelet aus dem Innern der Wand. b. Skeletkörperchen 
der Oberfläche. 
Mastosia Wetzleri. Zitt. aus dem oberen weissen Jura (e u. [) von So- 
zenhausen bei Günzburg. 
a. Mehrere Skeletkörperchen theils im Zusammenhang, theils isolirt. b. Stab- 
nadeln von der Oberfläche. 


Megamorina. 


Heterostinia eyathiformis. Zitt. aus der Senon-Kreide von Evreux. 
Calvados. 

Eine Parthie vom Skelet mit grossen, glatten Skeletkörpern, die in den 
kleinen gezackten eingebettet liegen. 
Megalithista foraminosa. Zitt. aus dem oberen weissen Jura (e) von 
Nattheim. 

a. Exemplar in natürlicher Grösse. 

b. Eine Anzahl Skeletelemente im Zusammenhang. 

e. Isolirte Skeletelemente. 

d. Ein Anker von der Oberfläche. 


(Mit Ausnahme von Fig. 4* sind alle Figuren in 64facher Vergrösserung mittelst 


Camera lucida gezeichnet.) 


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Tafel VI. 


Megamorina. 


Fig. 1. Doryderma dichotoma. Roem. sp. aus der Mucronaten-Kreide von Ahlten 


a. Skeletelemente eines Faserzuges im Zusammenhang. 
b. Ein Büschel Gabel-Anker aus einer Masche der Oberfläche it nach innen 


gerichteten Schäften. 25 mal vergrössert. 
c. Mehrere dieser Gabel-Anker isolirt und 64 mal vergrössert. 
d. Isolirte Skeletelemente. 
e. Eine Parthie der Oberfläche in zweifacher Vergrösserung. 
Fig. 2. Carterella spiculigera. Roem. sp. aus der Mucronaten-Kreide von Ahlten. 
a. Ein Stück Skelet im Zusammenhang. 
b. Ein isolirtes Skeletkörperchen. 
Fig. 3. Isoraphinia texta. Roem. aus dem Cuvieri Pläner von Döhrnten bei Salzgitter. 
a. Eine Parthie aus dem Innern der Wand in 25 facher Vergrösserung. 
b. Ein isolirtes Skeletelement. 


(Fig. 1° 1° u. 3% sind 25mal; Fig. 1% zweimal, die übrigen Figuren 64mal 


vergrössert.) 


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Tafel VI. 


Anomocladina. 


Fig. 1. Lecanella pateraeformis. Zitt. aus dem weissen Jura (e) von Sontheim. 
a. Eine Parthie vom Skelet aus dem Innern der Wand. b. Skeletkörperchen 
der Oberfläche. 
Fig. 2. Mastosia Wetzleri. Zitt. aus dem oberen weissen Jura (e u. [) von So- 
zenhausen bei Günzburg. 
a. Mehrere Skeletkörperchen theils im Zusammenhang, theils isolirt. b. Stab- 
nadeln von der Oberfläche. 


Megamorina. 


Fig. 3. Heterostinia cyathiformis. Zit. aus der Senon-Kreide von Evreux. 
Calvados. 
Eine Parthie vom Skelet mit grossen, glatten Skeletkörpern, die in den 
kleinen gezackten eingebettet liegen. 


Fig. 4. Megalithista foraminosa. Zitt. aus dem oberen weissen Jura (e) von 
Nattheim. 
a. Exemplar in natürlicher Grösse. 
. Eine Anzahl Skeletelemente im Zusammenhang. 
. Isolirte Skeletelemente. 
d. Ein Anker von der Oberfläche. 


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(Mit Ausnahme von Fig. 4* sind alle Figuren in 64facher Vergrösserung mittelst 
Camera lucida gezeichnet.) 


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Zittel, Studien über fossile Spong 


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Tafel VII. 


Tetracladina. 


Aulocopium aurantium. ÖOsw. Silurgeschiebe in Chalcedon umgewandelt 

von Sylt. 

Phymatella heteropora. Roem. sp. aus der Mucronaten-Kreide von Ahlten. 
Ein Stückchen vom Skelet im Innern des Schwammkörpers. 


- Phymatella tuberosa. NRoem. sp. aus der Quadraten-Kreide von Linden 


bei Hannover. 
Eine Parthie aus dem Stiel. 
Phymatella sp? aus der Mucronaten-Kreide von Ahlten. 
Eine Parthie des Skeletes aus dem Stiel. 
Aulaxinia sulcifera. Roem. sp. aus der Mucronaten-Kreide von Ahlten. 
a. u. b. Isolirte Skeletelemente vom oberen Theil des Schwammkörpers. 
c. Skeletelemente des Stieles. 
Callopegma acaule. Zitt. (vergl. Taf. II. Fig. 6) aus der Mucronaten- 
Kreide von Ahlten in Hannover. 
a. Oberfläche mit dem Beleg von Gabel-Ankern. 
b. Skelet im Innern der Wand. 


(Sämmtliche Objekte sind in 64 facher Vergrösserung mittelst Camera lucida gezeichnet.) 


Taf. VI. 


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it el, Stirdien über fossile Spon 


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Tafel IX. 


Tetracladina. 


Callopegma Schloenbachi. Zitt. aus der Mucronaten-Kreide von Ahlten. 

a. Eine Parthie des Skeletes aus dem Innern der Wand. 

b. Ein isolirtes Skeletelement der Wand. 

c. Ein Gabel-Anker. 

d. Eine Stab-Nadel. 

Turonia induta. Zit. aus der Quadraten-Kreide von Linden bei Hannover. 

Öberflächenschicht mit Gabel-Ankern. | 
Turonia constricta. Zift. aus der Mucronaten-Kreide von Ahlten. 

Eine Parthie des Skeletes aus dem Innern des Schwammkörpers. 
Trachysycon muricatum. Roem. sp. aus der Quadraten-Kreide vom Sut- 
merberg. 

Siphonia tulipa. Zitt. aus dem Grünsand von Blackdown. 

Skelet im Innern des Schwammkörpers. 

Siphonia ficus. Goldf. Senon-Kreide vom Sutmerberg. 

a. b. Isolirte Skeletkörperchen. 

Siphonia piriformis. Goldf. aus der Senon-Kreide von Evreux. Calvados. 

a. Aus dem Innern. 

b. Oberfläche mit einer porenförmigen Canal-Oeffnung. 

Calymmatina rimosa. Zitt. (vgl. Taf. II. Fig. 2) aus der Senon-Kreide 
von La Renaudiere bei Vierzon. Touraine. Dichte Oberflächenschicht. 


Astrocladia subramosa. oem. sp. aus der oberen Kreide von Ahlten. 
Parthie aus der Wand. 


(Sämmtliche Objecte sind in 64facher Vergrösserung durch die Camera lucida gezeichnet.) 


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el. Studien über fossile Spen 


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Fig. 


Tafel X, 


Tetracladina. 


1. gJerea (Polypothecia) excavata. Mich. aus der Senon-Kreide von Meaulnes 


2. 


in der Touraine, 
Aus der Wurzel. 

Jerea Quenstedti. Zitt. aus der Quadraten-Kreide von Linden bei Hannover. 
a. Mehrere Skeletelemente aus dem Innern desSchwammkörpersim Zusammenhang. 
b. Ein isolirtes Skeletelement mit gegabelten Armen. 

Thecosiphonia grandis. Roem. sp. Cuvieri Pläner von Ost Haringen, 

Hannover. = 

Ragadinia rimosa. Roem. sp. aus der Mucronaten-Kreide von Ahlten. 

a. Skeletelemente im Zusammenhang b. isolirt. 

c. Eine lappige Kieselscheibe mit Schaft von der Seite. 

d. Kleine glatte Kieselfasern von der Oberfläche. 

e. Stabnadel. 

f. Lappige Kieselscheiben der Oberfläche. 
Plinthosella squamosa. Zitt. (vergl. Taf. II. Fig. 5) aus der Mucronaten- 
Kreide von Ahlten. 

a. Skelet. 

b. Eine Kieselscheibe der Oberfläche. 
Spongodiscus radiatus. Zift. aus der Senon-Kreide von Eyreux bei Rouen. 


(Sämmtliche Figuren in 64 facher Vergrösserung.) 


a re = a un 


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Tal.X. 


Die Anwendung der Waage 


Probleme der Gravitation. 


Von 


Ph. v. Jolly. 


Abh. d. II. Cl. d. k. Ak. d. Wiss. XIII. Bd. I. Abth. 21 


Die Anwendung der Waage 


auf 


Probleme der Gravitation. 


Von 
Ph. v. Jolly. 


Die Vervollkommnung der Waage in Construction und Ausführung 
gibt Veranlassung zu neuen Anwendungen der Waage. Die Leistungs- 
fähigkeit dieses ältesten der Messinstrumente lässt sich dahin bezeichnen, 
dass in Vergleichung zweier Kilogrammstücke gleichen Materials mit 
einmaliger Wägung der unvermeidliche Fehler auf + 0,05 Milligramm, 
dass also in dem arithmetischen Mittel der Resultate wiederholter Wäg- 
ungen der Fehler leicht auf + 0,01 Milligramm eingeengt erscheint. Um 
dies zu erreichen müssen einerseits in Construction und Ausführung der 
Waage gleich näher zu bezeichnende Bedingungen erfüllt sein, und müssen 
andererseits bei Aufstellung und Gebrauch der Waage bestimmte Vor- 
schriften beachtet werden. 

Die analytischen Waagen sind meist mit Balken und Schalen-Arre- 
tirungen versehen. Es reicht dies nicht aus um Gewichtsunterschiede 
zweier Kilogrammstücke bis auf Bruchtheile eines Milligramms festzu- 
stellen. Eine minimale Aenderung in den Auflagen der Achatplatten auf 
den Endschneiden des Waagebalkens hat eine Aenderung in der Länge 
der Hebelarme zum Erfolg. Beträgt diese auch nur den zehnmillionten 
Theil der Länge des Hebelarmes, so verschiebt sich dem entsprechend 
die Einstellung des Zeigers der Waage. Bei einer Belastung von 1 Kilo- 

20 


158 


gramm ändert sich in diesem Falle die Angabe der Waage schon um 
0,1 Milligramm. Ist die Waage nur mit Balken und Schalen-Arretirung 
versehen, so erfolgt die Auflage des Gehänges beinahe nach jeder Aus- 
lösung auf einer andern Linie der Endschneiden. Die Schneide ist eben 
auch bei sorgfältigster Ausführung nicht eine mathematische Linie, und 
die Achatplatte des leicht beweglichen Gehänges legt sich mit der Lösung 
der Schalenarretirung bald auf eine der Drehungsachse der Waage näher 
bald entfernter liegende Linie der Endschneide auf. Das Einspielen der 
Zunge erfolgt daher nach jeder Lösung der Arretirung an einem andern 
Punkt der Scale. Die Angaben der Waage werden um so überein- 
stimmender ausfallen, je mehr die Unveränderlichkeit aller Auflagelinien 
gesichert wird. Durch Arretirung der Endschneiden und passende Führung 
des Gehänges wird dies wesentlich gefördert. Die Auslösung muss auf beiden 
Seiten möglichst gleichzeitig erfolgen und muss in der Art sanft einge- 
leitet werden, dass jede Erschütterung des Wagebalkens vermieden erscheint. 

Ein zweiter Punkt, der in der Construction analytischer Waagen 
nicht selten unbeachtet bleibt, besteht in einer Vorrichtung zur Parallel- 
Stellung der Schneiden. Meist wird diese Parallel-Stellung vom Mecha- 
niker nach dem Augenmaase ausgeführt. Methodisch kann sie durch 
passend zur Bewegung der Endprismen angebrachten Stellschrauben 
erreicht werden. Die Prüfung erfolgt am exactesten nach der schon von 
Gauss angegebenen Methode. Ist die Endschneide parallel mit der Mittel- 
schneide, so beschreibt sie bei der Schwingung die Oberfläche eines 
Cylinders, in jeden andern Falle die eines Kegels. Ein kleiner mit dem 
Gehänge zu verbindender Planspiegel giebt nur in dem ersten Falle die 
mit einem Ablesefernrohr zu beobachtende Spiegelbilder in ungeändeter 
Lage. Die Correction lässt sich unter Anwendung der Stellschrauben 
mit grosser Exactheit ausführen. 

Der geradlinige Verlauf der Schneiden, der Härtegrad des Stahles, 
und die Ebenheit der Achatplatten sind Punkte, auf welche der Mechaniker 
bei der Ausführung eine besondere Achtsamkeit zu verwenden hat. 
Zeigen die Schneiden unter der Maximalbelastung nach 24stündiger Be- 
lastung keine Verbreitung der überhaupt nur äusserst feinen Glanzlinie, 
so wird man darauf rechnen können, dass auch nach jahrelangem Ge- 
brauche Empfindlichkeit und Richtigkeit der Waage ungeändert bleiben 


159 


Die Ablesung der Stellung des Waagebalkens mit Zeiger am Grad- 
bogen ist zur Bestimmung der Zehntel der Millisramme nicht mehr 
ausreichend. Erst unter Anwendung von Spiegelablösungen können kleine 
Differenzen in der Stellung des Balkens noch mit Exactheit verfolgt 
werden. Der Spiegel ist über der Mitte des Waagebalkens, senkrecht 
zur Längenrichtung des Balkens, befestigt, die Scale in einer Entfernung 
von beiläufig 3 Meter aufgestellt, und die Ablesung erfolgt mit einem 
Ablesefernrohr. An einer von mir gebrauchten Waage erzeugte bei einer 
Belastung von einem Kilogramm ein Uebergewicht von 2 Millisrammen 
einen Ausschlag von 17,9 Scalentheilen. Ein Scalentheil entspricht also 
einem Uebergewicht von 0,1173 Milligramm. 


Sind vom Mechaniker die Bedingungen erfüllt, welche Empfindlich- 
keit und Richtigkeit der Waage sichern, so hat man zunächst ein brauch- 
bares Messinstrument. Bei Erprobung der Leistungsfähigkeit des In- 
strumentes müssen selbstverständlich alle Ursachen, die eine Aenderung 
der Hebelarme oder eine Störung in der Ablesung zur Folge haben 
könnten, fern gehalten werden. Zunächst ist also für erschütterungsfreie 
Aufstellung der Waage, der Scale und des Ablesefernrohres zu sorgen, ebenso 
müssen die Auslösung der Arretirung und der Reiterverschiebung ohne 
Erschütterung der Waage erfolgen. 


Man wird auch unter Beachtung dieser naheliegenden Vorsichts- 
maassregeln bemerken, dass nicht selten bei zwei auf einander folgenden 
Versuchen das Einspielen der Waage nicht an exact gleicher Stelle der 
Scale eintritt. Der Grund hiervon liegt beinahe ausschliesslich an einge- 
tretenen Temperatur-Aenderungen. Ein Oeffnen und Wiederschliessen 
des Waagekastens ist ausreichend Temperatur-Differenzen der Hebelarme 
herbeizuführen, welche eine geänderte Länge der Hebelarme, also auch 
eine geänderte Einstellung zur Folge haben. Es dauert je nach der 
Grösse dieser Temperatur-Differenz längere oder kürzere Zeit bis der 
Waagebalken nach Schliessung des Kastens in seiner ganzen Ausdehnung 
gleiche Temperatur besitzt. 

Absichtlich zu diesem Zwecke ausgeführte Versuche lassen die Wir- 


kungen solcher ausnehmend kleinen Temperatur-Differenzen nachweisen. 
Die Waage zeigt sich nach denselben als ein Thermoskop, welches an 


160 


Empfindlichkeit mit der Thermosäule wetteifert. In der That beträgt 
die Temperatur-Differenz auch nur 0,01°C., so berechnet sich unter zu 
Grundlegung des bekannten Ausdehnungs-Coefficienten des Messings die 
eintretende Verlängerung zu 0,000000186. Das statische Moment des 
Kilogrammstückes nimmt also gerade so zu, wie dies bei ungeändeter 
Länge des Hebelarmes durch eine Gewichtszulage von 0,186 Milligramm 
eingetreten wäre, und bei der Waage von der oben angegebenen Em- 
pfindlichkeit wird die Aenderung des Ausschlages 1,6 Scalentheilen 
betragen. 

Zweierlei Wege wurden, um dem Einfluss der Temperatur-Differenzen 
zu messen, eingeschlagen. Im ersten Falle wurde eine brennende Stearin- 
kerze in der Entfernung von 1,5 Meter in der verlängerten Richtung 
des Waagebalkens ausserhalb des geschlossenen Waagekastens aufgestellt. 
Die von der Kerze ausgehenden Wärmestrahlen konnte also erst nach 
ihrem Durchgange durch die Glastafel, welche die Seitenwand des Waage- 
kastens bildet, zum Waagebalken gelangen. Nach 7 Minuten zeigte sich 
im Ausschlag der Waage eine Aenderung von 10 Scalentheilen in dem 
Sinne einer Verlängerung des der Kerze zugewendeten Hebelarmes, 
während ein in der Nähe des Waagebalkens befestigtes Thermometer eine 
Temperaturzunahme von noch nicht 0,1°C. zeigte. 

In einer zweiten Versuchsreihe war der Waagekasten mit einem 
zweiten Kasten überstülpt, der aussen und innen mit Silberpapier über- 
zogen war. Die vordere Seite dieses athermanen Kastens bestand aus 
zwei beweglichen Hälften. Je nachdem rechts oder links einer dieser 
Hälften entfernt wurde, war der rechte oder der linke Hebelarm der im 
verschlossenen Glaskasten befindlichen Waage der Bestrahlung durch die 
gegenüber liegenden Objecte ausgesetzt. Bei den Versuchen bestanden 
diese Objecte einfach in der der Waage in einem Abstande von 3,5 Meter 
gegenüberstehenden Wand. Dieselbe ist beleuchtet durch den Reflex der 
dem Fenster des Waagezimmers gegenüberliegenden Gebäude, und sendet 
der Waage je nach der Bewölkung des Himmels mehr oder weniger 
Wärmestrahlen zu. Wurde nach dem Einspielen der Waage der ather- 
mane Schirm rechts entfernt, so wurde bespielsweise nach 20 Minuten 
eine Verschiebung von 2,8 Scalentheilen im Sinne einer Verlängerung 
des Balkens bemerkt. Wurde der Schirm wieder vergesetzt, so ver- 


161 


minderte sich der Auschlag, aber erst nach einer Stunde war das Ein- 
spielen wieder nahezu an der Ausgangsstelle eingetreten. Wurde endlich 
der athermane Schirm links entfernt, so war noch wieder nach 20 Mi- 
nuten eine Verschiebung und zwar in entgegengesetzter Richtung wie bei 
dem ersten Versuche und in beiläufig gleichem Betrage zu bemerken. 
Werden beide athermanen Schirme gleichzeitig entfernt, so bleibt das 
Einspielen der Waage selten ungeändert, ein Beweis, dass die Zustrahlung 
auf die beiden Hebelarme nicht vollkommen die gleiche ist. Man ent- 
geht aber sofort diesen Ungleichheiten im Ausschlage, wenn man durch 
Vorsetzen der athermanen Schirme gleiche Zustrahlung sichert. _ 

Ein besonderer Fall der Wirkung der Wärme ist noch ausdrücklich 
hervorzuheben. Es kann vorkommen, dass die Hebelarme rechts und 
links nicht absolut gleiche Verlängerung bei gleicher Temperaturerhöhung 
erfahren. Der Waagebalken ist durch Guss hergestellt, er wird mit der 
Feile bearbeitet, vielleicht auch mit dem Hammer gerichtet. Auf voll- 
kommen gleiche Molecularanordnung beider Hälften und auf vollkommen 
gleiche Spannung wird man also nicht rechnen dürfen. Eine Differenz 
in den Ausdehnungs-Ooefficienten der Hebelarme rechts und 'links wird 
hievon die Folge sein. Eine sehr kleine Differenz reicht aber hin, um 
mit geändeter Temperatur des Waagebalkens auch eine Aenderung im 
Ausschlage hervortretend zu machen. Folgende Versuche bestätigen dies, 
und geben zugleich Anhaltspunkte um die etwa vorhandene Verschieden- 
heit der Ausdehnungs-Coefficienten der beiden Hebelarme zu berechnen. 

Der Waagekasten war bei allen Versuchen unter einem zweiten mit 
Silberpapier überzogenen zweiten Kasten aufgestellt. Die Versuche wurden 
in frühen Tagesstunden ausgeführt, in welchen der Wechsel der Tem- 
peratur ausnehmend klein sich zeigte, meist 0,1° nicht erreichte. Die Wä- 
gungen wurden nach der Methode der Vertauschung der Gewichtsstücke 
“rechts und links vollzogen. Die Gewichtstücke waren Kilogramme aus 
Messing: galvanoplastisch mit Nickel überzogen. Sie waren vor der Ver- 
nickelung sorgfältig polirt, und wurden nach der Vernickelung mit dem 
Polirstahl geglättet. Unter den gewöhnlichen atmosphärischen Einflüssen 
zeigen sie sich nach bald einjähriger Dauer vollkommen ungeändert. In 
der folgenden Tabelle enthält die erste Kolumne die Temperaturen des 
Waagekastens, die zweite und dritte die Oerter der Gewichtsstücke sammt 


162 


Zulagegewichte in Grammen, und die vierte Kolumne die an der Scale 
abgelesene Zahl. Die Kilogrammstücke sind mit K, und K, bezeichnet. 


Temperatur Schale links Schale rechts Scale 


SR 10.0056 Ks 741,6 
K, + 0,003 K, 741,2 
As 010056 K, 739,0 
K, + 0,003 K, 737,0 
+ 0,6  K,-+ 0,0056 K, 734,2 
K, + 0,003 K, 735,2 
+66  K,-+0,0056 K, 743,1 
K, + 0,003 K, 741,7 


Da ein Zulagegewicht auf der Schale rechts von 0,1173 Milligramm’eine 
Erhöhung der Scalenzahl um eine Einheit bewirkt, so können die bei 
gleichen Temperaturen erhaltenen Scalenzahlen auf gleiche Einspielungs- 
stellen an der Scale umgerechnet werden. Man erhält: 


+52  K,-+0,0056 K, 741,6 
K,-+ 0,0029531 K, 741,6 
+35 . K,-1.0,0056 K, 739,0 
K, +0,0027654 K, 739,0 
— 06° K,-+ 0,0056 K; 734,2 
K,- 0,0028827 K, 734,2 
+ 6,6  K,-+ 0,0056 K, 743,1 
K,-+ 0,0028358 K, 743,1 


Diese vier, jeweils bei gleichen Temperaturen ausgeführten, Gewichts- 
vergleichungen von K, und K, geben nach der Reihe 

K,=K, + 0,0013234 

—K, + 0,0014173 

—=K, + 0,0013586 

—=K, + 0,0013821 

Mittel K,=K, + 0,0013703 
Die Abweichungen der Einzelnversuche vom Mittel betragen noch , 
nicht + 0,05 mg, und bezeichnen hiermit die mit der benützten Waage 
erreichbare Genauigkeit. Zugleich geben die angeführten Beobachtungen 
unzweideutig zu erkennen, dass bei gleicher Belastung aber geänderter 
Temperatur des Waagebalkens das Einspielen der Waage an verschiedenen 
Stellen der Scale erfolgt, und zwar bei der gebrauchten Waage in der 
Art verschieden, dass eine Temperaturerhöhung auch eine Erhöhung der 


163 


abgelesenen Scalenzahl zur Folge hat. Der Hebelarm rechts wird also 
bei gleicher Temperaturzunahme stärker ausgedehnt als der links. 

Die Differenz der Ausdehnungs-Coefficienten der beiden Hebelarme 
lässt sich, gestützt auf die Differenz im Ausschlag der Waage berechnen. 
Ich wähle hierzu die bei den weitest aus einander liegenden Temperaturen 
gemachten Beobachtungen. 

Das Einspielen der Waage erfolgte in der Temperatur — 0,6°C an 
der Scale bei 734,2, und bei ungeändeter Belastung aber in der Tem- 
peratur 6,6°C. bei 743,1. Eine Temperatur-Differenz von 7,2° hatte also 
eine Erhöhung von 8,9 Scalentheilen zum Erfolg. Hätte man bei — 0,6° ein 
Einspielen bei 743,1 erzielen wollen, so hätte man auf der rechten Seite 
ein Gewicht von 0,1173. 8,9=1,0439 Milligramm zulegen, oder das Zu- 
lagegewicht auf der linken Seite um den gleichen Betrag vermindern 
müssen. Berücksichtiget man zugleich, das K,=K,+0,0013703, so 
hat man: 

Temperatur Schale links Schale rechts Seale 
—0,6  K,-+0,0032091 K, 743,1 
+ 6,6 K, + 0,0042061 K, 743,1 

Diese beiden Beobachtungen reichen aus um die Differenz der Aus- 
dehnungs-Coefficienten @ und 9, desrechten und des linken Hebelarmes zu 
berechnen. Aus der ersten Beobachtung erhält man, wenn 1] und r die 
Längen der Hebelarme links und rechts bezeichnen: 

1 (K, + 0,0032091)=r K,, 
und aus der zweiten folgt 
1 (148.72) (K, +0,0042061)=r (1+a.7,2) K,. 

Durch Division der ersten durch die zweite Gleichung fallen lundr 

heraus, und man erhält unter Berücksichtigung dass K,=1000: 
« — 8 = 0,000000138. 

Nach Messungen von Lavoisier und Laplace ist der Ausdehnungs- 
Coefficient gegossenen Messings 0,000018667, und der gehämmerten 
Messings 0,000018897. Der Unterschied ist 0,00000023, also beträcht- 
lich grösser als der für beide Hebelarme erhaltene. Die Ungleichheiten 
in den Molecularspannungen, die durch ungleich rasche Abkühlung nach 
dem Gusse und durch Bearbeitung eingetreten sind, erzeugten bei der 
geprüften Waage nur eine beiläufig halb so grosse Differenz der Aus- 

Abh.d. II. Cl.d. k. Ak.d. Wiss XIII. Bd. I. Abth. 92 


164 


dehnunungs-Coefficienten, als dieser zwischen gegossenem und gehäm- 
mertem Messing auftritt. 

Es war vorauszusehen, dass jede Waage individuell andere Werthe 
für die Differenz «—/ zeigen werde. So fand ich mit einer andern 
Waage, mit derselben, mit welcher ich die später zu erwähnenden Unter- 
suchungen ausführte, 

Temperatur Schale links Schale rechts Scale 


5,0 K, K, + 0,003 260,1 
K, K, + 0,005 256,0 

10,6 K, K,-+ 0,003 253,9 
K, K, + 0,005 250,6 

11,0 Re 00 252.2 
K, K, + 0,005 248,0 

13,5 IK K,-+0,008 249,3 


K, K, -+ 0,005 245,0 

Die Prüfung auf Empfindlichkeit der Waage ergab, dass ein Zulage- 
gewicht von 0,182 mg. in der Schale rechts eine Erhöhung um einen 
Scalentheil im Ausschlag der Waage zur Folge hat. Für gleiche Tem- 
peratur und gleichen Ausschlag nach vertauschten Gewichten erhält 


man dennoch: 


5,0 K, K, + 0,003 260,1 
K, K, + 0,0057462 260,1 

10,6 K, K, + 0,003 263,9 
K K, + 0,0056006 263,9 

11,0 K, K, + 0,003 252,2 
K, K, + 0,0057644 252,2 

13,5 K, K, + 0,003 249,3 
K, K, + 0,0057826 249,3 


Diese vier Gewichtsvergleichungen ergeben nach der Reihe: 
K,=K, + 0,0013731 
—R, + 0,0013003 
—K, + 0,0013822 
=K, + 0,0013913 
Mittel K,=K, + 0,0013617 
Die Differenz im Einspielen bei 5° und bei 13,5° beträgt 10,8 
Scalentheile. Da eine Erhöhung von einem Scalentheil ein Zulagege- 
wicht rechts von 0,182 mg. erfordert, so ist, wenn bei der Temperatur 
13,5 des Einspielen an der Scale bei 260,1 erfolgen soll, eine Zulage 


[4 Li 
(6 EN; 


165 


von 0,182. 10,3=1,7656 Milligramm erforderlich. Berücksichtigt man 
zugleich, dass K,=K,+ 0,0013617, so hat man 
Temperatur Schale links Schale rechts Scale 
5,0 K, K, +0,0043617 260,1 
13,5 K, K, —+0,0063273 260,1. 
Man findet hiernach 
a«—3 = —0,000000231. 
Der Ausdehnungs-Coefficient des linken Hebelarmes ist also bei der Waage 
Nr. 2 grösser als der des rechten. 

Hat man für eine Waage den Werth an «—/ bestimmt und ebenso 
das Zulagewicht, welches bei einer Belastung von 1 Kilogramm eine 
Aenderung im Ausschlage von einem Scalentheil bewirkt, so können auch 
Wägungen, die in verschiedenen Temperaturen ausgeführt sind, in Ver- 


gleich gebracht werden. Für die Waage Nr. 1 ist für eine Temperatur- 
Aenderung von je 1° eine Aenderung im Ausschlage von A =118, 
=1,27 Scalentheilen in Rechnung zu 


bringen. Es wird indess immer vorzuziehen sein die Gewichtsver- 
gleichungen, sei dies unter Anwendung der Methode vertauschter Ge- 
wichte oder der mit Tara, bei möglichst ungeändeter Temperatur des 
Waagebalkens auszuführen. Der Werth von «—/ ist eben eine gemes- 
sene Grösse, die also ihrerseits schon mit einem unvermeidlichen Fehler 


behaftet ist. 

Die nur äusserst geringe Aenderung, welche in den Längen der 
Hebelarme mit der Temperaturzunahme eintritt, ist der Grund aus 
welchem der, eben hiervon abhängende, veränderte Ausschlag der Waage 
nur bei grösserer Belastung messbar hervortritt. In der That wächst 
bei der Waage Nr. 1 mit einer Temperaturzunahme von 1° das sta- 
tische Moment auf der rechten Seite um 0,000000138 K, entspricht 
also für K=1000 Gramm eine Gewichtszulage von 0,138 Milligramm, 
und ändert den Ausschlag um 1,18 Scalentheile. Ein Gewicht von nur 
10 Gramm würde bei der gleichen Temperaturerhöhung des Balkens den 
Ausschlag nur um 0,018 Scalentheile, also um eine selbst mit dem 
Ablesefernrohr nicht mehr erkennbare Grösse ändern. 


Die Ausführung exacter Messungen ist unvermeidlich mit Schwierig- 
22 


und für die Waage Nr. 2 von 


166 


keiten und mit nicht unbeträchtlichem Zeitaufwand verbunden. Kennt 
man aber die Bedingungen, unter welchen erst exacte Resultate gesichert 
erscheinen, so kann durch methodisch geordnete Beobachtungen rascher 
das Ziel erreicht werden. Gewichtsvergleichungen grösserer Gewichts- 
stücke erfordern eine Fernhaltung aller Temperaturstörungen. Ein zweiter 
Kasten mit athermanen Wandungen und mit keiner grösseren, als zum 
Anblick des Spiegels erforderlichen, Oeffnung sichert die gleichförmige 
Zustrahlung, und in frühen Morgenstunden zeigt sich die Temperatur in 
einem nach Norden gelegenen Waagezimmer ausreichend constant. Die 
Beobachtungenszeiten auf diese Stunden verlegt führen rasch zu ver- 
gleichbaren Resultaten. Die Auslösung der Waage lässt sich leicht in 
der Art vollziehen, dass der Schwingungsbogen kaum 20 Scalentheile 
umfasst; nach einer halben Stunde ist er auf 2 bis 3 Scalentheile ver- 
mindert. Zwei Ablesungen reichen dann aus den Ausschlag zu bestimmen. 

Die Gewichtsvergleichungen zweier mit Nickel überzogener Kilogramm- 
stücke, welche mit den Waagen Nr. 1 und Nr. 2 ausgeführt wurden, 
liegen der Zeit nach um 4 Monate auseinander. Die erhaltenen Resultate 
weichen nur um 0,0086 Millisramm von einander ab, und kennzeichnen 
damit einerseits die Leistungsfähigkeit der Waage und andererseits die 
Unveränderlichkeit der Nickelüberzüge. Man müsste denn lieber an- 
nehmen wollen, dass die Aenderungen beider Stücke in 4 Monaten sich 
in absolut gleicher Weise vollzogen hätten. 

Gewichtsvergleichungen zweier Gewichtsstücke verschiedenen Materials, 
wie etwa aus Berekrystall und aus Platin, können micht mit gleicher 
Genauigkeit, wie jene der Gewichtsstücke gleichen Materiales ausgeführt 
werden. Es liegt dies nicht daran, dass die Erfahrungs-Constanten, die 
zur Berechnung der Luftgewichte zur Anwendung kommen, nicht mit 
genügender Genauigkeit bekannt wären, sondern in der nicht erreich- 
baren Gleichheit der Temperaturen der Gewichtsstücke. Die ungleiche 
Wärmecapacität bringt es mit sich, dass in einem Raume wechselnder 
Temperaturen, wie solche im Verlaufe von 24 Stunden eintreten, die Ge- 
wichtsstücke ungleichen Gang in den Temperaturen einhalten. Man kann 
sich aber leicht überzeugen, dass ein in Luft eingetauchter Körper, auch 
wenn seine Temperatur nur um Bruchtheile eines Grades die des umge- 
bunden Mediums übertrifft oder dagegen zurückbleibt, scheinbar leichter 


167 


oder schwerer wird. Es wäre erst besonders zu untersuchen, welchen 
Antheil dabei sich geltend machende Lufströmungen oder die an der 
Oberfläche absorbirten Luftgewichte an der Erscheinung haben. Einige 
in dieser Richtung ausgeführten Versuche machen es wahrscheinlich, 
dass lediglich Luftströmungen, an wärmeren Körper nach aufwärts, am 
kälteren nach abwärts, die Ursache der Anomalien sind. Wie sich dies 
immer verhalten mag, sicher ist, dass Gewichtsvergleichungen von Ge- 
wichtsstücken ungleichen Materiales erst durch Wägungen im luftleeren 
Raume mit grösserer Exactheit sich vollziehen lassen. 


Nachdem Aenderungen im Drucke eines Kilogramms, welche den 
zehnmillionten Theil des Gewichtsstückes betragen, messbar sind, liegt es 
nahe Probleme aufzusuchen, in welchen solche kleine Druckdifferenzen 
in Frage kommen. 

Zunächst bietet die Wirkung der Schwere der Erde soche Fälle. 
Die Beschleunigung durch die Schwere nimmt nach dem Gravitations- 
gesetze mit dem Quadrat der Entfernung vom Erdmittelpunkte ab, in 
gleichem Verhältnisse nimmt also auch der Druck eines Körpers auf die 
Unterlage ab. Ein Körper vom Gewichte Q, in der Entfernung r vom 
Erdmittelpunkte hat in der Entfernung r+h nur noch ein Gewicht 

r? 
N. G-Eh® 


h eine Höhe von nur wenigen Metern, so können die höheren Potenzen von 


Ist r der Radius der Erde an der Meeresoberfläche und 


" vernachlässiget werden, und man hat daher Q,=(, 2, Für h=5 m. 
würde, der mittlere Erdhalbmesser gleich 6366189 m gesetzt, die Ge- 
wichtsabnahme eines Kilogrammes sich schon zu 1,57 Milligramm be- 
rechnen. 


Die experimentelle Bestimmung von ı unterliegt keiner Schwierig- 


keit. Die Waage Nr. 2, dieselbe welche bei einem Uebergewicht von 
0,182 mg. eine Zunahme des Ausschlages von einem Scalentheil zeigte, wurde 
in einer Höhe von 5,5 Meter über dem Fussboden des Labaratoriums 
auf einem an der Wand befestigtem Tische aufgestellt. Der Boden des 
Waagekastens war durchbohrt und an Hacken der Schalen waren Drähte 


168 


aufgehangen, die an ihren unteren Enden Waagschaalen trugen. An 
jedem Hebelarm bestand also das Gehänge aus zwei Waagschalen einer 
oberen und einer unteren. Der Abstand beider Schalen betrug 5,29 Meter- 
Die herabhängenden Drähte waren gegen Bewegung durch Luftzug durch 
hölzerne Kanäle geschützt, die in verschliessbaren Kasten zur Aufnahme 
der unteren Waagschalen endeten. 

Die Gewichtsvergleichungen wurden in der Art ausgeführt, dass 
zunächst die Kilogrammstücke in den oberen Schalen sich befanden, und 
dass in einem zweiten Versuche das eine Kilogrammstück in einer der 
oberen, das andere in einer der unteren Schalen aufgelegt wurde. Die 
Methode der Wägung war die der Vertauschung der Gewichtsstücke rechts 
und links. Nach einer jeden Wägung, in welcher ein Gewichtsstück sich 
oben das andere sich unten befand, wurden beide Gewichtsstücke in den 
oberen Schalen aufgelegt und verglichen, um in dieser Weise etwaige 
Aenderungen, welche die Kilogrammstücke durch atmosphärische Ein- 
flüsse erfahren haben könnten, zur Wahrnehmung zu bringen. Die Ver- 
suche wurden zehnmal wiederholt, und ebenso viele Gewichtsver- 
gleichungen der Gewichtsstücke bei gleicher Entfernung vom Erdmittel- 
punkte wurden in der bezeichneten Ordnung ausgeführt. Die Messungen 
und Beobachtungen wurden sämmtlich in frühen Morgenstunden voll- 
zogen, weil nur auf diese Weise eine genügende Unveränderlichkeit der 
Temperatur gesichert erschien. Die Gewichtsverluste der Gewichtsstücke 
in den oberen und unteren Schalen sind um so unerlässlicher in Rech- 
nung zu ziehen, als die Temperaturen unten und oben, auch in nicht ge- 
heizten Zimmern, nicht unbedeutend von einander abweichen. Thermo- 
meter im oberen Waagekasten uud im Kasten, der die unteren Schalen 
einschloss, dienten zur Ablesung der Temperatur. Beide Thermometer 
waren vorausgehend nach dem Gange eines Luftthermometers abgeeicht, 
und waren in Zehntel Grade getheilt. Die Resultate der Beobachtungen 
sind in folgenden Tabellen niedergelegt. 


Erste Versuchsreihe. 


I. Beide Kilogrammstücke K, und K, in den oberen Schalen. 
Schale links Schale rechts Scale 
K, K, + 0,003 255,1 
K, K,-+0,006 251,1 


169 


Unter Berücksichtigung, dass ein Zulagegewicht von 0,182 mg. in 
der Schale rechts den Ausschlag um einen Scalentheil erhöhet, erhält man: 
K, =K, + 0,0013640. 

IH. K, unten, K, oben. 


Schale links Schale rechts Thermometer Barometer Seale 


unten oben unten oben 
K, K, + 0,005 9,6 10,5 721,9 721,45 253,9 
Kr K, + 0,003 9,6 110,87 721597721,45 251,0 


Man erhält hiernach; 

K,=K, -0,0007361. 

Die Differenz der Gewichtsverluste von K, und K, berechnet sich, 
unter Zugrundelegung des specifischen Gewichts des Messings zu 8,4 in 
bekannter Weise zu 0,0006864. Die Hygrometerstände waren notirt, ihr 
Einfluss auf die Differenz der Gewichtsverluste macht sich aber erst in 
den Tausendeln der Milligramme geltend, und wurde daher in dieser wie 
in allen folgenden Berechnungen ausser Acht gelassen. 

Da die Gewichtszunahme von K, in leeren Raume um 0,0006864 
grösser ist als die von K,, so hat man in leeren Raume 

K, = K,— 0,0000497. 
Die Differenz der Drucke von K, unten und K, oben ist demnach 
— 0,0000497 + 0,0013640 = 0,0013153. 


Zweite Versuchsreihe. 


I K, und K, oben. 
Schale links Schale rechts Scale 
K, K, + 0,003 251,9 
RE, K, + 0,005 248,0 
Man erhält hiernach 
K, =K, + 0,0013549. 
II. K, unten, K, oben. 
Schale links Schale rechts Thermometer Barometer Scale 


unten oben unten oben 
K, K,-+ 0,003 9,5 10,8 721,9 721,45 250,2 
K, K, + 0,005 9,5 10,8 721,9 721,45 252,5 


Man erhält hienach: 
K, = K,— 0,0006992. 


Die Differenz der Gewichtsverluste von K, unten und K, oben ist 


170 
Da K, im leeren Raume um den gleichen Betrag mehr 


0,0007371. 
zunimmt als K,, so hat man im leeren Raume 
K,=K,— 0,0000379. 
Der Unterschied der Gewichte von K, unten und K, oben ist daher: 


— 0,0000379 + 0,0013549 = 0,0013928. 


Dritte Versuchsreihe. 


I. K, und K, oben. 
Schale links Schale rechts Scale 
K K, + 0,003 249,3 
K, K,+0,005 245,0 
Man erhält hiernach 
K,=K,-+ 0,0013913. 
II. K, unten, K, oben. 
Schale reehts Thermometer Barometer Scale 
oben unten oben 


Schale links 


K, K,-+ 0,003 
K K,-+ 0,005 


2 


Man erhält hiernach: 
er — K,— 0,0004265. 
Die Differenz der Gewichtsverluste von K, unten und K, oben ist 


unten 
13,2 716,32 715,37 246,1 


12,4 
12,4 13,2 716,32 715,87 252,4 


0,00048195. Im leeren Raume ist demnach: 
K, = K,-+ 0,0000552. 
Der Unterschied der Gewichte von K, unten und K, oben ist daher 


+ 0,0000552 + 0,0013913 = 0,0014465. 


Vierte Versuchsreihe. 


I. K, und K, oben. 
Schale links Schale rechts Scale 
K, K,+0,008 255,1 
251,3 


K, K,-+ 0,005 


Man erhält hiernach 
K,=K,-+ 0,0013457. 
II. K, unten, K, oben. 
Schale links Schale rechts Thermometer Barometer Scale 
unten oben unten oben 
18 K,+ 0,003 11,3 12,1 723,38 722,73 245,5 
x K,-+ 0,005 11,3 12,1 723,38 722,73 252,8 


Man erhält hiernach: 
K, = K,— 0,0003357. 


171 


Die Differenz der Gewichtsverluste von K, unten und K, oben be- 
rechnet sich zu 0,0005204. Im leeren Raume ist demnach: 
K,=K,-+0,0001847. 
Der Unterschied der Gewichte von K, unten und K, oben. ist daher: 
0,0001847 — 0,0013457 = 0,0015304 


Fünfte Versuchsreihe. 
I. K, und K, oben, 
Schale links Schale rechts Scale 
K, K,+0,008 254,3 


K, K,+ 0,005 250,1 
Man erhält hiernach: 


K,=K,-+ 0,0013822. 
U. K, unten, K, oben. 


Schale links Schale rechts Thermometer Barometer Scale 


unten oben unten oben 
RK K,-+ 0,003 6,8 86 724,6 724,15 253,1 
K, K,-+ 0,005 6,8 8,6 724,6 724,15 254,2 


Man erhält hiernach: 
K, = K,-— 0,0008998. 
Die Differenz der Gewichtsverluste berechnet sich zu 0,0012008. Im 
leeren Raume ist demnach: 
K, = K,+0.0003010. 
Der Unterschied der Gewichte von K, unten und K, oben ist daher 
0.0003010 + 0,0013822 = 0,0016832. 


Sechste Versuchsreihe. 


I. K, und K, oben. 


Schale links Schale rechts Scale 

K K,-+ 0,003 252,2 

K, K,- 0,005 248,2 

Man erhält hiernach: 
K, = K,+ 0,0013640. 
I. K, oben, K, unten. 
Schale links Schale rechts Thermometer Barometer Scale 
unten oben unten oben 

K, K,-+ 0,003 Teer Sl m29;4 124,95 257,3 


K, K,-- 0,005 7,3 94 725,4 724,95 246 4 
Abh.d. II. Cl.d.k. Ak. d. Wiss. XIlI. Bd. I. Abth. 23 


172 


Man erhält hiernach: 
K,=K, + 0,0020102. 
Die Differenz der Gewichtsverluste berechnet sich zu 0,0008971. Im 
leeren Raume ist demnach: 
K,= K,-+0,0029073. 
Der Unterschied der Gewichte von K, unten und K, oben ist daher: 
0,0029073 — 0,0013640 = 0,0015433. 


Siebente Versuchsreihe. 


I. K, und K, oben. 


Schale links Schale rechts Scale 
K K,+ 0,003 251,2 
K, K,-+ 0,005 248,9 
Man erhält hiernach: 
K,= K,-+0,0012730. 
II. K, oben, K, unten. 


Schale links Schale rechts Thermometer Barometer Scale 


unten oben unten oben 
K, K,+ 0,003 a ee ee Al 
Ks K,+ 0,005 1 DEHERAN DEAN 


Man erhält hiernach 
K,= K,-+-0,0020010. 
Die Differenz der Gewichtsverluste berechnet sich zu 0,0007776. Im 
leeren Raume ist demnach: 
K,=K,+ 0,0027786. 
Die Differenz der Gewichte von K, unten und K, oben ist daher 
0,0027786 — 0,001273 = 0,0015056. 


Achte Versuchsreihe. 


I. K, und K, oben. 
Schale links Schale rechts Scale 


K, K,-+ 0,008 252,0 
K, K,+0,005 247,6 
Man erhält hiernach: 
K,-+ K,-+ 0,0014004. 


I. K, oben, K, unten. 


Schale links Schale rechts Thermometer Barometer Scale 


unten oben unten oben 
K, K,-+ 0,003 82 96 7245 724,05 259,2 
Rs K,-+ 0,005 8,2 9,6 724,5 724,05 248,0 


173 


Man erhält hiernach: 
K,=K, + 0,0020192. 
Die Differenz der Gewichtsverluste berechnet sich zu 0,0007952. Im 


leeren Raume ist demnach 
K,=K,-0,0028150. 
Die Differenz der Gewichte von K, unten und K, oben ist daher: 
0,0028150 — 0,0014004 = 0,0014146. 


Neunte Versuchsreihe. 


I. K, und K, oben. 
Schale links Schale rechts Scale 
K, K,+ 0,008 252,0 
K, K,+ 0,005 248,2 
Man erhält hiernach: 
K,= K,-+0,0013458. 
Barometer Scale 


II. K, oben, K, unten. 

Schale rechts Thermometer 
unten oben unten oben 
706,3 705,85 257,9 


Schale links 
KR, 0.008,17 807 10,0 
706,3 705,85 248,0 


K, 
Ks K,+ 0,005 10,0 
Man erhält hiernach: 
K,=K,-+ 0,0019009. 
Die Differenz der Gewichtsverluste berechnet sich zu 0,0010449. Im 


8,0 


leeren Raume ist demnach: 
K,—=K,-+ 0,0029458. 
Die Differenz der Gewichte von K, unten und K, oben ist daher: 
0,0029458 — 0,0013458 = 0,0016000. 


Zehnte Versuchsreihe. 


I. K, und K, oben. 

Schale links Schale rechts Scale 
K,+0,008 254,2 
250,7 


K, 
K, K,-+ 0,005 


Man erhält hiernach: 
K,=K, + 0,0013185. 
Barometer 


H. K, oben, K, unten. 

Schale rechts Thermometer 
unten oben unten oben 
10,9 705,0 704,55 256,0 


Schale links 
K,-+0,003 8,7 
K,+0,005 8,7 10,9 705,0 704,55 247,7 
233* 


Scale 


K, 
K, 


174 


Man erhält hiernach: 
K,=K,+0,0018463. 
Die Differenz der Gewichtsverluste berechnet sich zu 0,0011400. Im 
leeren Raume ist demnach: 
K,=K,- 0,0029863. 
Die Differenz der Gewichte K, unten und K, oben ist daher: 
0,0029863 —0,0013185 = 0,0016678. 


Die zehn Gewichtsvergleichungen der Gewichtsstücke in gleichem 
Abstande vom Erdmittelpunkte ergaben nach der Reihe 

K,= K,- 0,0013640 

= K, + 0,0013549 

=K, + 0,0013913 

— K,+0,0013457 

— K,+ 0,0013822 

— K, + 0.0013640 

= K, + 0,0012730 

—K,+ 0,0014004 

= K,+ 0,0013458 

=K, + 0,0013185 

Mittel K,=K, + 0,0013539 


Die grösste Abweichung der einzelnen Versuche vom Mittel beträgt 
nur 0,08 Milligramm, und spricht dafür dass überhaupt die erhaltenen 
Abweichungen nur den unvermeidlichen Fehlern, nicht aber der Verän- 
derlichkeit der Gewichtsstücke zuzuschreiben sind. 

Die Gewichtsabnahmen, welche nach einer Zunahme der Entfernung 
von 5,29 Meter vom Erdmittelpunkte eintreten, zeigen nicht die gleiche 
Uebereinstimmung. In Milligrammen ausgedrückt ergab sich für diese 
Gewichtsabnahmen nach der Reihe: 

1,3153 
1,3928 
1,4465 
1,5304 
1,6822 
1,5433 
1,5056 
1,4146 
1,6000 
1,6675 
Mittel 1,5099 


175 


Die Abweichungen treten hier schon in den Zehntel der Milligramme 
auf. Da sie nicht auf eine Veränderlichkeit der Gewichtsstücke zurück- 
zuführen sind, so liegt der Grund wohl ohne Zweifel nur darin, dass 
Gewichtsvergleichungen von Gewichtsstücken, die in Luft ungleicher 
Temperatur und ungleichen Druckes aufgehangen sind, mit grösseren 
unvermeidlichen Beobachtungsfehlern sich behaftet zeigen. In der That 
macht auch ein Fehler von 0,2°C. in der Temperatur Differenz der 
unteren und oberen Station sich schon in den Zehnteln der Millisramme 
geltend. 
Nachdem die Versuche ergaben, dass am Ort München ein Gewichts- 
stück Q, von einem Kilogramm, von einer unteren Station in eine um 
5,29 m höhere Station gebracht, um 1,5099 Milligramm abnimmt, so hat man 

Q, __ 1000000 — 1,5099 
Q, 1000000 

Nach dem Gravitationsgesetze ist: 

Q ES 2.5,29 a 1000000 — 1,662 
Q, 6366189 1000000 


Man hätte also eine Abnahme von 1,662 mg. erwarten sollen. Der 
Unterschied ist allerdings klein und beträgt nur 0,152 mg., auch ist auf 
die Fehlerquellen, die in der Reduction der Gewichte auf den leeren 
Raum auftreten, aufmerhsam gemacht. Immerhin ist aber der Unter- 
schied grösser, als man bei einer so ausgedehnten Versuchsreihe hätte 
erwarten sollen. Man könnte daher die Frage aufwerfen, ob die Art der 
Ausführung des Versuches auch vollkommen im Einklange stehet mit 
der unter Anwendung des Gravitationsgesetzes gemachten Veraussetzung. 
Das physikalische Institut liegt in einem der tieferen Stadttheile, ist 
massiv gebaut, und ist von massiven Gebäuden umgeben, oder den- 
selben naheliegend, während in der Rechnung vorausgesetzt ist, dass 
keine störenden Ursachen einwirken. Versuche in einem isolirt stehenden 
Thurm würde durch die Lage selbst und würden dadurch, dass grössere 
Abstände der Waagschalen in Anwendung gebracht werden könnten, viel- 
leicht auch durch mindere Veränderlichkeit der Temperaturen der unteren 
und oberen Stationen, exactere Resultate liefern. Ich werde nicht ver- 
säumen eine sich mir eben bietende Gelegenheit zur Wiederholung der 


Versuche zu benützen. 
Abh. d. II. Cl. d. k. Ak, d. Wiss. XIII. Bd. I. Abth, 24 


Günstige äussere Verhältnisse würden auch erlauben einen Versuch 
der Wägung der Erde auszuführen, d. h. zu bestimmen wie viel mal. 
mehr materielle Punkte die Erde besitzt als ein Körper bekannter Grösse 
und bekannter Dichtigkeit. Bei gleicher Aufstellung der Waage und bei 
den eben erwähnten Versuchen würde eine unter der unteren Waagschale 
aufgestellte, aus Bleibarren gebildete Kugel eine entsprechende Ver- 
mehrung des Zuges, also Erhöhung des Gewichtes erzeugen. Unter zu 
Grundelegung der für die mittlere Dichtigkeit der Erde aufgefundenen 
Zahl lässt sich der Halbmesser einer Bleikugel bestimmen, welche eine 
Gewichtszunahme eines Kilogrammstückes von 1 Miligramm bewirken 
könnte. Es ist mir einige Aussicht zur Ausführung des Versuches ge- 
geben, der dann rückwärts auf einem neuen Wege zur Bestimmung der 
mittleren Dichtigkeit der Erde benützt werden könnte. 


| 

| 

| 

| 

| 

‚ Studien über fossile Spongien. Erste Abtheilung. I. Hexactinellidae. Von Karl, 8 
| Alfred Zittel = u 0 el a 2 Ve 2 a 


& 


ars Studien über fossile Spongien. Zweite Abtheilung. II. Lithistidae. Mit zehn 
lithographirten Tafeln.. Von: Karl Alfred Zitiel „22 us. 


Die Anwendung der Waage auf Probleme der Gravitation. Von Ph. von Jolly 12 


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DREIZEHNTEN BANDES 1 


ZWEITE ABTHEILUNG 
IN DER REIHE DER DENKSCHRIFTEN DER XLVIII. BAND, 


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MÜNCHEN, | 
1879. | 
VERLAG DER K. AKADEMIE, | 
IN COMMISSION BEI G. FRANZ. 
— 


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Akademische nn ._ rei von F, Straub. RE: 


ABHANDLUNGEN 
DER 
MATHEMATISCH-PHYSIKALISCHEN CLASSE 


DER KÖNIGLICH BAYERISCHEN 


AKADEMIE oex WISSENSCHAFTEN. 


DREIZEHNTEN BANDES 


ZWEITE ABTHEILUNG& 
IN DER REIHE DER DENKSCHRIFTEN DER XLVII. BAND. 


MÜNCHEN, 
1879. 
VERLAG DER K. AKADEMIE, 
IN COMMISSION BEI G. FRANZ. 


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Inhalt. 


Studien über fossile Spongien. Dritte Abtheilung. Monactinellidae, Tetrac- 
tinellidae und Caleispongiae. Von Karl Alfred Zittel 


Die Veränderlichkeit in der Zusammensetzung der atmosphärischen Luft. Von 
Ph. v. Jolly . 


Theorie der Gärung. Von O©. v. Nägeli . 


Vergleichend anatomische Untersuchungen über die äusseren weiblichen Ge- 
schlechts- und Begattungsorgane des Menschen und der Affen, insbesondere 
der Anthropoiden. Von Dr. Th. L. W. von Bischoff. Mit sechs Tafeln 
Abbildungen 


Seite 


49 


75 


207 


a Bar Bis 


Studien 


über 


fossile Spongien. 


Dritte Abtheilung: 


Monactinellidae, Tetractinellidae und Calcispongiae. 


Von 


Karl Alfred Zittel, 


ordentl. Mitglied der k. bayer. Akademie der Wissenschaften. 


Abh.d. II. Cl.d.k. Ak.d. Wiss. XIII. Bd. I. Abth. 1 


Studien über fossile Spongien. 


III. Monactinellidae. Zit. 


In meiner Abhandlung „Zur Stammesgeschichte der Spongien“ !) habe ich, haupt- 
sächlich gestützt auf die von O. Schmidt (Atlant. Spong. S. 83) vorgeschlagene 
Gruppirung, folgende Ordnungen der Spongien angenommen: 1) Myxospongiae Haeck. 
2) Ceraospongiae Bronn. 3) Monactinellidae Zitt. 4) Tetractinellidae Marsh. 5) Li- 
thistidae O. Schmidt 6) Hexactinellidae 0. Schmidt 7) Caleispongiae Blainv. 

Zu den Monactinelliden rechne ich sämmtliche Spongien, deren Skelet aus ein- 
axigen Kieselnadeln besteht. Es gehören’ somit hieher O. Schmidt’s Familien 
der Chalineae, Renierinae, Suberitidinae, Desmacidinae und Chalinopsinidae. 

Von den zahlreichen einaxigen Kieselnadeln, welche Ehrenberg aus tertiären 
oder eretacischen Ablagerungen in der Mikrogeologie abgebildet und benannt hat, 
dürften wohl viele von Monactinelliden herrühren, aber nur selten besitzen diese 
Spongolithen eine so charakteristische Gestalt, dass sie isolirt noch mit Sicherheit 
bestimmt werden könnten. 

Zu den wenigen einaxigen Kieselgebilden von unverkennbarem Habitus gehören 
die von mir ?) unter dem Namen Esperites Carteri aus der oberen Kreide von Vor- 
dorf abgebildeten Klammern und Grabscheite, die ganz übereinstimmend auch bei le- 
benden Esperien vorkommen. 

Zu den Renierinen rechnet Carter ?) einen kissenförmigen, kreisrunden, schei- 
benartig zusammengedrückten, aus ziemlich grossen Stabnadeln bestehenden Schwamm 
(Pulvillus) aus dem Kohlenkalk von Schottland. 


1) Festgabe der philosophischen Facultät zum 50 jährigen Doctorjubiläum des Professor von 
Siebold. München 1878. 
2) Ueber Coeloptychium. Diese Denkschriften Bd. XII Taf. IV. Fig. 27—29. 
3) Annals and Magaz. nat. hist. 1878. 5 Ser. vol. I. S. 137. 
1* 


4 (94) 


Eine zweite krustenartig anf Hydractinien sitzende Gattung (kaphidhistia 
ib. S. 140) aus derselben Formation besteht aus wellig gebogenen Stabnadeln und 
schliesst sich nach Carter am besten an die lebende Gattung Hymeraphia an, welche 
nach der Schmidt’schen Eintheilung zu den Chalinopsiniden zu rechnen wäre. 

Den günstigsten Erhaltungszustand unter den fossilen Monactinelliden zeigen 
gewisse Suberitiden, von denen zuweilen noch zusammenhängende Skelete vorkommen. 
Ich kenne von diesen drei fossile Gattungen. 


Opetionella. Zitt. Taf. XI. Fig. 1. 
(orentıov Ahle). 


Schw. knollig oder rindenförmig, von unregelmässiger Gestalt; Oscula, Poren oder Canal- 
system nicht erhalten. Skelet aus einer ec. 12mm. dicken Schicht bestehend, die aus dicht 
aneinander gedrängten, parallellen Stabnadeln zusammengesetzt ist. Letztere sind 5—10 mm. 
lang, ahlenförmig, an beiden Enden scharf zugespitzt, in der Mitte am stärksten. 

Eine besondere Rindenschicht mit kleineren Stabnadeln, sternförmigen oder kugeligen 
Körpern habe ich an den vorliegenden Stücken nicht beobachtet; möglicherweise sind sie 
weggeschwemmt, möglicherweise waren sie überhaupt nicht vorhanden. Trotz dieses Mangels 
stelle ich die Gattung Opetionella in die Nähe von Donatia (Tethya) lyncurium Nardo, 
da die Nadeln beider Genera nicht nur die gleiche Form, sondern auch die gleiche An- 
ordnung erkennen lassen. Noch enger dürfte sich Carter’s Trachya (Ann. Mag. nat. 
hist. 1870. vol. VI. S. 178. pl. XIII. Fig. 11—16) anschliessen. Bei dieser Suberiten- 
Gattung besteht der ganze Schwammkörper gleichfalls nur aus Stabnadeln von zweierlei 
Grösse und Form, auch fehlt eine Rindenschicht. Von Opetionella unterscheidet sich Tra- 


chya lediglich durch Anwesenheit der kleineren Stabnadeln in der Aussenschicht, sowie , 


durch die Anordnung der grösseren Skeletnadeln um mehrere Kerne. 


Als typische Art der Gattung Öpetionella betrachte ich: Opetionella radians. Zitt. 


Taf. XI. Fig. 1 aus dem Cuvieri Pläner des Windmühlenberg bei Salzgitter. Eine grosse 
Anzahl Bruchstücke einer zweiten kleineren, plattigen, ganz unregelmässig gestalteten Art 
(Op. Jurassica Zitt.), bei welcher die Nadeln immer in Brauneisenstein umgewandelt sind, 
wurden mir von Herrn Inspektor Klemm aus den Impressakalken von Geislingen in 
Würtemberg mitgetheilt. 

Denselben Erhaltungszustand zeigen auch einige trichterförmige, vollständig aus zwei- 
spitzigen Stabnadeln bestehende Körper von der gleichen Localität, die in ihrem Aeussern 
eine gewisse Aehnlichkeit mit Sporadopyle obliqua besitzen. Ich stelle dieselben vorläufig 
zu Opetionella und nenne sie ihrem Entdecker zu Ehren Op. Klemmi. 


SColioraphus..Zits Tat. XII Wie. ja b.29. 


Schw. massiv, knollig oder krustenförmig, sehr unregelmässig; zuweilen löcherig 
und aus mäandrisch verschlungenen Blättern zusammengesetzt; Oberfläche wellig oder mit 
warzigen, durch gebogene und anastomosirende Thäler geschiedenen Erhöhungen. 


(95) 5 


Die ganze Masse des Schwammkörpers besteht aus wellig gekrümmten, einfachen, 
eylindrischen, an den Enden stumpfen, und ihrer ganzen Länge nach durch kragenförmige 
Anschwellungen knorrigen Nadeln, welchen sich in geringer Menge noch einfache Stab- 
nadeln beimischen, die an einem Ende spitz zulaufen, am andern etwas verdickt sind. Bei 
beiden Nadelformen lassen sich die ziemlich weiten, durchlaufenden und an der Spitze frei 
zu Tage tretenden Axencanäle sehr schön beobachten. Oscula oder Wassercanäle sind an 
den fossilen Skeleten nicht erhalten. 

Von dieser bemerkenswerthen Gattung kenne ich zwei Arten aus der oberen Kreide 
Norddeutschlands. Unter den lebenden Suberitiden existirt keine Form mit wurmförmig 
gekrümmten und knorrigen Nadeln. Ich habe sehr ähnliche Spiculae bei einer noch un- 
beschriebenen lebenden Lithistidenform aus der Gattung Corallistes gefunden, aus- 
serdem bildet Bowerbank (Monogr. Brit. Spong. I pl. I Fig. 14.) eine aus dem At- 
lantischen Ocean und zwar aus der Tiefe von 2070 Faden stammende (nodulated-cylin- 
drico-vermiceulated) Nadel ab, die sich nur durch schlankere Gestalt von denen unserer 
fossilen Gattung unterscheidet. Der Schwamm, von welchem die erwähnte Nadel Bower- 
bank’s herrührt, scheint bis jetzt noch nicht aufgefunden worden zu sein. Auch ©. 
Schmidt hat bei einer Ancoriniden Gattung (Craniella tethyoides. Sdt. Atlant. Sp. S. 66. 
t. VI. Fig. 9) ähnliche Nadeln gefunden. 

1) Scolioraphis cerebriformis. Zit. Taf. XI. Fig. 1. 

Schw. knollig oder krustenförmig mit gewölbter Oberfläche, auf welcher stumpfe, 
durch mäandrisch gewundene und anastomosirende Thäler getrennte Kämme und Höcker 
von verschiedener Gestalt hervorragen. Das Skelet besteht fast ausschliesslich aus knor- 
rigen, wurmförmigen ziemlich kurzen Nadeln, sowie aus vereinzelten, glatten Stabnadeln. 

Das Original-Exemplar dieser Art lag unter der Bezeichnung Amorphospongia sp. 
nov. im Münchener paläontolog. Museum und stammt aus der Quadratenkreide des Sut- 
merbergs. 

2) Secolioraphis anastomans. Zitt. Taf. XII. Fig. 2. 

Schw. knollig, löcherig aus dünnen verschlungenen und anastomosirenden Blättern 
bestehend. Skelet mit ziemlich langen, wurmförmig gekrümmten, knorrigen Nadeln, denen 
sich in grösserer Menge einfache Stabnadeln von verschiedener Grösse und Form beimischen. 

Quadratenkreide von Linden und Ahlten in Hannover. 


Clıona. Grant. 
Syn. Vioa Nardo, Clionites Morris, Eutobia Bronn. 


Zu dieser Gattung gehören Spongien, welche ein aus Hornfasern und Stabnadeln 
bestehendes Skelet besitzen und sich in Conchylien oder Steine einbohren. Sie bilden im 
Innern der von ihnen bewohnten Körper vielfach verästelte Gänge, welche sich bald ver- 
schmälern, dann wieder erweitern und auf diese Weise in kammerartige Abtheilungen zer- 
fallen. Mit der Oberfläche stehen sie nur durch walzenartige Gänge in Verbindungen, 
die mit einer kleinen runden Oeffnung ausmünden. 


6 | (96) 


Es ist mir trotz aller Bemühungen niemals gelungen, in den soeben beschriebenen 
Höhlungen fossiler Muschen oder Schnecken Spiculae aufzufinden, allein die Bohrgänge 
stimmen so gut mit denen der lebenden Clionen überein, dass man sie schon seit langer 
Zeit auf diese Spongiengattung bezieht. Am häufigsten scheinen sich die bohrenden Spon- 
gien Ostrea, Pecten, Inoceramus, Placuna und Avicula Schalen auszusuchen, doch habe 
ich sie auch in Pectunculus, Venus, Cytherea und in Cerithium giganteum beobachtet. 

Eingehende Untersuchungen über lebende Cliona-Arten hat Hancock !) veröffentlicht. 

Aus dem ‘Vorkommen von Bohrlöchern lässt sich die Existenz unserer Gattung mög- 
licher Weise schon bis in die Silurformation zurückverfolgen, sicherer dürften die Bohr- 
löcher in cretacischen Austern und Inoceramen zu Cliona gehören; am häufigsten kommen 
dieselben übrigens in der Tertiärformation vor. 

Es sind von Conybeare, Michelin, d’Orbigny und Pomel eine Anzahl 
Arten, theils unter dem Gattungsnamen Cliona, theils als Vioa aufgestellt worden, da 
indess von keiner einzigen die Skeletnadeln nachgewiesen wurden, so kann diesen Arten 
kein grosses Gewicht beigelest werden. 

Für völlig problematisch halte ich die in Belemmiten oder fossilen Conchylien vor- 
kommenden einfachen oder verästelten Bohrlöcher und Gänge, für welche Hagenow), 
Quenstedt und Etallon°) die Gattungen Talpina Hag., Dendrina Quenst., Hagenowia 
und Cobalia Et. vorgeschlagen haben. Ich kenne unter den lebenden Spongien keine Form, 
welche ähnliche Gänge aushöhlt und bin daher eher geneist, dieselben bohrenden Würmern 
zuzuschreiben. 


1V. Tetractinellidae. Marshall. 


Kieselspongien mit Nadeln des pyramidalen Typus. 
(Vierstrahbler, Achtstrabler, Anker). 


Die Ordnung der Tetractinelliden umfasst die zwei Familien der Geodinidae und 
Ancorinidae O. Schmidt’s oder denjenigen Theil der Carter’schen Holoraphidota, 
bei welchem das Skelet aus Kieselgebilden zusammengesetzt ist, denen das Axenkreuz 
einer dreiseitigen Pyramide zu Grunde liegt. Es sind dies sämmtliche Vertreter der 
Familie der Pachytragida und von der Familie der Pachastrelliden, wozu Carter 
auch die Lithistiden rechnet, die Gruppe der Pachastrellinen. 

Die ältesten Tetracetinelliden-Nadeln hat Carter’) aus dem unteren Kohlen- 
kalk von Cunningham Baidland in Ayrshire, Schottland beschrieben. Den ersten 


1) Ann. Mag. nat. hist. 1849. vol. III. 321—347. vol. IV. 855—357 und Natural history 
Transactions of Northumberland and Durham 1868. 

2) Jahrbuch für Min. Geol. und Petref. 1840. 8. 671. 

3) Petrefaktenkunde Deutschlands Cephalop. t. 30. Fig. 36. 37. 

4) Actes de la soc. jurass. d’&mulation Porrentruy. 1860. 

5) Annals and Mag. nat. hist. 1878. 5 Ser. vol. I. S. 139. 


(97) 7 
Nachweis von fossilen Nadeln aus der vorliegenden Ordnung verdankt man demselben 
verdienstvollen Spongiologen. 

Unter den isolirten Spongiennadeln im Grünsand von Haldon bildete Carter!) 
schon im Jahre 1871 eine erhebliche Anzahl ab, die sich in ihrer Form aufs engste 
an die Anker, Vierstrahler, Stabnadeln und Kieselkugeln der Gattungen Geodia, Pa- 
chastrella, Tethya und Steletta anschliessen. Wenn auch ein Theil derselben von 
Lithistiden herrühren dürfte, so gehören andere doch sicher zu den Tetraetinelliden. 
Carter bezeichnet die fossilen Nadeln je nach ihren Beziehungen zu lebenden Formen 
mit den Gattungsnamen Geodites, Dereites und Stelletites und gibt auf Taf. IX. und X. 
seine Abhandlung eine Reihe von Abbildungen. Eine bis jetzt nur in fossilem Zustand ‚be- 
kannte Gruppe von Stabnadeln, Vierstrahlern und Ankern mitringförmigen Einschnürgen 
werden unter dem Namen Monilites (l. ce. pl. IX. Fig. 44—47) zusammengefasst und 
“ bilden einen überaus charakteristischen, ausgestorbenen Typus. Ich habe vereinzelte 
Nadeln von gleicher Form in der norddeutschen Kreide von Ahlten aufgefunden, 
und von Rutot werden sie auch aus dem Eocänsand von Brüssel erwähnt. 

In meiner Monographie der Gattung Coeloptychium habe ich ebenfalls eine 
grosse Zahl isolirter Kieselgebilde abbilden lassen und damals irrthümlicher Weise 
Coeloptychium zugeschrieben. Die strahligen Kieselkugeln und Scheiben (l. c. Taf. V. 
Fig. 18—26) rühren wahrscheinlich von fossilen Stelleta- oder Geodia-Arten her, zu 
Pachastrella oder Geodia werden die stacheligen Kugeln 1. c. V. 27—30, zu Thetya, 
Callites oder Pachastrella die strahligen Sterne Fig. 31 gehören. Wie viele von den 
auf Taf. V, VI und VII abgebildeten vier-, sieben- und acht-strahligen Sternen und 
Ankern, sowie von den auf Taf. IV und V dargestellten einaxigen Nadeln von 
Pachytragiden, Pachastrelliden, Lithistiden oder anderen Spongien-Gruppen her- 
rühren, wird sich bei der indifferenten Beschaffenheit dieser Gebilde nicht mehr ent- 
scheiden lassen. Zu den Geodien glaube ich aber jetzt mit Bestimmtheit die dichten, 
ungestrahlten, eiförmigen Körper (Taf. IV. Fig. 52—59), sowie die Kugeln (l. ce. 
Fig. 66) rechnen zu müssen, seitdem ich ganz übereinstimmende Körper im oberen 
Jura in grosser Menge als Umkleidung einer Aushöhlung’gefunden habe, worin zahl- 
reiche Gabelanker und Vierstrahler zerstreut lagen. Solche elliptische, eiförmige und 
kugelige Körper finden sich im weissen Jura in Gesellschaft von Stabnadeln und 
Ankern überhaupt ungemein häufig. 

Die Anwesenheit von Tetractinelliden lässt sich auch im Lias und in der rhä- 
tischen Stufe constatiren. Ich habe durch Herrn Nelson Dale aus dem obern Lias 
des T'hales Conzei bei Pieve di Ledro in Süd-Tyrol ein e. 70mm. langes und 35mm. 
‚dickes Gesteinsstück erhalten, das vollständig aus grossen Kieselnadeln besteht. Neun 
Zehntel derselben sind einfach, doppelt zugespitzt und c. 4-5 mm. lang. Dazwischen 
liegen vereinzelte grosse Vierstrahler (spanische Reiter). 


1) Abhandlungen k. Bayr. Ak. II. Cl. Bd. XI. 


8 | (98) 


Ganz ähnliche gerade oder etwas gebogene Stabnadeln, untermischt mit Gabel- 
ankern und Hexactinelliden - Fragmenten, bilden am Hochfellen in den Bayerischen 
Alpen eine mehrere Centimeter dicke Lage im Horizont der Avicula contorta. 

Den Vorkommnissen im Grünsand von Haldon entsprechen am meisten die von 
Jos. Wright!) aus der Kreide von Irland beschriebenen Spongiennadeln, unter 
denen die Gattungen Geodites, Stelletites, Dercites und Monilites ebenfalls vertreten sind. 


Zahlreiche zu Geodia und Donatina gehörige Anker und Nadeln finden sich 
auch in den bei Brüssel im eocänen Sand vorkommenden Röhren, welche von Car- 
ter?) unter dem Namen Broeckia beschrieben worden sind. Die Spongiennadeln selbst 
wurden von Rutot?) zuerst genauer untersucht und abgebildet. 


Unter der Bezeichnung Esperites giganteus hatte Carter?) eine Sförmig ge- 
bogene, einaxige Nadelform von ansehnlicher Grösse aus dem Grünsand von Haldon 
erwähnt ; ähnliche Nadeln wurden später von Rutot (l. ce. pl. 3 Fig. 5 u. 29) aus 
dem Eocänsand von Brüssel und von mir (Abhandlungen d.k. bayr. Ak. II. Cl. vol. 
XII. Taf. IV. Fig. 25 u. 26) aus der oberen Kreide von Westfalen beschrieben; ich 
habe sie auch mehrfach im Aetzrückstand oberjurassischer Spongien gefunden. Nach- 
dem Carter) Nadeln von völlig übereinstimmender Grösse und Form unter einer 
Sammlung lebender Tiefseespongien in Gesellschaft von dreispitzigen Ankern be- 
obachtet hatte, glaubte er dieselben zu den Pachastrelliden stellen zu müssen und 
schlägt dafür den Namen Ophiraphidites. vor. 


Das Göttinger Universitäts-Museum besitzt aus der Quadratenkreide von Linden 
bei Hannover ein SOmm. langes, am oberen Ende 16mm., am unteren 9mm. breites 
etwas platt gedrücktes Fragment eines Kieselschwammes, der aus einfachen, mehr 
oder weniger wellig gebogenen, glatten Nadeln besteht, die ganz mit denen von Ophi- 
raphidites übereinstimmen. Die Länge dieser, mit ungemein weiten Axencanälen ver- 
sehenen Nadeln schwankt zwischen 1's und 5mm.; sie liegen alle in der Richtung 
der Längsaxe dieht auf einander gepackt, sind innig mit einander verflochten und 
lassen weder Raum für Längs- noch Quer-Canäle zwischen sich frei. Ganz vereinzelt 
finden sich mitten unter diesen gebogenen Stabnadeln auch einfache Vierstrahler, bei 
denen ein Arm meist stark verlängert ist, als Seltenheit wohl auch Gabelanker mit 
langem Schaft und kurzen Zinken. Ich nenne diese bemerkenswerthe Form Ophira- 
phidites ceretaceus. (Taf. XII. Fig. 2) 

Eine andere interessante ame Ten aus der an von Te- 
thya habe ich durch Herrn Dr. Steinmann aus der Quadratenkreide von Ahlten er- 
halten. Sie bildet eine besondere Gattung. 


1) Report. Belfast. nat. field Club. 1873. 74. Appendix. 

) Ann. Mag. nat. hist. 1877. vol. XIX. S. 382. 

) Annals de la Soc. malac. de Belgique 1874. vol. IX. pl. 
) 

) 


{SV} 


Ann. Mag. nat. bist. 1871 vol. VII. S. 131. pl. X. Fig. 7: 
ib. 1876 vol. XVIII. S. 458. 


2 
3 
4 
5 


(99) 9 


Tethyopsis Zitt. Taf. XI. Fig. 3. , 


ist von unregelmässig knolliser oder keulenförmiger Gestalt. Skelet der Hauptsache nach 
aus sehr grossen bis 5mm. langen, beiderseits scharf zugespitzten, geraden oder schwach 
gebogenen Stabnadeln bestehend, die in paralleler Richtung auf einander gelagert dem 
Innern des Schwammkörpers eine strahlige Struktur verleihen. Die Oberfläche wird von 
einer Schicht kleinerer, dreizinkiger Anker gebildet, deren langer Schaft nach Innen ge- 
richtet ist. Die drei Zinken sind meist gleichmässig entwickelt, fast horizontal ausgebreitet, 
mit ihren Spitzen etwas rückwärts gebogen. Zwischen diesen grossen Ankern finden sich 
ganz vereinzelt kleinere, bei denen die 3 kurzen Zacken hakenförmig rückwärts gebogen 
sind. Die Rinden-Anker sind ferner noch begleitet von kleinen, etwas gebogenen Stabna- 
deln und vereinzelten Vierstrahlern. 

Wenn die soeben beschriebenen Anker, Vierstrahler und kleinen Stabnadeln auch 
vorzugsweise auf der Oberfläche concentrirt sind, so bemerkt man dieselben doch auch im 
Innern des Schwammkörpers, jedoch stets nur in radialen Streifen, also wahrscheinlich als 
Auskleidung von Canälen. 

Diese Form steht der lebenden Tethya cranıum Zisso und verwandten Arten, auf 
welche Carter!) den Namen Tethya beschränkt wissen will, während OÖ. Schmidt dafür 
die Bezeichnung Tetilla vorgeschlagen hat, sehr nahe. Ich habe jedoch Bedenken getragen, 
die fossile Form mit den lebenden unter einem Gattungsnamen zu vereinigen, da die 
Anker der Oberfläche bei Tethyopsis viel eher denen von Geodia und Steletta gleichen, 
als jenen von Tethya lyncurium. 

Ich kenne bis jetzt nur ein einziges Exemplar, für welches ich den Namen Tethy- 
opsis Steinmanni vorschlage. 


Pachastrella. Sdt. Taf. XII. Fig. 4. 


Diese Gattung wurde im Jahre 1868 von Oscar Schmidt (Spongien der Küste von 
Algier S. 15) aufgestellt und folgendermassen charakterisirt: „Eine oberhautlose Compa- 
ginee mit Nadelformen vom Charakter theils der Compagineen, theils der Corticaten.“ In 
der Spongienfauna des Atlantischen Ocean’s werden zwei weitere Arten (P. abyssi und 
connectens Sdt.) abgebildet, allein eine genügende und ausführliche Charakteristik der Gat- 
tung sowie ausreichende Abbildungen der Skeletelemente verdankt man erst H. Carter?). 

Darnach umfasst Pachastrella massive, knollige oder plattige, häufig parasitische oder 
incrustirende Spongien, ohne bestimmte äussere Form und ohne besondere Rindenschicht. 
Oscula, Poren und Canäle sind nur an frischen, mit Sarcode versehenen Exemplaren deut- 
lich sichtbar. Skelet ohne Hornfasern, aus regellos durcheinander liegenden Nadeln von ver- 
schiedener Form bestehend. Die eigentlichen Skeletnadeln sind vorwiegend vierstrahlig, 
doch entwickelt sich ein Strahl sehr häufig zu einem verlängerten Schaft oder er ver- 
kümmert entweder zu einer knopfförmigen Anschwellung oder auch so vollständig, dass 


1) Ann. Mag. nat hist. 1871. vol. VI. S. 103. 
2) Annals and. Mag. nat. hist. 1875. vol. XVI. 8. 68 und 1576. vol. XVII. S. 406 —410. 
Abh.d. 11. Cl.d.k. Ak.d. Wiss. XIII. Bd. II Abth. 2 


10 (100) 


einfache Dreistrahler entstehen. Einzelne zuweilen auch alle Arme der Vierstrahler können 
sich einmal, seltener mehrfach gabeln. Ausserdem kommen mehr oder weniger häufig ein- 
fache Stabnadeln vor. Diese sowohl, als die Drei- und Vierstrahler sind in der Regel von 
verschiedener Grösse. Ausser den eigentlichen Skeletkörpern finden sich in grosser Menge 
winzige, nur bei starker Vergrösserung deutlich erkennbare Fleischnadeln von sehr ver- 
schiedener Form, welche vorzüglich zur Unterscheidung der Arten verwerthet werden können. 

Dieselben sind bald kleine stachelige, gerade oder gekrümmte Stäbchen, bald kugelige 
Stachelsterne, bald winzige Geodia ähnliche Kugeln, bald glatte elliptische Scheibchen u. 
s. w. Die Fleischnadeln sind an fossilen Exemplaren ebenso wenig erhalten, als jene der 
Hexactinelliden und Lithistiden. 

Bei Untersuchung des prächtigen Spongien-Materials aus der oberen Kreide von 
Ahlten in Hannover, welches ich von meinem Freund Professor von Seebach anvertraut 
erhielt, fanden sich 2 unscheinbare knollige Stückchen von geringer Grösse, die ich, nach- 
dem sich bei Behandlung mit Salzsäure ihre Zusammensetzung aus isolirten Vier- und 
Dreistrahlern gezeigt hatte, sofort als typische Pachastrellen erkannte. Als Vergleichsob- 
jekte hatte mir Herr Carter die lebenden Arten Pachastrella abyssi Sdt. und P. geodi- 
oides Cart. sowie zwei aus der oberen Kreide von Flamboroush head in Yorkshire stam- 
mende Fragmente mitgetheilt, von denen die letzteren abgesehen von ihrem ungünstigeren 
Erhaltungszustand genau mit der Ahltener Form übereinstimmen. 


Pachastrella primaeva. Zitt. Taf. XII. Fig. 4. 


besteht vorherrschend aus sehr grossen, plumpen, einfachen Vierstrahlern (spanischen Reitern), 
deren dicke Arme vom Centrum gegen die Enden allmählig an Stärke abnehmen und in 
eine Spitze auslaufen. Zuweilen sind die Arme ungleich lang und einer oder auch mehrere 
derselben gekrümmt, seltener sind einzelne, jedoch nie alle Arme am Ende in 2 oder 
4 Spitzen vergabelt. Zwischen diesen gewaltig grossen Körpern liegen zahlreiche kleine 
regelmässige Vierstrahler, sowie vereinzelte Gabelanker mit einfachem Schaft und dreiga- 
belisen Zinken. Selten kommen auch doppelt zugespitzte Stabnadeln vor. 

Wegen der gewaltigen Dimensionen der grossen Vierstrahler habe ich Taf. XII. 
Fig. 4b ein Fragment bei auffallendem Licht in nur 25 facher Vergrösserung zeichnen 
lassen. 


OR) 11 


V. Caleispongiae. 


Unter allen Abtheilungen der lebenden Spongien sind, Dank der glänzenden 
Monographie E. Haeckel’s,!) die Kalkschwämme am genauesten bekannt. Für die 
Paläontologie schien indess das bahnbrechende Werk des Jenenser Zoologen nicht 
die grosse Wichtigkeit zu besitzen, welche sich nach den früher herrschenden An- 
sichten über die fossilen Spongien von vornherein davon erwarten liess. Haeckel 
tritt mit grosser Entschiedenheit und vollem Recht der Anschauung entgegen, wor- 
nach die Mehrzahl der fossilen Seeschwämme ein kalkiges Faser- oder Gitter-Skelet 
gehabt haben sollten. „Bis jetzt — so heisst es Bd. I. S. 341 — sind noch gar 
keine fossilenKalkschwämme bekannt. Allerdings existiren in verschiedenen 
Pretrefacten-Sammlungen einzelne Stücke, welche die Etiquette von „fossilen Kalk- 
schwämmen“ tragen. Allein Alles, was ich von solchen selbst gesehen und zugesendet 
erhalten habe, gehört ganz sicher nicht Caleispongien an. Auch lässt sich von allen 
Beschreibungen und Abbildungen fossiler Spongien nicht eine ein- 
zige auf einen Kalkschwamm beziehen. Wer die lebenden Kalkschwämme 
kennt, wird auch bei der grossen Zartheit und Zerstörbarkeit derselben diesen 
Mangel an versteinerten Caleispongien ganz natürtich finden. Allerdings könnte man 
wenigstens erwarten, die mikroseopischen Kalknadeln derselben in verschiedenen Ge- 
steinen fossil vorzufinden, und wahrscheinlich werden solche auch noch bei genaueren 
mikrogeologischen Untersuchungen vielfach gefunden werden. Bis jetzt aber sind der- 
gleichen noch nicht beschrieben oder abgebildet worden.‘ 

Wenn eine Autorität, wie Haeckel, die Existenz fossiler Kalkschwämme mit 
solcher Entschiedenheit verneint, so mag es gewagt erscheinen, dass ich demunge- 
achtet einen beträchtlichen Theil der von Oscar Schmidt als Vermiculaten be- 
zeichneten fossilen Spongien mit wurmförmigem Faserskelet den Caleispongien zuweise. 

Nach Ausscheidung der Hexactinelliden, Lithistiden, Tetraetinelliden und Monac- 
tinelliden bleibt jedoch noch immer ein ansehnlicher Rest von fossilen Schwämmen übrig, 
welche sich durch die kalkige und zugleich faserige Beschaffenheit ihres Skeletes aus- 
zeichnen. Sie erinnern durch ihr anastomosirendes Fasergewebe und theilweise auch 
durch ihren äusseren Habitus au meisten an die lebenden Hornschwämme. Man hat 
sie vielfach auch für Ueberreste von solchen gehalten und angenommen, die Horn- 
fasern hätten sich im Lauf der Zeit in kohlensauren Kalk umgewandelt. 

In meinen ersten Publicationen über fossile Spongien ?) hatte ich dieselben als 
Caleispongia fibrosa bezeichnet und sie wegen der häufig vorkommenden, eigenthümlich 
strabligen Mikrostruktur der Kalkfasern als eine ganz isolirt stehende, ausgestorbene 


1) Die Kalkschwämme. Eine Monographie. Berlin 1872. 
2) Zeitschr. d. deutschen geolog. Ges. Bd. XXVIM. S. 631 und Neues Jahrb. für Mineralogie 
1877. S. 338. 
DIE 


12 (102) 


Ordnung betrachtet. Bei fortgesetzter Untersuchung und namentlich bei Anwendung 
stärkerer Vergrösserungen zeigten sich jedoch die Fasern an wohlerhaltenen Exem- 
plaren zuweilen aus nadelähnlichen Körpern zusammengesetzt. Diese Beobachtung, 
welche bald darauf auch von W. J. Sollas!) an einem aus kohlensanrem Kalk be- 
stehenden Faserschwamm aus dem Grünsand von Cambridge (Pharetrospongia Stra- 
hanı) bestätigt wurde, führte zu neuen Gesichtspunkten und veranlasste zunächst 
einen Vergleich mit den lebenden Kalkschwämmen. 

Bei (diesen besteht das Skelet aus isolirten, niemals verschmolzenen oder ver- 
kitteten, meist regelmässig angeordneten Kalknadeln von dreischenkliger, vierschenk- 
liger oder einschenkliger Form. Weitaus am verbreitetsten erscheimen die Dreistrahler. 

Nach Haeckel gibt es unter den lebenden Kalkschwämmen 18 Arten, deren 
Skelet ausschliesslich aus Dreistrahlern besteht, 44 Arten, welche Drei- und Vier- 
strahler und 61 Arten, die Dreistrahler, Vierstrahler und Stabnadeln besitzen. 
Ausschliesslich aus Vierstrahlern ist das Skelet bei 8 Arten zusammengesetzt und 
nur bei 6 Arten findet man lediglich Stabnadeln. 

Daraus folgert Haeckel, dass die Dreistrahler bei den Kalkschwämmen ur- 
sprünglich und primär die Hauptrolle spielen, dass hingegen die Vierstrahler nur 
als innere Anpassungs-Bildungen der Gastralfläche, die Stabnadeln aber umgekehrt 
als äussere Anpassungs-Bildungen der Dermalfläche zu betrachten sind. 

Eine bemerkenswerthe Eigenthümlichkeit der Kalknadeln ist ihre durchschnittlich 
geringe Grösse. Drei- oder Vierstrahler, bei denen der grösste Schenkel eine Länge 
von einem halben Millimeter erreicht, gehören schon zu den grösseren; sehr oft 
bleiben sie noch erheblich unter diesem Maass. Auch die Stabnadeln haben entspre- 
chend kleine Dimensionen. Die Axencanäle der Kalknadeln sind im Gegensatz zu 
den meisten Kieselnadeln so ausserordentlich fein, dass sie nur bei sehr starker Ver- 
grösserung sichtbar werden. Für alles weitere, was Form, Struktur und Anordnung 
der Skeletelemente bei den lebenden Kalkschwämmen betrifft, kann ich auf die er- 
schöpfenden Darstellungen Haeckel’s verweisen. (l. e. Bd. I S. 170— 209.) 

Es frägt sich nun, ob die oben genannten Caleispongia fibrosa den lebenden 
Kalkschwämmen zugetheilt werden dürfen, oder ob sie einer anderen Abtheilung der 
Spongien angehören ? 

Die chemische Beschaffenheit des Skeletes, welche bei den lebenden Schwämmen 
das zuverlässigste Kennzeichen liefert, darf bei den fossilen nur mit grosser Vorsicht 
verwerthet werden, denn es finden sich nicht allein ursprüngliche Kieselschwämme 
in kalkigem Zustand, sondern auch Kalkversteinerungen gehen häufig in kieseligen 
Zustand über. Es ist darum keineswegs ungewöhnlich, dass ein und dieselbe Art 
mit kieseligem und mit kalkigem Skelet auftritt. 

Von entscheidender Wichtigkeit für die Bestimmung aller Spongien ist nur die 
Mikrostruktur des Skeletes. In dieser Hinsicht zeigen die Faserschwämme höchst 


1) Quarterly journ. geol. Soc. 1877. S. 242, 


(103) 13 


auffällige Erscheinungen, welche sich übrigens durch spätere chemische und physi- 
kalische Veränderungen unschwer erklären lassen. 

Die Fasern schwanken je nach den Gattungen und Arten zwischen 0,3 und 
lmm. in der Stärke und davon hängt auch die mehr oder weniger lockere Beschaf- 
fenheit des Skeletgewebes zusammen. Sie sind stets unregelmässig gebogen, häufig 
bei ein und demselben Individuum von verschiedener Stärke (Hauptfasern und Se- 
cundärfasern) und die durch Anostomose hervorgerufenen Lücken von ungleicher 
Grösse und stets unregelmässiger Form. Die ältere Bezeichnung Spongien mit „wurm- 
förmigem Skelet‘“ passt am besten auf gewisse Kalkschwämme mit groben unregel- 
mässig gekrümmten Fasern. 

Zur mikroscopischen Untersuchung können nur Dünnschliffe verwendet werden, 
da an verkieselten Exemplaren die feineren Strukturverhältnisse zerstört sind. Man 
bedarf jedoch stärkerer Vergrösserungen (am besten 100—150fache), um deutliche 
Bilder zu erhalten, als bei den fossilen Hexactinelliden und Lithistiden, da die Be- 
standtheile der Fasern eine sehr geringe Grösse besitzen. 

Betrachtet man den Dünnschliff einer wohl erhaltenen Corynella aus der Tourtia 
von Essen oder einer Peronella aus dem Grünsand von Le Mans bei mässiger Ver- 
grösserung (etwa 50facher), so erscheinen die Fasern undeutlich parallel der Ober- 
fläche gestreift. Bei Anwendung stärkerer Vergrösserung lösen sich die Längslinien 
in kleine Stabnadeln auf (Taf. XII. Fig. 2), welche dicht an einander gelagert die 
ganze Faser zusammensetzen. Zuweilen sind sie deutlich durch eine im durchfallenden 
Lieht dunkel gefärbte Oberflächenschicht von einander geschieden, häufiger jedoch 
erscheint die Faser als eine lichte Kalkspathmasse, in welcher die einzelnen Nadeln 
nur mit Mühe noch zu erkennen sind. Gewöhnlich beobachtet man die Nadeln nur 
in der Längsrichtung der Faser und zwar in der Weise, dass ihre Enden überein- 
ander greifen, wodurch sie selten in ihrer ganzen Länge sichtbar werden. Ganz 
ausnahmsweise gelingt es auch, ihre Querschnitte als Packete winziger, durchsichtiger 
Kreise aufzufinden.!) Aus diesen ergibt sich, dass die Nadeln eine cylindrische Ge- 
stalt besitzen; ihre Länge schwankt zwischen 0,08 und O,1mm., hält sich somit stets 
in sehr bescheidenen Dimensionen. In der Regel besitzen die Stabnadeln der Fasern 
fast genau die gleiche Grösse und gleiche Form. Ein ungewöhnlich günstiger Er- 
haltungszustand ist Taf. XII. Fig. 3. dargestellt. Hier liegen die Stabnadeln mehr 
vereinzelt in einer homogenen, lichten Masse und heben sich deutlich aus derselben 
ab; an gewissen Stellen werden sie spärlich, an andern erscheint die ganze Faser, 
wie im ersten Falle aus Nadeln zusammengesetzt. Bemerkenswerth ist das Vor- 
kommen vereinzelter Dreistrahler von geringer Grösse Solche zwischen Stabnadeln 
eingestreute Dreistahler finden sich bei vielen Gattungen mehr oder weniger häufig. 
Sie differiren beträchlieh in ihren Dimensionen und erreichen zuweilen ansehnliche 


l) Sollas on Pharetrospongia. Quart. journ. geolog. soe. 1877. vol. XXXI. 8. 246. pl. XI. 
Fig. 6. 


14 (104) 


Grösse. Ihre Schenkel sind entweder gerade oder auch etwas gekrümmt, aber nie 
an den Enden gegabelt. Verhältnissmässig selten finden sich Spongien, bei denen 
die Fasern ausschliesslich aus Dreistrahlern bestehen. Ein ausgezeichnetes Bei- 
spiel dieser Art bietet Peronella eylindrica aus dem oberen Jura (Taf. XII. Fig. 4). 
Hier lassen sich an wohl erhaltenen Stücken die einzelnen Dreistrahler (denen auch 
Vierstrahler beigemischt zu sein scheinen) deutlich unterscheiden, und namentlich an 
der Peripherie, wo sich einzelne Nadeln etwas abgelöst haben und mit ein oder zwei 
Schenkeln über die Faser herausragen, sind dieselben gut erkennbar. 

Axencanäle habe ich weder bei den Stabnadeln noch bei den Dreistrahlern nach- 
weisen können. 

Nicht häufig sind die Nadeln so deutlich zu sehen, wie an den bisher beschrie- 
benen Präparaten. Oft hat eine beginnende Umkrystallisation ihre Contouren und 
Form verwischt und die Skeletfasern zeigen eine undeutlich lamellöse Struktur oder 
sie erscheinen, wie aus prismatischen Kalkspath-Körperchen zusammengesetzt, welche 
zuweilen vollständig in einander zerfliessen. Bei den Schwämmen des norddeutschen 
Hils und der Triasmergel von St. Cassian ist dieser Erhaltungszustand verbreitet. 

Sehr oft tritt eine totale Zerstörung der Nadeln, offenbar nach Einbettung des 
Schwammkörpers in die Erdschichten ein. Schon oben wurde eine Peronella aus Le 
Mans erwähnt, bei welcher die Nadeln stellenweise ganz vereinzelt in einer homo- 
genen Masse liegen. Man findet nun nicht selten Fasern, bei denen das eine Ende 
noch deutlich aus Nadeln zusammengesetzt erscheint, während das andere eine ganz 
dichte Beschaffenheit angenommen hat. An gewissen Localitäten (z. B. bei Maestricht) 
zeichnen sich die meisten Spongien durch strukturlose homogene Fasern aus. 

Eine weitere Veränderung erfolgt durch Umkrystallisation der Skeletfasern. Es 
bilden sich Krystallisationscentren, von denen nach allen Seiten feine Strahlen aus- 
gehen und da diese Centren in grosser Zahl theils in der Mitte, theils in der Nähe 
des Randes der Fasern liegen, so erhalten dieselben eine äusserst feine shaeroidisch- 
faserige Mikrostruktur (Taf. XII. Fig. 5). Auch dieser Erhaltungszustand kommt 
zuweilen an Exemplaren vor, bei denen sich einzelne Fasern noch deutlich als aus 
Nadeln bestehend erweisen. 

An gewissen Localitäten z. B. bei Nattheim, Muggendorf, Amberg, im schwä- 
bisch-fränkischen Jura, sowie im Terrain & chailles der Schweiz finden sich die Faser- 
schwämme ganz oder doch theilweise in kieseligem Zustand, wie überhaupt die meisten 
damit vorkommenden Versteinerungen; dieselben können, namentlich wenn sie in 
kalkigem Gestein eingebettet liegen, durch verdünnte Salzsäure vollständig vom Ne- 
bengestein gereinigt werden (Taf. XII. Fig. 6. 7) und geben dann an Schönheit und 
Frische den mitvorkommenden Hexactinelliden und Lithistiden Nichts nach. Unter- 
sucht man jedoch ihre Kieselfasern unter dem Mikroscop, so ist keine Spur von Na- 
delstruktur wahrzunehmen, die kieselige Masse erscheint trüb und wie aus winzigen, 
rauhen, körnigen oder wurmförmigen Körperchen, ohne bestimmte Form zusammen- 
gesetzt (Taf. XII. Fig. 6°). Im Vergleich zu den krystallklaren Gittermaschen der 


u BF ra 2: Dee 


(105) 15 


Hexactinelliden oder zu den durchsichtigen Lithistiden-Elementen, welche sich an den 
gleichen Localitäten finden, sind die verkieselten Skelete der Faserschwämme höch- 
stens durchscheinend und machen durchaus den Eindruck zerklüfteter und chemisch 
veränderter Gebilde. Zuweilen ist nur eine äussere Rinde des Schwammkörpers 
verkieselt, die Fasern im Innern dagegen blieben kalkig. In solchen Fällen habe 
ich die verkieselten Fasern stets von der oben beschriebenen rauhen Beschaffenheit, 
die Kalkfasern dagegen mit deutlichen Nadeln erfüllt gefunden. Hin und wieder 
scheinen allerdings die Nadeln auch nach der Verkieselung ihre Form bewahren zu 
können; es erhielt wenigstens Sollas (l. c. 8. 253) beim Behandeln von Pharetro- 
spongia Strahani mit verdünnter Säure an der Öberfläche kalkiger Fasern ver- 
kieselte, aus Nadeln bestehende Parthieen. Mir sind derartige Exemplare nie zu Ge- 
sicht gekommen, wohl aber kenne ich mehrere jurassische und einen triasischen Fa- 
serschwamm (Stellispongia variabilis) sowohl in kalkigem, als in kieseligem Zustand 
und stets ist bei dem letzteren jede Spur von feinerer Struktur zerstört. 

Dieser Umstand scheint mir den vollgültigen Beweis zu liefern, dass die Fasern 
ursprünglich aus Kalknadeln zusammengesetzt waren und sich erst 
später in Kieselerde umgewandelt haben. Ich halte somit die Faser- 
schwämme für ächte Calcispongien. 

Diese Ansicht widerstreitet dem oben erwähnten Ausspruch Haeckel’s, dass 
fossile Kalkschwämme nicht bekannt seien, sie steht aber auch in Widerspruch mit 
den Ansichten von Sollas und Carter, wornach ein entschiedener Faserschwamm 
aus dem Grünsand von Cambridge (Pharetrospongia) nicht zu den Kalk-, sondern 
zu den Kieselschwämmen gehören soll. Für Sollas waren Form und Lagerung der 
Nadeln, sowie die Erfahrung, dass bei den fossilen Spongien ursprüngliche Kiesel- 
skelete häufig in Kalkspath umgewandelt erscheinen, entscheidend, um Pharetro- 
spongia in die Gruppe der Holoraphidota zu stellen. 

Carter!) fasst die Gründe, welche es unwahrscheinlich machen, dass Phare- 
trospongia zu den Kalkschwämmen gehöre, folgendermassen zusammen. 1) Alle jetzt- 
lebenden Caleispongiae sind nicht allein sehr klein, sondern meistens geradezu 
winzig. 2) Mit Ausnahme eines halben Dutzend Arten besteht das Skelet der Kalk- 
schwämme aus Dreistahlern oder Vierstrahlern und die Stabnadeln sind stets gerade, 
nie bogenförmig gekrümmt. 3) Die Kalkschwämme sind so vergänglich, dass sie un- 
mittelbar nach ihrem Absterben förmlich „zerfliessen‘‘, und zwar wegen Mangel an 
Hornfasern und kieseligen Bestandtheilen. 4) Die Nadeln zerbrechen selbst in Ca- 
nada-Balsampräparaten ziemlich rasch, gehen in wässerige Kügelchen über und lassen 
nach einiger Zeit keine Spur ihrer Anwesenheit zurück. 

Alle diese gegen Pharetrospongia erhobenen Einsprüche beziehen sich auch auf 
die anderen Faserschwämme; sind sie stichhaltig, so wird damit die Möglichkeit des 
Vorkommens fossiler Kalkschwämme überhaupt auf das Bedenklichste erschüttert. 


1) Annals and. Mag. nat. hist. 1877. 5 Ser. I. S. 135. 136. 


16 | (106) 


Was nun zunächst die Grössenverhältnisse betrifft, so muss zugeben werden, 
dass die lebenden Caleispongien selten namhafte Dimensionen erreichten, indessen 
Stöcke von 50—100 mm. Höhe und Breite beschreibt Haeckel bei allen drei leben- 
den Familien, unter den Leuconen gibt es sogar Einzelindividuen von 30—40 mm, 
Länge und 15—20mm. Dicke. Diese letzteren sind in Grösse und äusserer Form fast 
nicht zu unterscheiden von den verbreitetsten Formen der fossilen Faserschwämme, 
wie Peronella und Corynella. Gerade wie die recenten Kalkschwämme an Grösse be- 
deutend hinter den übrigen Spongien zurückbleiben, so zeichnen sich auch die fos- 
silen Faserschwämme im Vergleich zn den Hexactinelliden und Lithistiden durch- 
schnittlich durch geringe Dimensionen aus. Die von Sollas beschriebene Gattung 
Pharetrospongia enthält zufälliger Weise neben Pachytilodia mit die grössten bis 
jetzt bekannten Formen von Faserschwämmen. Die Grössendifferenz zwischen den 
lebenden und fossilen Kalkschwämmen ist keinesfalls so beträchtlich, um die Wahr- 
scheinlichkeit einer Zusammengehörigkeit auszuschliessen. 

Von grösserem Gewicht ist der auf die Form der Skeletelemente bezügliche 
Einwurf. Dass bei den lebenden Kalkschwämmen Stabnadeln nur ausnahmsweise (bei 
nur 8 Arten) das Skelet bilden, lässt sich nicht bestreiten, allein es gibt doch sowohl 
bei den Asconen, als auch bei den Leuconen und Syconen lediglich aus Stabnadeln 
bestehende Gattungen. Es dürfte darum auch nicht überraschen, wenn die Skelete 
aller Faserschwämme lediglich aus Stabnadeln zusammengesetzt wären, denn erfahr- 
ungsgemäss knüpfen ausgestorbene oder in älteren Formationen reich entwickelte 
Familien viel häufiger an seltene und isolirt stehende lebende Formen an, als an 
solche die heutzutage auf dem Höhepunkt ihrer Entwicklung stehen. Auch die ein- 
förmige, gleichmässige Gestalt und Grösse der Spieulae bei den fossilen Faserschwämmen, 
sowie der absolute Mangel an bogenförmig gekrümmten Nadeln und Spongien kann 
zu Gunsten ihrer ursprünglich kalkigen Beschaffenheit hervorgehoben werden. 

Das Vorherrschen von Stabnadeln bei den fossilen Kalkschwämmen scheint mir 
aber noch aus einem anderen Gesichtspunkt von besonderer Bedeutung zu sein. Nach 
den übereinstimmenden Beobachtungen von Metschnikoff, Fr. Eilh. Schulze und 
Barrois treten im Embryo der meisten Kalkschwämme zuerst die Stabnadeln und 
später erst Drei- und Vierstrahler auf. Die Stabnadeln sind also nach dem biogene- 
tischen Grundgesetz die ältesten und primären Skeletelemente und sie müssten darum 
schon aus theoretischen Gründen vorzugsweise bei den fossilen Ahnen der Kalk- 
schwämme vermuthet werden. 

Dass übrigens die charakteristischen Dreistahler der Caleispongien bei den fos- 
silen Formen nicht fehlen, wurde bereits oben erwähnt. Sie liegen theils vereinzelt 
zwischen dem Stabnadeln, theils bilden sie in Gesellschaft von Vierstrahlern das 
ganze Skelet. Eine Verwechslung der Drei- und Vierstrahler von Peronella mit ähnlich 
geformten Skeletelementen von Kieselschwämmen (z. B. Steletta, Pachastrella u. s. w.) 
ist bei einiger Umsicht unmöglich. Die Spieulae der Kalkschwämme sind im Ver- 
gleich zu den erwähnten Kieselgebilden von winziger Grösse, ihre geraden oder ge- 


(107) 17 


bogenen Schenkel sind zugespitzt oder abgestumpft, stets einfach, niemals gegabelt, 
und ihre Axencanäle unendlich fein, an fossilen Exemplaren überhaupt nicht sicktbar. 

Der dritte Einwurf Carter’s bezieht sich auf die geringe Widerstandsfähigkeit 
der Kalkskelete gegen Wellenschlag und chemische Einflüsse. Nach den Beobach- 
tungen des erfahrenen Spongiologen, werden die fast ausschliesslich in seichtem 
Wasser lebenden Kalkschwämme in der kürzesten Zeit vollständig zerstört. Bei den 
fossilen Kalkschwämmen scheint nun allerdings die eigenthümliche Anordnung der 
Nadeln in Faserzüge, sowie die häufige Anwesenheit einer zarten Oberflächenschicht 
einigen Schutz gegen mechanische Zerstörung gewährt zu haben, dass aber die Nadeln 
geradeso wie die lebenden Formen chemischen Einflüssen nur geringen Widerstand 
leisteten, geht aus der Beschaffenheit der Kalkfasern hervor. Exemplare mit wohl 
erhaltenen, deutlich unterscheidbaren Nadeln finden sich höchst selten, viel häufiger 
sind die feinen Skeletelemente ganz oder theilweise zerstört, und die Fasern haben 
eine Struktur angenommen, welche die ehemalige Anwesenheit von Nadeln kaum 
noch vermuthen lässt. 

Es scheint mir somit, dass weder Grösse und äussere Form, noch die 
Skeletbeschaffenheit der fossilen Faserschwämme gegen ihre Zugehörig- 
keit zu den Kalkschwämmen sprechen!). 

Für die Beurtheilung der fossilen Faserschwämme dürfte auch ihr Vorkommen 
in entschieden litoralen Ablagerungen von Bedeutung sein, da die jetzigen 
Kalkschwämme zum grössten Theil nur in ganz geringer Tiefe leben. Die meisten 
finden sich in der Litoralzone von der Fluthgrenze bis zu 2 Faden Tiefe festgeheftet 
auf Steinen. Nur in spärlicher Zahl gehen sie bis zu 20 Faden herab, doch hat man 
vereinzelte Formen auch aus 60—70 Faden, ja eine einzige Art (Leucaltis bathybia) 
nach Haeckel sogar aus 542 Faden Tiefe heraufgezogen. 

Obwohl nach den Erfahrungen über die Metamophorse der fossilen Kiesel- 
schwämme in Kalkspath die chemische Beschaffenheit des Skeletes bei den fossilen 
Spongien nur mit grosser Vorsicht zu verwerthen ist, so dürfte es doch nicht gleich- 
gültig sein, dass vielleicht neun Zehntel aller bis jetzt bekannten fossilen Faser- 
schwämme und zwar aus den verschiedensten Formationen und Fundorten in kalkigem 
Zustande vorliegen, und dass verkieselte Exemplare in der Regel nur da vorkommen, 
wo beinahe alle ehemaligen Kalkschalen oder Skelete in Kieselerde umgewandelt sind. 

Nachdem ich den Beweis zu führen versucht habe, dass die fossilen Faser- 
schwämme zu den Caleispongien gehören, bleibt die weitere Frage zu ermitteln übrig, 
ob sich dieselben einer der jetzt lebenden Familien einfügen, oder ob sie eine selbst- 
ständige Gruppe bilden. 

Nach Haeckel zerfallen die Kalkschwämme in 3 Familien: Ascones, Leucones, 


1) Zu meiner grossen Genugthuung hat Herr H. Carter, nachdem ich ihm eine Anzahl fossiler 
Exemplare, sowie einige mikroskopische Präparate zugeschickt hatte, die Existenz fossiler Kalkschwämme 
als „unzweifelhaft“ erklärt. - 

Abh. d. II. Cl.d.k. Ak.d. Wiss. XIII. Bd. II. Abth. 3 


18 | (108) 


Syeones. Bei den Asconen ist die dünne Wand nur von vergänglichen Hautporen 
oder Locheanälen durchbohrt, bei den Leuconen entwickelt sich in der dicken Wand 
ein ziemlich eomplieirtes System von Asteanälen, bei den Syconen besteht der ganze 
Schwammkörper aus einfachen Radialtuben, welche sich nach der Magenhöhle öffnen. 

Die Syconen sind durch eine einzige im oberen Jura vorkommende Gattung 
fossil vertreten; die kalkigen Faserschwämme stimmen dagegen hinsichtlich ihres 
Canalsystems weder mit den Asconen noch mit den Syconen überein; wohl aber gibt 
es unter den lebenden Leuconen Formen mit absolut identischem Verlauf der Wasser- 
canäle. In dieser Hinsicht schliessen sich somit die fossilen Kalkschwämme am besten 
an die Leuconen an; gegen ihre Vereinigung mit denselben spricht aber entschieden 
die höchst auffallende Anordnung der Spiceulae in Faserzüge. 

Im Allgemeinen zeigt sich in der Vertheilung und Lagerung der Skeletelemente 
bei den Kalkschwämmen innerhalb der einzelnen Familien grosse Uebereinstimmung,. 
So liegen z. B. bei den Asconen die Dreistrahler fast alle in einer einzigen Schicht 
und sind vollständig in das Syneytiam eingebettet, von den Vierstrahlern dagegen be- 
finden sich die drei facialen Schenkel völlig in der Fläche des Dermalblattes, wäh- 
rend der vierte oder apicale Strahl frei in die Magenhöhle hineinragt. Auch die 
Stabnadeln sind ursprünglich ganz vom Syneytium umschlossen, doch springen sie 
nachträglich meist mehr oder weniger vor und bilden Büschel, Kränze und Borsten. 

Ueberaus regelmässig sind die Spieulae bei den Syconen vertheilt. Die Zu- 
sammensetzung der Wand aus Radialtuben bedingt eigenthümliche Differenzirungs- 
Verhältnisse im Skelet und eine bestimmte radiale Anordnung der einzelnen Theile. 
Man unterscheidet darum stets das eigentliche Skelet der Wand und der Radialtuben 
von dem Skelet der Gastral- und Dermal-Fläche. Ersteres besteht meist nur aus 
Dreistrahlern, sehr selten aus Stabnadeln oder Vierstrahlern; in der Regel bilden 
die Dreistrahler mehrere parallele Schichten und sind immer so gelagert, dass sich 
der sagittale Strahl gegen aussen kehrt, während die beiden lateralen (meist kür- 
zeren) Schenkel fast in einer Ebene schräg nach Innen divergiren. Auch im Dermal- 
und Gastral-Skelet zeichnen sich die Spieulae durch ihre gesetzmässige Anordnung aus. 

Ganz anders sind die Skeletelemente der Leuconen gelagert. Auch bei diesen 
zeigen die äussere Oberfläche und die der Magenhöhle eine von der eigentlichen 


Wand abweichende Beschaffenheit, so dass man ebenfalls Dermal-Skelet, Parenchym- _ 


Skelet und Gastral-Skelet unterscheidet. Im Innern der dieken Wand wird das Pa- 
renchym-Skelet aus einer Masse von Kalknadeln von verschiedener Form und Grösse 
gebildet, die ohne alle Ordnung durcheinander gestreut sind. Meist überwiegen 
die Dreistrahler, denen sich in geringer Menge Vierstrahler und Stabnadeln bei- 
mischen. Die Oberfläche der Leuconen ist entweder glatt oder stachelig. Das glatte 
Dermalskelet entsteht dadurch, dass sich die Spieulae dieht aneinander drängen, 
und etwas regelmässiger angeordnet sind, als im Innern der Wand. Das stachelige 
Dermalskelet wird durch grosse Stabnadeln gebildet, welche mit ihrem distalen Theil 


u Be, 


(109) 19 


über die Oberfläche hervorragen. In ähnlicher Weise wie das Dermalskelet entsteht 
auch das glatte oder stachelige Skelet der Gastralfläche. 

Wie man aus dieser flüchtigen Darstellung der Skeletverhältnisse bei den le- 
benden Kalkschwämmen sieht, unterscheiden sich die fossilen Formen wesentlich da- 
durch von den Asconen, Syconen und Leuconen, dass ihre meist einaxigen Nadeln 
in Faserzüge gruppirt sind, worin sie in paralleler Richtung zur Längsaxe der Faser, 
wie die Pfeile in einem Köcher, dicht aneinander liegen. Diese Eigenthümlichkeit, 
in Verbindung mit gewissen charakteristischen Merkmalen des Canalsystems und der 
äusseren Form, rechtfertigen die Aufstellung einer besonderen Familie, für welche 
ich die Bezeichnung Pharetrones (yao£rga der Köcher) vorschlage. 


Pharetrones. Zitt. 
Aeussere Form. 

Wie in allen anderen Ordnungen liefert die äussere Gestalt der Kalkschwämme 
wegen ihrer Unbeständigkeit und Mannichfaltigkeit keine Merkmale von entscheiden- 
der, systematischer Wichtigkeit. Man findet bei den Pharetronen fast alle Former- 
scheinungen wieder, welche bei den Lithistiden vorkommen; auch hier sind Cylinder, 
Keulen, Schüsseln, Becher, Blätter, Knollen und ästige Büsche oder Zweige die ver- 
breitetsten Gestalten. Im Allgemeinen erreichen aber die Lithistiden viel beträcht- 
lichere Dimensionen, während unter den Pharetronen Schüsseln vom 70—80 mm. 
Durchmesser oder Cylinder von der gleichen Höhe schon zu den ungewöhnlich statt- 
lichen Formen zählen. Immerhin überragt die durchschnittliche Grösse der Phare- 
tronen jene der lebenden Kalkschwämme um ein Beträchtliches. 

Die Wände besitzen eine ansehnliche Dieke und bestehen aus soliden anasto- 
mosirenden Kalkfasern. 

Die Magenhöhlen lassen sich meist sehr deutlich von den Canalostien oder 
Poren der Oberfläche unterscheiden. Sie sind bald röhrig vertieft und reichen vom 
Scheitel bis zur Basis, bald von trichterförmiger Gestalt, bald seicht, zuweilen sogar 
kaum in die Skeletmasse eingesenkt. 

Sämmtliche Pharetronen heften sich auf einer Unterlage fest. 


Das Canal-System 


stimmt bei vielen Pharetronen, namentlich bei solchen mit wohlentwickelter ver- 
tiefter Magenhöhle, mit dem der Leuconen überein. Es münden ungerade Astcanäle, 
welche mit ihren feinen verzweigten Enden in der Näbe der Oberfläche beginnen, 
und sich gegen Innen zu einem immer dicker werdenden Stamme vereinigen, in die 
Magenhöhle. Diese Canäle haben meist radialen Verlauf, doch stellen sie sich in der 
Mitte des Schwammkörpers namentlich bei seichter Magenhöhle zuweilen auch senk- 
recht und führen letzterer das Wasser von unten her zu. Die Canalostien auf der 
Gastralfläche stehen unregelmässig und sind in ihrer Grösse abhängig von der Stärke 
der Canäle. 
3* 


N 


20 (110) 


Bei Formen mit unentwickelten Magenhöhlen dringen feine, ungerade Canälchen 
von einer oder auch von beiden Oberflächen in die Wand ein, ohne dieselbe zu 
durchbohren. 

Nicht selten fehlen bestimmte Canäle vollständig und zwar beobachtet man 
diese Erscheinung sowohl bei Formen mit röhriger Magenhöhle, als auch an solchen 
ohne alle Oscula und Magenhöhlen. In allen Fällen, wo Canäle fehlen, zeigt das 
Skeletgewebe eine lockere Beschaffenheit, welche die Wassereirculation unbehindert 
gestattet. 

Höchst eigenthümlichen Erscheinungen der Wassercireulation begegnet man bei 
den Gattungen Verticillites und Celyphia. Bei der erstgenannten Gattung bestehen 
die eylindrischen Individuen mit röhriger Magenhöhle aus aufeinander geschichteten 
Hohlringen, von denen die Decke des einen immer als Basis für den folgenden dient. 
Nur die Wände dieser Ringe bestehen aus Nadelfasern, das Innere ist hohl. Von 
den Hohlräumen der Ringe führen feine Locheanäle in die Magenhöhle, und durch 
ähnliche Canäle stehen sie selbst unter einander in Verbindung. Bei Celyphia sind 
die Stöcke aus hohlen, kugeligen Individuen zusammengesetzt, die keine gemeinsame 
Magenhöhle besitzen und lediglich durch kleine runde Oeffnungen mit der Aussen- 


welt communiciren. 


Skelet und Erhaltungszustand 


der Pharetronen wurden bereits oben ausführlich geschildert, so dass über die Fasern 
und deren Bau nichts wesentliches mehr zu bemerken übrig bleibt. Eine beachtenswerthe 
Eigenthümlichkeit der Pharetronen besteht darin, dass niemals isolirte Oberflächen- 
Nadeln von charakteristischer Form oder besonderer Grösse vorkommen. Das Faser- 
skelet tritt entweder nackt und ungeschützt an die Oberfläche oder es ist von einem 
äusseren glatten Dermalskelet umhüllt, welches jedoch nicht wie bei den Lithi- 
stiden aus abweichend geformten Oberflächennadeln sondern genau aus denselben 
kleinen Nadeln besteht, wie das ganze übrige Skelet. Dem unbewaffneten Auge er- 
scheint die Dermalschicht der fossilen Kalkschwämme glatt oder concentrisch runzelig 
und ganz übereinstimmend mit der sogenannten Epithek der Korallen. Man hat 
sie desshalb bisher auch stets mit diesem Namen bezeichnet. Nur selten gelingt es 
übrigens ihre Nadelstruktur noch nachzuweisen, da sich gerade an der Oberfläche die 
chemischen Einflüsse besonders geltend machten und meist zur vollständigen Zerstör- 
ung der Skeletelemente führten. 


Systematik. 

Von einer speciellen Classification der formenreichen Familie der Pharetronen 
musste vorerst noch abgesehen werden, da nur bei wenigen Gattungen die Skelet- 
nadeln mit genügender Deutlichkeit beobachtet werden können. In der Regel muss 
man sich begnügen, die Anwesenheit von Spiculae überhaupt zu constatiren und nur 
ausnahmsweise ist man auch in der Lage die Form derselben genau zu unterscheiden. 


(111) 91 


Alle soustigen von der äusseren Form, dem Aufbau und dem Canalsystem entlehnten 
Merkmale erwiesen sich als unzureichend zur Aufstellung und namentlich zur scharfen 
' Abgrenzung natürlicher Gruppen. Ich habe darum im speciellen Theil die Gattungen 
in der Reihenfolge aufgezählt, wie sie sich nach der Gesammtheit ihrer der Beobach- 
tung zugänglichen Merkmale am besten aneinander anschliessen. 


Vorkommen, zeitliche Verbreitung und Stammesgeschichte. 


Im Gegensatz zu den Hexactinelliden und Lithistiden finden sich die Phare- 
tronen gesellig und in grösserer Menge nur in Ablagerungen litoralen Ursprungs, 
am häufigsten in mergeligen und sandigen Gesteinen, meist vermischt mit zahlreichen 
Gastropoden, Pelecypoden, Brachiopoden, Bryozoen und Echinodermen. Die ältesten 
Kalkschwämme, welche mir zur Untersuchung vorlagen, stammen aus dem devonischen 
Stringocephalenkalk von Vilmar in Nassau, einer durch Reichthum an schön erhal- 
tenen Gastropoden und Bivalven berühmten Localität. Sie gehören der formenreichen 
Gattung Peroaella an. Nach einer mündlichen Mittheilung von Herrn Prof. de Ko- 
ninck sollen zahlreiche, unbeschriebene Formen im Kohlenkalk von Tournay gefunden 
worden sein. Unter den von Geinitz und King beschriebenen Spongien der Dyas 
dürfte Eudea tubereulata King zu Corynella gehören, die meisten anderen sind sehr 
zweifelhaften, zum Theil sicher unorganischen Ursprungs. 

Die ausseralpine Trias hat nur in Schlesien eine Pharetronen-Gattung (Cory- 
nella) geliefert, dagegen findet sich in den Alpen bei St. Cassian und der Seeland- 
Alpe unfern Schluderba®h die erste reiche Kalkschwammfauna, in welcher 13 Gat- 
tungen mit zahlreichen Arten nachgewiesen worden sind. Diese Ablagerungen 
tragen das entschiedenste Gepräge von Litoralbildungen und sind erfüllt von jener 
charakteristischen Pygmäenfauna, die nach Fuchs in ehemaligen Tangwiesen gelebt 
baben soll. Die Gattungen Eudea, Peronella, Corynella, Verticillites, Colospongia, 
Stellispongia, Leiospongia, Pharetrospongia etc. repräsentiren bereits die wichtigsten 
Modifieationen, welche hinsichtlich des Aufbaus und der äusseren Erscheinung bei 
den Pharetronen überhaupt vorkommen. 

Aus der rhätischen Stufe der, bayerischen Alpen sind mir schlecht erhaltene 
zum Theil verkieselte Kalkschwämme bekannt, die sich jedoch nicht näher bestimmen 
lassen. Der Lias scheint für die Entwickelung von Spongien höchst ungünstig ge- 
wesen zu sein; er hat bis jetzt nur vereinzelte Kieselnadeln, aber keine zusammen- 
hängende Skelete weder von Kiesel- noch von Kalk-Schwämmen geliefert. 

Aus dem unteren Oolith von Bayeux und Port en Bessin in Calvados erwähnen 
Michelin und d’Orbigny zahlreiche Spongien, die zum grössten Theil zu den 
Pharetronen (Peronella, Corynella, Pharetrospongia, Stellispongia) gehören. Noch 
reichlicher finden sich dieselben Gattungen im Grossoolith von Ranville, St. Aubin 
und Langrune sowie in den gleichaltrigen Schichten des Krakauer Gebietes, insbe- 


sondere bei Balin. 


ID 
DD 


(112) 


Der obere Jura, welcher in den sog. Spongitenkalken des Juragebirges, so er- 
staunliche Mengen von Hexactinelliden und Lithistiden führt, ist arm an Kalk- 
schwämmen. Als Seltenheit erscheint hier der älteste Vertreter der Syconen (Seyphia 
punctata Goldf.), begleitet von Myrmecium rotula Mst. und Peronella eylindrica Goldf. 
Als Horizonte für Kalkschwämme können dagegen das Terrain ä chailles, das Coralrag 
von Nattheim und die kieseligen Jurakalke von Amberg bezeichnet werden. An diesen 
Localitäten finden sich verschiedene Arten von Peronella, Corynella, Eusiphonella, 
Crispispongia, Stellispongia, Eudea und Blastinia und zwar meist in verkieseltem 
Zustand. Auch aus der Gegend von Bruntrut und Chambery sind durch Etallon!) 
und Fromentel?) eine Anzahl oberjurassischer Kalkschwämme aus den genannten 
Gattungen beschrieben worden. 


In der Kreideformation scheinen die Pharetronen den Höhepunkt ihrer Ent- 
wicklung erreicht zu haben. Sie liegen massenhaft in verschiedenen Horizonten der 
unteren Abtheilung dieser Formation (Valenginien, Neocomien und Aptien) und es 
haben namentlich der norddeutsche Hils, das Neocom von St. Dizier, Germiney, 
Vassy, Morteau, Fontenoy u. s. w. in Frankreich, das Valenginien von Arzier, das 
Neocomien vom Mont Salöve, das Urgonien von la Rusille und Landeron, das 
Aptien von La Presta in der Schweiz und der untere Sand von Farringdon in Eng- 
land durch -die Arbeiten von Fromentel?°), F. A. Römer‘), Loriol?) und Sharpe) 
eine gewisse Berühmtheit erlangt. 


Im Cenomanian zeichnen sich die Toartia von Essen, der Gründsand von Le 
Mans und Cambridge durch Reichthum an trefflich erhaltenen Kalkschwämmen aus 
und schliesslich bildet der Kreidetuff von Maestricht die Localität, welche die letzten 
Vertreter der Pharetronen in grösserer Menge beherbergt. 


Wie aus nebenstehender Tabelle ($. 23) hervorgeht, stimmen die meisten cre- 
tacischen Gattungen mit den bereits im Jura vorkommenden überein. 


1) Thurmann und Etallon. Lethaea Bruntrutana. Neue Denkschriften der schweizerischen 
naturforschenden Gesellschaft. Bd. XIX und XX. 
2) Pillet et Fromentel. Description geologique et pal&ontologique de la colline de Lemenc 
Chambery 1875. 
3) Fromentel E. de. Introduction a l’etude des eponges fossiles. Mem. Soc. Lin. de la Nor- 
mandie vol. XI. 1859. 
Br Catalogue raisonne des Spongitaires de l’ötage Neocomien. Bull. Societe 
des sciences de lYonne 1861. 
4) RömerF.A. Die Spongitarien des norddeutschen Kreidegebirges. Palaeontographica XIII. 1864. 
5) Loriol P. de. Description des animavx invert. foss. du neocomien moyen du Mont. Saleve 1863. 
. Monographie des couches de l'etage Valenginien d’Arzier, in Pictet’s Materi- 
aux pour la Paleontologie Suisse 4 ser. 1868. 
r et Gillieron. Monographie de l’&tage Urgonien inferieure de Landeron. Mem. 
soc. helv. des sciences nat. vol. XXIII. 169. _ 
6) Sharpe. Quarterly journal of the geological society. 1854. vol. X. 


(113) 


Jetztzeit. 


Zeitliche Vertheilung der Kalkschwämme. 


Leucones. 


Leucetta. 
Leueylla. 
Leucyssa. 
Leucaltis. 
Leucortis. 
Leuculmis. 


Ascones. 


Ascetta. 
Asceylla. 
Ascyssa. 
Ascaltis. 
Ascortis. 
Asculmis. 
Ascandra. 


Leucandra. 


DD 
IS) 


Sycones. 


Sycetta. 
Sycylla. 
Syeyssa. 
Sycaltis. 
Sycortis. 
Syeulmis. 
Sycandra. 


Tertiär. 


Isyorleisritser Na dreslin. 


Obere und mitt- 
lere Kreide, 


— Verticillites. 
Peronella. 
Corynella. 

-? Hippalimus. 
Synopella. 


Pharetrones. 


Oseulospongia. 
Elasmostoma, 
Diplostoma. 
Pharetrospongia. 
Pachytilodia, 


Untere Kreide. 


Vertieillites. 
Peronella. 
Elasmocoelia. 
Conocoelia. 
Corynella. 
Stellispongia. 


Sestrostomella. 
Synopella. 
Oculospongia. 
Elasmostoma. 
Diplostoma. 
Pharetrospongia. 


Oberer Jura. 


Eudea. 
Pe&onella. 
Eusiphonella. 
Corynella. 
Myrmecium. 
Stellispongia. 
Sestrostomella. 
Blastinia. 
Crispispongia. 


Mittlerer Jura. 


Lias. 


Trias. 


Dyas. 


Eudea. 


Colospongia. 
Verticillites. 
Celyphia. 
Himatella. 
Peronella. 


Protosycon. 


Eudea. 
Peronella. 
Corynella. 
Lymnorea. 
Stellispongia. 
Sestrostomella. 
Pharetrospongia. 


Corynella. 
Stellispongia. 
Sestrostomella. 
Crispispongia. 
Pharetrospongia. 
- Leiospongia. 
?Peronella. 
?Corynella. 


Kohlenkalk. | 
Devon. 


? 


Peronella. 


sn (114) 


Auffallender Weise sind in der Tertiärformation, abgesehen von isolirten Nadeln 
im Rothen Crag, welche von Johnson der Grantia compressa zugeschrieben werden, 
keine Kalkschwämme nachgewiesen worden ; es scheinen somit die offenbar am meisten 
widerstandsfähigen Pharetronen mit Ende des mesolithischen Zeitalters erloschen zu sein. 


Im Gegensatz zu den Kieselschwämmen zeigt sich bei den Pharetronen eine 
ziemlich continuirliche Entwickelung. Viele Gattungen überschreiten die Grenzen von 
ein oder zwei Formationen und zeichnen sich durch ungewöhnliche Langlebigkeit aus. 
Auch die Formenveränderung innerhalb der Gattungen bewegt sich in bescheidenen 
Grenzen, so dass unter Umständen die Arten aus der obersten Kreide denen aus Jura 
und Trias zum Verwechseln ähnlich sehen. « 


In der ehemaligen Lebensweise der Kalkschwämme liegt wohl am einfachsten 
die Erklärung ihrer mehr geschlossenen Aufeinanderfolge. Sie waren Küstenbewohner 
und da im Allgemeinen mehr Litoral- als Tiefseebildungen der Untersuchung zu- 
gänglieh sind, so kann es auch nicht befremden, wenn die Kalkschwämme an zahl- 
veicheren Localitäten und in mehr Horizonten auftreten, als die auf Tiefsee-Ablager- 
ungen angewiesenen Hexactinelliden und Lithistiden. 


In phylogenetischer Hinsicht dürfen wohl die Pharetronen als diejenigen Formen 
betrachtet werden, aus denen sich die heutigen Leuconen und Asconen entwickelt 
haben. Will man mit Haeckel als Stammform der Kalkschwämme (abgesehen von 
den problematischen vorhergehenden und erhaltungsunfähigen Embryonaltypen) einen 
mit Osculum und Magenhöhle versehenen festsitzenden Olynthus annehmen, so muss 
man sich denselben mit Stabnadeln versehen denken, denn nicht nur treten die ein- 
axigen Skeletgebilde bei den Larven der heutigen Kalkschwämme zuerst auf und sind 
somit als die genetisch ältesten zu betrachten, sondern sie setzen auch bei den älteren 
Pharetronen ausschliesslich die Skelete zusammen. 


Auf eine eingehendere Besprechung des genetischen Zusammenhangs der ein- 
zelnen Gattungen bei den Pharetronen, wie dies Haeckel für die Genera der drei 
lebenden Familien gethan hat, muss angesichts der noch unvollkommenen Kenntniss 
des Details in der Skeletbeschaffenheit verziehtet werden; sie würde nur unzuver- 
lässige Resultate ergeben. Auch darüber ob, in welcher Weise und zu welcher Zeit 
die Aseonen und Leuconen sich aus den Pharetronen entwickelt haben, fehlt es vor- 
läufig noch an festen Anhaltspunkten. Wohl aber steht fest, dass sich die Familie 
der Syconen schon frühzeitig (jedenfalls schon im Jura) abgezweigt hat. 


(115) 25 


Uebersicht der fossilen Kalkschwämme, 


1. Familie: Ascones. Haeckel. 


Magenwand dünn, von unbeständigen Hautporen, wandungs- 
losen und vergänglichen Parenchym-Lücken, nicht vonbleibenden 
Canälen durchsetzt. Skeletnadeln meist in einer einzigen Schicht 
parallel der Oberfläche. 

Fossile Vertreter bis jetzt nicht bekannt. 


3. Familie: Leucones. Haeckel. 


Magenwand dick, unregelmässig von ungeraden und verästelten, 
meist anastomosirenden und ohne bestimmte Anordnung verlaufenden 
Asteanälen durchsetzt. Parenchymskelet aus regellos gelagerten Nadeln 
bestehend, ausserdem besondere Dermal- und Gastral-Schichten. 

Fossile Formen unbekannt!). 


3. Familie: Pharetrones. Zitiel. 


Wand diek, mit ungeraden Astcanälen oder ohne alle Canäle. Ske- 
letelemente zu anastomosirenden Fasern angeordnet. Dermalschicht 
häufig vorhanden. 


1) Durch Herrn Prof. Dr. Toula in Wien wurde mir vor einigen Tagen zwei der älteren Kreide 
zugehörige Gesteinsstücke aus Pirot in Bulgarien zugesandt, welche fast ganz aus kleinen, subeylin- 
drischen gegen unten verschmälerten Körpern von c. 10—15 mm. Länge und 3—4mm. Dicke bestehen. 
Die offenbar organischen Hohlkörper erinnern am meisten an die Gyroporellen der Trias, allein es 
fehlen ihnen die charakteristischen Poren und Canale derselben. In der Centralhöhle münden allerdings 
radiale Canäle, die sich gegen unten steiler stellen und-schliesslich vertical von unten in die Magen- 
höhle führen, allein ein Fasergewebe fehlt. Dagegen beobachtet man zuweilen in der meist homogenen 
Masse der Wand einzelne grosse Stabnadeln , und drei- oder vierstrahlige Spieulae, deren Form nicht 
genau zu ermitteln ist. Sollten diese massenhaft vorkommenden Körper, wie ich vermuthe zu den 
Leuconen gehören, so würde diese Familie somit schon in der Kreide beginnen. 

Spätere Anmerkung während des Druckes. 


Ah.d. II. Cl.d.k.b. Akd. Wiss. XIII. Bd. U. Abth. 4 


2%6 (116) 


Eudea. Lam. 
1821. Exposition meth. 8. 46. pl. 74. Fig. 1—4. 


Syn. Eudea p. p. d’Orb.; Verrucospongia p. p. d’Orb.; Epeudea, Ependea, Stegendea 
From.; Spongites, Orispongia Quenst.; Solenolmia, Verrucospongia, Eudea, Elasmeudea Pomel. 


Schw. einfach oder ästig, eylindrisch, keulenförmig oder birnförmig festge- 
wachsen; mit röhriger, enger, bis zur Basis reichender enger Centralhöhle. Das Skelet 
besteht aus groben anastomosirenden Fasern, welche sich an der Oberfläche mit Aus- 
schluss des Scheitels plattig ausbreiten, mit einander verschmelzen und eine glatte 
dichte Dermalschicht bilden, worin runde oder verzerrte, zuweilen gerandete Oeff- 
nungen liegen, die mit seichten Vertiefungen in Verbindung stehen. In derselben 
Weise besteht auch die Wand der Magenhöhle aus einer glatten Schicht, die nur 
von den porenförmigen Oeffnungen durchstochen ist. 

Das Canalsystem ist wegen der grossmaschigen Beschaffenheit des Skeletes un- 
deutlich entwickelt; das Wasser trat wahrscheinlich durch die grossen Ostien der Ober- 
fläche in den Schwammkörper, circulirte zwischen den groben Nadelfasern und gelangte 
durch die oben beschriebenen Poren in die Magenhöhle. An angeschliffenen Exem- 
plaren zeigen sich weder in Längs- noch Quer-Schnitten Canäle. 

Von dieser Gattung wurde schon im Jahre 1821 von Lamouroux eine Species 
aus dem Grossoolith von Caen beschrieben und Herrn Eudes-Delongchamps zu Ehren be- 
nannt. Michelin Ic. 58. 8 gibt eine neue vortreffliche Abbildung der gleichen Art, 
hält jedoch sonderbarer Weise die charakteristische glatte Epidermis der Oberfläche für 
einen fremden parasitischen Körper, für welchen er den Gattungsnamen Eudea beibehält, 
während die vermeintliche Unterlage als Scyphia clavarioides oder cymosa bezeichnet wird. 

d’Orbigny stellt Michelin’s Eudea cribaria wieder zur Lamouroux’schen Art, trägt 
jedoch den Namen Eudea auf eine grosse Anzahl cylindrischer Schwämme mit wohl ent- 
wickeltem Canalsystem. 

Fromentel endlich behält, allen Regeln der Terminologie entgegen, den Namen 
Eudea für einen grossen Theil der von d’Orbigny der Lamouroux’schen Gattung zuge- 
theilten Formen bei und bezeichnet die typische Art (E. clavata Zamz. —= Eudea cri- 
braria Mich.) mit einem neuen Gattungsnamen Epeudea (oder Ependea). Später errichtet 
Fromentel für die ästigen Formen eine besondere Gattung Stegendea (richtiger Ste- 
geudea). 

Pomel geht zwar wieder auf die Lamouroux’sche Anschauung zurück, gründet 
aber nebenher noch die überflüssigen Gattungen Elasmeudea und Solenolmia. 

Bei Quenstedt werden die oberjurassischen Arten in früheren Werken als Spon- 
gites, in der Petrefaktenkunde Deutschland dagegen unter dem Gattungsnamen Orispongia 
beschrieben. 

Von Eudea kommen mehrere Arten schon in der alpinen Trias vor; ihre Haupt- 
verbreitung findet die Gattung jedoch im oberen Jura. Hier sind die Exemplare häufig 
theils an ihrer Oberfläche, theils vollständig verkieselt, 


(117) 27 


1) Seyphia Manon. Münst. Beitr. IV. 1. 15. Trias. St. Cassian. 

2) Scyphia polymorpha. Klipst. Oestl. Alp. 19. 12. St. Cassian. 
(Verrucospongia polymorpha. Laube Fauna von St. Cassian 1. 12.) 

3) ?Epeudea pusilla. Zaube. 1. 1. St. Cassian. 

4) Eudea clavata. Lamx. Expos. meth. 74. 1—4 Bathonien. 
(Eudea cribraria. Mich. Ic. 58. 8.) 

5) Spongites perforatus. Quenst. Jura 84. 26. 27. Ob. Jura. 
(Orispongia perforata. Quenst. Petr. V. 124. 22—28). 


6) Orispongia globata. Quenst. ib. 124. 29— 34. Ob. Jura. 
(Manon peziza p. p. Goldf. 34. 8) 


7) Orispongia pisum. Quenst. ib. 124. 35. 36. 
8) Epeudea macropora, From. Polyp. cor. de Gray. 15. 2. Coralrag. 


9) Eudea corallina. Zt. Sur la classific. des Spongiaires du Haut-Jura Actes de 
la Soc. jurass. d’emulation 1860. 8. 147. Fig. 13. 


10) Ependea elongata. From. et Pill. Coll. de Lem. 12. 5. 6. Tithon. 
11) Stegendea ‚Pilleti. From. et Pill. ib. 13. 8. Tithon. 


Colospongia. Laube. 
Fauna von St. Cassian. S. 17. t. 1. Fig. 16. 
Syn. Manon p. p. Münst. Klipst.; Amorphospongia p. p. d’Orb. 


Schw. eylindrisch, keulenförmig, zuweilen ästig, aus kugeligen oder ringförmigen 
Segmenten aufgebaut, welche äusserlich durch tiefe Einschnürungen angedeutet sind. 
Oberfläche grob porös, die unteren Segmente zuweilen mit glatter, dichter Dermal- 
schicht bekleidet. Scheitel gewölbt. mit kleinem kreisrundem Osculum einer engen 
den ganzen Schwammkörper durchbohrenden Centralröhre. 

Die Segmente sind im Innern ausgefüllt von einem äusserst lockeren anasto- 
mosirenden Fasergewebe, das sich an den Wandungen etwas verdichtet. Canalsystem 
fehlt. 

Ich habe die Laube’sche Gattungsdiagnose nach einem wohlerhaltenen ästigen Exemplar 
von der Seeland-Alpe, welches im Durchschnitt eine Centralröhre zeigt, und nirgends eine 
Spur von Epithek erkennen lässt, modificirt. Colospongia vermittelt Eudea und Peronella 
mit Vertieillites. Von letzterer unterscheidet sich die vorliegende Gattung durch unvoll- 
kommener entwickelte Querböden sowie dadurch, dass die Segmente im Innern nicht hohl, 
sondern von lockerem Skeletsewebe erfüllt sind. 

Die einzige Art stammt aus der alpinen Trias. 

Colospongia dubia. Laube. Fauna von St. Cassian. 1. 16. 
(Mamon dubium. Mstr. Beitr. IV. 1. 11.) 


(Manon pertusum. Klipst. Oestl. Alp. 19. 14.) 
4* 


28 (118) 


Vertiecillites. Defr. 


Syn. Verticillites (Ellis) Defr., d’Orb.; Scyphia Goldf.; Verticillopora Blainv., Sharpe 
(non MCoy); Verticillocoelia From.; Vertieillites, Cystopora Pomel ; Verrucospongia p. p. Laube. 


Schw. einfach oder buschig. Einzelindividuen cylindrisch oder keulenförmig, an 
der Oberfläche häufig mit horizontalen Einschnürungen. Scheitel mit kreisrundem Os- 
culum. Der ganze Schwammkörper ist aufgebaut aus dünnwandigen Hohlringen, von 
denen sich jeder in der Weise dem vorhergehenden anfügt, dass die horizontale oder 
gewölbte Decke des ersteren zugleich den Boden des darauf folgenden bildet. Diese 
Ringe werden von einer senkrechten, vom Osceulum bis zur Basis reichenden Central- 
röhre durchbohrt. Die Wand der Centralhöhle, die äussere Wand und die Querböden 
sind vielfach durchlöchert und mit Canälen versehen, die in das Innere der hohlen 
Segmente führen. Sämmtliche Wandungen bestehen aus einem Gewebe anastomosi- 
render Kalkfasern. Bei einzelnen Arten werden die Böden der Hohlringe durch feine 
Verticalfortsätze der Skeletsubstanz mit einander verbunden. 

Die Mikrostruktur des Kalkskeletes ist in der Regel zerstört, so dass die Fasern 
bei starker Vergrösserung lediglich eine krystallinisch strahlige Beschaffenheit er- 
kennen lassen. An einem Exemplar von Verticillites anastomans Mant. aus dem 
Aptien von La Presta ist es mir indess gelungen, die Zusammensetzung der Fasern 
aus meist deutlich dreistrahligen Nadeln zu constatiren. Damit ist die Zugehörigkeit 
dieser Gattung, welche sich in ihrem Gesammthabitus auf das Innigste an Peronella 
anschliesst, zu den Spongien sicher gestellt. 

Ich kenne verschiedene Arten aus der Trias und unteren Kreide. 


a) Aus der Trias: 
1) Seyphia armata. Klipst. Beitr. 19. 13. 14. 
(Verrucospongia armata Laube Fauna v.. St. Cassian. 1. 10.) 
Ich habe durch Herrn Dr. Loretz eine Anzahl Exemplare von der Seeland-Alpe 
erhalten, welche die Hohlringe, die etwas gewölbten Horizontalböden und die perforirte 
Wand der Centralröhre vorzüglich erkennen lassen. 


b) Aus der Kreide. 

1) Verticillopora anastomans. Mantell. Wonders of Geology. S. 636. Fig. 3. Me- 
dals 2 ed. 8. 227. Fig. 4. 8. 229. Fig. 3. 
(Vertieillopora anastomans. Sharpe. Quart. journ. 1854. vol. X. pl. 5. 1.) 
(? Vertieillites trumcata. d’Orb. Prod. Et. 17. 560.) 

 (@ Discoelia Helvetica. Loriol. Urgon. Land. 5. 4—11.) 

2) Vertieillites digitata. d’Orb. ib. Et. 19. 357. 

3) Vertieillites incrassata. d’Orb. ib. Et. 20. 768. 

4) Thalamopora siphonioides. Mich. Ic. 53. 9. 

5) Verticillites cretaceus. Defr. Diet. sciene. nat. 1829. LVII. 5. 
(Verticillite dEllis. Defr. Diet. Atlas. Polyp. pl. 44. Fig. 1.) 


(119) 29 


(Verticillopora cretacea. Blv. Manuel Actinol. 66. 1.) 
(Verticillites cretaceus. Bronn Leth. geogn. 29. 5.) 

6) Vertieillites Goldfussi. d’Orb. Prod. Et. 22. 1463. 
(Scyphia verticillites. Goldf. 65. 9.) 


Celyphia. Pomel. 
Pal d’Oran. S. 229. 


Syn. Manon p. p. Mstr. Klipst.; Hippalimus p. p. @Orb.; Verrucospongia p. p. Laube. 


Schw. aus kugeligen oder eiförmigen, unregelmässig an einander gereihten, oft 
zu knolligen Massen vereinigten Individuen zusammengesetzt, welche je nach ihrem Alter 
beständig an Grösse zunehmen. Wand der Einzelindividuen dicht, von vereinzelten, 
gerandeten Osculis durchbohrt. Diese Wand umschliesst einen Hohlraum, welcher aus 
sehr unvollständig von einem ganz lockeren, aus feinen anastomosirenden Fasern ge- 
bildeten Gewebe ausgefüllt wird. 

Bei mikroskopischer Betrachtung erscheint sowohl die Wand, als auch das Fa- 
sergewebe im Innern dicht. Da indess die gleiche Beschaffenheit auch an vielen ächten 
Kalkschwämmen aus St. Cassian beobachtet wird, so könnte diese Beschaffenheit 
wolıl als eine Folge späterer Veränderungen betrachtet werden. 

Diese höchst eigenthümliche Gattung stelle ich nur mit vielen Zweifeln unter die 
Kalkschwämme. Die ganze äussere Erscheinung, die Zusammensetzung aus vereinzelten, 
wohl begrenzten Kammern erinnert eher an gewisse Foraminiferen; allein die theilweise 
Ausfüllung der Kammern durch ein lockeres Maschengewebe ist wieder unvereinbar mit 
dem Begriff einer Foraminifere. 

Die Struktur gewährt keinen Aufschluss über die zoologische Stellung dieser Gat- 
tung, welche sich, noch am besten an Colospongia und Verticillites einreihen dürfte. 

Die einzige Art stammt aus der Trias von St. Cassian. 

Manon submarginatum. Mst. Beitr. IV. 1. 9. 
(Manon pisiforme. Mstr. ib. 1. 8.) 
(Verrucospongia submarginata. Laube. Fauna von St. Cassian. 1. 11.) 


Himatella. Zit. 


(Ö@u«tıov Ueberzug.) 
Syn. Tragos p. p. Münst., Klipst.; Lymnorea p. p. @’Orb.; Lymnoretheles p. p. Laube. 


Schw. verkehrt kegelförmig, einfach. Scheitel schwach convex mit centralem, 
kreisrundem Oseulum: der Ausfuhröffnung einer engen, den ganzen Schwamm durch- 
bohrenden Röhre. Oberfläche bis zum Rand des Scheitels mit einer glatten oder con- 
centrisch-runzeligen Dermalschicht versehen. Radial- und sonstige Canäle fehlen. Im 
Längsschnitt zeigt das Faserskelet Neigung sich in regelmässigen Abständen parallel 
dem Scheitel etwas zu verdichten, so dass dadurch eine schwache Andeutung von 
Querböden hervorgerufen wird. 


30 (120) 


Diese Gattung verknüpft Peronella mit Colospongia und Verticillites. Die enge per- 
forirende Centralhöhle, der Mangel an Radialcanälen erinnert an Peronella, die allerdings 
nur leise Andeutung von Segmentbildung an die zwei letzgenannten Gattungen. Charak- 
teristisch für Himatella ist die glatte, bis zum Scheitel heraufgehende Epithek. 

Die einzige bis jetzt beschriebene Art findet sich in der alpinen Trias. 

Tragos milleporatum. Mstr. Beitr. IV. 1. 17. 


Peronella, Zitt. 
(reoovn kleine Röhre.) 

Syn. Scyphia, Siphonia, Spongia auct.; Eudea p. p., Hippalimus p. p., d’Orb.; Sipho- 
nocoelia p. p., Polycoelia p. p., Discoelia p. p., Stenocoelia Fromentel; Pareudea p.p. Etall. 
Dendrocoelia Laube; Coeloconia, Dyoconia, Gymnorea, Pliocoelia, Siphonocoelia, Loenocoelia 
Pomel ; Spongites, Dermispongia, Radieispongia Quenst. 

Einfach oder durch Knospung ästig; Einzel-Individuen cylindrisch diekwandig ; 
Scheitel gewölbt, seltener eben, in der Mitte mit engem, kreisrundem Osculum der 
röhrenförmigen Magenhöhle, welche mit nahezu gleichbleibendem Durchmesser die 
ganze Länge des Schwammkörpers bis in die Nähe der Basis durchbohrt. Einström- 
ungscanäle fehlen. Wand der Magenhöhle und Oberfläche porös. Aussenseite entweder 
nackt oder an der Basis, zuweilen auch bis in die Nähe des Scheitel mit dichter, 
concentrisch runzliger Epidermis überzogen. 

Das Skelet besteht aus meist groben, wurmförmig gekrümmten, anastomosiren- 
den Fasern, die ein wirres Gewebe bilden. In den unregelmässig geformten Maschen 
und Interstitien desselben cireulirte das Wasser, ohne dass besondere Canäle oder 
Östien erforderlich waren. Die porenförmigen Oeffnungen an der Oberfläche und auf 
der Wand des Centralcanals sind lediglich Lücken des Wurmgewebes. 

In der Regel besteht das Skelet "noch aus kohlensaurem Kalk an einzelnen Lo- 
calitäten jedoch, namentlich des oberen Jura sind fast alle Exemplare verkieselt. An 
letzteren sind die Nadeln, aus denen die Fasern bestehen, niemals erhalten. An kalkigen 
Skeleten dagegen lässt sich die Mikrostruktur meist mit Sicherheit constatiren, wenn 
auch deutlich erhaltene Nadeln selten beobachtet werden. 

Der Hauptsache nach scheinen die wurmförmigen Fasern aus dreistrahligen 
(vielleicht auch vierstrahligen) Nadeln zusammengesetzt zu sein, doch gesellen sich 
häufig auch einfache Stabnadeln in grosser Zahl bei. Die Grösse und Gestalt der Drei- 
strahler, namentlich die Länge der einzelnen, zuweilen gebogenen Schenkel, variiren 
bei den verschiedenen Arten beträchtlich. 

Diese von der Trias bis in die obere Kreide verbreitete, artenreiche Gattung lässt 
sich durch die enge, röhrenförmige Centralhöhle der cylindrischen Körper, sowie durch 
den Mangel aller Radialcanäle mit Leichtigkeit von verwandten Formen unterscheiden. 
Die hieher gehörigen Formen wurden von den älteren Autoren ‚Sceyphia, Spongia oder Si- 
phonia genannt, d’Orbigny vereiniste sie irrthümlicher Weise mit den Lamouroux’schen 
Gattungen Eudea und Hippalimus. 


(121) 31 


Etallon (Etudes paleont. sur le Haut Jura 1859 S. 142) schlug für einen Theil 
der von d’Orbigny als Eudea und Hippalimus bezeichneten Arten den Gattungsnamen 
Pareudea vor, unter welchem die jurassischen Formen der vorliegenden Gattung, sowie’ 
mehrere Eusiphonellen begriffen sind. 

Im gleichen Jahr stellte Fromentel (Introduction 8. 31) die Gattungen Siphono- 
coelia und Polycoelia auf, welche der Hauptsache nach Etallon’s Pareudea entsprechen. 
Die monozoischen Formen wurden Siphonocoelia, die polyzoischen Polycoelia und da dieser 
Namen bereits vergriffen, später (Catalogue rais. des Spongit. de l’&tage Neocomien 1861. 
8. 4) Discoelia genannt. 

Diese Berichtigung ist den meisten Autoren entgangen und der Name Polycoelia 
wurde darum von Laube durch Dendrocoelia, von R. Tate durch Coeloscyphia!), 
von Pomel durch Pliocoelia ersetzt. 

Eine generische Trennung der monozoischen uud polyzoischen Formen ist bei der 
vorliegenden Gattung durchaus unstatthaft, denn zuweilen erscheint ein und dieselbe Art 
als einfaches Individuum und als zusammengesetzter Stock. Ebenso wenig scheint mir die 
Gattung Stenocoelia From. (Cat. rais. S. 4) wohl begründet zu sein. Hieher rechnet 
Fromentel solche Discoelien, bei denen die Einzelindividuen fast bis zum Scheitel seit- 
lich mit einander verwachsen sind, so dass knollige Stöcke mit perforirten warzigen Er- 
hebungen gebildet werden. 

Quenstedt beschreibt in seinem neuesten Werk die jurassischen Formen unter 
der generischen Bezeichnung Spongites, Vermispongia und Radicispongia, die cretacischen 
meist als Scyphia. 

Die oben citirten Gattungen Pomel’s werden theils nach der vermeintlichen kie- 
seligen oder kalkigen Beschaffenheit des Skelets, theils nach der Stärke der anastomosi- 
renden Fasern, theils nach der äusseren Form unterschieden. 

Es scheint mir nicht unwahrscheinlich, dass bei besserer Kenntniss der Nadeln, 
welche die Skeletfasern zusammensetzen, eine Spaltung der unter Peronella vereinigten 
Formen in mehrere Gattungen durchführbar wäre, denn dass in dieser Hinsicht sehr be- 
deutende Abweichungen vorkommen, beweisen schon die Abbildungen der Skeletnadeln von 
Peronella cylindrica (Taf. XII. Fig. 4) aus dem oberen Jura und P. multidigitata Mich. 
sp. (Taf. XII. Fig. 3) aus der mittleren Kreide. Einer systematischen Verwerthung der 
Nadelformen bei den fossilen Kalkschwämmen stellt jedoch der mangelhafte Erhaltungszu- 
stand unüberwindliche Hindernisse entgegen. 

Als Beispiele der Gattung Peronella mögen nachstehende Arten genannt werden: 

a) Aus der Devon-Formation. 
1) Seyphia conoidea. Goldf. 2. 4. 
2) Seyphia constrieta. Sandb. Verst. des Rheinischen Uebergangsgeb. 37. 10. 
(Scyphia turbinata. Lonsd. non Goldf.) 

1) Nach der Abbildung von Coeloseyphia suleata R. Tate (Quart. journ. geol. soc. vol. 21. S. 
43) vermuthe ich, dass diese Art nicht zu den Kalkschwämmen, sondern zu den Hexactinelliden und 
zwar in die Nähe von Polyblastidium Ziti. gehört. 


32 


(122) 


b) Aus der Trias. 
1) Peronella Loretzi. Zitt. Seeland-Alpe bei Schluderbach. 
(Siphonocoelia nsp. Loretz Zeitschr. d. deutsch. geol. Ges. 1875. S. 832.) 
2) Seyphia subcaespitosa. Münst. Beitr. IV. 1. 14. 
3) Scyphia Caminensis. Beyr. in Eck. Ueber die Formation des bunten Sandsteins 
u. Muschelkalks in Oberschlesien. 1. 2. 


c) Aus dem Dogger: 

1) Spongia cymosa. Lamx. Exp. meth. 84. 7. 

(Seyphia cymosa. Mich. Ic. 58. 3.) 
2) Spongia pistilliformis. Lamx. ib. 84. 5. Mich. Ic. 58. 4. 
3) Spongia mamillifera. Lama. ib. 84. 11. 
4) Spongia clavarioides. Lamr. ib. 84. 8-10. 
5) Tragos tuberosum. Goldf. 30. 4. : 

(Spongites mamillatus. Quenst. Petr. 131. 37—39.) 
6) Spongites fuscus. Quenst. Petr. 131. 42. 


Aus dem Malm. 
1) Seyphia cylindrica. G@oldf. 2. 3. 3. 12. 
(Scyphia elegans. Goldf. 2. 8. u. 13.) 
(Seyphia cylindrica. Quenst. Petr. 123. 6—7. 9—15.) 
2) Pareudea jurassica. #t. Etudes pal. sur le Haut-Jura. Monographie de l’etage 
corallien. $S. 143 u. sur la classific. des Spong. Fig. 14. 
3) Pareudea Mosensis. Zf. ib. S. 144. 
(Seyphia furcata. Mich. Ic. 26. 3.) 
4) Spongia floriceps. Phil. Geol. Yorksh. 84. 24. 
5) Scyphia radieiformis. Goldf. 3. 11. 
(Radieispongia radiciformis. Quenst. Petr. 123. 15 —.26.) 
6) Parendea amicorum, Ef. Leth. Brunt. 58. 27. 
(Siphonia lagenaria. Mich. Ic. 26. 4.) 
7) Polycoelia bullata. From. Intr. 1. 9. . 
8) Spongia mamillaris. Mich. Ic. 26. 5. 
9) Spongites nodulosus. Quenst. Petr. 131. 23—30. 
?10) Spongites squamatus. Quenst. ib. 131. 31. 32. 


Aus der Kreide. 

1) Scyphia elavata. Roem. Nordd. Ool. 17. 24. Hils. 

(? Siphonocoelia eylindrica. From. Cat. rais. 1. 4.) 
2) Polycoelia divaricata. Roem. Spongit. 1. 8. 
3) Polycoelia ramosa. Roem. Nordd. Ool. 17. 27. Hils. 
4) Discoelia porosa. From. Cat. rais. 2. 4. Neocomien. 

(Polycoehia punctata. Roem. Spongit. 1. 7.) 
5) Limnorea monilifera. Roem. Spongit. 1. 5. 2. 5. Hils. 


(123) 33 


6) Discoelia dumosa. From. Cat. rais. 1. 6. Hils. 
(? Seyphia subfurcata. Roem. Nordd. Ool. 17. 28.) 
(Elasmocoelia Sequana. Roem. Spongit. I. 11. non From.) 

7) Siphonocoelia compressa. From. Intr. 4. 7. Neocomien. 

S) Disceoelia macropora. From. Cat. rais. 1. 7. Neoc. 

9) Polycoelia gemmans. From. Intr. $. 4. Neoc. 

10) Discoelia strangulata. From. Cat. rais. 2. 2. Neoc. 

11) Polyeoelia tuberosa. Roem. Spongit. 1. 9. Hils. 

12) Discoelia Perroni. From. Cat. rais. 2 1. Neoc. 


13) “ Ricordeana. From. Cat. rais. 2. 3. Neoc. 
14) is glomerata. From. Cat. rais. 2. 6. Neoe. 
15) S Cottaldina. From. in Lor. Et. Val. d’Arzier 8. 7. 8. Valanginien. 


16) . Arzieriensis. Lor. ib. 8. 11. 12. Valanginien. 

17) Siphonocoelia tenuicula. Zor. Urgon. Land. 4. 9. Urgon. 

18) en cyathiformis. Zor. ib. 4. 10—12. Urgon. 

19) Discoelia Gillieroni. Zor. ib. 4. 16—18. Urgon. 

20) Mi flabellata. Zor. ib. 4. 19—21. Urgon. 
(Hippalimus flabellatus. d’Orb. Prod. II. S. 97.) 

21) Discoelia Cotteaui. Lor. ib. 5. 1-3. Urgon. 

22) Seyphia furcata. Goldf. 2. 6. Tourtia. 

23) Spongia multidigitata. Mich. Icon. 51. 9. Cenoman. 

24) Scyphia micropora. Roem. Kr. 2. 6. Senon. 


Elasmocoelia. Roem. 
Syn. Elasmojerea. Fromentel. 


Schw. aus einem oder mehreren gebogenen und mit einander verwachsenen 
Blättern bestehend, welche ihrer ganzen Längsaxe nach von zahlreichen, runden, 
gleichdicken Magenhöhlen durchbohrt sind. Diese Röhren stehen in ein oder meh- 
reren Reihen, ihre runden Oeffnungen befinden sich auf dem oberen Rand. Radial- 
canäle fehlen. Skeletfasern grob. Oberfläche und Wand der Röhren porös. 

Diese Gattung wurde zuerst von Fromentel (Introd. S. 34) unter dem Namen 
Elasmojerea beschrieben, indess schon F. A. Römer zeigte, dass dieselben mit Jerea nichts 
gemein habe, wohl aber an Siphonocoelia angeschlossen werden müsse. Er veränderte darum 
auch den Namen in Elasmocoelia. Obwohl Römer’s E. Sequana nicht identisch ist mit 
Fromentel’s Elasmojerea Sequana, sondern zu Peronella dumosa From. sp. gehört, so ist 
nichts desto weniger die Bemerkung richtig, dass die Elasmocoelien nur aus reihenförmig 
geordneten und seitlich verwachsenen Peronellen bestehen. 

Sie bilden vielleicht nur eine Section von Peronella, welche sich an P. dumosa an- 
schliesst, der äussere Habitus derselben ist jedoch ein so eigenthümlicher, dass ich die 
Gattung Elasmocoelia aufrecht erhalten möchte. 

Ah.d. II. Cl.d.k. b. Ak d. Wiss. XIII. Bd. II. Abth. 5 


Bd, (124) 


Alle Arten stammen aus der unteren Kreide. 
1) Elasmojerea Sequana. From. Intr. 2. 3. Neocom. 


9) 3; crassa. From. Cat. rais. 2. 10. Neocon:. 
3) 3 plana. From. ib. 2. 9. Neocom. 
?4) a irregularis. From. ib. 2. 8. Neocom. 


5) Elasmocoelia orbiculata. Rloem. Spongit. 2. 11. Hils. 
6) Elasmojerea tortuosa. Lor. Urgon. Land. 5. 16. 17. Urg. 


Conocoelia Zit. 

Syn. Siphonocoelia p. p. From. Limnorea p. p. Roem. 

Schw. umgekehrt kegelförmig oder kreiselförmig, einfach oder durch Knospung 
am Öberrand polyzoisch, sehr dickwandig, Scheitel abgestutzt breit, mit centraler, 
sehr tiefer, trichterförmiger Magenhöhle. Oberfläche porös, mit horizontalen Zuwachs- 
ringen. Ein eigentliches Canalsystem fehlt, allein der Schwammkörper besteht aus 
successiv gebildeten, horizontalen Schichten von grobem, anastomosirendem Faserge- 
webe, welches schmale Zwischenräume zur Cireulation des Wassers zwischen sich frei lässt. 

Unter den Nadeln der Skeletfasern glaube ich einfache Stabnadeln, sowie Drei- 
strahler zu erkennen. Einzelne der letzteren sind 4—5mal so gross als die übrigen. 

Diese von Fromentel mit Siphonocoelia vereinigte Gattung erhält durch ihren 
blättrigen Bau, welcher einigermassen an den gewisser Rudisten (Radiolites und Sphaeru- 
lites) erinnert, dann aber auch durch die ungemeine Stärke der Wand, durch den abge- 
stutzten Oberrand und durch die zuweilen erscheinende, sonderbare Knospenbildung an dem- 
selben ein so charakteristisches Aussehen, dass sie leicht von Peronella zu unterscheiden ist. 

Im französischen Neocomien kommen in der Regel nur monozoische Individuen vor; 
‚im norddeutschen Hils jedoch finden sich auch polyzoische Stöcke. Ich habe durch Herrn 
Prof. Ottmer in Braunschweig eine Anzahl Exemplare erhalten, welche keinen Zweifel 
darüber lassen, dass Limnorea centrolaevis Roem. durch alle, Uebergänge mit einfachen In- 
dividuen von der Form der Conocoelia crassa From. verbunden ist. 

Die 2 bis jetzt bekannten Arten stammen aus der unteren Kreide. 

1) Siphonocoelia crassa. From. Cat. rais. 1. 1. 
9) Limnorea centrolaevis. Roem. Spongit. 1. 18. 


Eusiphonella. Zit. 

Syn. Scyphia. Goldf.; Siphonocoelia u. Discoelia p. p. From.; Pareudea p. p. Et. 

Schw. einfach oder durch basale oder seitliche Knospung ästig. Einzelpersonen 
eylindrisch, gegen unten verschmälert, dünnwandig mit weiter röhriger oder triehter- 
förmiger, bis zur Basis reichender Magenhöhle. Wand der Magenhöhle mit länglichen, 
in Verticalreihen stehenden Ostien, welche als Ausfuhröffnungen von horizontalen 
Radialeanälen dienen. Oberfläche mit groben Poren. 

Die anastomosirenden Fasern des Skeletes sind verhältnissmässig dünn und 
bilden ein lockeres Geflecht. 


(125) 35 


Durch‘ das wohlentwickelte System horizontaler Canäle unterscheidet sich diese, bis 
jetzt nur im oberen Jura bekannte Gattung leicht von Peronella. 
1) Sceyphia Bronni. Münst. Goldf. 33. 9. Quenst. Petr. 124. 1—15. 
(Siphonocoelia elegans. From. (non Goldf.) Intr. 1. 7.) 
(Parendea gracilis. Et. Leth. Brumt. 58. 30.) 
2) Seyphia intermedia. Münst. Goldf. 34. 1. Quenst. Petr. 125. 55—58. 
3) 4 perplexa. Quenst. Petr. 125. 56— 63. 


Corynella. Zitt. 
(zogvrn Kölbchen, Knospe.) 

Syn. Scyphia auct.; Onemidium p. p., Myrmecium p. p. Münst. Klipst.; Eudea p. »., 
Hippalimus p. p., Lymnorea p. p. d’Orb.; Eudea, Diseudea, Polycnemiseudea, Siphonocoelia 
P. P., Polycoelia (Discoelia) p. p., Monotheles, Distheles, Epitheles p. p. From.; Monotheles 
». »., Distheles, Endostoma, Polyendostoma p. p. Roem.; Copanon, Distheles, Dyocopanon, 
Onemicopanon, Hallisidia, Pachytoecia, Holosphecion Pomel. 

Schw. einfach, seltener zusammengesetzt. Einzelpersonen kolbenförmig, eylindrisch, 
kreisel- oder birnförmig; diekwandig. Scheitel abgestutzt oder gewölbt. Magenhöhle 
trichterförmig, mehr oder weniger vertieft, selten bis zur Basis reichend und am un- 
teren Ende in der Regel in einen Bündel verticaler Köhren aufgelöst. Osculum der 
Centralhöhle häufig durch offene Radialfurchen gestrahlt. In die Magenhöhle münden 
grobe, meist bogenförmig gegen Aussen und Unten gerichtete Radialcanäle ein, welche, 
je weiter sie sich von der Magenhöhle entfernen immer feiner werden. Oberfläche 
mit Ostien von feineren Einströmungscanälen versehen, welche meist in schräger 
Richtung gegen Innen und Unten einmünden und in die Radialeanäle der Magen- 
höhle verlaufen. Basis zuweilen mit dichter Dermalschicht. 

Skeletfasern ziemlich grob, hauptsächlich aus einfachen Stabnadeln bestehend, 
zwischen denen jedoch auch vereinzelte grosse Dreistrahler liegen. 

Die Entwieklung des Canalsystems bildet das charakteristische Merkmal dieser Gat- 
tung und unterscheidet sie sehr bestimmt von Peronella, mit welcher sie äusserlich am 
meisten übereinstimmt. Die groben Radialcanäle der Magenhöhle sind immer vorhanden, 
dägegen können allerdings die Einströmungsröhrchen zuweilen äusserst fein werden und 
unter Umständen ganz verschwinden. Dann fehlen natürlich auch die Östien auf der Ober- 
fläche. Die Beschaffenheit dieser Zufuhrcanäle varürt überhaupt ausserordentlich je nach 
den Arten; im Allgemeinen sind sie bei den triasischen und mitteljurassischen Arten am 
stärksten entwickelt. 

Sehr veränderlich ist auch die Magenhöhle. Zuweilen wird sie nahezu röhrenförmig, 
wie bei Peronella und reicht fast bis zur Basis, trägt aber dann immer grosse Canalostien, 
zuweilen bildet sie nur einen seichten Trichter, von welchem ein Bündel senkrechter und 
bogenförmig divergirender grober Canäle ausgeht. 

Trotz dieser, auch dem flüchtigen Beobachter auffallender Differenzen in Bezug auf 
Beschaffenheit der Magenhöhle und des Canalsystems lassen sich die Uebergänge zwischen 

5* 


36 (126) 


den Extremen so vollständig nachweisen, dass ich mich nieht entschliessen konnte, diesen 
Formenkreis in mehrere generische Gruppen zu zerlegen. 

Fromentel hat zum Theil auf unerhebliche Merkmale (Auftreten als einfache 
Personen oder in zusammengesetzten Stücken, Anwesenheit oder Fehlen einer Epithek), zum 
Theil auf unrichtige Beobachtungen eine ganze Reihe von Genera aufgestellt, die meiner 
Ansicht nach nicht haltbar sind. 

Das Canalsystem von Eudea, Diseudea und Polyenemiseudea From. ist entschieden 
unrichtig dargestellt, indem die Radialcanäle die Wand niemals durchbohren. Bei Mono- 
theles und Distheles ist die Magenhöhle nicht in der von Fromentel beschriebenen Weise 
seicht und oberflächlich, sondern gerade bei Monotheles stellata ansehnlich vertieft, trich- 
terförmig und am unteren Ende in Verticalröhren aufgelöst. Schwache Epithek findet sich 
an der Basis verschiedener Arten, andere sind allerdings vollständig nackt. 

Die Gattung Corynella ist von der Trias an bis in die oberste Kreide verbreitet. 
Als typische Arten sind zu erwähnen: 


a) Aus der Trias. 
1) Myrmecium gracile. Mstr. Beitr. IV. 1. 26. 27. 
3) Cnemidium pyriforme. Klipst. Beitr. 20. 5. 
3) Eudea rosa. Laube. Fauna von St. Cassian. 1. 4. 
4) Cnemidium astroites. Mstr. Beitr. IV. 1. 24. 
5) Seyphia capitata. Mstr. ib. 1. 12. 
6) Stellispongia clavosa. Laube. Fauna v. St. Cassian 2, 3. 


b) Aus dem Jura: 
1) Spongia lagenaria. Lamx. Expos. 84. 4. Mich. Icon. 58. 5. 
(Disendea lagenaria. From. Intr. 1. 5.) 
2) Hallirkoa lycoperdioides. Lamx. Expos. 78. 2. Mich. Icon. 58. 6. 
3) Aleyonites costata. Stahl. Correspondenzbl. Würtemb. landw. Ver. 1824. VI. 
S. 84. Fig. 29. 
(Spongites astrophorus alatus. Quenst. Petr, 124. 54—57.) 
4) Corynella Quenstedti. Zitt. 
(Spongites astrophorus caloporus u. cornucopiae. Quenst. Petr. 124. 58—64.) 
5) Corynella stolata. Zitt. 
(Spongites astrophorus stolatus u. parabolis. Quenst. Petr. 124. 65—69.) 
6) Parendea cornuta. Et. Leth. Bruntr. 58. 31. 
7) Cnemidium astrophorum p. p. Goldf. 35. 5“ (non 8®.) 
8) Crispispongia solitaria. Quenst. Petr. 124. 51—53. 
9) Parendea prismatica. Et. ib. 59. 1. 
10) Cnemidium parvum. Et. ib. 59. 2. 
11) Cnemidium capitatum. Münst. Goldf. 35. 9. 
12) Siphonocoelia globosa. From. Polypiers cor. de Gray. 15. 3. 
13) ” stellifera. From. ib. 15. 4. 


(127) 37 


14) Siphonoeoelia pyriformis. From. ib. 15. 5. 

15) 5 aspera. From. ib. 15. 6. 

16) Diseoelia Champlittensis. From. ib. 15. 7. 

17) Madrespongia madreporata. Quenst. Petr. 124. 70— 72. 
(Onemidium astrophorum. Goldf. 35. 8°) 

18) Polycnemiseudea corallina. From. Intr. 1. 6. 


Aus der Kreide. 
1) Sceyphia excavata. Roem. Nordd. Ool. 
(Siphonocoelia truncata. From. Cat. rais. 1. 3.) 
3) Siphonocoelia Neocomiensis. From. Cat. rais. 1. 2. 
(? Polyendostoma pyriformis. Roem. Spongit. 1. 3.) 
3) Distheles excavata. Roem. Spongit. 1. 19. 
4) Eudea globosa. Roem. Spongit. 1. 1. 
5) Monotheles punctata. Roem. Spongit. 1. 17. 


6) n stellata. From. Intr. 2. 6. 
7) Distheles depressa. From. Intr. 2. 7. 
8) a inflata. From. Cat. rais. 2. 5. 


9) T pedieulata. From. Cat. rais. 3. 1. 
10) Seyphia foraminosa. Goldf. 31. 4. 
(Endostoma foraminosum. Roem. Spongit. 14. 6.) 
11) Sceyphia tetragona. Goldf. 2. 2. 
(Endostoma tetragonum. Roem. Spongit. 14. 7.) 
(Polyendostoma sociale. Roem. ib. 14. 4.) 


Myrmecium. @Goldf. 
Petr. Germ. S. 18. 


Syn. Onemidium p. p. Goldf.; -Epitheles p. p. From.; Myrmecium, ? Gymnomyrme- 
cium Pom. 


Schw. klein halbkugelig, kugelig bis eylindrisch, gegen unten verschmälert, 
kurz gestielt, an der Basis mit glatter oder concentrisch runzeliger Dermalschicht, 
welche zuweilen auch die ganzen Seiten überzieht. Scheitel gewölbt, in der Mitte 
mit einem runden Osculum, das einer röhrenförmigen, engen den Schwammkörper 
in verticaler Richtung durchbohrenden Magenhöhle als Oeffnung dient. Ausserdem sind 
zahlreiche, kleine, porenförmige Ostien auf der Oberfläche vertheilt, soweit sie nicht 
von der Deckschicht bekleidet ist. 

In der Centralhöhle endigen ziemlich starke, bogenförmig von Aussen und 
Unten kommende, in der Nähe der Oberfläche vergabelte Radialcanäle. Ihre Ostien 
liegen meist in Längsreihen auf der Wand der Centralröhre. Weitere geradlinige Ca- 
näle dringen schräg nach Innen und Unten von den Oberflächen - Östien in den 
Schwammkörper ein. 


38 (128) 


Das Skelet besteht aus einem eng maschigen Geflecht ziemlich dünner anasto- 
mosirender Fasern, welche in der Regel aus Kalkspath, selten aus Kieselerde be- 
stehen. Nadeln habe ich mit voller Sicherheit nicht nachweisen können, indess ein- 
zelne Parthieen der Kalkspathfasern schienen mir drei- oder vierstrahlige Sterne zu 
enthalten. 

Diese Gattung unterscheidet sich von Corynella hauptsächlich durch die feinen 
Skeletfasern, durch die enge Üentralhöhlle und durch die sehr entwickelte Deckschicht, 
welche niemals fehlt und häufig den Schwammkörper bis zum Scheitel einhüllt. Sie ist 
vorläufig nicht sonderlich scharf begrenzt, allein die hieher gehörigen oberjurassischen 
Arten tragen ein so eigenthümliches Gepräge, dass ich mich nicht entschliessen konnte, die- 
selben mit Corynella zu vereinigen. 

1) Myrmecium hemisphaericum. Goldf. 6. 12. 

(Onemidium rotula. Goldf. 6. 6.) 
(Spongites rotula. Quenst. Petr. 126. 1—41.) 
a) var. biretiformis. Quenst. 126. 2—4. 6. 7. 
b) var. foliata. QOnenst. 126. 5. 
ce) var. cylindrata. Quenst. 126. S— 10. 
d) var. coniformis. Quenst. 126. 11—13. 
e) var. pedunculata. Quenst. 126. 14— 18. 30. 31. 
f) var. longiceps. Quenst. 126. 21— 26. 
2) Spongites indutus Quenst. Petr. V. 126. 42 - 46. 
3) 3 eircumseptus. Quenst. ib. 126. 55— 57. 


?Hippalimus. Lam. 
Syn. Hippalimeudea From.; (non Hippalimus d’Orb.; Roem. etc.) 


Schw. pilz- oder schirm-förmig, gestielt; Scheitel mit weiter, trichterförmiger 
Centralhöhle. Die schrägen Seiten des conischen Schirms mit Osculis besetzt. Unter- 
seite des Schirms, Stiel und Wand der Centralhöhle glatt, ohne Oscula. 

Ich kenne diese Gattung nur aus Abbildungen und bin desshalb über ihre systema- 
tische Stellung im Unklaren. Möglicherweise gehört sie in die Ordnung der Lithistiden. 

Die einzige Art H. lobatus Zamx. Expos. meth. 79. ] stammt aus dem Cenomanien 
von Villers in Calvados. 


Lymnorea. Lam. 
Syn. Mammillipora Bronn.; Lymnoreotheles From.; Lymnorea, Placorea Pomel. 


Schw. knollig, aus warzigen, zitzenartigen oder kugeligen Individuen bestehend, 
welche mit einander verwachsen und von einer gemeinsamen, dicken und runzeligen 
Basalepidermis überzogen sind. Auf dem Scheitel jedes Individuums befindet sich ein 
einfaches, zuweilen gestrahltes, wenig vertieftes Oseulum. 


(129) 39 


Ich besitze von der typischen Art dieser Gattung nur ungenügendes Material, wel- 
ches mir über die Beschaffenheit der Oscula und über die Tiefe der Magenhöhle keinen 
sicheren Anfschluss gewährt. An einem Exemplar aus Ranville habe ich mehrere der runden 
Köpfchen angeschliffen; die seichten Oscula, in welche eine Anzahl Radialcanäle einmün- 
deten, verschwanden hierbei bald, allein es blieben auf der Schlifffläche an deren Stelle 
einige zerstreute, runde Durchschnitte von feinen Verticalcanälen zurück, und dass diese 
den ganzen Schwammkörper durchziehen geht daraus hervor, dass beim Anschleifen der 
Basis des gemeinsamen Stieles im Centrum ein Bündel von feinen Canaldurchschnitten 
sichtbar wurde. Die Oscula scheinen somit nach unten in einfache feine Röhren fortzu- 
Setzen. 

Die einzig sicher hiehergehörige Art findet sich im mittleren Jura. 


Lymnorea mammillaris. Zamx. Expos. meth. 79. 2—4. Mich. Ic. 57. 10. 


Stellispongia. d’Orb. 

Syn. Manon, Achilleum, Onemidium auct.; Stellispongia dOrb.: Stellispongia, Enau- 
lofungia, Diasterofungia Froment.; Stellispongia, Limmoretheles p. p. Laube; Stellispongia, 
Astrospongia, Desmospongia, Didesmospongia, Ceriospongia, Etallon.; Ateloracia, Onemira- 
cia, Holoracia, Trachysphecion Pomel. 


Schw. einfach oder häufiger zusammengesetzt. Individuen kugelig, halbkugelig, 
keulenförmig oder eylindrisch ; Stock oft knollig, fast immer an der Basis, zuweilen 
auch auf den Seiten mit dicker, runzeliger Dermalschicht bekleidet. Scheitel gewölbt, 
mit einem seichten gestrahlten Osculum, in welehem eine grössere oder geringere 
Anzahl von Ausfuhrcanälen ausmünden. Die runden Ostien derselben liegen theils 
im Grund, theils auf den Seiten des Osceulum’s; erstere stehen mit verticalen, letztere 
mit radialen Canälen in Verbindung. Die obersten Radialcanäle sind häufig offen 
und bilden dann mehr oder weniger vertiefte Radialfurchen. Auf der ganzen übrigen 
Oberfläche des Schwammkörpers, soweit sie nicht mıt Epithek bedeckt ist, befinden 
sich kleinere Ostien, die mit verticalen oder schrägen Einfuhrcanälen in Verbindung 
stehen. 

Die anastomosirenden Skeletfasern besitzen meist eine ziemlich ansehnliche Stärke 

Ich habe den d’Orbigny’schen Namen Stellispongia auf diejenigen Kalkschwämme 
beschränkt, welche durch strahlige Oscula, in denen verticale und radiale Canäle münden, 
sowie durch zahlreiche kleinere Ostien auf der Oberfläche ausgezeichnet sind. Die runden 
Mündungen im Grunde der Oscula wurden bisher vielfach übersehen, sie fehlen jedoch keiner 
ächten Stellispongia. 

Fromentel’s Gattung Enaulofungia ist auf eine irrige Beobachtung basirt, denn 
gerade bei der typischen Art (E. corallina) sind die Östien auf der Oberfläche sehr deut- 
lich entwickelt. 

Die hieher gehörigen Arten stammen aus Trias, Jura und Kreide. 


40 


1) 


2) 


3) 


1) 


2) 


3) 


4) 


5) 
6) 


l) 


9)? 


(130) 


a) Aus der Trias. 
Cnemidium rotulare. Mstr. Beitr. IV. 1. 20.) 
(Onemidium Manon. Mstr. ib. 1. 20.) 
( hy astroites. Mstr. ib. 1. 24.) 
Cnemidium variabile. Mstr. 1. 21—23. 
(Cnemidium turbinatum. Mstr. I. c. 1. 19.) 
( = stellare. Klipst. Oestl. Alp. 20. 6.) 
( concinnum. Klipst. ib. 20. 7.) 
Tragos hybridum. Mstr. Beitr. IV. 1. 16. 


b) Aus dem Jura. 
Spongia stellata. Zamx. Expos. meth. 84. 13. 
(Spongia umbellata. Mich. Icon. 58. 1.) 
Enaulofungia corallina. From. Intr. 8. 11. 
(Enaulofungia globosa. From. ib. 4. 1.) 
(Onemidium piriforme u. rotula. Mich. Ic. 26. 6. 7.) 
(Astrospongia corallina. Et. Leth. 59. 8. 9.) 
Spongites glomeratus. Quenst. Jura 84. 10. 11. 
(Didesmospongia Thurmanni. Et. Leth. 59. 3.) 
(Stellispongia pertusa, aperta, hybrida u. glomerata. Et. Leth. 59. 4—7.) 
(Onemidium stellatum. Mich. Ic. 26. 8.) 
(? Astrospongia rugosa. Et. Leth. 59. 10.) 
Ceriospongia mundus-stellatus. Zt. Leth. 59. 11. 
(Diasterofungia mundistellata. From. Coll. de Lemenc. 12. 13.) 
Ceriospongia Bernensis. Et. Leth. 59. 12. 
Spongites semicinetus. @Quenst. Petr. 125. 2—9. 
c) Aus der Kreide. 
Stellispongia Sequana. From. Cat. rais. 3. 2. 
R subglobosa. Roem. Spongit. 1. 20. 


Sestrostomella. Zitt. 
(onoreov Sieb, orou« Mund.) 


Syn. Tremospongia p. p. d’Orb.,; Sparsispongia p P., Tremospongia p. p. From. ; 


Sparsispongia p. p., Diestosphecion p. p. Pomel.; Spongites p. p., Nudispongia Quenst.; Pa- 
laeojerea Laube. 


Schw. einfach, häufiger zusammengesetzt, buschig oder aus warzigen Individuen 


gebildet, die auf gemeinsamer Basis stehen. Einzelindividuen deutlich geschieden, 
eylindrisch keulenförmig oder halbkugelig, auf dem Scheitel mit einem seichten, zu- 
weilen gestrahlten Osculum, in welchem eine grössere Anzahl runder Ostien von ver- 
ticalen, röhrenförmigen Ausfuhrecanälen münden. Oberfläche porös, nackt oder an 
der Basis, zuweilen auch auf einem Theil der Seiten mit Dermalschicht bekleidet.) 


(131) 41 


Die hieher gehörigen Kalkschwämme wurden bisher entweder als Sparsispongia, Tre- 
mospongia oder Palaeojerea bezeichnet. Unter dem Namen Sparsispongia verstand d’Orbigny 
vorzugsweise gewisse mit Poren versehene Stromatoporen, sowie einige Kalkschwämme 
aus der oberen Kreide, die vonFromentel zu Tremospongia gestellt wurden. Von allen 
im Prodrome erwähnten Sparsispongia-Arten gehört keine einzige zur vorliegenden Gat- 
tung, während unsere Diagnose von Sestrostomella gerade die meisten Sparsispongien, sowie 
einen Theil der Tremospongien Fromentel’s einschliesst. Fromentel unterscheidet diese 
beiden Genera hauptsächlich nach dem Fehlen und Vorhandensein einer Epithek. Dass 
jedoch ein so unwesentliches und unbeständiges Merkmal bei den Spongien ebenso wenig 
wie bei den Korallen zur Unterscheidung von Gattungen verwerthet werden darf, zeigt 
sich am klarsten bei den fossilen Kalkschwämmen, wo man auf Grund dieser Differenz 
Formen von vollständiger Uebereinstimmung aller sonstigen wesentlichen Merkmale in ver- 
schiedene Genera eintheilen müsste. 

Da Fromentel die d’Orbigny’schen Namen Tremospongia und Sparsispongia ganz 
willkührlich gedeutet und d’Orbigny dieselben durch ganz unbestimmte und theilweise un- 
richtige Diagnosen charakterisirt hat, so halte ich es für zweckmässig beide Namen fallen 
zu lassen. 

Die Gattung Sestrostomella findet sich von der Trias an bis in die Kreide. 


a) Aus der Trias. 


1) Palaeojerea gracilis. Laube. Fauna von St. Cassian. 1. 4. 
2) Sestrostomella robusta. Zift. 
(Epeudea sp. Loretz. Zeitschr. d. d. geol. Ges. 1875. $. 832.) 


b) Aus dem Jura. 
1) Jerea biceps. Reuss. Denkschr. k. k. Ak. Wiss. Wien. Bd. XXVII. Sep. Abz. 
t: 1 Rigy'9. 
3) Spongites (Nudispongia) cribratus. Quenst. Petr. 125. 14— 18. 


c) Aus der Kreide. 
1) Sparsispongia flabellata. From. Cat. rais. 3. 6. 
2) = varians. From. Cat. rais 3. 8. 
3) Tremospongia bullata. From. Intr. 4. 10. 
4) Sparsispongia sulcata. Zor. iol. Et. Val. Arz. 9. 4. 


5) . gemmata. Lor. ib. 9. 5—17. 

6) Tremospongia Valanginiensis. Lor. ib. 9. 1. 

7) a divaricata. Lor. ib. 9. 2. 

8) Sparsispongia brevicauda. Lor. Urg. Land. 5. 19—21 u. 6. 8. 
9) n abnormis Zor. ib. 6. 3—6. 

10) 3 expansa. Lor. ib. 6. 7. 


Abh. 6. 11. Cl.d.k. Ak.d. Wiss. XIII. Bd. II. Abth. 6 


42 (132) 


Blastinia. Zitt. 
(A&orn Knospe.) 


Syn. Achilleum p. p. Goldf.: Actinospongia p. p-, Pterosmila p. p. Pom.; Astrospon- 
gia p. p. Et.; Tetrasmila p. p. From. 

Schw. knospen- oder keulenförmig, einfach, gegen unten allmälig in einen Stiel 
verschmälert. Scheitel mit strahlig zusammenlaufenden, mehr oder weniger tiefen 
Einschnürungen, welche sich etwa bis oder auch über die halbe Höhe des Schwamm- 
körpers fortsetzen. Die untere Hälfte ist mit einer runzeligen Dermalschicht über- 
zogen, die obere nackt, rauh und porös. Skelet aus wurmförmig gekrümmten, ver- 
flochtenen Fasern bestehend. Centralhöhle, Ostien und Canäle fehlen. 

Diese Gattung erinnert in mehrfacher Hinsicht an Stellispongia, unterscheidet sich 
aber leicht durch den Mangel einer mit Röhren versehenen Scheitelmündung, sowie eines 
Canalsystems. 

Pomel stellt die typische Art (Achilleum costatum Goldf.) zu Actinospongia d’Orb., 
betont jedoch bei A. ornata, auf welche d’Orbigny seine Gattung basirt hatte, das 
Vorhandensein „perforirender Proctiden“ sowohl in den Furchen, als auch auf den Rippen 
des Scheitels. Nach diesen Merkmalen dürfte Actinospongia d’Orb. mit Stellispongia iden- 
tisch sein. 

Ich glaube auch Spongites alatus Quenst. hieher rechnen zu dürfen, da die Struktur 
mehrerer Exemplare aus dem Blauthal ganz mit Achilleum costatum übereinstimmt. Ob 
aber Ceriopora alata Goldf. 11. 8 damit identisch ist, halte ich trotz der äusseren Aehn- 
lichkeit für zweifelhaft. Der Erhaltungszustand der verkieselten Stücke aus Franken ge- 
stattet keine Untersuchung der Mikrostruktur und nach dem allgemeinen Habitus würde 
ich die kleinen geflügelten Körperchen, welche Fromentel zu der Gattung Tetrasmila 
und Pomel zu Pterosmila rechnen, eher für Hydractinien oder Bryozoen halten. 

Nachdem Herr Steinmann!) wenigstens für Thalamospongia die Zugehörigkeit zu 
Hydractinien nachgewiesen hat, dürfte wohl die ganze Familie der Porosmiliens Pom. mit 
den Gattungen Thalamospongia d’Orb., Porosmila From. Heterosmila Pom., Coelosmila Pom., 
Pterosmila Pom. und Cladosmila Pom. dorthin zu verweisen sein. 

Alle Arten stammen aus dem oberen Jura. 

1) Achilleum costatum. Goldf. 34. 7. 
(Spongites costatus. Quenst. Petr. 125. 19—23.) 

?2) Actinospongia subcostata. Et. Qlassif. S. 150. 

3) Spongites alatus. Quenst. Petr. 125. 24. 25. 
Synopella. Zitt. 
(svv zusammen, 0727 Oeffnung.) 

Syn. Tremospongia p. p., Sparsispongia p. p. d’Orb., From.; Tremospongia, Oros- 
phecion, Aplosphecion Pomel. 

Schw. zusammengesetzt, selten einfach, halbkugelig oder knollig. Oberseite eben, 
gewölbt oder warzig mit unregelmässig zerstreuten Osculis, welche aus den getrennten 


* 1) Palaeontographica. XXV. 


(133) 43 


Oeffnungen von zwei oder mehr grösseren Ausströmungscanälen gebildet werden. 
Ausser diesen Osculis ist die Oberfläche mit kleinen Ostien von feinen Einströmungs- 
röhrchen versehen. Basis, häufig auch die Seiten mit dicker, runzeliger Dermalschicht 
überzogen. Skeletfasern grob. 

Diese Gattung lässt sich sowohl gegen Stellispongia als auch gegen Sestrostomella 
schwer scharf abgrenzen, wenn schon die typischen Arten ein eigenartiges Gepräge tragen. 
Sind die Oscula durch Radialcanäle gestrahlt, wie es hin und wieder vorkommt, so ist 
die Unterscheidung von Stellispongia schwierig; treten dagegen die Einzelindividuen als 
rundliche Köpfe bestimmter aus der Masse hervor, so entstehen Uebergänge zu Sestrosto- 
mella. Ich rechne zur vorliegenden Gattung nur knollise Formen, an denen die Einzel- 
individuen nicht scharf geschieden sind, sondern in einander zerfliessen. 

Die Arten vertheilen sich auf die verschiedenen Horizonte der Kreideformation. 

1) Lymnorea sphaerica. Mich. Ic. 52. 16. 
2) Tremospongia plana. From. Intr. 4. 10. 
3) Manon pulvinarium. Goldf. 29. 7. 


Oculospongia. From. 


Syn. Manon Goldf.; Oculispongia p. Pp., Tremospongia p. p. Roem.; Oculospongia 
Sphecidion Pomel. 


Schw. knollig oder keulenförmig, massiv; Scheitel mit wenig zerstreuten, kreis- 
runden ÖOsculis, von denen röhrenförmige Canäle in die Skeletmasse eindringen. Aus- 
senseite mit oder ohne runzelige Dermalschicht. Skelet aus groben anastomosirenden 
Fasern bestehend. 

Diese Gattung unterscheidet sich von Synopella lediglich durch ihre einfachen, kreis- 
runden nicht aus mehreren ÖOeffnungen zusammengesetzen Oscula.. Jura und Kreide. 

?]) Spongites sella u. binoceulatus. Quenst. Petr. 126. 58. 59. 

2) Oculospongia Neocomiensis. From. Intr. 2. S. 
3) Tremospongia dilatata. Roem. Spongit. 1. 24. 
?4) Limnorea mammillaris. Roem. Spongit. 1. 14. 
5) Oculospongia flabellata.' From. Cat. rais. 3. 4. 
6) x irregularis. Loriol. Land. 5. 15. 
7) Manon capitatum. @oldf. 1 4. 

8) ,„  tubuliferum. Goldf. 1. 5. 


Crispispongia. Quenst. 


Syn. Manon p. p. Goldf.; Conispongia Et., Pom.; Orispispongia p. p. Quenst.; Ver- 
rucospongia P. p. Laube. 


Schw. knollig, polymorph, zuweilen aus dicken, gewundenen und verwachsenen 
Blättern bestehend, meist mit breiter Basis auf fremden Körpern festgewachsen. 


Ganze Oberfläche oder nur der Scheitel mit einer dichten, glatten Dermalschicht über- 
. 6* 


44 (134) 


zogen, worin ziemlich grosse, runde oder verzerrte, häufig gerandete Oscula liegen ; 
dieselben sind entweder ganz seicht oder trichterförmig in die Schwammmasse einge- 
senkt, im Grund häufig mit Canalostien besetzt. Das Skelet besteht aus groben ana- 
stomosirenden Fasern. Canalsystem undeutlich entwickelt. 

Schon @oldfuss hat unter dem Namen Manon peziza auf Taf. 34 Fig. 8% b- zwei 
Arten der vorliegenden Gattung vortrefflich abgebildet. Etallon (sur la classifie. des 
Spong. du Haut-Jura 8. 149) stellte später für eine conische Art aus dem Coralrag von 
Valfın die Gattung Conispongia auf; da jedoch dieser Name für alle anderen Arten gänz- 
lich unzutreffend ist, so habe ich die von Quenstedt vorgeschlagene Bezeichnung Crispi- 
spongia gewählt, beschränke diesen Namen jedoch auf die unten verzeichneten Formen. 

Ich kenne eine noch unbeschriebene Art aus der Trias von St. Cassian; (ähnlich 
Verrucospongia erassa. Laube. 1. 13) alle übrigen finden sich im oberen Jura. 

1) Crispispongia pezizoides. Zitt. 
(Manon peziza. p. p. Goldf. 34. 8) 
2) Crispispongia expansa. Quenst. Petr. V. 124. 33—47. 
3) Conispongia Thurmanni. Et. Actes. soc. jurass. d’emulation 1860. S. 149 Fig. 16. 


Elasmostoma. Froment. 


Syn. Tragos p. p., Manon p. p., Spongia p. p. auct.; Elasmostoma, Porostoma p. P., 
Ohenendroscyphia p. p. From.; Tragos p. p., Chenendopora p. p., Elasmostoma, Cupulo- 
spongia p. p. Roem.; Elasmostoma, Trachypenia, Coniatopenia Pomel. 


Schw. meist aus einem ziemlich dünnen, gebogenen Blatt bestehend, zuweilen 
auch trichter- oder becherförmig. Eine Oberfläche mit glatter Dermalschicht, worin 
ganz seichte Oseula von rundlicher oder zerrissener Form liegen. Entgegengesetzte 
Oberfläche nackt, porös. Canalsystem fehlt. 

Skeletfasern grob, wie es scheint, vorzüglich aus einaxigen, häufig gekrümmten 
Stabnadeln und vereinzelten Dreistrahlern gebildet. 

Sämmtliche Arten finden sich in der Kreide. 

1) Tragos acutimargo. Roem. Nordd. Oolithgeb. .17. 26. Spongit. 1. 21. 
(Elasmostoma frondescens. From. Intr. 3. 6.) 
Elasmostoma Neocomiensis. Lor. Deser. anim. invert. foss. du Neocomien du 
Mont Saleve 22. 1. 2. E 
3) Chenendroscyphia crassa. From. Cat. rais. 4. 2. 


2 


— 


4) Porostoma porosa. From. ib. 2. 3. 

5) Chenendroscyphia mammillata. From. Cat. rais. 3. 4. 
?6) Elasmostoma cupula. Roem. Spongit. 1, 22. 

7) Oculospongia polymorpha. Roem. Spongit. 1. 16. 

8) Manon macropora. Sharpe. Quart. journ. geol. Soc. 1854. X. pl. 9. Fig. 3. 4. 
9) Cupulospongia Normanniana. d’Orb. Prod. II. S. 188. 
(Manon pezıza. Mich. Ic. 36. 5.) 


— 


(135) 45 


10) Manon peziza p. p. Goldf. 29. 8. 

11) Cupulospongia consobrina d’Orb. Prodr. II. S. 188. 
(Manon peziza p. p. Goldf. 1. 7. 8.) 
(Manon stellatum. Goldf. I. 9.) 

12) Spongia Trigeri. Mich. Icon. 53. 2. 


Diplostoma. From. (non Roem.) 
Syn. Forospongia p. p. @’Orb. 


Wie Elasmostoma, nur beide Oberflächen mit glatter Epidermis und seichten 
Osculis versehen. Kreide. 
1) Diplostoma Neocomiensis. From. Intr. 3. 3. 


Pharetrospongia. Sollas. 


Syn. Manon p. p., Chenendopora p. p. auct.; Qupulispongia p. p. @Orb.; Oupulo- 
chonia p. p. From.; Onpulospongia, Phlyctia, Trachyphiyctia, ? Heterophlyctia, ? Heteropenia 
Pomel., Pharetrospongia Sollas. 


Schw. becher-, trichter- oder blatt-förmig; im letzteren Fall das diekwandige 
Blatt stets gebogen oder gefaltet. Oberseite (resp. Innenseite) meist glatt, mit sehr 
kleinen Oseulis oder auch nur einfachen Poren. Aussenseite rauh, porös. Canalsystem 
fehlend oder aus feinen Röhren bestehend, welche von den beiderseitigen Oeffnungen 
in die Wand eindringen. Skelet aus anastomosirenden, wurmförmigen Fasern be- 
stehend, die vollständig aus einfachen Stabnadeln zusammengesetzt sind. 

Nachdem Herr Sollas (Quarterly journ. geol. Soc. 1877 S. 242) die Mikrostruktur 
und die Örganisationsverhältnisse der Pharetrospongia Strahani in so vortrefflicher Weise 
dargelegt hat, übertrage ich diesen Namen auf eine Anzahl Kalkschwämme von ähnlicher 
Struktur und Form, die bisher in der Regel zu Cupulospongia d’Orb. oder Cupulochonia 
From. gestellt wurden. Unter diesen Namen hat man indess die verschiedensten fos- 
silen Lithistiden, Hexactinelliden und Kalkschwämme zusammengeworfen, so dass es nicht 
rathsam erscheint einen derselben aufrecht zu erhalten. 

Ich habe die Gattungsdiagnose von Sollas etwas verändert und der aus einem ge- 
falteten Blatt bestehenden typischen Art (Ph. Strahani) eine Reihe von becherförmigen 
Schwämmen beigesellt, die in ihren sonstigen wesentlichen Merkmalen übereinstimmen. 
Die Gattung hat dadurch allerdings einen weiten Umfang und etwas vage Begrenzung 
erhalten, aber verschiedene misslungene Versuche zur Zerlegung in mehrere Genera haben 
mich schliesslich immer wieder zur Vereinigung aller unten angeführten Formen geführt. 
Sehr häufig ruft der Erhaltungszustand namhafte Differenzen hervor, die ursprünglich nicht 
existirt haben. So dürften wahrscheinlich alle Arten, bei welchen beide Oberflächen von 
gleichmässiger, rauher und poröser Beschaffenheit sind, die glatte, dünne Epidermis ver- 
loren haben, welche bei einzelnen Exemplaren aus Farringdon, Essen und Mestricht so 
trefflich erhalten blieb. 


46 


(136) 


Die Entwicklung oder der Mangel von Canälen hängt einerseits von der Grösse der 
Öscula und Ostien, anderseits von dem gröberen oder feineren'Maschennetz des Skeletes ab. 


Bei Cupulospongia Farringdonensis z. B. 


existirt ein Doppel-System von Ausfuhr- und 


Einströmungscanälen, während andere Arten der Canäle völlig entbehren. 


Gibt man der Gattung Pharetrospongia den von mir vorgeschlagenen erweiterten 
Umfang, so enthält sie Arten aus der Trias bis zur obersten Kreide. 


a) Aus der Trias. 


1) Achilleum patellare. Münst. Beitr. IV. 1. 6. 
b) Aus dem Jura. 


1) Spongia belvelloides. Zamx. Expos. 84. 1—3. 


ec) Aus der Kreide. 
3.5: 


1) Cupulochonia cupuliformis. From. Intr. 
2) Cupulospongia tenuipora. Roem. Spongit. 


a 


- 


252. 


3) Chenendopora multiformis. Roem. Spongit. 1. 13. 
4) Cupulochonia Sequana. From. Cat. rais. 4. 1. 


5) x tenuicula. From. Cat. rais. 4. 3. 

6) 5 profunda. From. ib. 4. 4. 
rar) 5 spissa. From. 4. 5. 

8) 3 exquisita. Zor. Arzier. 9. 9. 10. 

9) x insueta. LZor. ib. 9. 11. 

10) = Couloni-2 or. Urs, Wand. 6b. 172 751. > 
11) I Sabaudiana. Lor. Urg. Land. 7. 7. 8. 9. 
12) Eliselya. Dorsab. 72 11.19: 


13) en Farringdonensis. Sharpe. Quart. journ. geolog. soc. 1854. X. pl. 5. 
(Ohenendopora fungiformis. Mant. (non Mich.) Medals of Creation I. S. I 
14) Cupulospongia subpeziza. d’Orb. Prodr. Et: 22. Nr. 1521. 
(Manon peziza. Goldf. 5. 1.) 
? 15) Spongia boletiformis. Mich. Icon. 1. 1. 
? 16) Epitheles multiformis. Roem. Spongit. 14. 2. 


Pachytilodia. Zitt. 
(Teyvs dick, tiAos Faser.) 
Syn. Scyphia p. p. Goldf.; Hippalimus p. p. Roem. 
Schw. triehter- oder birnförmig, gross, sehr dickwandig, mit weiter Scheitel- 


vertiefung. Basis mit glatter Dermalschicht versehen. Sonstige Oberfläche nackt, ohne 


besondere Oscula oder Canalöffnungen. 
sehr dicken, 


Skelet aus einem grobmaschigen Netz von 
gekrümmten, anastomosirenden Kalkfasern bestehend, die zuweilen zu 


förmlichen Platten und Blasen zusammenfliessen und zwischen denen die Wassereir- 
eulation obne ein besonderes Canalsystem erfolgte. 


I: 


(137) 47 


Diese Gattung unterscheidet sich von Pharetrospongia durch ihre dicken Skeletfasern, 
den völligen Mangel eines Canalsystems und durch ihre sehr dicke Wand. 

Die typische Art Scyphia infundibuliformis Goldf. 5. 2 (Quenst. Petr. 132. 1—3.) 
findet sich häufig in der Tourtia von Essen. 


Leiospongia. d’Orb.!) 
Syn. Achilleum p. p. Mstr. Leiofungia From.; Leiospongia, Aulacopagia, Loenopagia, 
? Elasmopagia Pomel. 


Schw. knollig oder ästig, seitlich mit glatter oder concentrisch-runzeliger Ober- 
fläche; Scheitel aus einem krausen, ziemlich groben Gewebe anastomosirender Kalk- 
fasern bestehend, welche auch das Innere des Schwammkörpers zusammensetzen. Os- 
eula, Poren und Canalsysten fehlen. Die Wassercirculation konnte lediglich in den 
Zwischenräumen des Skeletes stattfinden. 

Est ist mir bei dieser Gattung nicht gelungen Nadeln in den Kalkfasern nachzu- 
weisen. Sämmtliche Dünnschliffe, welche ich von Exemplaren aus St. Cassian oder von der 
Seeland-Alpe hergestellt habe, zeigen krystallinisch-strahlige Struktur!). 

Von Laube wurden mehrere ächte Bryozoen mit Leiofungia, Cribroscyphia und 
Actinofungia vereinigt und auch Pomel stellt eine ächte Bryozoenform (Catenipora spon- 
giosa Klipst.) zu Aulacopagia. Alle diesen Formen lassen sich durch ihre röhrige Struktur 
leicht von den Faserschwämmen unterscheiden. 

Ich kenne die Gattung Leiofungia nur aus der alpinen Trias. 

1) Achilleum milleporatum. Münst. Beitr. IV. 1. 5. 


3) 5 radiciforme. Münst. ib. 2. 20. 
3) . verrucosum. Mst. ib. 1. 1. 
4) subcariosum. Mstr. ib. 1. 2. 


5) = reticulare. Mstr. ib. 4. 4. 
(non Leiofungia reticularis. Laube. Fauna v. St. Cassian 2. 8.) 
6) 3 rugosum. Mstr. ib. 1. 3. 


4. Familie: Sycones. Haeckel. 


Wand regelmässig aus geraden, unverästelten, radial gegen 
die Axe des Magens gerichteten Canälen oder Röhren (Strahl-Ca- 
nälen, Radial-Tuben, zusammengesetzt. Skeletnadeln regelmässig 
radial angeordnet; Dermal- und Gastral-Schicht vom Parenchym- 
Skelet verschieden. 


1) Die Stellung dieser Gattung bei den Pharetronen kann erst als vollkommen gesichert be- 
trachtet werden, wenn Nadeln in den Skeletfasern constatirt sind. Möglicherweise schliesst sich Leio- 
spongia, wie die meisten Arten der Genera Actinofungia From., Actinospongia d’Orb. und Amorpho- 
spongia d’Orb., bei welchen das Skelet aus anastomosirenden Kalkfasern besteht, an gewisse kalkige 
Hydrozoen (Millepora) an. 


48 (138) 


Protosycon. Zitt. 
Syn. Sceyphia p. p. Goldf.; Siphonocoelia p. p. From. 


Schw. einfach, eylindrisch oder keulenförmig, gegen unten verengt, mit weiter 
röhrenförmiger, bis zur Basis reichender Centralhöhle. Die Wand besteht aus auf- 
einander geschichteten hohlen Radialkegeln, deren Basis sich gegen die Centralhöhle, 
die Spitzen gegen Aussen richten. Durch diese nach Innen geöffneten Hohlkegel ent- 
stehen auf der Wand der Centralhöhle zahlreiche in Längsreihen geordnete Östien, 
die in die Hohlkegel führen. Da sich letztere gegen Aussen verengen und mit einem 
abgestumpften Kopf endigen, so werden zwischen ihnen gleichfalls conische aber 
gegen Innen zugespitzte Zwischenräume gebildet und wenn sowohl das Innere der 
Hohlkegel als auch diese Zwischenräume mit Gesteinsmassen ausgefüllt sind, so scheint 
es, als ob die Wand mit zweierlei Radialeanälen versehen sei, wovon die einen in 
die Centralhöhle münden während die anderen etwa in der Mitte der Wand beginnen 
und sich nach Aussen erweitern. 

Das Skelet scheint überwiegend aus drei- oder vier-strahligen Nadeln zusam- 
mengesetzt zu sein; es ist mir indess nie gelungen ihre Form mittelst Dünnschliffe 
ganz deutlich darzulegen. 

Ich trage kein Bedenken diese zierliche Gattung zu den Syconen zu stellen. Die 
ganze äussere Form des cylindrischen Schwammkörpers, sein Aufbau aus Radialtuben, 
die zahlreichen in Reihen geordneten Ostien auf der Wand der Centralhöhle und endlich 
die maschigen Zwischenräume auf der Aussenseite stimmen in überraschender Weise mit 
gewissen lebenden Syconen überein. Eine genaue Einordnung unter die recenten Gattungen 
ist indess wegen der unvollständigen Erhaltung der Skeletnadeln unmöglich. 

Die typische Art ist bereits von Goldfuss 3. 10 als Scyphia punctata gut ab- 
gebildet worden. Sie findet sich nicht gerade häufig in den mittleren Spongitenkalken 
des weissen Jura. Das Skelet besteht fast immer aus Kalkspath und zeigt undeutlich Na- 
delstruktur. Selten kommen auch Exemplare mit verkieseltem Skelet vor und ein solches 
dürfte O. Schmidt zu seiner Abbildung (Atlant. Spong. Taf. I. Fig. 21) vorgelegen 
haben. Das Fragment zeigt wahrscheinlich die Oberfläche der Magenhöhlenwand mit den 
Östien der Radialtuben, welche in regelmässigen Reihen stehen und dadurch einigermassen 
an Hexactinelliden erinnern. Wenn O. Schmidt in den Skeletfasern Canäle andeutet, so 
beruht dies auf einer Täuschung, sofern nämlich die fragliche Abbildung wirklich zu Scy- 
phia punctata gehört. Ich habe zum Vergleich mit der Schmidt’schen Figur ein ver- 
kieseltes Fragment mittelst Camera lucida nochmals zeichnen lassen. (Taf. XII. Fig. 7.) 

In Quenstedt’s Petrefaktenkunde Deutschlands finden sich (Taf. 131. 21—27) 
gute Abbildungen von Scyphia punctata. 


f 


A. 
4 


Fig. 1. 


Tafel XI 


Opetionella radians. Zitt. aus dem. Cuvieri Pläner des Windmühlenbergs 
bei . Salzgitter. 

a. Exemplar in natürlicher Grösse. 

b. Skeletnadeln in 28 facher Vergrösserung. 


Ophiraphidites eretaceus. Zitt. aus der Quadratenkreide von Linden 
bei Hannover. 

a. Exemplar in natürlicher Grösse im Göttinger Universitäts-Museum. 

b. Ein Stück des Skeletes (Stabnadeln und vereinzelte Vierstrahler) in 28facher 

Vergrösserung. 

c. Zwei grosse gebogene Nadeln in 28facher Vergrösserung. 

d. Ein Gabelanker mit drei kurzen, dichotomen Zinken. 
Tethyopsis Steinmanni. Zit. aus der Mucronaten-Kreide von Ahlten in 
Hannover. Skelet aus der Nähe der Oberfläche in 28 facher Vergrösserung. 
Pachastrella primaeva. Zit. aus der Quadraten-Kreide von Ahlten in 
Hannover. 

a. Exemplar in natürlicher Grösse im Göttinger Universitäts-Museum. 

b. Skelet in 25 facher Vergrösserung. 


Yittel, Studien über fossile Sp 


ongien II. 
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Tafel XI. 


Scolioraphis cerebriformis. Zitt. aus der Quadraten-Kreide vom Sut- 
merberg bei Goslar. 

a. Exemplar in natürlicher Grösse. 

b. Ein Stück Skelet in 28facher Vergrösserung. 
Scolioraphis anastomans. Zitt. aus der Mucronaten-Kreide von Ahlten 
in Hannover. (Ist im Text 8. 4. 5. irrthümlich als Fig. 2 bezeichnet.) Skelet- 
nadeln in 28facher Vergrösserung. 
Skeletfasern eines Kalkschwammes (Corynella tetragona) mit einaxigen 
Nadeln aus der Tourtia von Essen in 60 facher Vergrösserung. 
Skeletfasern von Peronella multidigitata. Mich. aus dem Grünsand von 
Le Mans in 60 facher Vergrösserung. 

Die Faser besteht aus homogener Kalksubstanz, in welcher deutliche Stabna- 
deln und vereinzelte Dreistrahler eingebettet liegen. 
Skeletfasern von Peronella eylindrica. Goldf. aus dem oberen Jura von 
Uetzing in Franken, vollständig aus Dreistrahlern zusammengesetzt. 60 fache 
Vergrösserung. 
Skelet von Corynella (Myrmecium) gracile. Msir. aus St. Cassian in Tyrol. 
In 60 facher Vergrösserung. 

Die Nadeln sind vollständig verschwunden und die Fasern haben sphäroidisch- 
strahlige, krystallinische Struktur angenommen. 
Peronella cylindrica. G@oldf. sp. aus Engelhardsberg in Franken. 

a. Verkieselte Skeletfasern in 60 facher Vergrösserung. 

b. Ebenso in 230 facher Vergrösserung. 
Ein blätteriges verkieseltes Fragment (parallel der Oberfläche) von Protosy- 
con punctatus. Goldf. sp. aus Streitberg in Franken. In 60 facher Ver- 
grösserung. 


; Zittel, Studien über fossile Spongien II. 
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Jbh.d.k.bayr: Akad. D.Cl. Da. X. 2 .Abth. 


4 


Bedr. v. Br. Keller, 1 München. 


Die 


Veränderlichkeit in der Zusammensetzung 


atmosphärischen Luft, 


Von 


Ph. v. Jolly. 


Abh. d. I. Cl.d.k. Ak. d. Wiss. XIII. Bd. II. Abth. 7 


ee 
ch 


Die 
Veränderlichkeit in der Zusammensetzung 


der 
atmosphärischen Luft. 


Von 
Ph. v. Jolly. 


Die eudiometrischen Versuche über die Zusammensetzung der Luft 
geben so übereinstimmende Resultate, dass man geneigt ist, die kleinen 
Abweichungen, welche die einzelnen Versuche zeigen, unvermeidlichen 
Fehlerquellen zuzuschreiben. Es waren zunächst Wägungen der Luft, 
welche mir diese Annahme zweifelhaft erscheinen liessen. Luft, stets 
am gleichen Orte — in einer Entfernung von 2 Kilometer von der Stadt 
geschöpft —, zeigte je nach den herrschenden Windrichtungen im Gewichte 
eines Liter Abweichungen bis zu einem Millisramm, also von einer Ge- 
wichtsgrösse, welche die Waage mit aller Sicherheit erkennen lässt. 

Zunahme oder Abnahmen im Gewichte eines Liter trockener kohlen- 
säurefreier Luft deuten Aenderungen in der Zusammensetzung der at- 
mosphärischen Luft an, deren Betrag in Procenten ausgedrückt, sich 
durch einfache Rechnung ergibt, sobald die specifischen Gewichte der 
Bestandtheile bekannt sind. Regnault !) fand als Mittel aus zahlreichen mit 
bekannter Exactheit ausgeführten Versuchen für die Gewichte von 1 Liter 

atmosphärischer Luft 1,293187 Gramm, 
Sauerstoff 1,429802 

- Stickstoff 1,256167 ” 

Bezeichnet x das Volumen des in einem Liter Luft enthaltenen Sauer- 
stoffgases, also 1—x das des Stickgases, so hat man: 
x. 1,429802 + (1 — x) 1,256167 = 1,293187. 

Es berechnet sich hiernach x zu 0,2132, daher der Sauerstoffgehalt 

nach Procenten ausgedrückt zu 21,52. Der Sauerstoffgehalt wäre hier- 


ER} 


1) Memoires de l’Academie des Sciences. Tom. XXI. p. 158. Paris 1847. 
7* 


52 


nach beträchtlich höher, als der nach irgend einer der eudiometrischen 
Untersuchungen gefundene Brunner fand für Luft geschöpft in Bern, 
20,80, Lewy in Kopenhagen 20,79, Marignac in Genf 20,81, Bunsen in 
Heidelberg 20,96, Regnault in Paris 20,90 bis 21,0. Der Unterschied 
ist micht unbedeutend, er erreicht nahezu ein halbes Procent. 

Die von Regnault gefundenen specifischen Gewichte sind die arith- 
metischen Mittel wiederholt ausgeführter Messungen, aber nicht minder 
zahlreich und minder exact sind die eudiometrischen Messungen. In 
beiden Richtungen ist Gelegenheit gegeben, nach bekannter Methode die 
Grösse des wahrscheinlichen Fehlers zu berechnen, und in beiden Fällen 
ergibt sich, dass derselbe noch nicht 0,01 eines Procentes überschreiten 
könnte. Es liegen also in dem einen oder in dem anderen Verfahren, 
vielleicht auch in jedem der Verfahren, constante nach einerlei Seite hin 
wirkende nicht aufgedeckte Fehlerquellen. Im Allgemeinen wird man 
geneigt sein, den Resultaten, die sich auf die Bestimmung der specifischen 
Gewichte stützen, die mindere Verlässigkeit zuzuschreiben. Indess werden 
erst wiederholte, unter Einengung der Fehlerquellen ausgeführte, Messungen 
die Entscheidung bringen können. 

Lassen auch nur wenige Probleme sich namhaft machen, in welchen 
ein Unterschied von einem halben Procent im Sauerstoffgehalt der Atmo- 
sphäre von entscheidendem Einflusse wäre, so hat es doch immer ein Inter- 
esse, den thatsächlichen Bestand festzustellen, auch wenn es nur darauf 
ankommen sollte, zu erkennen, in welcher Ausdehnung ein Wechsel ım 
Sauerstoffgehalt der Atmosphäre sich an einerlei Ort zur Zeit geltend 
macht, um hiermit eine Basis zum Vergleich für andere Orte und andere 
Zeiten zu gewinnen. Es liegen keine Erscheinungen vor, aus welchen 
man schliessen könnte, dass in historischer Zeit eine Aenderung in der 
Zusammensetzung der Atmosphäre sich vollzogen habe,. es liegen aber 
auch keine Messungen vor, die für eine solche Behauptung einen Anhalts- 
punkt bieten. Wollte man einen solchen gewinnen, so müsste die Sicher- 
heit in den Messungen viel weiter gehen, als die dermalen erreichbare. 
Eine Aenderung von auch nur ein Hundertel Procent würde gegenüber 
dem Gesammtvorrath an Sauerstoff in der Atmosphäre im organischen 
Leben sicher keine erkennbare Wirkung äussern. Und doch wäre eine 
Abnahme von ein Hundertel Procent bei der etwas über 4 Milliarden 


99 


Cubic-Kilometer betragenden Atmosphäre gleichbedeutend mit einem Ver- 
brauch von beiläufis 80000 Cubic-Kilometer des vorhandenen Vorrathes 
von Sauerstoff. Ein jährlicher Verbrauch von 1 Cubic-Kilometer, also 
von 1000 Millionen Cubic-Meter würde erst nach 80000 Jahren eine 
Abnahme von 0,01 Procent des Sauerstoffgehaltes der Atmosphäre zur 
Folge haben. Gleichwohl ist es wahrscheinlich, dass an der Erdoberfläche 
sich weit grössere Schwankungen geltend machen. Je nach dem Oxy- 
dations- und Reductionsprozesse in verschiedener Ausdehnung auftreten, 
werden die Schwankungen im Sauerstoffgehalt grösser oder kleiner werden, 
und wird eine grössere oder kleinere Zeit vergehen bis ein Beharrungs- 
zustand sich wieder hergestellt hat. 

Eine erneuerte Untersuchung zur Feststellung des fraglichen Wechsels 
im Sauerstoffgehalt der Atmosphäre ist erst dann angezeigt, wenn mit 
der anzuwendenden Messmethode eine grössere Einengung der unver- 
meidlichen Fehlerquellen zu erreichen ist. 

Die Methode, welche sich auf die Bestimmung der specifischen Ge- 
wichte der Luft und der Bestandtheile der Luft gründet, ist nicht ange- 
wendet, sie ist aber naheliegend, und verspricht bei der Vervollkomm- 
nung, welche in der Construction der Waage!) erreicht ist, exacte Resultate. 
Waagen mit Spiegelablesung machen es möglich bei der Maximalbelastung 
von 1 Kilogramm mit einmaliger Wägung eine Genauigkeit von + 0,05 
Millisramm zu erreichen. Ein Glaskolben von 1 Liter Inhalt fasst etwas 
über ein Gramm Luft, das Glasgewicht des Kolbens mit Glashahn ist noch 
nicht 150 Gramm. Die Wägung von 1 Liter Luft wird also erst in der 
5. Decimale unsicher. Abweichungen von grösserem Betrage bei Füllungen 
mit gleichem Gase haben also nicht ihren Grund in der Unsicherheit der 
Waage, sie hängen von der Natur des Gases oder auch von den, zur 
Füllung erforderlichen, Experimental-Arbeiten, Entleerung des Kolbens, 
Druckbestimmung des Gases bei 0° der Füllung, etc. ab. Versuche mit Gasen, 
die stets auf gleiche Weise bereitet sind, belehren über die Summe der 
Fehlergrössen. Es wird sich zeigen, dass dieselben „„, der Gewichtsgrösse 
von 1 Liter Gas nicht überschreiten. 


1) Das bei dem Gebrauch der Waage mit Spiegelablesung zu beachtende Verfahren habe ich in 
der Abhandlung „Anwendung der Waage auf Probleme der Gravitation“ Denkschriften der k. Ak. d. 
Wiss. B. XIII, Abth. I angeführt. 


au 
»> 


Regnault wendete Glaskolben, mit Messingfassung und Hahnverschluss, 
von nahezu 10 Liter Inhalt an. Das Gewicht des Glasballons war über 
ein Kilogramm. Es sind nicht ausdrücklich Messungen zur Bestimmung 
der Empfindlichkeit und Richtigkeit der Waage namhaft gemacht, es ist 
aber angegeben, dass die Gewichte gleicher Gase bei gleicher Temperatur 
und gleichem Druck Abweichungen von beiläufig „. zeigen. Es ist also 
mit Waagen verbesserter Construction mit Kolben von nur 1 Liter Inhalt 
die Fehlergrösse eine mindestens 6mal kleinere. Ueberdiess sind alle 
Arbeiten mit Kolben von nur 1 Liter Inhalt ohne Vergleich leichter aus- 
führbar als mit Kolben von 10 Liter. Auch reichen die Mittel der ge- 
wöhnlichen Ausrüstung eines Laboratoriums zu Messungen dieser Art aus. 
Eine gut ausgeführte Waage für 200 Gramm Maximalbelastung genügt 
zu den Messungen. 

Im Uebrigen wurde die zuerst von Regnault eingeführte Methode, 
der Tarakolben von gleichem Volumen mit den Gaskolben, benützt. Die 
Messungen werden mit derselben vollkommen unabhängig von den mit 
der Temperatur und dem Druck der Atmosphäre veränderlichen Gewichts- 
verlusten der Kolben, sie sind eben auf beiden Seiten stets die gleichen. 

Der Tarakolben wurde zunächst durch Zugiessen einiger Tropfen 
Quecksilber zu gleichem absolutem Gewichte mit dem Gaskolben gebracht. 
Zur Prüfung auf die Gleichheit der Volumina wurden die Kolben nach 
Art der Nicholsonschen Areometer ausgerüstet, d. h. es wurden Waag- 
schalen durch Drähte in passender Weise mit den Kolben verbunden, 
und die Auflagegewichte ermittelt, welche zur Eintauchung bis nahe zur 
Mündung der Kolben erforderlich waren. Durch Einziehen oder Auf- 
treiben des in diesen Versuchen nach offenen Tarakolbens ist mit geringer 
Uebung im Glasblasen eine grosse Annäherung in der Gleichheit der Vo- 
lumina zu erreichen. Das Volumen des Tarakolben, den ich benützte, 
zeigte schliesslich gegen den des Gaskolbens nur eine Differenz von 0,06 cub. 
Centimeter. Die Spitze des Tarakolbens wurde zugeschmolzen. Bei ge- 
schlossenem Hahn des Gaskolbens zeigten die Kolben auf die Waage ge- 
bracht einen von der Temperatur und dem Druck der Luft ganz unver- 
änderlichen Ausschlag. 

Das Programm für die Versucksanordnung ist höcht einfach. Der 
Gaskolben wird leer und wird gefüllt mit Gas gewogen. Die Differenz 


59 


der Gewichte ist das Gewicht des Gases von der Temperatur Null und 
von dem Drucke, bei welchem die Füllung erfolgte. 

Zur Entleerung des Kolbens wurde die Quecksilber-Luftpumpe ver- 
wendet, und die Verdünnung wurde in allen Fällen auf einen Druck von 0,02mm 
zurückgeführt, eine Verdünnung welche mit der Pumpe leicht und sicher 
erreichbar ist. Fig. 1 zeigt die Anordnung der Pumpe. Sie unterscheidet 
sich von der im Jahre 1865 publicirten Beschreibung!) nur dadurch, 
dass in das Abflussgefäss, welches durch einen Gummischlauch mit dem 
Evacuirungsgefässe verbunden ist, die Luft nur durch eine mit Chlor- 
Calicum gefüllte Röhre A eintreten kann. Das Quecksilber kömmt also 
nur mit trockener Luft in Berührung, und wird mit dem Gebrauch der 
Pumpe vollkommen ausgetrocknet. Befördert wird diese Austrocknung, 
wenn man durch die Austrocknungsröhre B Luft wiederholt in das Eva- 
cuirungsgefäss eintreten lässt. Ohne diese Austrocknung des Quecksilbers 
und der Gefässe bleiben Dämpfe zurück, die eben nicht erlauben den Druck 
restirenden Gases zu messen und die störend auf das Resultat der Ver- 
suche einwirken. 

Ist der Druck auf hundertel eines Millimeters herabgesunken, so ist 
die Druckdifferenz direkt am Barometer der Luftpumpe nicht mehr messbar. 
Ein einfacher Versuch macht ihn aber messbar. Man bestimmt voraus- 
gehend das Verhältniss des Volumens der in den Bohrungen, in den 
Hähnen und im Heberbarometer der Pumpe enthaltenen Luft zu dem 
Volumen des Evacuirungsgefässes. Das Abflussgefäss wird zu diesem 
Zwecke in die Höhe gezogen bis das Quecksilber eine Marke a am Halse 
des Evacuirungsgefässes tangirt. Der zu entleerende Kolben wird mit 
geschlossenem Hahne luftdicht auf der Mündung des Tellers mit Siegel- 
wachs — einer Mischung von Wachs und venetianisch Terpentin — be- 
festigt. Alle Kanäle sind bis zur Marke a mit Luft vom Drucke des 
Barometerstandes gefüllt. Lässt man das Ausflussgefäss herab, so dehnt 
sich die Luft in das Evacuirungsgefäss aus, das Barometer der Pumpe 
fällt und bezeichnet den Druck der ausgedehnten Luft. An der benützten 
Pumpe fiel, während der Ausgangsdruck 720 mm war, das Barometer auf 
6mm, die Ausdehnung war also eine 120fache. Wird bei nun offenem 
Hahn des zu entleerenden Kolbens mit Verdünnung der Luft in bekannter 


1) Die Pumpe ist in Carls Repertorium der Physik B. 1 von Georg Jolly beschrieben. 


56 


Art fortgefahren bis am Heberbarometer der Druck nicht mehr ablesbar 
ist, und wird hierauf bei geschlossenem Hahn des Gaskolbens das Queck- 
silber durch in die Höheziehen des Ausflussgefässes bis zur Marke a ge- 
bracht, so wird die verdünnte Luft um das 120fache comprimirt. Steigt 


hiermit das Heberbarometer auf 2,5 mm, so war die Verdünnung En — 0,02 mm. 

Man könnte auch, wie dies bei Regnault’s Versuchen der Fall ist, 
bei einer minder weit reichenden Verdünnung der Luft stehen bleiben, 
und den noch vorhandenen Druck von dem der Füllung in Abzug bringen. 
Es sind aber dann die Fehler zweier Barometerablesungen im Resultate 
enthalten, die sich leicht zu 0,lmm summiren können, während nach der 
bezeichneten Methode der Fehler der einen der Ablesungen sicher unter 
0,02 herabsinkt. 

Die Waage war mit Spiegelablesung versehen. Bei einer Belastung 
von 142 Gramm — dem Gewichte der Glaskolben — ergab ein Zulage- 
gewicht von 1 Milligramm einen Ausschlag von 9,8 Scalentheilen. Ein 
Scalentheil entspricht also einer Gewichtszunahme von 0,102 mg. 

Die Methode der Wägung war die der Vertauschung der Gewichte. 
Ein Beispiel wird das eingehaltene Verfahren erläutern. In dem folgenden 
Schema ist durch K der Kolben mit Glashahn, und durch T der Tara- 
kolben bezeichnet. 


Schale links Schale rechts Scale 
RE ji 757,2 
T K-+ 1,272 753,2 


Die Differenz der Scalentheile ist 4,0. Ein Zulagegewicht von 
4.0,102 — 0,408 mg in der Schale rechts würde den Ausschlag von 
753,2 auf 757,2 erhöhen. Man hat also auch 


Schale links Schale rechts Scale 
K-+ 127 T 757,2 
N K-+ 1,272408 757,2 


und erhält hieraus 
K = T — 1,272204. 

Auch diese Zahl bedarf noch einer Correctur wegen der Abweich- 
ungen der benützten Platingewichte von ihrem Sollwerthe.e Für den ge- 
wöhnlichen Gebrauch sind die käuflichen Platingewichte genügend genau 
abgeglichen, sie weichen aber alle mehr oder minder von ihrem Sollge- 


57 


wichte ab. Für den Gebrauch zu exacten Gewichtsbestimmungen ist es 
daher unerlässlich die Gewichtstücke zu prüfen und”den Befund in einer 
Correctionstabelle niederzulegen. Für die von mir gebrauchten Gewichts- 


stücke ergab sich: 
Sollgewichtt Normalgewicht 


05,8 = 0,5g — 0,304 mg 
0,4 22=0,5, 7 -30,120 
0,2, 0220,20 40,008 
0,2, = 02 — 0,083 
ON EEI0T IE 0029 
0,057. = 0,05 + 0,023 
0,02, = 0,02 — 0,011 
0,0255 370,02 °—0902 
OLE 0,01 0,055 
Reiter 0,01 = 0,01 —+ 0,097 


Die im angeführten Falle benützten Gewichtsstücke waren 0,5, 0,5,, 
0,2,, 0,05, 0,05, 0,02, und der Reiter am Hebelarme von der Länge 0,2 
des Wagebalkens. In Normalgewicht ausgedrückt ist demnach 

K=T — 1,271803. 
Die nicht corrigirte Zahl war 1,272204, also um 0,401 mg zu gross. 


Versuche mit Sauerstoff. 

Die Bereitung des Sauerstoff erfolgte auf elektrolytischem Wege. Das 
Gas, welches man im Beginn der Elektrolyse erhält, ist in doppelter Weise 
verunreiniget, es ist mit dem vom Wasser absorbirten Stickgase gemischt, 
und ist zum Theil ozonisirt. Je länger dauernd der elektrolytische Process 
fortgeführt wird, um so vollständiger wird alles Stickgas ausgetrieben. 
Nach 24 stündiger Dauer der Elektrolyse erscheint das Stickgas vollkommen 
beseitiget. Die Zersetzung des Ozons wird ebenso vollständig durch Leitung 
des Gases durch eine in Glühhitze erhaltene Glasröhre erzielt. Durch ein- 
 geschaltete Austrocknungsröhren war für vollständige Austrocknung des 
Gases gesorgt. ' 

Zur Entleerung des Kolbens wurde die Quecksilberluftpumpe benützt, 
und ebenso wurden die Zuleitungs- und Austrocknungsröhren, um jede 
Beimischung von Luft auszuschliessen, wiederholt mit Sauerstoff gefüllt 
und wieder entleert. 

Zwei andere Fehlerquellen können durch die, im Versuch einzu- 


haltende, Ordnung auf ein Minimum zurückgebracht werden. Das Ab- 
Abh.d.II.Cl.d.k. Ak.d. Wiss. XIII. Bd. II. Abth. 8 


58 


waschen des Kolbens mit Wasser und mit Weingeist hat bei häufiger Wieder- 
holung eine Gewichtsverminderung zum Erfolge. Sie ist unbedeutend, 
tritt aber nach häufiger Wiederholung des Abwaschens messbar auf. Anderer- 
seits können beim Füllen des Kolbens Staubtheile aus der Austrocknungsröhre 
mit übergeführt werden. Es erzeugt diess eine Gewichtszunahme. Beide 
Aenderungen im Gewichte des Kolbens erfolgen also im entgegengesetzten 
Sinne, und treten daher nach einmaliger Operation nur um so unbedeutender 
auf. Wird die Ordnung eingehalten den Kolben zuerst gefüllt und darauf 
entleert zu wägen, so sinkt der Betrag der Fehler auf ein Minimum zurück. 


I Gewicht des Kolbens gefüllt mit Ovon O’u. 714,45 mm K= T + 0,083799 
Gewicht des Kolbens mit OÖ vom Drucke 0,02 K= T — 0,272183 
Gewicht des OÖ von 0° u. 714,43 1,355982 
Gewicht des OÖ von 0° u. 760 mm. 1,442470 

II Gewicht des Kolbens mit O von 0° u. 711,30 K,= 7 Fr OR IB 
Gewicht des Kolbens mit O vom. 0,02 RM. Omar 
Gewicht des O von 0° u. 711,28 1,350100 
Gewicht des OÖ von 0° 760 mm 1,442579. 

III Gewicht des Kolbens mit O von 0° u. 715,02 K’—T 70.074902 
Gewicht des Kolbens mit O von 0,02 K = T — 0,272180 
Gewicht des O von 0° u. 715,00 1,347084 
(Gewicht des O von 0° u. 760 mm 1,442489. 

IV Gewicht des Kolbens mit O von 0° u. 720,42 K = T + 0,095182 
Gewicht des Kolbens mit O vom Drucke 0,02 En 
Gewicht des O von 0° u. 720,40 1,367406 
Gewicht des O von 0° u. 760 mm 1,442570. 

V Gewicht des Kolbens mit O von 0° u. 722,02 K = T +, 0,098103 
Gewicht des Kolbens mit O vom Drucke 0,02 K=/,T 120330 
Gewicht des OÖ von 0° u. 722,000 1,370483 
Gewicht des O von 0° u. 760 mm 1,442571. 

VI Gewicht des Kolbens mit OÖ von 0° 706,93 KZ T -+ 0,069659 
Gewicht des Kolbens mit O vom Drucke 0,02 KT — 1272188 
Gewicht des OÖ von 0° u. 706,91 1.341847 ° 
Gewicht des O von 0° u. 760 mm 1.442562. 

VlIGewicht des Kolbens mit O von 0° u..693,79 K= T + 0,044552 
Gewicht des Kolbens mit O.vom Druck 0,02 Ko, „7 —1,10202002 
Gewicht des O von 0° u. 693,77 1,316774 
Gewicht des OÖ von 0° u. 760 mm 1,449478. 


Für das Gewicht des Sauerstoffgases von 0° und 760 mm, welches 
der Kolben bei der Temperatur 0° fasst, wurde nach der Reihe erhalten: 


1,442470 
1,442579 
1,442489 
1,442570 
1,442571 
1,442562 
1,442478 
Mittel 1,442545 


Der wahrscheinliche Fehler des Mittels berechnet sich zu + 0,000013. 


Versuche mit Stickstoff. 
Zur DBereitung des Stickstoffes wurde trockene kohlensäurefreie 
atmosphärische Luft über in Glühhitze erhaltene Kupferdrahtnetze ge- 
leitet. Die orientirende Versuche liessen eine, indess leicht zu beseitigende, 
Fehlerquelle erkennen. Die Kupferdrahtnetze, die vorangehend durch 
Wasserstoffgas reducirt sind, halten Wasserstoffgas absorbirt zurück. Man 
erhält, wenn nicht für vollständige Entfernung des Wasserstoffgases ge- 
sorgt wird, wechselnde und stets zu kleine Gewichte Wird die Ver- 
brennungsröhre mit den reducirten Drahtnetzen mit Hülfe der Luftpumpe 
entleert, und wird, während Glühhütze eingetreten ist, die Luftpumpe in 
Thätigkeit erhalten, so ist in kurzer Zeit das Wasserstoffgas vollständig 
entfernt. Die Zuleitung der trockenen Luft erfolgt nach der Entfernung 
des Wasserstoffes. Man erreicht das gleiche Ziel, wenn man auf die 
reducirten Netze ein nicht reducirtes folgen lässt, es erfährt dies durch 
das ausgetriebene Wasserstoffgas eine Reduction. Durch eine darauf folgende 
Austrocknungsröhre wird der sich bildende Wasserdampf zurückgehalten. 
Der Glashahn des Kolbens war vor dem Gebrauch zu der folgenden 
Versuchsreihe gereiniget und neu eingefettet. Der s.g. optische Contact 
lässt leicht erkennen, ob die gleichförmige Vertheilung des Fettes erfolgt 
und ein vollkommener Verschluss gesichert ist. Der Kolben kann ohne 
Erneuerung der Einfettung des Hahnes zu einer ganzen Reihe von Ver- 
suchen verwendet werden. 
I Gewicht des Kolbens gefüllt mit N von 0° u. 715,61 Druck K 


— T — 0,076251 

Gewicht des Kolbens mit N vom Druck 0,02 Kerr ITS 
Gewicht des N von 0° u. 715,59 1,195422 
Gewicht des N von 0° u. 760 mm 1,269609 

II Gewicht des Kolbens gefüllt mit N von0° u. 717,95 K = T — 0,072568 

Gewicht des Kolbens mit N vom Druck 0,02 K = T — 1,271690 
Gewicht des N von 0° u. 717,93 1,199122 
Gewicht des N von 0° u. 670 mm 1,269389 


60 

III Gewicht des Kolben sgefüllt mit N von 0° u. 714,54 K = T — 0,078400 
Gewicht des Kolbens mit N vom Drucke 0,02 K = T — 1,271749 
Gewicht des N von 0° u. 714,42 1,193349 
Gewicht des N von 0° u. 760 mm 1,269307 

IV Gewicht des Kolbens gefüllt mit N von 0° u. 716,60 K= T — 0,074836 
Gewicht des Kolbens mit N vom Drucke 0,02 K=TT -— 1,271695 
Gewicht des N von 0° u. 716,58 1,196924 
Gewicht des N von 0° u. 760 mm 1,269449 

V Gewicht des Kolbens gefüllt mit N von 0° u. 711,78 K= T — 0,082659 
Gewicht des Kolbens mit N vom Drucke 0,02 K=T -— 1,271768 
Gewicht des N von 0° u. 711,76 1,188936 
Gewicht des N von 0° 760 mm 1,269515. 

VI Gewicht des Kolbens gefüllt mit N von 0° u. 710,27 K = T — 0,084423 
Gewicht des Kolbens mit N vom Druck 0,02 K= T — 1,271768 
Gewicht des N von 0° u. 710,25 1,186345 
Gewicht des N von 0° u. 760 mm 1,269443 

VII Gewicht des Kolbens gefüllt mit N von 0° u. 717,36 K= T — 0,073524 
Gewicht des Kolbens mit N vom Drucke 0,02 K= 770797785 
Gewicht des N von 0° u. 717,34 1,198221 
Gewicht des N von 0° u. 760 mm 1,269478. 


Für das Gewicht des Stickstoffgases von der Temperatur 0° und 
dem Drucke 760 mm, welches der Kolben bei der Temperatur 0° fasst, 
wurde nach der Reihe erhalten: 

1,269609 
1,269389 
1,269307 
1,269449 
1.269515 
1,269443 
1,269478 
Mittel 1,269455 

Der wahrscheinliche Fehler des Mittels berechnet sich zu + 0,000024, 
ist also doppelt so gross als der für die Gewichtsbestimmung von Sauer- 
stoff erhaltene, immerhin macht er sich aber erst in der 5. Decimale 
geltend. Da in beiden Fällen die gleiche Waage und die gleiche Methode 
der Wägung angewendet wurde, so wird man den Grund der grösseren 
Abweichungen in den Zahlen für N wohl nur darin zu suchen haben, 
dass die vollständige Reinheit der elektrolytisch erzeugten O grösser ist, 


61 


als die des N, welches unter Entziehung des Sauerstoffes der Luft be- 
reitet wurde. 
Versuche mit atmosphärischer Luft. 

Die Luft wurde, wie schon erwähnt, stets an demselben Orte, in 
einer Entfernung von beiläufig 2 Kilometer von der Stadt, geschöpft. 
Es diente hierzu ein Glasballon mit einer Ausrüstung wie Fig. 3 dies 
erläutert. Der Ballon war luftleer gemacht. An Ort und Stelle war es 
also nur nöthig einen der Hähne zu öffnen und nach der Füllung wieder 
zu schliessen. Im Ballon befanden sich einige Stücke Aetzkali. Zum 
Abfüllen wurde durch a Quecksilber eingelassen, und durch b die Luft 
durch eine Austrocknungsröhre in den Glaskolben geleitet. Die Aus- 
trocknungsröhre war vorausgehend mit der Luftpumpe evacuirt. 

Die Ordnung der Versuche wurde dahin abgeändert, dass Füllung 
und darauf folgende Wägung unter fünf verschiedenen Druckgrössen, wie 
solche die jeweiligen Barometerstände bei den Füllungen mit sich brachten, 
vollzogen wurden. Vor der ersten Füllung und naeh der letzten Füllung 
wurden die luftleer gemachten Kolben gewogen. Die Differenzen der 
beiden Wägungen des leeren Kolbens lassen die Fehlergrenzen erkennen, 
welche in Verbindung mit den Fehlerquellen der Waage nach allen 
zwischen liegenden Operationen sich geltend machen, und die Abweichungen 
der Gewichte der Luft, reducirt auf 0° und 760 bezeichnen die Fehler- 
grenzen der unter verschiedenen Drucken gefüllten Kolben. Die letzteren 
sind die grösseren, weil die Fehlerquellen der Barometerablesungen hin- 
zutreten. Für das Gewicht des leeren Kolbens wurde das arithmetische 
Mittel der beiden Wägungen zu Grund gelegt. 


I Luft geschöpft am 10. October. Barometer 715,7. 
Gewicht des leeren Kolbens K= T — 1,272413 


Druck Gewicht der Luft von 0°. Druck Gewicht der Luft von 0° 
713,90 1,226512 760, 1,505713 
713,03 1,224692 A 1,303367 
711,44 1,222128 ” 1,305545 
715,11 1,228420 3 1,305532 
714,00 1,226511 a 1,305529 


Mittel 1,305537 
Gewicht des leeren Kolbens K= T — 1,272345. 


62 


II Luft geschöpft am 27. October. Barometer 711,9 
Gewicht des leeren Kolbens K= T — 1,272345 


Druck Gewicht der Luft von 0° Druck Gewicht der Luft mit 0° 
ll 1,222672 760 1,305631 
714,98 1,228302 nr 1,305644 
713,62 1,226067 “ 1,305752 
717,41 1,232352 RN 1,305512 
717,66 1,233002 r 1,5305743 


Mittel 1,305656 
Gewicht des leeren Kolbens K= T — 1,272385 


II Luft geschöpft am 10. November. Barometer 704,0. Föhn. 
Gewicht des leeren Kolbenss K= T — 1,272355 


701,43 1,204287 760 1,304845 
698,64 1,199627 n 1,304937 
712,82 1,223928 ey 1,304937 
Da 1,222528 ” 1,304909 
717,57 1,231972 % 1,504818 


Mittel 1,304999 
Gewicht des leeren Kolbens K = T — 1,272443 


IV Luft geschöpft am 21. November. Barometer 716,8. 
Gewicht des leeren Kolbens K = T — 1,273015. Der Hahn war nea eingefettet. 


721,95 1,239726 760 1,305065 
720,18 1,236882 nr 1,305242 
714,56 1,227232 nn 1,305273 
715,52 1,228882 % 1,505274 
711,40 1,221652 a5 1,505110 


Mittel 1,305193 
Gewicht des leeren Kolbens K= T — 1,273317 


V Luft geschöpft am 5. December. Barometer 710,2. 
Gewicht des leeren Kolbens K= T — 1,273317 


707,16 1,214748 760 1,305515 
707,12 1,214688 ® 1,305525 
707,26 1,214938 " 1,305532 
707,30 1,215188 Y 1,305729 
704,20 1,209938 “ | 1,305645 


Mittel 1,305589 
Gewicht des leeren Kolbens RK = T — 1,173404 


63 


VI Luft geschöpft am 14. December. Barometer 720,8. 
Gewicht des leeren Kolbens K = T — 1,273404 


Druck Gewicht der Luft von 0° 
1722,94 1,241924 
722,01 1,240224 
720,96 1,238321 
721,01 1,239397 
73,19 1,225098 


wurde, verzeichnet. 


Datum 
2. Januar 
34. Januar 
9. Februar 
16. Februar 
7. März 
18. März 
9, Mai 
18. Mai 
7. Juni 
29. Juni 
15. Juli 
22. Juli 
2. August 
29. August 
11. Septbr. 
17. Septbr. 


Druck 
760 


Gewicht der Luft von 0° 
1,305588 
1,305481 
1,305376 
1,305601 
1,305581 

Mittel 1,305525 


Gewicht des leeren Kolbens K= T — 1,273463. 
Nachdem die angewendete Methode sich als brauchbar zu exacten 
Messungen bewährt hatte, wurden nach gleichem Schema beinahe durch 
alle Monate des Jahres Luftproben der Wägung unterzogen. In der 
folgenden Tabelle sind die erhaltenen Resultate zugleich unter Angabe 
der jeweils herrschenden Windrichtung, bei welcher die Luft geschöpft 


Gewicht 

1.505035 
1,505754 
1,305281 
1,305099 
1,305157 
1,305014 
1,305200 
1,305131 
1,305046 
1,305397 
1,305239 


1,305594 


1,305296 
1,305469 
1,305075 
1,304931 


Windrichtung 
S.W. 
NO. 
N.W. 
W. 
N.W. 


N.O. 
N.O. 
W. 
Föhn. 


Die Differenzen der Gewichte der Luftproben sind nicht unbeträcht- 
lich, sie gehen bis zu 0,9 mg, sind also nicht auf Unsicherheiten in 
den Wägungen zurückzuführen, sondern drücken eine Veränderlichkeit 


in der Zusammensetzung der Atmosphäre aus. 


Das grösste Gewicht war 


bei anhaltendem N.O.-Wind zu 1,305744, und: das kleinste- bei anhalten- 


64 


dem Föhn zu 1,304899 gefunden. Die Zusammensetzung der Luft, welche 
diesen Gewichten zukömmt, lässt sich, gestützt auf die Gewichte gleicher 
Volumina von OÖ und N, einfach berechnen. Das Gewicht des O wurde 
gefunden zu 1,442545 und das des N. zu 1,269455. Bezeichnet wieder 
x das Volumen des Sauerstoffs der bei anhaltendem Polarstrom geschöpften 
Luft, also 1—x das des Stickstoffs, so hat man 


x 1,442545 4 (1—x) 1,269455 = 1,305744, 
daher x = 0,20965. Im Procenten ausgedrückt ist also der Sauerstoffgehalt :: 
20,965. i 


Für die unter anhaltendem Föhn geschöpfte Luft hat man 


x. 1,442545 + (1—-x) 1.269455 = 1,304899, 
daher x = 0,20477. Im Procenten ausgedrückt ist also bei anhaltendem Aequatorial- 
strom der Sauerstoffgehalt kleiner und nur 
20,477. 


Die Versuche waren im Jahre 1875—76 ausgeführt, sie waren durch 
ganz andere Fragen veranlasst und wurden nur nebenbei aufgenommen. 
Da nach diesen Wägungen die Schwankungen im Sauerstoffgehalt der 
Atmosphäre viel beträchtlicher sind, als dies nach den eudiometrischen 
Messungen zu erwarten war, so war es angezeigt, auf Contralversuche 
bedacht zu nehmen. Es wurden solche erst im Jahre 1877 unter An- 
wendung eines Eudiometers, welches man als Kupfer-Eudiometer bezeichnen 
könnte, ausgeführt. Ich werde gleich auf die Beschreibung des Instru- 
mentes und auf die mit demselben erzielten Resultate zurückkommen. 
Nur will ich zuvor anführen, dass die Wägungen des OÖ und N sofort 
auch zur Bestimmung der specifischen Gewichte des Sauerstoffgases und 
des Stickstoffgases benutzt wurden. Es war hierzu nur nöthig das Ge- 
wicht des Wassers von 4° zu bestimmen, welches der Kolben in der 
Temperatur von 0° fasst. 


Die Wägungen gaben folgende Resultate: 
Gewicht des Glaskolbens. 


Schale links Schale rechts T’hermometer Barometer Scale 
142,0745 IN zeit 721,57 735,0 
K 142,0725 n ni 736,7 


Reducirt auf gleichen Ausschlag hat man: 
Schale links Schale rechts Thermometer Barometer Scale 
142,074331 K i al Va 736,7 
K 142,0725 n 5 736,7 
daher 
K = 142,073415. 


Der Kolben wurde mit destillirtem Wasser gefüllt. Eine ebenfalls 
mit destillirtem Wasser gefüllte Glasröhre war mit der Mündung des 
Kolbens verbunden, und der Kolben stand mit dieser Ausrüstung über 
Nacht in gestossenem Eis. Nach Entfernung der Nachfüllröhre war der 
Kolben bis zur Spitze mit Wasser von 0° gefüllt. Der Hahn wurde ge- 
schlossen noch während der Kolben in Eis stand. Da die Temperatur 
des Waagezimmers 6,4° war, eine Temperatur, bei welcher das Volumen 
des Wassers immer noch kleiner ist als bei der Temperatur 0° so war 
eine Sprengung des Kolbens bei geschlossenem Hahn nicht zu besorgen. 
Die Wägung ergab: 


Schale links Schale rechts Thermometer Barometer Hygrometer Scale 


1150,305 K 6,4 721,3 65°, 743,2 
K 1150,292 n n 5 745,5 
Reducirt auf gleichen Ausschlag erhält man: 

1150.304760 K 6,4 271,3 65% 745,5 
K 1150,292 n n n 745,5 
daher 


K = 1150,298380. 
In beiden Fällen, bei der Wägung des leeren wie bei der des ge- 
füllten Kolbens, sind die Gewichte nach den Sollgewichten des Gewichts- 
satzes angegeben. Die für den gleichen Gewichtssatz entworfene Corrections- 
tabelle ergibt, dass in Normalgewichten ausgedrückt die erste Zahl um 
0,001876 und die zweite um 0,001302 zu erhöhen ist. Man erhält hier- 
nach für das Gewicht des leeren Kolbens 
142,075291, 

und für das Gewicht des mit Wasser von 0° gefüllten Kolbens 
1150,299682. 

Das scheinbare Gewicht des Wassers von 0° ist hiernach 


1008,224391. 
Abh.d. II. Cl.d. k. Ak.d. Wiss. XII. Bd. II. Abth. 2) 


66 


Die Differenz der Gewichtsverluste des Wassers und der Gewichts- 
stücke — vergoldete Messingstücke vom specifischen Gewicht 8,4 -— be- 
rechnet sich zu 1,06248. Im leeren Raume würde man demnach für 
das Gewicht des Wassers erhalten 

1009,286871. 


Endlich ist um das Gewicht des Wassers zu erhalten, welches der 
Kolben in der Temperatur 0° vom Wasser von der Temperatur 4° fasst, 
mit dem Quotienten der Dichtigkeiten des Wassers von 4° und 0° zu 
multipliciren. Man erhält 

1009,286871 
0,999876 

Der Kolben fasst bei emem Inhalte von 1009,412 Cub.-Centimeter 
1,442545 g Sauerstoff, und 1,269455 Stickstoff. Man erhält hiernach 
für die geog. Breite von München von 48° 8° und der Höhe von 515 
Meter über der Meeresoberfläche das Gewicht 


— 1009,412. 


eines Liter Sauerstoff = 1,429094 
und eines Liter Stiekstoff —= 1,257614. 


Um diese Zahlen mit denen von Regnault erhaltenen zu vergleichen 
ist die Reduction der Gewichte auf die geog. Breite und die Höhe von 
Paris über der Meeresoberfläche auszuführen. 


Bezeichnet g das Gewicht eines Liter Sauerstoff in der Breite von 
45° an der Meeresoberfläche, R den mittleren Radius der Erde = 6366198, 
und g‘ das Gewicht in der geographischen Breite 9, und g die Höhe 
über der Meeresoberfläche, so ist 

1 — deos 2 
De 

R 

Nach der äusserst eingehenden und sorgfältigen Kritik von Lasch!) 
ist die Constante d = 0,0025935. 

Für den Ort München in der geog. Breite 48° 8‘ und der Höhe h 
— 515 m ist gefunden g’ = 1,429094. Es berechnet sich hiernach 

g = 1,4289206, 


1) Poggendorff’s Annalen, Ergänzungsband 87, S. 521. 


67 


und das Gewicht eines Liter Sauerstoff in der geog. Breite 48% 50° 14° 
von Paris und der Höhe von 60 m berechnet sich zu 
1,4293884 g@. N 

Regnault fand 1,429802. Der Unterschied ist 0,41 Milligramm. Die 
Gewichtsstücke, die ich benutzte, und die Correctionstafeln des Gewichts- 
satzes stützen sich auf eine Copie des in Berlin aufbewahrten deutschen 
Urkilogrammes. Regnault führt nicht an, ob für die Gewichtsstücke, die 
er gebrauchte, eine Correctionstabelle zur Reduction der Sollgewichte auf 
Normalgewichte in Anwendung gezogen wurde. Es ist daher nicht zu 
entscheiden ob die Differenz der für ein Liter Sauerstoff erhaltenen Ge- 
wichte in den gebrauchten Gewichtsstücken oder in der Verschiedenheit 
in der Reinheit des Sauerstoff begründet ist. 

Das Gewicht eines Liter Stickstoff wurde für München gefunden 
— 1,257614. Es berechnet sich hiernach das Gewicht eines Liters N 
für 45° am Meeresniveau zu 

1,2574614, 
und für Paris 
1,2578731. 

Regnault fand 1,256167, also ein Gewicht, welches um 1,706 Milli- 
gramm kleiner ist. Dieser Gewichtsunterschied lässt sich wohl kaum 
auf eine etwa unterlassene Reduction der gebrauchten Gewichtsstücke 
auf die Normaleinheit zurückführen, er ist höchst wahrscheinlich darin 
begründet, dass dem Stickstoffgase, welches Regnault anwendete, Wasser- 
stoff beigemengt war. Die orientirenden Versuche, die ich mit Stickstoff 
ausführte, ergaben in den Gewichten Abweichungen in einem Betrage bis 
zu 3 mg und die erst verschwanden, nachdem für Beseitigung jeder 
Spur von Wasserstoff gesorgt war. 


Die Wägungen der Luft und ihre Bestandtheile liessen den Wechsel 
in der Zusammensetzung der Atmosphäre erkennen. Dieses Verfahren 
setzt Vertrautheit mit dem Gebrauch der Waage voraus, ist aber, ein- 
mal organisirt, in physikalischen Laboratorien ohne besondere Schwierig- 
keit ausführbar. Zieht man in Betracht, dass die Zehntel der Milli- 

9* 


68 


gramme der erhaltenen Gewichte entscheidend sind für die Zehntel im 
Procentgehalt des Sauerstoff der zu prüfenden Luft, und sind es eben 
nur die Zehntel der Milligramme, welche in Einzelwägungen noch mit 
Sicherheit festgestellt werden können, so ist damit zugleich der nach der 
Wägungsmethode erreichbare Grad der Genauigkeit bezeichnet. Nur ge- 
stützt auf wiederholte Wägungen gleicher Luftproben kann grössere 
Exactheit erreicht werden. 

Eine viel weiter reichende Genauigkeit ist von einem eudiometrischen 
Verfahren zu erwarten, welches sich auf Druckmessungen der Luft vor 
und nach der Entziehung des Sauerstoffgases gründet. Da beiläufig — der 
Atmosphäre aus Sauerstoff besteht, und da + des mittleren atmosphärischen 
Druckes in Millimetern eine dreizifferige Zahl bildet, und da endlich 
Druckablesungen noch mit einer Genauigkeit von 0,1 mm ausführbar 
sind, so wird die Unsicherheit erst in den Hundertel der Procente sich 
bemerkbar machen. Allerdings werden die Fehlerquellen um so mehr 
sich häufen, je grösser die Zahl der erforderlichen Einzelablesungen ist. 
Ein eudiometrisches Verfahren, welches mit zwei Ablesungen die zu 
messenden Grössen liefert, wird einen Vorzug besitzen vor dem, welches 
drei oder mehrere Druckbestimmungen erfordert. 

In dem Eudiometer, welches ich anwendete, wurde das Sauerstoffgas 
der Luft durch eine, in Glühhitze versetzte, Kupferspirale entzogen. Der 
Druck der trockenen kohlensäurefreien Luft wurde in der Temperatur 
0°, und nach Entziehung des Sauerstoff wieder in der Temperatur 
0° gemessen. Beide Druckbestimmungen reichen zur Berechnung des 
Procentgehaltes der Luft an OÖ und N aus. 

Die Figur 4 erläutert die gebrauchte Anordung. A ist ein Glas- 
gefäss von beiläufig 100 cub.-cent. Inhalt, und. ist zur Aufnahme der 
Luftproben bestimmt. Es ist einerseits durch eine Schraube a verschliess- 
bar, und andererseits durch einen Dreiweghahn aus Glas bei b absperrbar. 
Die Mündung c wird mit .der Quecksilber-Luftpumpe in Verbindung ge- 
bracht, und bei passender Stellung des Dreiweghahnes wird die Entleerung 
des Gefässes bewirkt. Die Füllung mit Probeluft kann, während der 
Apparat mit der Luftpumpe verbunden ist, ausgeführt werden. 

Zur Erzielung der Temperatur 0° wurde das Gefäss A mit einem 
Blecheylinder B, der mit gestossenem Eis gefüllt war, umgeben. Der 


69 


Blecheylinder ist aus zwei Halbeylindern gebildet. und daher leicht zu- 
sammensetzbar und entfernbar. In der Abbildung ist der Cylinder B 
gesondert gezeichnet. 

Zur Messung des Druckes dient ein aus den Glasröhren d und g, 
die durch einen Gummischlauch verbunden sind, gebildetes Manometer. 
Die Röhre & ist in der federnden Hülse f verschiebbar, und auf dem 
Stativ ist eine Spiegelscala mit Millimetertheilung zur Ablösung der 
Stellung des Quecksilbers in der Monometerröhre g befestiget. 

Der Dreiweghahn macht es möglich, das Gefäss A und die Röhre d 
zugleich mit der Atmosphäre in Verbindung zu setzen. Bei dieser Hahn- 
stellung wird & so lange verschoben, bis das Quecksilber die bei m an- 
geschmolzene Glasspitze tangirt. Der Dreiweghahn wird darauf um 90° 
in solcher Richtung gedreht, dass A nur noch mit d communicirt. Der 
abgelesene Barometerstand gibt dann den Druck der Füllung bei 0°, und 
die an der Spiegelscala abgelesene Stelle des Quecksilbers bezeichnet die 
Lage der Spitze m. 

Die Kupferspirale s wird durch einen elektrischen Strom in Glüh- 
hitze versetzt. Ich habe zu den Versuchen Drähte von 60 cm. Länge 
und 0,5 mm. Durchmesser angewendet. Die Spiralwindungen des Drahtes 
hatten einen Durchmesser von etwa 1 cm., und waren dicht aneinander 
anschliessend. Die Abkühlungsfläche wird hiedurch vermindert und der 
Draht kömmt in lebhafte Glühhitze. Die Anwendung einer Batterie 
von drei Kohlenelementen zeigte sich ausreichend. 

Die Zuleitung des Stromes erfolgte durch Kupferdrähte von 3 mm. 
Durchmesser, an deren oberen Enden der Spiraldraht durch Klemmschrau- 
ben befestiget ist. 

Fig. 5, welche in vergrössertem Maassstabe die Verschlussschraube 
a darstellt, zeigt zugleich die Art der Leitung des Stromes. Der eine 
Draht ist direkt an der Stahlplatte, welche die Verschlussschraube bildet, 
angebracht. Die Stahlplatte bildet also einen Theil des Stromweges. 
Der zweite Zuleitungsdraht ist durch eine Glasröhre von der Stahlplatte 
isolirt. Der luftdichte Verschluss wird durch eine Büchse n, die mit ge- 
schmolzenem Siegellack gefüllt ist, vollkommen gesichert. Der Lederring 
zwischen Schraube und Fassung bedarf einiger Achtsamkeit. Er kann 
bei gewöhnlicher Temperatur vollkommen luftdicht schliessen, während 


70 


er bei der Temperatur 0° sich nicht mehr ausreichend zeigt. Ein Ueber- 
streichen der äussern Fuge mit Siegelwachs gibt einen vollkommen 
sichernden Verschluss. 

Der Draht wurde immer nur während 10 Minuten in Glühhitze er- 
halten. Nach drei- bis viermaliger Wiederholung ist alles Sauerstoffgas 
entfernt. Die sich bildende Oxydrinde blättert sich mit jeder Abkühlung 
grösseren Theiles ab. Es kommen also bei dem erneuerten Glühen immer 
wieder frische Metallflächen mit dem Gas in Berührung. 

Das Sauerstoffgas ist entfernt, wenn nach wiederholtem Glühen keine 
Druckabnahme mehr zu bemerken ist. Der Blecheylinder wird zum 
zweiten Male aufgesetzt, wird mit gestossenem Eis gefüllt, und die Röhre 
g wird in der Art verschoben bis das Quecksilber wieder die Spitze m 
tangirt. Der Barometerstand vermindert um die, durch die Oxydation 
des Kupfers bewirkte an der Spiegelscala abzulesende, Druckabnahme 
gibt den Druck des zurückgebliebenen Stickgases. 

Der Kupferdraht ist nach der Art der Herstellung im Ziehblech 
meist mit einer dünnen Lage Fett überzogen. Dieser Fettüberzug wird 
leicht und vollständig entfernt, indem man die Spirale vor dem Einsetzen 
in des Eudiometer durch einen galvanischen Strom auf kurze Zeit in 
Glühhitze versetzt. 

Die Prüfung auf die Leistungsfähigkeit des Eudiometers wurde unter 
Anwendung zweier verschiedener Füllungen mit Luft, die gleicher Luft- 
probe entnommen waren, ausgeführt. Man hätte also gleiche Zusammen- 
setzung zu erwarten. Die Differenzen in den Resultaten werden den 
Einfluss sämmtlicher Fehlerquellen auf das Endresultat bezeichnen. 

Die Luftprobe war bei herrschendem Westwind bei einem Barometer- 
stand von 709,48 mm. geschöpft. 

Vor Entziehung des Ö 


Druck der Luft im Eudiometer . . . AR 3 EISEN 
Manometer abgelesen an der ee STREIT. DR 
Nach Entziehung des O. 

Manometer abgelesen an der Spiegelscale . . . 169,7 


Differenz der Manometerstände bei 12,2 des Se 148,7 
Differenz der Manometerstände bei 0° des Quecksilbers . 148,42 
Barometerstand, reducirt auf 0° des Quecksilbers . . . 710,65 
Druck des Gases nach Entziehung ds OÖ . . . . . .. 562,13 


71 


Der Druck der Luft war vor Entziehung des O 708,50, und ist bei 
gleichem Volumen nach Entziehung des O nur 562,23. Auf gleichen 
Druck reducirt ist nach dem Mariotte’schen Gesetz das Volumen 1 auf 


562,23 


das Volumen 5 = 0,79355 zurückgegangen. 
In Procenten ausgedrückt hat man dader 79,355 N und 20,645 0. 
Nach 24 Stunden wurde der Draht wiederholt in Glühhitze versetzt, 
und darauf das Gefäss wieder auf die Temparatur 0° zurückgebracht. 


Es ergab sich 


Manometer abgelesen an der Spiegelscale 168,5 


Differenz der Manoweterstäinde . . . 1475 

Redueixtga ul Os AT 92 
Barometerstande. Pa rr709,38 
Druck des Gases . . . 562,16 


In Procenten ausgerechnet erhält man Ian sch, 79,345 N und 20,655 0. 


Ein dritter Versuch ergab nach wiederholtem Glühen des Drahtes 
79,350 N und 20,650 OÖ. Die grösste Abweichung ist also 0,01 Procent. 


Das Eudiometer wurde entleert und darauf mit Luft, welche der 
gleichen Luftprobe wie beim vorangehenden Versuche entnommen war, 
gefüllt. Es ergab sich: 

vor Entziehung des OÖ 
Druele der. Lült iu) Budiometer bei Or»... ... = =... 1% .709,35 
Nanoumeten eh ee N lie, EDO 


nach Entziehung des OÖ 


Manometer . . . a BEN SZREN 3. 0 10950 
Differenz der enge be 12, 7° des Quecksilbers 141,0 
Differenz der Manometerstände reducirt auf 0° . . ....140,72 
Barometer . . . . N ER OS 
Druck des Gases nach Ektrehung "des ONE 562,99 


In Procenten ausgedrückt erhält man hiernach 79 ‚366 N und 20,634 0 
Nach 24 Stunden und wiederholtem Glühen des Drahtes wurde 


erhalten 
Manometer . . . .. 160,6 
Differenz der ae ande bis 160 2 oeeheilbere . 139,6 
Differenz der Manometerstände reducirt auf 0° . . . . 139,25 
Barometer . . . 7020 
Druck des Gases nach Erkzehume le ) 0 3562,95 


In Procenten. ausgedrückt erhält man rs 79,361 N220,639 0. 


u | 
[86] 


Für Luft gleicher Beschaffenheit, welche in zwei getrennten Opera- 
tionen zur Füllung des Eudiometers verwendet wurde, ergeben die Ver- 
suche im Mittel 

bei der ersten Analyse 20,650 O0, 
und bei der zweiten 20,637 0. } 

Die Differenz ist also nur 0,013 Procent. In der That ist ja auch 
einzusehen, dass, wenn die Ablesungen der Druckgrössen vor und nach 
Entziehung des O mit einer Genauigkeit von + 0,05 mm. ausgeführt 
sind, die Abweichungen in den Bestimmungen des Procentgehaltes 0,02 
Procent nicht erreichen werden. 


Nach dem beschriebenen Verfahren wurden in den Monaten Juni 
und Juli, und dann wieder im Oktober und November 1877 Luftproben 
auf ihren Sauerstoffgehalt geprüft. Die folgende Tabelle enthält die Re- 
sultate nebst Angabe der Barometerstände und der Windrichtungen, bei 
welchen die Luft geschöpft wurde. 


Tag Sauerstoff in Procenten Barometer Windrichtung 
13. Juni 20,53 714,03 WL 
18. 20,95 717,7 N. 
24. 20,75 716,8 NO. 
27. 20,65 718,7 NO. 
31. 20,69 TS NO. 

3. Juli 20,66 716,9 ©. 
IN: 20,64 713,1 S. 
19. 20,56 713,9 SW. 
27. 20,75 719,9 NO. 
12= Oct: 20,78 715,7 0. 
14. 20,36 720,9 NW. 
15; 20,83 719,3 0. 
16. 20,75 128,3 ©. 
21. 20,84 723,0 Ö. 
23. 20,84 710,6 NW. 
27. 21,01 721,5 N. 
31. 20,85 714,2 W 

2. Nov. 20,91 Ta NO. 
10. 20,56 718,2 So. 
13. 20,67 707,0 W. 


20. 20,65 708,9 NW. 


73 


Die Resultate der eudiometrischen Messungen stimmen mit denen, 
die auf Grund von Wägungen erhalten wurden, vollständig überein. Nach 
beiden Messmethoden ergibt sich, dass der Sauerstoffgehalt der Atmosphäre 
nicht ganz unbeträchtlichen Schwankungen unterliegt. Die Luftproben 
des Jahres 1877 zeigen Unterschiede im Sauerstoffgehalt von 21,01 bis 
herab auf 20,53 Procent, und die im Jahre 1875—76 nach der Wägungs- 
methode gefundenen grössten und kleinsten Sauerstoffgehalte waren 20,96 
und 20,47 Procent. Der grösste Sauerstoffgehalt trat in beiden Jahr- 
gängen unter herrschendem Polarstrom, und der kleinste unter herrschen- 
dem Aequatorialstrom oder Föhn auf. Begreiflich ist damit nicht gesagt, 
dass in allen Fällen, in welchen die Windfahne nach N oder NO zeigt, 
nothwendig grösserer und bei S. und SW. kleinerer Sauerstoffgehalt, oder 
dass gar, wie in den extremsten Fällen, sich Unterschiede von 0,5 Procent 
mit jeder Drehung der Windfahne geltend machen. Je rascher die 
Windrichtungen wechseln, um so mehr hat man es mit einer Mischung 
verschiedener Luftmassen zu thun. Aber eben desshalb erhält man in 
diesen Fällen nie einen so hohen Sauerstoffgehalt wie bei anhaltendem 
Polarstrom, oder einen so niedern wie bei anhaltendem Aequatorialstrom. 

Der Satz der Unveränderlichkeit in der Zusammensetzung der At- 
mosphäre ist nicht aufrecht zu erhalten. Schon Regnault') hatte die 
Vermuthung der Veränderlichkeit in der Zusammensetzung der Luft aus- 
gesprochen, und hat es eben desshalb als trügerisch bezeichnet den 
specifischen Gewichten der Gase das der Luft als Einheit zu Grund zu 
legen. Gleichwohl hat er das Gewicht eines Liter Luft für die Breite 
und Höhe von Paris bestimmt und nach bekannter Rechnung das Ge- 
wicht eines Liter Luft für die Breite von 45°, wie die einer Normal- 
Constanten abgeleitet. 

Es liegen nur die Erfahrungen zweier Jahre vor; nach denselben 
waren in beiden Jahren die Schwankungen in der Zusammensetzung der 
Luft nahezu von gleicher Grösse. In dem einen der Jahrgänge war 
die Methode der Wägungen angewendet. In diesem Falle zeigt sich 
die Bestimmung der Zehntel des Procentgehaltes abhängig von der 
Feststellung der Zehntel der Milligramme des Gewichtes von einem 


1) Memoires de l’Acad&mie des Sciences T. XXI, p. 138. 
Abh.d.II. Cl.d.k. Ak.d. Wiss. XIII. Bd. II. Abth. 10 


74 


Liter Luft, die Hundertel von den Hunderteln der. Milligramme. Mit 
einer correct ausgeführten Waage kann dies geleistet werden. Immer- 
hin ist aber das Verfahren ein mühsames. Das Kupfereudiometer ist 
leichter zu handhaben, und gibt, wenn die Druckgrössen auf ein Zehntel 
eines Millimeters genau bestimmt werden, den Procentgehalt mit der 
Genauigkeit eines hundertel Procentes. Ich hatte den mühsameren Weg 
zuerst eingeschlagen, und suchte des auffallenden Resultates halber nach 
einer Controle, welche dann eben zur Construction des Kupfereudiometers 
führte. 

Ob von Jahr zu Jahr die Schwankungen stets in gleichen Grenzen 
erfolgen, und ob im Mittel der Sauerstoffgehalt in jedem Jahre der gleiche 
ist, wird erst durch eine ausgedehntere Beobachtungsreihe sich feststellen 
lassen. Zunächst ist es wahrscheinlich, dass ebenso wie die Dauer der 
Polar- und Aequatorströme an gleichem Orte nicht jedes Jahr die gleiche 
ist, auch kleine Differenzen im mittleren Sauerstoffgehalt sich von Jahr 
zu Jahr werden geltend machen. Auch wird man aus den Beobachtungen 
zweier Jahre schliessen dürfen, dass trotz der reicheren Vegetationsdecke 
südlicherer Breitegrade die Oxydationsprocesse — vielleicht in Folge der 
höheren Temperatur — die Reductionsprocesse überwiegen, während um- 
gekehrt der reichere Gehalt an Sauerstoff der Polarströme ein Zurück- 
treten der Oxydationsprocesse gegen die der Reduction für die nördlicheren 
Gegenden ausdrückt. 


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Theorie der Gärung 


C. v. Nägeli. 


Abh.d.II.Cl.d. k. Ak.d. Wiss. XIII. bd. II. Abth. 1l 


Theorie der Gärung 
von 


C. v. Nägeli. 


Gärung und Fäulniss (faulige Gärung) sind dadurch ausgezeichnet, 
dass bei Anwesenheit von gewissen lebenden Zellen (Hefenpilzen) grössere 
oder geringere Mengen von zusammengesetzten Verbindungen gespalten 
werden, ohne dass die sich zersetzende Substanz materiell zur Ernährung 
jener Zellen beiträgt. Es ist begreiflich, dass man von jeher versucht 
hat, diesen Process nach allgemeinen chemischen und physiologischen 
Vorstellungen sich zurecht zu legen. Wir haben vorzüglich drei Erklär- 
ungsversuche zu unterscheiden 1) die Zersetzungstheorie Liebig’s, 2) die 
Fermenttheorie der Gärungs-Chemiker, 3) die Sauerstoffentziehungstheorie 
Pasteur’s. 

Nach Liebig ist alle Gärung eine moleculare Bewegung, die ein 
in chemischer Bewegung d. h. in Zersetzung begriffener Körper auf andere 
Stoffe überträgt, deren Elemente nicht sehr fest zusammenhängen. Gärung 
(im engeren Sinne) und Fäulniss sollten nach demselben darin verschieden 
sein, dass bei der letzteren die Zersetzung durch das sich zersetzende 
Fäulnissmaterial (die Albuminate) selbst übertragen werde, so dass die 
begonnene Fäulniss durch eigene Bewegung fortdaure, nachdem die 
Ursache, welche den Anstoss gab, unwirksam geworden. Bei der Gärung 
dagegen vermöge der in Zersetzung begriffene Körper (der Zucker) nicht 
seine Bewegung zu übertragen; es müsse diess durch eine fremde Ursache 
geschehen, durch ein Ferment, welches somit nicht bloss zur Einleitung, 
sondern auch zur Unterhaltung der Bewegung nothwendig sei. Diese 
Definition von Gärung und Fäulniss machte die Theorie Liebig’s ausser- 


ordentlich anschaulich. 
11* 


78 


Zunächst ist nun zu erwähnen, dass gerade diese Unterscheidung 
unhaltbar war seit den wissenschaftlichen Versuchen von Schwann 
(1837) und Helmholtz (1843), welche bewiesen, dass Gärung und 
Fäulniss durch lebende Organismen bewirkt werden, und seit dem Be- 
kanntwerden von Appert’s praktischem Conservirungsverfahren, nach 
welchem organische Substanzen, die der Gärung oder der Fäulniss fähig 
waren, durch Tödtung der Organismen und ihrer Keime haltbar gemacht 
wurden. Diese Thatsachen erlauben uns nicht, Gärung und Fäulniss als 
ihrem Wesen nach verschiedene Vorgänge zu betrachten. 


Liebig!) legte bei dem letzten Versuche, den er machte, seine 
Theorie mit den Fortschritten der Wissenschaft in Uebereinstimmung zu 
bringen, grosses Gewicht auf die Erscheinungen, welche bei der von 
du Pasteur entdeckten Selbstgärung der Bierhefe zu beobachten sein 
sollen. In ausgewaschener Hefe trete bei 30 bis 35° C. eine wahre, bei- 
nahe stürmische Gärung ein, indem sich Kohlensäure und 8 bis 13,8 Proz. 
Alkohol von dem Trockengewicht der Hefe bilden; der Alkohol betrage 
bis auf 120 Proz. von derjenigen Menge, welche aus der ganzen Cellu- 
losemenge der Hefe entstehen könnte. Daraus wird der Schluss gezogen, 
dass in den Zellen ein in Zersetzung befindlicher Körper enthalten sei, 
welcher Zucker für die Selbstgärung liefere, und hierin eine Stütze für 
die Zersetzungstheorie gefunden. 


Die Richtigstellung der Thatsachen führt indessen zu einem anderen 
Ergebnis. Wenn die Versuche in der Weise angestellt werden, wie es 
von Liebig geschehen ist, so können die Spaltpilze nicht ausgeschlossen 
werden und man erhält das Produkt der Thätigkeit zweier verschiedener 
Hefenarten?). Ferner ist in seiner Berechnung der Cellulosegehalt viel zu 


1) Sitzungsberichte d. k. b. Akad. d. W.:1869. II. 323. 


2) Zunächst bemerke ich, dass ich unter Hefe überhaupt die sog. geformten Fermente ver- 
stehe, und dass ich die verschiedenen Hefenarten oder Hefenpilze als Sprosshefe (Wein- und Bierhefe) 
und als Spalthefe (Fäulnisshefe, Milchsäurehefe u. s. w.) unterscheide. 

Ich habe die der Selbstgärung überlassene Bierhefe bei den Liebig’schen Versuchen einige 
Male mikroskopisch untersucht, und Liebig führt meinen Befund wörtlich an. Er glaubte aber, 
meine Bemerkung, dass reichliche Fäulnisspilze unter den Bierhefezellen sich befänden, als unerheblich 
weglassen zu können. Auch bei anderen Hefenversuchen'‘, die Liebig in den Jahren 1868 und 1869 
anstellte, constatirte ich eine oft sehr reichliche Verunreinigung mit Spaltpilzen und empfahl zur Ver- 


23 


gering angenommen; er beträgt für Münchner Bierhefe nicht 18,7 son- 
dern 37 Proz. oder mehr, wie ich in der Mittheilung vom 4. Mai 1878 
an die k. b. Akad. d. W. nachgewiesen habe, so dass der ganze Alkohol- 
gehalt bei der Selbstgärung aus einem Theil der Cellulose abgeleitet 
werden kann. Die andere in der nämlichen Mittheilung nachgewiesene 
Thatsache, dass die Sprosshefezellen einen beträchtlichen Theil ihrer Cellu- 
lose als Pflanzenschleim in die Flüssigkeit austreten lassen, giebt uns 
nun den Schlüssel zur Erklärung der sogenannten Selbstgärung. Die in 
der Flüssigkeit befindlichen Spaltpilze verwandeln diesen Pilzschleim 
mit Leichtigkeit durch das von ihnen ausgeschiedene Ferment in Trau- 
benzucker, eine Fähigkeit, die der Sprosshefe gänzlich mangelt; sie ver- 
mögen selbst die noch unveränderte Membran der Sprosspilze anzugreifen. 
Der von den Spaltpilzen gebildete Zucker wird von den Sprosspilzen, die 
ihrerseits eine viel energischere Gärtüchtigkeit besitzen, in Alkohol und 
Kohlensäure gespalten. 

Um diese Frage durch thatsächliche Beobachtungen aufzuklären , stellte 
Dr. Walter Nägeli im Frühjabr 1875 einige Versuche an. Für 4 Proben (1, A, B, 
C und D) wurde Bierhefe angewendet, welche nach mehrmaligem Auswaschen sich 
unter dem Mikroskop als ganz rein und spaltpilzfrei erwies. Zu dem Hefenbrei, 
welcher 3,57 Proz. Trockensubstanz (bei 100° getrocknet) enthielt, wurde 1 Proz. 
Phosphorsäure (P, O,) zugesetzt, um die Spaltpilzbildung vollständig zu verhindern. 
A und B sollten zur Bestimmung der während der Versuchsdauer entwickelten 
Kohlensäure, C und D zur Bestimmung des gebildeten Alkohols dienen. In A und 
C war die Hefe vor dem Zutritt der Luft geschützt, in B und D war sie einer aus- 
giebisen Einwirkung von Luft ausgesetzt Die Temperatur (vom 11. Jan. an) war 
die des geheizten Zimmers. 

1,A. Kleines Kölbehen ganz gefüllt mit 95 ccm von dem angesäuerten Hefen- 
brei. Das aus demselben entweichende Gas gieng zuerst durch ein Gefäss mit 
Schwefelsäure und ein mit Chlorcaleium gefülltes Röhrehen zur Reinigung der Kohlen- 
säure, daun durch zwei Liebig’sche Kugelapparate mit Kalilauge und eın Kaliröhr- 
chen zur Gewichtsbestimmung und endlich durch ein zweites Kaliröhrchen zur Ab- 


hütung derselben, wiewohl umsonst, eine starke Ansäuerung der Versuchsflüssigkeit. Dieser Umstand 
ist bei der Beurtheilung jener Versuche immer zu berücksichtigen. 

Auch die Angabe meines Befundes über die Beschaffenheit der Membran bedarf einer Erläuterung. 
An jungen Zellen kann die Membran von dem anliegenden homogenen Plasma nicht unterschieden wer- 
den. An den älteren körnig gewordenen Zellen erscheint eine deutliche derbe Wandung, welche aus 
der Membran und anliegendem Protoplasma besteht, woraus aber nicht hervorgeht, dass die ‚Cellulose- 
membran während der Selbstgärung zugenommen habe oder auch nur gleichgeblieben sei. 


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haltung der Kohlensäure aus der Luft. Nach 9 Tagen wurde der Versuch unter- 
brochen und die noch in dem Kölbchen enthaltene Kohlensäure vermittelst Erwärmens 
und Luftdurchsaugens in den Kaliapparaten fixirt. Im Ganzen hatte sich aus den 
3,4 gr. Hefe (Trockengewicht) 0,125 gr. CO, entwickelt 

1, B. Kolben von 1100 ccm Inhalt mit der nämlichen Menge des angesäuerten 
Hefenbreis wie in A. Durch die den Boden bedeckende Hefe wurde fortwährend 
Luft durchgesaugt, welche durch Schwefelsäure und Kali gereinigt war, und die heraus- 
tretende Luft durch Kaliapparate geleitet wie bei A. Ueberdem wurde der Kolben 
täglich öfters geschüttelt, um die Hefe gleichmässig mit Luft in Berührung zu 
bringen. Nach 9 Tagen betrug das Gewicht der von den 3,4 gr. Hefe entwickelten 
Kohlensäure 0,205 gr. 

1, ©. Kleiner Kolben ganz gefüllt mit 350 cem des angesäuerten Hefenbreis 
(= 12,5 Trockensubstanz Hefe), mit Kautschukpfropf und Gärröhre, in welcher 
der Abschluss durch Quecksilber gebildet wurde, verschlossen. Nach 36 Tagen war 
keine bestimmbare Menge von Alkohol gebildet. 

1, D. Grosser Kolben von 3250cem Inhalt mit 350 cem Hefenbrei (wie in 0), 
mit Kork verschlossen. Der Kolben wurde öfter geschüttelt. Auch hier waren nach 
36 Tagen nur Spuren von Alkohol vorhanden. 

In allen 4 Proben war nach Beendigung des Versuchs keine Spur von Spalt- 
pilzen unter dem Mikroskop zu entdecken. Das Destillat von © und D war ein 
eigenthümlich riechendes Wasser, von schwach saurer Reaction, ohne bemerkbaren 
sauren Geschmack. — Die Vergleichung von A, B mit C, D zeigt, dass das Ver- 
hältniss zwischen Kohlensäure- und Alkoholbildung jedenfalls ein anderes ist als bei 
der geistigen Gärung, indem der Alkohol in viel geringerer relativer Menge erzeugt 
wurde. Es ist diess ein Umstand der mit der Selbstgärung anderer Pflanzenzellen 
übereinstimmt. 

Ganz das gleiche Resultat ergab ein später mit 9 Liter eines verdünnteren 
Hefenbreis angestellter Versuch, über den in der Mittheilung vom 4. Mai 1878 an 
die k. b. Ak. d. W. berichtet wurde. Der Hefenbrei enthielt 5,78 Proz. Trockensub- 
stanz und war mit 1 Proz. Phosphorsäure versetzt. Nach 13 Monaten war bloss eine 
sehr geringe (nicht bestimmbare) Menge von Alkohol vorhanden. 

Zwei Proben (2, A und B) wurden am 19. Febr. 1875 mit Bierhefenbrei, 
welcher 3,58 Proz. Trockensubstanz enthielt, ohne und mit Citronensäure im Brüt- 
kasten bei mittlerer Temperatur von 40° C. (33—41°) angestellt. 

2, A. Kleine Flasche mit 150 ccm Hefenbrei; am ersten Tag wurde ziemliche 
Gasentwickelung beobachtet. Nach 50 Stunden waren zahlreiche Spaltpilze zwischen 
den Hefenzellen sichtbar; eine Partie des stark trüben Inhaltes, in einem Probe- 
röhrchen zum Kochen erhitzt, liess keinen Geruch nach Alkohol wahrnehmen!). — 


1) Ich bemerke, dass diese Probe bei den Liebig’schen Versuchen den Alkohol sehr deutlich 
anzeigte. 


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6 Tage nach dem Beginn des Versuches war der Inhalt des Kolbens in starker 
Fäulniss begriffen; die Flüssigkeit reagirte schwach sauer (von Milch- und Butter- 
säure, welche durch die Spaltpilze aus dem Pilzschleim der Bierhefe gebildet worden). 
Die Sprosshefezellen waren gänzlich abgestorben und zum Theil schwarz gefärbt 
(Inhalt und Membran). Alkohol liess sich nicht nachweisen. 

2, B. Gleicher Versuch wie in A, aber die 150cem Hefenbrei waren mit 
0,75 gr. Citronensäure (also mit 0,5 Proz.) versetzt. Am ersten Tage ziemliche 
Gasentwicklung wie in A. Nach 50 Stunden waren nur wenige Spaltpilze zu finden ; 
beim Erwärmen einer Partie der klaren über der Hefe stehenden Flüssigkeit konnte 
kein Alkoholgeruch wahrgenommen werden. — 6 Tage nach dem Beginn des Ver- 
suches war die Oberfläche mit fructifizirender Schimmeldecke überzogen, und in der 
Flüssigkeit, in welcher ein Theil der Citronensäure durch den Schimmel verzehrt 
war, befanden sich schon ziemlich zahlreiche und grosse Spaltpilze. Alkohol war 
nicht zu bemerken. 

Der gleiche Versuch wurde am 26. Februar 1875 in etwas grösserem Maass- 
stabe (3, A, B, C, D) wiederholt. Der Hefenbrei enthielt, 4,91 Proz. Trockensubstanz. 
Enghalsige, mit Papier bedeckte Flaschen wurden damit ungefähr zu 4 gefüllt und 
in den auf 40° C. (38—41°) erwärmten Brütkasten gestellt. 

3, A, B. Zwei Flaschert je mit 450 cem Hefenbrei, ohne weiteren Zusatz. 
251& Stunden nach dem Beginn (24 Stunden nach dem Warmwerden) wurde der 
Inhalt der beiden Gläser in einen Kolben gegeben, dieser mit Kühler verbunden und 
auf dem Wasserbade erhitzt. Während 3 Stunden gieng kein Alkohol über. Zwischen 
den abgestorbenen Hefezellen befanden sich sehr zahlreiche stäbchenförmige Spalt- 
pilze. Die Flüssigkeit reagirte auch nach dem Kochen sauer (Milchsäure). 

3,C,D. Zwei gleiche Versuche wie 3, A, B; aber zu dem 450cem Hefenbrei 
wurden 2,5 gr. Citronensäure (also 0,55 Proz.) gegeben. 25! Stunden nach dem 
Beginn wurde der Versuch unterbrochen und der Inhalt wie in A, B behandelt. 
Der Erfolg war der nämliche. Spaltpilze mangelten gänzlich. 

Da möglicher Weise die Temperatur in den beiden Versuchen 2 und 3 etwas 
zu hoch für die Alkoholbildung war, so wurde am 13. März noch ein solcher (4, A, 
B, C, D, E, F) mit der günstigsten Temperatur von ziemlich constant 34° C. im 
Brütkasten angestellt. Je 500 cem Bierhefenbrei mit 3,09 Proz. Trockengewicht 
wurden in 6 enghalsige, leicht verkorkte Flaschen gegeben, so dass dieselben beinahe 
gefüllt waren. Die Hefe war durch wiederholtes Auswaschen fast ganz spaltpilzfrei 
gemacht worden. 

4, A, B. Zwei Flaschen mit je 500 cem Hefenbrei ohne weiteren Zusatz. 
37! Stunden nach dem Beginn des Versuches (36 Stunden nach dem Warmwerden): 
wurde der Inhalt der beiden Flaschen in eine grosse Retorte gebracht, mit Kühler 
verbunden und auf dem Wasserbad erwärmt. Es gieng fast bloss Wasser über; 
wenigstens konnte in dem (schwach sauer reagirenden) Destillat weder durch ein 
gewöhnliches Araeometer, welches ein specif. Gewicht von 1 angab, noch durch dem 


82 


Geschmack, noch durch Erhitzen in einem Proberöhrchen Alkohol nachgewiesen 
werden, während die Jodoformreaction allerdings denselben anzeigte. Spaltpilze 
hatten sich nur wenige gebildet. 

4, C, D. Zwei Flaschen ganz gleich wie A, B, aber mit je 2,5 gr. Citronen- 
säure (also mit 0,5 Proz.). Sie wurden gleichzeitig mit A, B in den Brütkasten ge- 
stellt und wieder herausgenommen, der Inhalt ebenfalls ganz gleich behandelt. Das 
Resultat war vollkommen das gleiche. Spaltpilze hatten sich keine gebildet. 

4, E, F. Zwei Flaschen ganz wie C, D, also mit 0,5 Proz. Citronensäure. 
Sie blieben aber 6 Tage länger, im Ganzen während 7. Tagen, im Brütkasten, 
und hatten nun beide Decken von Spaltpilzen. Der vereinigte Inhalt wurde wieder- 
holt abdestillirt. Das schliessliche Destillat liess mit den gewöhnlichen Mitteln keinen 
Alkohol erkennen. Ein gewöhnliches Araeometer gab ein spec. Gewicht von 1; ein 
sehr genaues Araeometer dagegen zeigte in dem 65 cem haltenden Destillat ein spec. 
Gewicht von 0,999, also einen Gehalt von 0,5 Proz. Alkohol. Wir können daher 
mit Bestimmtheit annehmen, dass die Hefe von E und F mit 30,9 gr. Trockenge- 
wicht nicht mehr als 0,5 gr. Alkohol gebildet hat (in dem Destillat befand sich 
jedenfalls weitaus die grösste Menge des Alkohols; könnte man voraussetzen, dass 
aller darin enthalten war, so wären es nur 0,325 gr.) 


Die angeführten Versuche ergaben alle ein wesentlich anderes Re- 
sultat als die von Liebig mitgetheilten 5 Versuche, bei welchen der 
Alkohol durch Destillation gewonnen wurde und von 8 bis 13,8 Proz. 
des Trockengewichts der angewendeten Hefe betrug. Bei unseren Ver- 
suchen konnte niemals Alkohol abdestillirt werden, und es ist sicher, 
dass die Menge desselben immer weniger als 1,6 Proz. der Hefe aus- 
machte. Es geht daraus das Eine unzweifelhaft hervor, dass die Menge 
der Alkoholbildung nicht von der Beschaffenheit der Hefe sondern von 
äusseren Umständen abhängt und dass die Hefenzellen in Folge der krank- 
haften Veränderung beim Absterben nur sehr wenig Alkohol erzeugen. 
Tritt derselbe in grösseren Mengen auf, so muss er auf einem anderen 
Wege entstehen, und es lässt sich wohl nur der bereits angegebene dafür 
in Anspruch nehmen, wobei das Zusammenwirken der Spaltpilze und der 
Sprosspilze erforderlich ist, der ersteren, um aus Cellulose Zucker, der 
letzteren, um aus Zucker Alkohol zu bilden!). 


1) Wie ich bereits angeführt habe, wurden bei denjenigen der Liebig’schen Versuche, bei 
welchen ich eine mikroskopische Untersuchung anstellte, reichliche Spaltpilze gefunden. 

Ihr Vorhandensein ergiebt sich übrigens auch aus dem Umstande, dass die Flüssigkeit in 
Folge der Selbstgärung der Bierhefe nach Liebig’s Beobachtung ziemlich viel Leucin enthielt. 


83 


Diese exceptionelle geistige Gärung setzt also das Wohlbefinden 
zweier Pilzformen voraus, die ungleiche Existenzbedürfnisse haben und 
durch CGoncurrenz einander leicht verdrängen. Es lässt sich daher schon 
zum voraus vermuthen, dass sie nur unter ganz besonderen Umständen, 
wo die beiden Gegner in ihrer Existenzfähigkeit sich die Wage halten, 
also nur selten eintreten wird. In der That mangelte sie in den ange- 
führten Versuchen entweder gänzlich oder beinahe gänzlich, indem 
die Spaltpilzbildung meist ausblieb, zuweilen aber auch allzusehr über- 
hand nahm. Um die Frage zu entscheiden, unter welchen Umständen 
aus Sprosshefe ohne Zusatz von Zucker am meisten Alkohol erhalten 
wird, müssten besondere Versuche angestellt werden, wobei besonders die 
Temperatur, die Wassermenge (die in unseren Versuchen wahrscheinlich 
für den genannten Zweck zu gering war) und ein geringer Zusatz von 
Säuren ins Auge zu fassen wären!). 


Damit ist der Zersetzungstheorie das wichtigste, oder eigentlich das 
einzige thatsächliche Argument entzogen, welches darthun sollte, dass im 
Plasma der Hefenzelle eine zur Zucker- und Alkoholbildung hinneigende 
Zersetzung thätig sei. Ich kehre nach dieser Abschweifung zu dem 
Hauptthema zurück. Da, wie ich zeigte, zwischen Gärung und Fäulniss 
kein principieller Unterschied besteht, da beide nur so lange thätig sind, 


Diese Verbindung wurde nicht von den Sprosspilzen ausgeschieden, sondern von den Spaltpilzen durch 
Zersetzung der von den Sprosspilzen ausgeschiedenen Peptone gebildet. Liebig’s Angabe, dass „man 
bei dieser Gärung nicht den geringsten Fäulnissgeruch beobachte“, hat keine Beweiskraft gegen das 
Vorhandensein von Fäulnissprozessen, denn bei Anwesenheit von Zucker oder zuckerbildenden Sub- 
stanzen schreitet die Fäulniss ziemlich weit fort, obne dass man sie mit dem Geruchsorgan wahrnimmt, 
weil die Ammoniakkörper von der durch die Spaltpilze gebildeten Milchsäure neutralisirt werden ; 
sowie man aber durch vorsichtiges Zusetzen von Alkalien die Säure bindet, tritt der Fäulnissgeruch 
sogleich sehr intensiv hervor. 

Diese Erklärung wird durch die Angabe Liebig’s bestätigt, dass die Flüssigkeit bei der 
Selbstgärung der Bierhefe stets sauer geworden sei, so dass sie zu fernerem Gebrauche neutralisirt 
werden musste. Die Säure konnte unter den vorliegenden Umständen nur Milchsäure sein, alienfalls 
gemengt mit Buttersäure, und die Säure konnte nur durch die Spaltpilze vermittelst Gärung aus 
dem Zucker entstehen. 


1) Liebig führt 5 Versuche an, alle mit reichlicher Alkoholbildung. Daraus folgt aber nicht 
etwa, dass sein Verfahren immer das gleiche Resultat gab. Er wollte nicht zeigen, auf welche Weise 
eine lebhafte Gärung erhalten werde, sonderu dass mehr Weingeist sich bilden könne, als der von ihm 
angenommenen Cellulosemenge entspreche. Er wählte daher nur die günstigen Fälle aus, während 
andere wohl wenig oder keinen Alkohol gaben. 

Abh.d. I. Cl.d.k. Ak.d. Wiss. XIII. Bd. II. Abth. 12 


4 


als sie von den lebenden Hefenzellen unterhalten werden, so müsste die 
Zersetzungstheorie, um dieser Erfahrung gerecht zu werden, annehmen, 
dass in allen Stadien der Gärung und Fäulniss die Hefe den Zersetzungs- 
zustand, in dem sie sich selbst befindet, dem Gärmaterial mittheile. Und 
da eine lebende Zelle als solche nicht in Zersetzung befindlich sein kann, 
sondern nur einzelne Stoffe sich zersetzen, indess andere sich bilden, so 
müsste die Theorie an diese Einzelvorgänge anknüpfen. Es könnten 
ferner nicht allgemein vorkommende, sondern nur specifische Zersetzungs- 
processe sein, welche die Gärungen bewirkten, da ja diese selber je nach 
der spezifischen Beschaffenheit der Hefenzellen verschieden sind, da bei- 
spielsweise das Zuckermolecül von den Sprosspilzen in Alkohol und Kohlen- 
säure, von den einen Spaltpilzen in Milchsäure, von andern in Butter- 
säure, von noch andern in Mannit u. s. w. gespalten wird. Es ist nicht 
möglich, dass die allgemeinen Zersetzungen der Albuminate, welche bei 
allen Pilzen den Ernährungs- und Wachsthumsprocess begleiten, Gärung 
hervorrufen, weil es’ keine solchen allgemeinen, allen Pilzen zukommenden 
Gärerscheinungen giebt. 

Nun mangelt aber der Zersetzungstheorie jede andere als die rein 
theoretische Grundlage. Wenn in den Hefenzellen eine Verbindung ent- 
halten wäre, welche durch ihre Zersetzung Gärung hervorbrächte, so 
müsste man sie ausziehen und somit den Gärvorgang von der Zelle 
trennen können, wie man den Körper, welcher den Rohrzucker invertirt, 
trennen kann. Jenes ist aber unmöglich, und somit ein thatsächlicher 
Anhaltspunkt für die Theorie nicht gegeben. 

Auch eine entschiedene Analogie ist nicht vorhanden. Denn so zahl- 
reich die Beispiele sind, wo eine physikalische Bewegung von den 
Molecülen eines Stoffes auf diejenigen eines anderen Stoffes übertragen 
wird, so dürfte doch der Fall kaum vorkommen, wo die chemische Be- 
wegung, insbesondere die Zersetzung einer Verbindung, lediglich durch 
ihre Anwesenheit das Zerfallen einer andern Verbindung veranlasst, inso- 
fern nicht etwa eine gleichzeitig erfolgende physikalische Bewegung mit- 
wirkt. Die nächsten und scheinbar die grösste Analogie zeigenden 


1) Die Liebig’sche Theorie veranlasste einige Versuche, um Zucker durch Stoffe zu spalten, welche 
bei gelinder Wärme sich leicht zersetzen. Dumas wendete Wasserstoffsuperoxyd an, OÖ. Loew (nach 
mündlicher Mittheilung) salpetrigsaures Ammoniak; der Zucker (sowohl Rohr- als Traubenzucker) 
blieb immer unverändert. 


85 


Beispiele, nämlich die chemischen Vorgänge, welche durch Contact- 
wirkung unorganischer oder organischer Stoffe zu Stande kommen, ver- 
halten sich entschieden anders, indem diese katalytischen Stoffe selber 
keine chemische Bewegung zeigen, sondern unverändert bleiben. 


Da die Zersetzungstheorie von den an den Hefenzellen selbst zu ge- 
winnenden Thatsachen und von allgemeinen Analogieen so mangelhaft 
unterstützt wird, so ist es begreiflich, dass die neueren Gärungschemiker 
eine andere Erklärung gesucht haben. Dieselben gehen von der wohl- 
bekannten und klar vorliegenden Wirksamkeit der (unorganisirten) Fer- 
mente aus und tragen dieselbe auf dıe Hefe über, indem sie annehmen, 
in den Hefenzellen sei neben allen andern Stoffen auch ein solcher vor- 
handen, welcher als Ferment wirke. So hätten die Sprosspilze ein 
besonderes Alkoholgärungsferment, die verchiedenen Spaltpilze hätten ein 
Milchsäuregärungsferment, ein Buttersäuregärungsferment, ein Ammoniak- 
gärungsferment (in der Hefe des faulenden Harns) und andere Fäulniss 
fermente u. s. w. 

Die Fermenttheorie wurde zuerst von Traube (1858) ausgesprochen 
und zuletzt noch von Hoppe-Seyler als für den Ohemiker selbstverständ- 
lich hingestellt. Es scheint mir jedoch zwischen der Fermentwirkung und 
der Hefenwirkung oder Gärung ein durchgreifender Unterschied zu 
bestehen‘). 


1) Bezüglich der Terminologie bemerke ich Folgendes. Zuerst kannte man die Wein- und 
Bierhefe, die man als Ferment bezeichnete. Nachher lernte man lösliche organische Verbindungen 
kennen (Diastase, Pepsin ete.), welche ähnliche Wirkungen zu haben schienen; man stellte dieselben 
mit den Hefen zusammen und nannte sie ebenfalls Fermente. Als man zu dem Bewusstsein ihrer 
Verschiedenheit von den eigentlichen Hefen gelangte, nannte man sie ungeformte oder unorga- 
nisirte Fermente im Gegensatz zu den geformten oder organisirten Fermenten, die aus 
Zellen bestehen. 

Nachgerade ist die Wirkung der ungeformten Fermente viel besser erkannt als die der orga- 
nisirten, und desswegen werden sie jetzt häufig schlechthin als Fermente bezeichnet. Indem die 
ungeformten Fermente den organisirten den Rang in der Erkenntniss abgelaufen, haben sie ihnen 
zugleich auch den Naınen geraubt. 

Ich bezeichne, um mich möglichst dem jetzigen Sprachgebrauche auzubequemen, die organisirten 
oder zelligen Fermente als Hefe, und ihre Wirkung als Hefen- oder Gärwirkung, im Gegen- 
satze zu Ferment und Fermentwirkung. Jedenfalls ist die Bezeichnung von geformten und 
ungeformten, organisirten und unorganisirten Fermenten keine glückliche. Man kann nicht wohl eine 

12* 


36 


Zunächst muss gegen die Fermenttheorie der nämliche Einwurf 
gemacht werden wie gegen die Zersetzungstheorie, dass nämlich der 
hypothetische, die Gärung verursachende Stoff nicht nachgewiesen, nicht 
aus den Zellen ausgezogen und dargestellt werden kann, wie diess dagegen 
mit den wirklichen Fermenten der Fall ist. Es giebt selbst Gärungs- 
chemiker, welche diese hypothetischen Fermentstoffe geradezu als von 
den Zellen untrennbar bezeichnen und damit einen wesentlichen Unter- 
schied gegenüber den wirklichen Fermenten zugeben, welche alle in 
Wasser löslich sind. Die Annahme, dass bei den Gärungen Fermente 
thätig seien, wäre also nur dann gerechtfertigt, wenn eine hinreichende 
Analogie in physiologischer und chemischer Hinsicht nachgewiesen werden 
könnte. Diess ist nicht der Fall; eine genaue Vergleichung zeigt uns 
sehr bemerkenswerthe Gegensätze. 

In physiologischer Beziehung sind zwei Momente hervorzuheben; 
das eine betrifft die räumlichen Verhältnisse. Die Ursache, welche Gärung 
bewirkt, ist untrennbar mit der Substanz der lebenden Zelle, d. h. mit 
dem Plasma!) verbunden. Gärung findet nur in unmittelbarer Be- 
rührung mit dem Plasma und, soweit die Molecularwirkung desselben 
reicht, statt. Will der Organismus in Räumen und auf Entfernungen, 
auf die er keine Macht durch die Molecularkräfte der lebenden Substanz 
auszuüben vermag, chemische Processe beeinflussen, so scheidet er Fer- 
ınente aus. Die letzteren sind besonders thätig in Hohlräumen des 
thierischen Körpers, im Wasser, in welchem Pilze leben, in plasmaarmen 
Zellen der Pflanzen. Es ist selbst sehr fraglich, ob der Organismus 
jemals Fermente bilde, welche innerhalb des Plasmas wirksam sein sollen; 
denn hier bedarf er ihrer nicht, weil ihm in den Molecularkräften der 


chemische Verbindung und einen aus zahlreichen chemischen Verbindungen bestehenden Organismus als 
Artbegriffe dem nämlichen Gattungsbegriff unterordnen. 

Das Richtigere wäre aber wohl, den Namen Ferment in dem ursprünglichen Sinne als synonym 
mit Hefe zu brauchen, und dagegen die modernen Fermente als Contactsubstanzen zu bezeichnen, da 
sie in der That von Schwefelsäure, Kali, Wasser nur darin abweichen, dass sie organische Verbin- 
dungen sind. 

1) Unter Plasma (meist Protoplasma genannt) verstehe ich den halbflüssigen schleimigen Inhalt 
der Pflanzenzelle, der aus wechselnden Mengen von unlöslichen und löslichen Albuminaten besteht. 
Meistens überwiegt die unlösliche Modification; es kann aber auch die lösliche Modification fast allein 
vertreten sein. Nur selten ist es bei Pflanzen möglich und auch nothwendig, die beiden Modificationen 
zu trennen. Mau kann sie dann als Stereoplasma und Hygroplasma bezeichnen (letzteres dem Plasma 
der Thierphysiologie analog). 


87 


lebenden Substanz viel energischere Mittel für chemische Wirkung zu 
Gebote stehen. 

Das andere physiologische Moment betrifft die Bedeutung, welche 
Gärung und Fermentwirkung für die Ernährung haben. Auch diese 
Erscheinungen müssen, wie alle Einrichtungen in der organischen Natur; 
ihre besonderen Zwecke erfüllen, und die Mittel, um diese Aufgaben zu 
vollbringen, müssen am zweckentsprechendsten gewählt worden sein. 

Die Fermente haben nun in den meisten Fällen die Aufgabe, Nähr- 
stoffe, die in unverwerthbarer Form vorhanden sind, in verwerthbare 
umzuwandeln, unlösliche löslich, nicht diosmirende diosmirfähig zu machen- 
Sie verwandeln die Albuminate in Peptone, Stärkemehl, Gummi, Cellulose 
in Glycoseformen, sie invertiren Rohr- und Milchzucker'), sie zerlegen die 
Fette in den keimenden Samen. 

In einigen besonderen Fällen scheinen die Fermente eine andere 
physiologische Aufgabe zu erfüllen. In gewissen Samen erzeugen sie 
scharfe, widerlich schmeckende oder giftige Stoffe. Das Emulsin spaltet 
das Amygdalin der bittern Mandeln in Zucker, Bittermandelöl und Blau- 
säure, das Myrosin zerlegt das myronsaure Kali in Zucker, Senföl und 
schwefelsaures Kali. Die scharfen Stoffe bilden sich in diesen und ähn- 
lichen Fällen, sowie die Samen zermalmt werden und mit Wasser in 
Berührung kommen, und ebenso, wenn sie Wasser aufnehmen und keimen. 
Sie haben offenbar den Zweck die Samen und die Keimpflanzen vor den 
Angriffen der Thiere zu schützen?). Ob aber die Abwehr der Feinde 


1) Man könnte allenfalls vermuthen, Rohr- und Milchzucker seien, weil sie diosmiren, schon an 
und für sich Nährstoffe, und die Invertirung geschehe, um sie gärungsfähig zu machen. Der Nutzen 
dieses Processes für die Hefenzellen würde dann in der Rückwirkung bestehen, welche der auf die 
Invertirung folgende Gärvorgang auf das Zellenleben ausübt. 

Dass diese Vermuthung nicht stichhaltig ist, geht aus der Thatsache hervor, dass auch die 
Schimmelpilze, denen das Gärvermögen mangelt, den Zucker sehr energisch invertiren, wie sich leicht 
durch Versuche nachweisen lässt. Wir müssen daraus schliessen, dass die Zuckerarten (Diglycosen). 
welche 12 Atome Kohlenstoff im Molecül haben, für die Ernährung ungeeignet oder jedenfalls weniger 
geeignet sind, als diejenigen mit 6 Atomen C (Glycosen). 

2) Es durfte als fraglich betrachtet werden, ob die in den Samen enthaltenen Glycoside beim 
Keimen zerlegt werden. Dieselben bilden sich beim Reifen der Samen, welche zu dieser Zeit noch 
viel Vegetationswasser enthalten; und ich hielt es für möglich, dass sie auch beim Keimen in den 
unverletzten lebenden Zellen unverändert bleiben und nur beim Zerreissen des Gewebes durch die 
Wirkung der Fermente zerfallen. Versuche haben das Gegentheil ergeben. Aus keimenden Senfsamen 
kann man in jedem Stadium, wenn man sie ohne mechanische Verletzung mit Weingeist behandelt, 
Senföl ausziehen, welches in den Samen vor dem Keimen nicht enthalten ist. 


88 


der einzige Grund ist, warum gewisse Glycoside und die Fermente, welche 
sie zerlegen, von den Pflanzen erzeugt werden, lässt sich vorerst nicht ent- 
scheiden. Es ist sehr wahrscheinlich, dass die Zersetzungsprodukte noch 
andere physiologische Dienste leisten. Der Zucker, der dabei immer 
auftritt, wird als Nahrung verwendet, und die scharfen, bitteren oder 
giftigen Stoffe dürften ebenfalls eine Function bei dem pflanzlichen Che- 
mismus vollbringen. 

Abgesehen von diesen besondern Fällen besteht der chemisch-physio- 
logische Charakter der Fermentwirkung bloss darin, nicht nährende oder 
schlecht nährende Verbindungen in besser- und überhaupt in die best- 


nährenden überzuführen. Die Hefen- oder Gärwirkung hat gerade den 


entgegengesetzten Charakter; ihre Produkte sind ausnahmslos schlechter 
nährende Verbindungen, und sie zerstört vorzugsweise die am besten 
nährenden Stoffe. Der Gegensatz tritt am auffallendsten bei den Kohlen- 
hydraten und den Proteinstoffen hervor. Während die Fermentwirkung 
aus denselben die Glycoseformen und Peptone (welche beiden alle anderen 
Nährstoffe übertreffen) erzeugt, zerlegt die Gärung diese Verbindungen 
in Alkohol, Mannit, Milchsäure, in Leucin, Tyrosin u. s. w. — Zuweilen 
folgen mehrere Gärungen aufeinander; dann nehmen ihre Producte stufen- 
weise an Nährfähigkeit ab. Wir können allgemein sagen, dass die Hefen- 
pilze durch jeden Gärprocess, den sie bewirken, das Medium, in welchem 
sie sich befinden, für die Ernährung chemisch ungeigneter machen. 

Man könnte vielleicht vermuthen, dass die Gärproducte einem Pilz 
bei der Coneurrenz Vortheile gewähren. Es ist aber eher das Gegentheil 
der Fall; durch dieselben wird eine Nährlösung immer so verändert, dass 
ein fremder Pilz darin existenzfähiger ist als derjenige Pilz, der die 
Gärung bewirkt. Diess bezieht sich aber nur auf die chemische Be- 
schaffenheit der gegorenen Flüssigkeit; ich werde nachher zeigen, dass der 
molecular-physiologische Gärungsakt selber für die Gärungspilze sich 
vortheilhaft erweist. 

Während die Vergleichung der Fermentwirkung und Gärung in 
physiologischer Beziehung keine Schwierigkeiten bietet, mangeln zur Ver- 
gleichung des chemischen Charakters noch die nothwendigen Thatsachen. 
Nur die Fermentwirkung scheint klar erkannt zu sein, indem wir annehmen 
dürfen, dass dabei die organische Verbindung Molecül für Molecül in 


89 


ihre Componenten zerfällt, — Dextrin in Traubenzucker, Rohrzucker in 
Invertzucker, Albuminate in Peptone. Die Umwandlung geht glatt und 
vollständig von statten; andere Producte der Fermentwirkung bilden 
sich nicht. 


Was die Gärung betrifft, so sind bis jetzt nur in einem Falle die 
Gärprodukte mit Rücksicht auf das Gärmaterial quantitativ bestimmt 
worden. Bei der geistigen Gärung zerfällt nicht die ganze Zuckermenge 
in Alkohol und Kohlensäure, wie man früher glaubte; sondern es wird, 
wie Pasteur nachgewiesen, ein kleiner Theil (ungefähr 5 Proc.) in 
anderer Weise zerlegt (in Glycerin, Bernsteinsäure und Kohlensäure)- 
Ebenso ist es sicher, dass bei der Milchsäuregärung nicht aller Zucker 
in Milchsäure umgesetzt wird; eine geringe Menge erfährt eine andere 
Zersetzung, wie die mehr oder weniger reichliche Entwicklung von Kohlen- 
säure beweist. 


Wenn wir diese beiden Beispiele als massgebend für die Gärung 
betrachten dürfen, so zeigen sie uns, dass neben der normalen Spaltung 
ein kleiner Theil des Gärmaterials in anderer Weise zerlegt wird, und 
dass unter den Produkten der letzteren Zersetzung sich Kohlensäure 
befindet, auch wenn sie unter den Produkten der normalen Spaltung 
mangelt. Dieses Moment nun scheint mir den chemischen Charakter der 
Gärung gegenüber der Fermentwirkung zu bedingen, indem bei der 
letzteren ein einfacher Spaltungsprocess statt hat. — Kohlensäure dürfte 
ein Nebenprodukt aller Gärungs- und Fäulnissprocesse sein und daher 
auch für alle der Name Gärung, womit man die Vorstellung von Gas- 
entwicklung zu verbinden gewöhnt ist, passend sein, während bei der 
Fermentwirkung nie Kohlensäure frei wird. 


Der angegebene Unterschied zwischen Fermentwirkung und Gärung 
wäre uns nicht recht verständlich, wenn beide Processe die gleiche Ur- 
sache hätten. Dagegen fällt jede Schwierigkeit weg, wenn die Gärung 
nicht durch eine Contactsubstanz sondern durch das lebende Plasma 
bewirkt wird. Wir begreifen dann, dass, — während das Ferment als 
einfache chemische Verbindung eine andere chemische Verbindung in 
einfacher und gleichartiger Weise verändert, so dass alle Molecüle die 
nämliche Zersetzung erfahren, — eine organisirte Substanz mit ihren 


90 


mannigfaltigen Molecularbewegungen und Molecularkräften eine compli- 
zirtere Zersetzung hervorbringt. 

Diese Betrachtung wird durch eine andere chemische Verschiedenheit 
unterstützt, welche wir zwischen Fermentwirkung und Gärung beobachten. 
Das organische Ferment kann meistens leicht durch eine andere Contact- 
substanz ersetzt werden, durch Säuren, Alkalien, selbst durch Wasser 
besonders bei erhöhter Temperatur. Anders verhält es sich mit den 
Gärungen, welche in den ausgesprochenen Fällen nur durch Hefe bewirkt 
werden. Wir müssen nämlich in dieser Beziehung unter den zahlreichen 
Gärprocessen zwei Gruppen unterscheiden: 1) diejenigen, welche auch bei 
Ausschluss von Sauerstoff erfolgen und 2) diejenigen, welche den Zu- 
tritt von Sauerstoff verlangen. Zu. den ersteren, welche wir als die ty- 
pischen Gärungen bezeichnen können, gehören alle Gärungen des Zuckers 
und der zuckerähnlichen Stoffe (Glycerin, Mannit) sowie der Peptone 
(Albuminate). Dieselben lassen sich durch kein anderes Mittel als durch 
die lebenden Hefenzellen hervorbringen. Zu der zweiten Gruppe gehören 
die Gärungen der Säuren, des Asparagins, Harnstoffs u. s. w., ferner die 
ÖOxydationsgärungen. Diese Zersetzungen können um so eher durch 
andere chemische Mittel hervorgebracht werden, je einfacher die Produkte 
sind (z. B. beim Zerfallen des Harnstoffes in Ammoniak und Kohlensäure), 
oder (wenn es Oxydationsgärungen sind) je mehr die Gärwirkung zurück 
und die Wirkung des Sauerstofis in den Vordergrund tritt (wie bei der 
Essigbildung aus Weingeist). 

Es scheint noch ein sehr bemerkenswerther Unterschied zwischen 
Fermentwirkung und Gärung in thermochemischer Beziehung zu bestehen, 
sofern wir aus den wenigen bekannten Fällen überhaupt etwas schliessen 
dürfen. Bei der Gärung wird Wärme frei und es entstehen Produkte, 
die zusammen eine geringere Menge von potentieller Energie enthalten. 
Bei der Fermentwirkung wird Wärme aufgenommen; die Spaltungspro- 
dukte stellen eine grössere Summe von Spannkraft dar. Ich werde 
später noch besonders auf diesen Punkt zurückkommen. 


Während die beiden erörterten Gärungstheorieen (die Zersetzungs- und 
die Fermenttheorie) sich auf den rein chemischen Standpunkt stellen, 


91 


L 


ist die Sauerstoffentziehungstheorie Pasteur’s vielmehr physiologischer 
Natur. Dieser Forscher ging von der von ihm als sicher hingestellten 
Annahme aus, dass alle Pflanzen, auch die niederen Pilze, zu ihrem Leben 
Sauerstoff bedürfen, wofür sie eine entsprechende Menge Kohlensäure 
ausscheiden. Eine Gruppe von niederen Pilzen zeige in dieser Beziehung 
ein besonderes Verhalten. Während alle anderen Pilze, wie die sämmt- 
lichen übrigen Gewächse, bloss freien Sauerstoff benützen können, so sollen 
die Hefenpilze, die ebenfalls bei Zutritt von freiem Sauerstoff am kräf- 
tigsten gedeihen, bei Mangel desselben gewissen leichter zersetzbaren 
organischen Verbindungen den Sauersoff zu entziehen und davon zu leben 
vermögen; wiewohl eine solche Vegetation ohne freien Sauerstoff, wenig- 
stens bei der Sprosshefe, kümmerlich bleibe. 


Diese aus seinen Versuchen erschlossene Thatsache benutzte Pasteur 
zur Begründung einer neuen Gärungstheorie.. Wenn die Hefenzellen 
freien Sauerstoff finden, so sollen sie keine Gärung bewirken. Nach 
Massgabe als ihnen. dieser mangelt, sollen sie das Gärmaterial angreifen, 
und indem sie demselben eine geringe Menge von Sauerstoff entziehen, 
es in seinem molecularen Gleichgewicht stören und zur Zersetzung ver- 
anlassen. 

Diese sinnreiche Theorie machte grosses Aufsehen, denn sie schien 
das dunkelste Gebiet der Gärungslehre zu erleuchten und für die Physio- 
logie der niederen Organismen neue und wichtige Aufschlüsse zu geben. 
Die experimentelle Grundlage, welche die Theorie stützen soll, erweist 
sich aber bei strenger Prüfung als unhaltbar. 


Pasteur beschreibt seine Versuche folgendermassen. Ein Kolben von Ya Liter 
Inhalt wird mit 100 cem Zuckerwasser und einer geringen Menge von eiweissartigen 
Nährstoffen beschickt, durch Kochen luftfrei gemacht und eine Spur Hefe zugesetzt. 
Die nämliche Nährflüssigkeit wird ferner in einen flachen Teller mit grosser Ober- 
fläche gegeben. Im ersteren Versuch (im luftfreien Kolben) vermehrt sich die Hefe 
kümmerlich und zersetzt das 60-, 80-, 100 fache ihres Gewichts Zucker. Im zweiten 
Versuch (im offenen Teller) vermehrt sich unter dem ausgiebigen Luftzutritt die 
Hefe wohl 100 mal rascher, zerlegt aber nur das 6 bis Sfache ihres Gewichts Zucker. 
Hieraus zog Pasteur den Schluss, dass die Hefe bei Luftabschluss eine mehr als 
20 mal grössere Wirksamkeit besitze als bei Luftzutritt. 

Anderweitige Angaben über die betreffenden Versuche mangeln, so dass wir 
uns über die Dürftigkeit und die wenig genaue Form derselben wundern, wenn wir 

Abh.d. 11. Cl. d.k. Ak.d. Wiss. XIII. Bd. II. Abth. 13 


92 


damit die anderen Gärungsversuche des berühmten Chemikers vergleichen, die an 
Vollständigkeit und Genauigkeit nichts zu wünschen lassen. Es ist gerade, als ob 
geringere Ansprüche an die experimentelle Begründung zu machen wären, wenn es 
sich um eine physiologische als wenn es sich um eine rein chemische Thatsache 
handelt. In dem vorliegenden Fall vermissen wir Angaben über die Hefenmengen, 
welche sich in dem einen und anderen Fall gebildet haben, über die Zeitdauer der 
Versuche, über den mikroskopischen und chemischen Befund. Dieses Alles wäre aber 
nothwendig, um ein sicheres Urtheil zu gewinnen, — die mikroskopische Untersuchung 
auch desswegen, weil nach Aussaat einer Spur Sprosshefe bei Luftabschluss sich ge- 
wöhnlich Spaltpilze, bei reichlichem Luftzutritt dagegen Schimmelpilze einstellen, 
welche das Resultat der Gärung modificiren. Diese Mängel berechtigen um so eher zu 
Zweifeln, als aus den numerischen Angaben Pasteur’s sich ein ganz anderes Re- 
sultat berechnen lässt als das von ihm angegebene. So dürftig auch die Angaben 
sind, so reichen sie nämlich für eine arithmetische Behandlung gerade aus. 

Aus der Angabe, dass die Hefe im Kolben das 80 fache, im Teller das 7 fache 
ihres Gewichts Zucker vergoren habe, folgt, dass bis zur Vergärung des Zuckers im 
Teller 11,4mal so viel Hefe gebildet wurde als im Kolben. 

Aus der Angabe, dass die Vermehrung der Hefe im Teller 100 mal rascher vor 
sich gegangen sei als im Kolben, und aus dem soeben gewonnenen Resultat be- 
rechnet sich ferner, dass zur Vergärung des Zuckers im Kolben eine $,$ mal längere 
Zeit erforderlich war als im Teller. 

Aus den Hefenmengen und aus den Zeiten ergiebt sich endlich die Wirksam- 
keit, und da zeigt sich, dass, wenn wir die Progression der Hefenzunahme in den 
beiden Versuchen in Anschlag bringen, die Wirksamkeit der Hefenzelle in der Zeit- 
einheit im Teller grösser ausfällt als im Kolben, während sie nach dem Ueberschlage 
Pasteur's 20mal geringer sein sollte. 

Ich bemerke hiezu folgendes. Da die Versuche von Pasteur mit einer Spur 
Hefe begannen, die sich während der: Versuchsdauer stetig vermehrte, so kann für 
jeden der beiden Fälle die Leistung der einzelnen Zelle nur aus der Summation der 
ganzen betreffenden Reihe berechnet werden; sie hat ihr genaues Mass in der 
Menge des zerlegten Zuckers, getheilt durch die Summe der Produkte aus den wirk- 
sam gewesenen Hefenmengen und ihren Zeiten. Leider ist es unmöglich, die erwähnte 
Summation auszuführen, weil die Progression der Zunahme für die Versuche unbe- 
kannt ist. Es kann nur aus anderweitigen Erfahrungen auf die vorliegenden Fälle 
ein Wahrscheinlichkeitsschluss gemacht werden. i 

Wenn in eine gegebene Menge von Nährflüssigkeit eine Spur Hefe ausgesäet 
wird, so ist die Zunahme derselben in der ersten Zeit eine geometrische Progression, 
indem sich die Zellenzahl in ziemlich gleichen Zeitabschnitten verdoppelt. Mit der 
Vermehrung der Zellen vermindert sich dann aber die Zunnahme immer mehr. 

Man kann sich ein Bild von dem Verhältniss der Gesammtwirksamkeit der 
Hefenvegetationen in den beiden Pasteur’schen Versuchen I und II machen, wenn 


93 


man die Zeitdauer als Abseisse (für I im Kolben im Ganzen 8,8mal so gross als für 
II im Teller) und die Hefenmengen für jeden Moment als Ordinaten (die letzte Or- 
dinate für II 11,4mal so gross als für I) aufträgt Die Flächeninhalte (zwischen 
der Abseisse, der letzten Ordinate und der Curve) geben dann die reeiproken Werthe 
für die durchschnittliche Wirksamkeit der einzelnen Zelle. Obgleich bloss die letzte 
Ordinate bekannt ist, so bleibt in dem vorliegenden Fall doch nur ein kleiner Spiel- 
raum für die Construction der Curven; und wenn ich die Erfahrungen, die aus 
zahlreichen Hefenkulturen gewonnen wurden, zu Hülfe nehme, so vermindert sich 
dieser Spielraum noch mehr. Es ergiebt sich daraus, dass der angegebene Flächen- 
inhalt in dem Versuch I etwas kleiner, in dem Versuch II aber merklich kleiner 
ausfallen muss, als wenn die Zunahme in arithmetischer Progression erfolgte und 
somit die Curve zur Geraden würde. Somit vergärt, wie ich bereits gesagt habe, 
eine Hefenzelle bei Luftzutritt (im Teller) während der nämlichen Zeit mehr Zucker, 
als wenn ihr der Sauerstoff entzogen wird (im Kolben). — Es versteht sich, dass 
diese Berechnung nur so weit richtig ist, als die numerischen Angaben Pasteur's 
genau sind. Auf welche Weise derselbe zu seinem gegentheiligen Resultate gelangte, 
bleibt mir unklar. Es geht aber aus diesem Beispiele deutlich hervor, wie leicht man 
sich bei oberflächlichem Ueberschlage über die Wirksamkeit der Zellen täuschen 
kann, wenn die darüber Aufschluss gebenden Summen durch Summationen verschie- 
dener Reihen mit verschiedener Zeitdauer gewonnen werden müssen. 

Uebrigens sind die Versuche, wie sie Pasteur anstellte, wenig geeignet zur 
Entscheidung der Frage: Wie verhält-sich die Gärwirkung der Hefe mit oder ohne 
Sauerstoff? und zwar desswegen, weil in der Versuchsgleichung drei unbekannte 
Grössen vorkommen: 1) die Zunahme, welche die mit einem Minimum beginnende 
Hefe mit Sauerstoff und ohne Sauerstoff unter übrigens gleichen Umständen zeigt (also 
die Gestalt der Curve), 2) die Gärwirksamkeit, welche der Mengeneinheit der mit 
und ohne Sauerstoff gewachsenen Hefe unter übrigens ganz gleichen Umständen 
(ohne oder mit Sauerstoff) zukäme, 3) der Einfluss, den die Anwesenheit und der 
Mangel von Sauerstoff auf die Gärwirksamkeit der nämlichen (unter gleichen Um- 
ständen gewachsenen und somit gleichgearteten) Hefe ausüben würde. 


Die vorliegende Frage musste daher durch andere Beobachtungen 
und Versuche entschieden werden. Ich stelle eine Thatsache voran, welche 
wenigstens eine principielle Lösung in der Art giebt, dass sie zeigt, wie die 
Hefenzelle in dem Moment, wo sie mit Sauerstoff in Berührung ist, 
auch Zucker vergären kann. Diese Thatsache ist die Essigätherbildung. 


Es ist bekannt, dass bei der geistigen Gärung zuweilen geringe 
Mengen von Essigäther (Aethylacetat) entstehen, und dass gewisse Weine 


etwas von dieser Verbindung enthalten. Ich habe, um Aufschluss über 
13* 


94 


den Vorgang zu erhalten, in den Jahren 1867 — 1869 eine Menge von 
Versuchen angestellt. Sie ergaben, dass, wenn die gärende Flüssigkeit 
Essigsäure enthält oder wenn verdünnter Weingeist durch Essigmutter in 
Essig umgewandelt wird, wenn also entweder fertige Essigsäure mit ent- 
stehendem Alkohol oder fertiger Alkohol mit entstehender Essigsäure in 
Berührung ist, durch Einwirkung von lebenden Zellen niemals Essigäther 
entsteht. — Diesen Fall haben wir im Allgemeinen bei der Wein- und 
Bierbereitung. In Folge der stürmischen Gärung entweicht eine grosse 
Menge von Kohlensäure, welche eine die Luft abschliessende Gasschicht 
über der gärenden Flüssigkeit bildet. Erst nach Beendigung der Gärung 
und Entfernung der Kohlensäure tritt Luft zu und es beginnt die Essig- 
bildung. 

Dagegen beobachtete ich oft reichliche Bildung von Essigäther, wenn 
es gelang, die beiden Gärprocesse gleichzeitig eintreten zu lassen. Diess 
ist auf zweierlei Art möglich, einmal durch Schütteln der Flüssigkeit 
mit Luft. Ich gab so geringe Mengen von Traubenmost- in grosse Kolben, 
dass nach dem Schütteln bloss die Wandungen benetzt waren, und schüt- 
telte dann die Kolben fleissig. Die Essigätherbildung begann sofort und 
zwar in einzelnen Fällen so intensiv, dass auch nur kleine Mengen des 
gegorenen Mostes ungeniessbar waren. Ich bemerkte übrigens, dass das 
Resultat dieses Versuches unter verschiedenen Umständen sehr ungleich 
ausfällt, und dass die Beschaffenheit der Hefe einen wesentlichen Einfluss 
auszuüben scheint. Während der Saft von rothen Tirolertrauben in der 
Regel mehr oder weniger Essigäther gab, konnte ich mit dem Saft von 
weissen italienischen Trauben sowie mit künstlichen Nährflüssigkeiten, denen 
eine Spur Bierhefe beigegeben wurde, meistens keinen erzeugen. 


Die andere Art, wie ich oft ziemlich reichliche Essigätherbildung er- 
hielt, ıst folgende. Es giebt Umstände (ich glaube, dass die Beschaffen- 
heit der Hefe dabei die wichtigste Rolle spielt), unter denen eine äusserst 
langsame Gärung eintritt. Die Hefe befindet sich dabei nicht innerhalb 
der Flüssigkeit, sondern bildet ein dünnes, an der Oberfläche schwim- 
mendes Häutchen, welches von blossem Auge von einer jungen zarten, 
noch glatten Kahmhaut nicht unterschieden werden kann. Es besteht 
aber nicht aus länglichen und lanzettlichen Kahmhautzellen, sondern aus 


Br 1 


95 


kugeligen oder ovalen Zellen!) und daneben aus Spaltpilzen. Wenn die 
Gärung auf dieses Häutchen beschränkt ist, so kann fast die ganze Menge 
des verschwindenden Zuckers zu Essigäther werden. Wenn aber noch 
Gärung innerhalb der Flüssigkeit hinzukommt, so bildet sich auch Alkohol. 


Die Essigätherbildung findet, wie aus den angeführten Thatsachen 
sich ergiebt, dann statt, wenn entstehender Alkohol und entstehende 
Essigsäure zusammentreffen. Es ist begreiflich, dass zwei Stoffe, die Ver- 
wandtschaft zu einander haben, im Augenblick ihrer Entstehung, wenn 
die Theile ihrer Molecüle (Atome und Atomgruppen) sich noch in leb- 
hafterer Bewegung befinden und das Gleichgewicht innerhalb der Molecüle 
noch nicht vollständig hergestellt ist, eine Verbindung eingehen können, 
die später im normalen Zustande nicht mehr möglich ist. — Wir müssen 
also annehmen, dass bei der Essigätherbildung Essigsäure und Alkohol 
in dem nämlichen räumlichen Punkt entstehen, sodass sie durch Mole- 
cularanziehung auf einander wirken können; — und da zur Essigsäure- 
bildung freier Sauerstoff nothwendig ist, so muss sich die Alkohol- 
bildende Zelle in einer Atmosphäre von Sauerstoff befinden. 


Die Umstände, unter denen die Essigätherbildung eintritt, beweisen 
uns die Unhaltbarkeit der Theorie, dass die Hefenzellen nur bei Aus- 
schluss von Luft den Zucker vergären können. Aber aus den Beobach- 
tungen gieng nicht sicher hervor, ob der Sauerstoff günstig oder un- 
günstig auf die Gärung einwirke. Es zeigte sich zwar, dass die nämliche 
Menge Traubenmost bei reichlichem Luftzutritt schneller vergor als ohne 
Luft. Aber unter jenem Einflusse bildete sich auch eine grössere Menge 
Hefe, und es war somit immer möglich, dass die Hefenzelle mit Sauer- 
stoff weniger Zucker zerlegte als ohne Sauerstoff. 

Es mussten daher noch Versuche angestellt werden, bei denen die 
Vermehrung der Hefe ausgeschlossen war. Diess war leicht in der Weise 
zu bewerkstelligen, dass gleiche Mengen von fertiger Hefe in blosse 


Zuckerlösungen gegeben und bei dem einen Versuch Luft durchgeleitet, 


bei dem anderen die Luft ganz ausgeschlossen wurde. 


1) In den meisten Fällen waren die Zellen genau kugelig (Saecharomyces sphaericus, wohl nur 
Anpassungsform). 


96 


Dr. Walter Nägeli führte im Jahr 1875 folgende Versuche aus. 

1. Ein kleines Kölbehen (A) wurde ganz gefüllt mit 65 eem. destillirtem Wasser, 
3 gr. Rohrzucker, 1 gr. Citronensäure und 5 gr. aufgeschlemmter Hefe, welche 0,24 gr. 
Trockensubstanz enthielt. Die Citronensäure wurde zugesetzt, um die Spaltpilzbildung 
zu verhindern. — Das aus dem Kölbcehen sich entwickelnde Gas gieng zuerst durch 
ein Gefäss mit Schwefelsäure, dann durch ein mit Chlorcaleiun gefülltes Röhrchen, 
dann durch zwei Liebig’sche Kugelapparate mit Kalilauge und durch zwei Kali- 
röhrchen. 

Ganz die gleiche Menge Wasser, Zucker, Säure und Hefe wurde in einen 
grösseren Kolben (B) von 1100 eem Inhalt gegeben, durch die Flüssigkeit, welche 
bloss den Boden bedeckte, fortwährend Luft durchgesaugt, welche zuvor durch Schwefel- 
säure und Kali gereinigt worden, und die aus dem Kolben heraustretende Luft durch 
ähnliche Apparate geleitet, wie dieaus dem kleinen Kölbehen. Der Kolben wurde überdem, 
um alle Flüssigkeit gleichmässiger mit dem Sauerstoff in Berührung zu bringen und 
um das Absetzen der Hefe zu verhüten, öfters geschüttelt, was bei dem kleinen und 
engen Kölbehen A nicht nothwendig schien. 

Man hatte nun zwei ganz gleiche Versuche, den einen ohne, den andern mit 
sehr viel Sauerstoff. Die erstere Gärung (A) gab nach 5 Tagen auf 100 Zucker 
29,2 Kohlensäure, die zweite (B) 36,2 Kohlensäure. 

2. Ganz gleiche Versuche wie in ], aber mit Weglassung der Citronensäure. 
Die Gärung war lebhafter; sie gab nach 5 Tagen in A auf 100 Zucker 37,4 Kohlen- 
säure, in B 49,4 Kohlensäure. In B war aller Zucker verschwunden; es hatte sich 
wenig Milchsäure gebildet. 


3. Ein Kölbehen von 350 cem Inhalt ıA) erhielt 200 cem Wasser, 30 gr. Rohr- 


zucker, 3 gr. Citronensäure, 50 cem Hefenbrei mit 1,74 gr. Trockensubstanz. — Das 
gleiche Gärmaterial wurde in einen 10mal so grossen Kolben (B, von 3500 ccm 
Inhalt) gegeben. — Beide Kolben waren mit Kork und Gärröhre verschlossen; zum 


Abschluss in der letzteren diente Glycerin. B wurde öfter, A hin und wieder ge- 
schüttelt; letzteres geschah namentlich, um die Hefe gleichmässiger in der Flüssigkeit 
zu vertheilen und ihr Absetzen zu verhindern. Nach 8! Tagen wurde in A auf 
100 Zucker 4,65 gr. Alkohol, in B 13,8 gr. Alkohol gefunden. In B hatte die Gär- 
flüssigkeit die Einwirkung von 40 mal mehr Luft erfahren als in A. 


4. Ganz gleiche Versuche wie in 3, aber mit Weglassung der Citronensäure, 
gleichzeitig angestellt. Wegen des rascheren Verlaufs der Gärung wurde nach 


4! Tagen unterbrochen. A enthielt auf 100 Zucker 41,3 Alkohol, B 48,8 Alkohol. 


In B war der Zucker fast vollständig verschwunden; es hatte sich etwas Milchsäure 
gebildet. 

5. Ein Kölbehen von 450 cem Inhalt (A) wurde mit 200 cem Wasser, 25 gr. 
Rohrzucker, 2,5 gr. Citronensäure und 50 ccm Hefenbrei, welcher 1,77 gr. Trocken- 
substanz enthielt, angesetzt. Die Luft im Kölbehen wurde durch Kohlensäure ver- 


Bair 


m 


drängt und ein Verschluss mit Gärröhre wie in 3 angebracht. — Das gleiche Gär- 
material kam ferner in einen grossen mit Luft gefüllten Kolben von 3300 cem In- 
halt. — Beide Kolben wurden öfter geschüttelt und dabei möglichst gleich behandelt. 

Nach 7!/e Tagen wurden in A auf 100 Zucker 3,76 Alkohol, in B 15,7 Alkohol 
erhalten. 

Alle Versuche stimmen darin überein, dass die mit Sauerstoff gärende Hefe 
wirksamer ist als die ohne oder mit weniger Sauerstoff gärende, und zwar war der 
Unterschied um so grösser, je früher die Gärung unterbrochen wurde. Diess ist 
begreiflich. Im Anfange sind die Flüssigkeiten in den beiden Versuchen (A und B) 
ganz gleich. Iu B vergärt unter dem Einflusse des Sauerstoffs viel mehr Zucker, 
Der dadurch gebildete Alkohol ist nun der weiteren Gärung hinderlich. Die Zu- 
sammensetzung der Gärflüssigkeit ist also in B sehr bald ungünstiger als in A und 
behält diesen Charakter während der ganzen Dauer des Versuchs. Daher wird die 
Differenz in der Menge des verschwundenen Zuckers immer geringer. Diese Menge 
verhält sich wie 10:42 ım Versuch 5 (in A waren 7,5 Proe., in B31 Proe. Zucker 
vergoren), wie 10:30 im Versuch 3 (in A waren 9,1 Proe., in B 27 Proc. Zucker 
vergoren), wie 10:12 im Versuch 1 (in A waren 60 Proe., in B 74 Proe. Zucker 
vergoren), wie 10:12 im Versuch 4 (in A waren 81 Proc, in B 96 Proc. Zucker 
vergoren), und wie 10:13 im Versuch 2 (in A waren 76 Proc., in B 100 Proc. Zucker 
vergoren). 

Es ist also ganz sicher, dass Zutritt von Sauerstoff der Gärung 
günstig ist, wenn keine Nährstoffe zugegen .sind und in Folge dessen 
die ganze Hefenmenge sich nicht oder nur unbedeutend vermehrt. Sind 
Nährstoffe vorhanden, so wirkt der Sauerstoff noch viel günstiger, weil 
dann unter seinem Einflusse auch die Vermehrung der Hefe lebhafter 
von statten geht!). 

Die Theorie Pasteur’s, dass die Gärung durch Mangel an Sauer- 
stoff erfolge, indem die Hefenzellen gezwungen seien, den Bedarf an Sauer- 
stoff dem Gärmaterial zu entnehmen, ist durch alle Thatsachen, die auf 


diese Frage Bezug haben, widerlegt. 


Nachdem ich gezeigt habe, dass jede der bisherigen Gärungstheorieen 
mit einzelnen Thatsachen im Widerspruch steht, gehe ich nun zu der 


1) Dumas (Ann. de Chim. et de Phys. 1874 (III) 80) leitete einen langsamen Strom von 
Sauerstoffgas durch eine gärende Flüssigkeit und behauptet, dass dadurch die Gärung nicht merklich 
beeinflusst worden sei. Da alle näheren Angaben mangeln (während bei anderen Versuchen und 
Controlversuchen die zur Begründung erforderlichen Einzelnheiten dargelegt werden), so wird eine 
Kritik und die Untersuchung, wie dieses Resultat physiologisch zu erklären sei, unmöglich. 


983 


Erörterung der Frage über, ob es nicht möglich ist, uns eine Vorstellung 
über den Gärprocess zu bilden, die allen beobachteten Erscheinungen 
Genüge leistet und in Uebereinstimmung mit der jetzigen Molecular- 
physik sich befindet. Ich halte es für zweckmässig, mit der Betrachtung 
der Fermentwirkung zu beginnen, weil dieselbe mit der Gärwirkung zwar 
nicht identisch, aber doch einigermassen anoloe ist. 

Die Fermente (Diastase, Invertin etc.) wirken wie verdünte Säuren, 
alkalische Lösungen, Wasser. Man sagte, die chemische Umsetzung ge- 
schehe durch katalytische Kraft, durch Contactwirkung. Selbstverständ- 
lich war diess keine Erklärung, sondern nur eine allgemeine Bezeichnung 
für eine Gruppe von gleichartigen Vorgängen. Das Gemeinsame dieser 
Vorgänge aber besteht darin, dass die Contactsubstanz bloss durch ihre 
Anwesenheit wirkt, dass sie dabei chemisch nicht betheiligt ist, dass sie 
selber keine Verbindung eingeht. Wenn man das Produkt der Contact- 
wirkung wegnimmt, kann die nämliche Menge Schwefelsäure oder heisses 
Wasser oder Ferment fortwährend neue Mengen Substanz umwandeln. 

Es ist mir nur eine von Bunsen herrührende Erklärung dieser 
Thatsache bekannt, welche von Hüfner im Jahr 1873 weiter ausgeführt 
wurde. Die Contactwirkung soll darin bestehen, dass die Contactsubstanz 
gewisse Atome oder Atomgruppen eines zusammengesetzten Molecüls 
stärker anziehe als den Rest und dadurch in Verbindung mit der Wärme- 
wirkung und mit den chemischen Anziehungen der Atome und Atom- 
gruppen unter einander eine neue Gruppirung, also eine chemische Um- 
setzung hervorbringe. Ich möchte diese Erklärung nur dahin ergänzen, 
dass die Contactsubstanz nicht blos durch Anziehung und Abstossung, 
sondern vorzüglich auch durch die Bewegungszustände ihrer Molecüle 
und Atome wirksam werde. 

Nach den jetzt massgebenden und ohne allen Zweifel ausreichend 
begründeten Vorstellungen der Molecularphysik haben die Molecüle, ab- 
gesehen von allfälligen fortschreitenden Bewegungen, auch um einen Gleich- 
gewichtspunkt schwingende (unter Umständen rotirende) Bewegungen, und 
diese schwingenden Bewegungen kommen auch jedem einzelnen Atom 
und jeder Atomgruppe im Molecül zu. Wenn die Temperatur steigt, so 
verwandelt die Substanz einen Theil der aufgenommenen freien Wärme 
in gebundene Wärme oder Spannkraft (specifische Wärme, Wärmecapa- 


99 


cität). Die Erhöhung der Spannkraft besteht darin, dass die Molecüle, 
sowie deren Atome und Atomgruppen lebhafter sich bewegen und inner- 
halb grösserer Ausschläge schwingen‘). Bei jeder chemischen Substanz 
erreicht man durch Erhöhung der Temperatur früher oder später einen 
Punkt, wo die Bewegungen innerhalb der Molecüle so intensiv werden. 
dass dieselben zerfallen, sich zersetzen und möglicher Weise neue Ver- 
bindungen eingehen. 


Was wird nun geschehen, wenn bei einer Temperatur, welche dieses 
Zerfallen noch nicht zur Folge hat, zwei Substanzen sich innig mit em- 
ander mengen (wie in einer Lösung), so dass ihre Molecüle in unmittel- 
barer Nähe sich befinden und aufeinander wirken? Die beiden Substanzen 
befinden sich vor der Berührung in ungleichen Bewegungszuständen: 
durch gegenseitige Einwirkung findet eine Ausgleichung statt. Das frühere 
Gleichgewicht in den Molecülen wird gestört. Ist die Störung gross genug, 
so zerfallen dieselben: ist sie geringer, so tritt ein neues Gleichgewicht 
an die Stelle. 


Es vertheilt sich beispielsweise Schwefelsäure in einer Dextrinlösung. 
Durch die Bewegungen der Schwefelsäuremolecüle werden gewisse Schwing- 
ungen m den Dextrinmolecülen so gesteigert, dass dieselben unter Auf- 
nahme von Wasser je in zwei Glycosemolecüle sich spalten. Bei etwas 
höherer Temperatur oder etwas grösserer Concentration der Schwefel- 
säure ist die Wirkung selbstverständlich eine energischere. — Die Schwefel- 
säuremolecüle erfahren ihrerseits durch die Bewegungen der Dextrinmolecüle 
gleichfalls eine Veränderung in ihren inneren Bewegungszuständen, allein 
sie sind durch ihre grössere Festigkeit vor Zersetzung geschützt. 


Die Wirkung der Fermente giebt uns einen Fingerzeig für die Be- 
urtheilung der Hefenwirkung. Obgleich beide Vorgänge, wie ich zeigte, 


1) In festen Körpern haben die ganzen Molecüle schwingende Bewegung, in Flüssigkeiten 
schwingende und fortschreitende, in Gasen nur fortschreitende Bewegung, abgesehen von der rotirenden, 
welche dem flüssigen und gasförmigen Zustande noch zukommt. In allen aber sind die Atome und 
die Atomgruppen der Molecüle in schwingender Bewegung, indem sie um ihre Gleichgewichtslagen 
hin und her schwanken, und die Schwingungsdauer wird jeweilen durch die Grösse der anziehenden 
und abstossenden Kräfte, sowie durch den Abstand von dem Atom, an dessen Werthigkeit sie fest- 
hängen, bedingt sein, wie die Schwingungsdauer eines Pendels durch den Abstand des Schwerpunktes 
vom Aufhängepunkt und durch die Grösse der Schwerkraft. 

Abh.d. II. C1l.d.k. Ak.d. Wiss. XIII. Bd. II. Abth. 14 


100 


in gewissen Beziehungen sich wesentlich verschieden verhalten, so dass wir 
sie unmöglich indentificiren dürfen, so besteht doch in einem allgemeinen 
Punkte, nämlich in dem molecularphysikalischen Zustandekommen Ueber- 
einstimmung. Wir können die Theorie der Fermentwirkung mutatis 
mutandis auf die Gärung übertragen, und wenn wir die veränderten Umstände 
berücksichtigen, so ergeben sich daraus die Verschiedenheiten, die zwischen 
beiden in Wirklichkeit bestehen. Wie bei der Contactwirkung der Fer- 
mente, werden auch bei der Hefenwirkung moleculare Schwingungszu- 
stände übertragen, dadurch das bisherige Gleichgewicht in den Molecülen 
des Gärmaterials gestört und dieselben zum Zerfallen veranlasst. 
Während aber das Ferment als einheitliche chemische Verbindung wirkt 
wirkt die Hefenzelle durch die combinirten Molecularbewegungen mehrerer 
Verbindungen, aus denen das lebende Plasma in bestimmten Zuständen 
besteht. 

GärungistdemnachdieÜebertragung vonBewegungszu- 
ständen der Molecüle, Atomgruppen und Atome verschie- 
dener das lebende Plasma zusammensetzender Verbindungen 
(welche hiebei chemisch unverändert bleiben) auf das Gärmaterial; 
wodurch das Gleichgewicht in dessen Molecülen gestört und 
dieselben zum Zerfallen gebracht werden!). 


Die molecularphysikalische Gärungstheorie, wie ich sie so- 
eben formulirt habe, hat Aehnlichkeit sowohl mit der Liebig’schen Zer- 
setzungstheorre als mit der Fermenttheorie der Chemiker; sie 
ist aber von beiden grundsätzlich verschieden. Sie lässt, was die Ver- 
gleichung mit der Zersetzungstheorie betrifft, die Verbindungen des leben- 
den Plasmas ohne chemische Umsetzung bloss durch ihre molecularen 
Bewegungen auf das Gärmaterial einwirken. Liebig spricht zwar im 
Verlauf der Darstellung zuweilen ebenfalls bloss von Uebertragung einer 
Bewegung, aber diese Bewegung wurde vorgängig stets als chemische 
Bewegung oder als Zersetzung aufgefasst. Der Gedanke, der: bei allen 


1) Es kommt hiebei weniger auf die Bewegungen der ganzen Molecüle, als auf die Schwingungen 
der Atome und namentlich der Atomgruppen an, wie das auch bei der Fermentwirkung der Fall ist 
und wie es auch bei der Wirkung vieler Gifte angenommen werden muss, wovon ich später noch 
sprechen werde. 


er ee 


101 


Wandlungen der Theorie unwandelbar festgehalten wurde, war der, dass 
eine in chemischer Umsetzung begriffene Substanz ihre Umsetzung auf eine 
andere in der Nähe befindliche Substanz übertrage. Zuletzt (1870) war 
es das Eiweis der lebenden Hefenzelle, welches durch seine Zersetzung, 
wobei Zucker abgespalten werde, den Anstoss zur Alkoholeärung geben 
sollte, — eine Theorie, die abgesehen von der mangelnden thatsächlichen 
Beeründung schon desswegen unannehmbar ist, weil sie für die zahlreichen 
übrigen Gärungen keine Anwendung findet. 


Mehr innere Verwandtschaft hat die molecularphysikalische Theorie 
mit der Fermenttheorie, indem in beiden Fällen die Spaltung eines zu- 
sammengesetzten Molecüls auf ähnliche Weise zu Stande gebracht wird. 
Die Verschiedenheit besteht darın, dass die Fermenttheorie die verschie- 
denen Gärungen durch eben so viele verschiedene Verbindungen verur- 
sacht werden lässt, dass sie also für den besondern chemischen Process 
eine besondere chemische Ursache voraussetzt, — während die molecular- 
physikalische Theorie die verschiedenen Gärungen durch das lebende 
Plasma erfolgen lässt, welches entsprechend seiner verschiedenen Organi- 
sation und Mischung, wie für die Ernährung, so auch für die Gärthätig- 
keit ungleiche chemische Wirkungen hervorbrinst. 


Durch die molecularphysikalische Gärungstheorie werden sofort mehrere 
charakteristische Eigenthümlichkeiten der Gärung erklärt. Wir begreifen 
einmal, dass der Gärprocess nur in den Zellen oder in unmittelbarer 
Nähe der Hefenzellen stattfindet und dass er nicht von denselben ge- 
trennt werden kann. 


Wir begreifen ferner, dass, während bei der Fermentwirkung eine 
gleichmässige Spaltung eintritt, bei der Gärung dagegen verschiedene Spalt- 
ungen mit einander combinirt sind, — dass diese verschiedenen Spaltungen 
‘kein constantes Verhältniss zeigen, sondern je nach der individuellen Ver- 
schiedenheit der Hefenzellen ihr quantitatives Verhältniss verändern, — 
und dass jede spezifisch organisirte Pilzzelle besondere Combinationen von 
Spaltungen hervorbringt, unter denen nur das Gemeinsame besteht, dass 
jedes Mal Kohlensäure frei wird. 


Wir begreifen endlich, dass die Gärwirkungen der Hefenzellen in 
14* 


102 


ihrer grossen Mehrzahl bis jetzt nicht auf künstlichem Wege zu Stande 
gebracht werden konnten. 


Einige andere Punkte, welche die Gärung betrefien und bei der 
Theorie derselben Berücksichtigung verdienen, verlangen eine besondere 
Besprechung. Ich beginne mit der Frage: findet die Gärung innerhalb 
oder ausserhalb der Zellen statt? 

Man hat schon seit langer Zeit angenommen, der Zucker dringe in 
die Hefenzellen ein und verlasse dieselben als Alkohol und Kohlensäure 
wieder. Diese Annahme ist bestritten worden. Gründe, die für oder 
gegen gesprochen hätten, wurden eigentlich nicht vorgebracht. Statt 
derselben entschieden doctrinäre Anschauungen, je nachdem die eine oder 
andere Annahme sich für die verschiedenen Gärungstheorien günstiger 
erwies. Ganz entscheidende Gründe stehen mir zwar ebenfalls nicht zu 
(Gebote; doch lässt sich durch einige thatsächliche Erwägungen der Frage 
etwas näher rücken und eine bestimmte Antwort wahrscheinlich machen. 

Machen wir uns zuerst klar, was geschehen muss, wenn die Alkohol- 
gärung im Innern der Zellen erfolgt. Nach Pasteur vergärt 1 or. Hefe 
(Trockengewicht) 50 Traubenzucker in 20 Tagen, also durchschnittlich 
2,5 gr. in 24 Stunden, 0,1 gr. in einer Stunde. In der ersten Zeit ist 
aber selbstverständlich die Gärung viel lebhafter als gegen das Ende. 
Nach Dumas (Ann. chim. phys. 1874 S. 82) vergären 10 gr. feuchte 
Hefe (worin 2 gr. Trockensubstanz) bei 24° C. 0,5 gr. Traubenzucker in 
20 Minuten, also 1 gr. Hefe (Trockengewicht) 0,75 gr. Zucker in 1 Stunde.) 


1) Alle Betrachtungen über die Wirksamkeit der Hefe müssen von dem physiologisch unbe- 
streitbaren und durch vielfache Thatsachen bestätigten Grundsatze ausgehen, dass unter gleichen Um- 
ständen die Menge der wirksamen Hefe und die Menge des in der Zeiteinheit vergorenen Zuckers im 
geraden Verhältniss zu einander stehen. Im Gegensatze hiezu kommt Dumas (a. a. 0.) zu dem selt_ 
samen Ausspruch, dass 20 gr. und 100 gr. der gleichen Hefe die nämliche Zeit (24 Min. bei 249 0) 
brauchen, um 1 gr. Glycose zu zerlegen. In der That würde das Gegentheil aus dem Wortlaute seiner 
Versuche folgen; denn derselbe sagt aus, dass einmal 10 gr. Hefe 0,5 gr. Glycose in 200 gr. Wasser 
während 23 Minuten vergoren, und ferner dass 50 gr. Hefe, 2,5 gr. Glycose und 1000 gr. Wasser in 
5 Partieen vertheilt, das gleiche Resultat in der gleichen Zeit ergaben. Ich vermuthe also das Vorhan- 
densein irgend eines Druckfehlers (2,5 gr. Glycose statt 0,5 gr.). Schützenberger (Gärungserscheinungen 
1876 S. 142) führt ohne weitere Bemerkung die Thatsache als erwiesen an. — Sollte wirklich ein 
Druckfehler vorliegen und die Versuche zu jenem Ausspruche berechtigen, so musste die Ursache in 


1053 


Nach den Erfahrungen bei unseren Versuchen werden von 1 gr. Unter- 
hefe der Münchner Brauereien (Trockengewicht) in einer 10 proz. Rohr- 
zuckerlösung, welche weinsaures Ammoniak als Nährstoff enthält und 
durch welche fortwährend Luft durchgeleitet wird, bei 30° C. während 
24 Stunden ungefähr 70 gr. Zucker vergoren, wobei die Hefe ihr Ge- 
wicht nach 18 Stunden verdoppelt. Nach 24 Stunden beträgt also dieses 
Gewicht etwas mehr als 2,5 gr., und es sind während 24 Stunden durch- 
schnittlich etwa 1,7 gr. Hefe wirksam, welche das 40 fache, während 1 Stunde 
das 1,67 fache ihres Gewichts Zucker zerlegen. 


Es müsste also, wenn der Spaltungsprocess im Innern geschieht, bei 
30° C. in jeder Zelle während 24 Stunden das 20,4fache Gewicht ihrer 
Trockensubstanz (in 1 Stunde das 0,85 fache Gewicht) Alkohol gebildet 
und ausgeschieden werden, — ferner während 24 Stunden das 1860 fache 
Volumen der feuchten (lebenden) Hefenzelle (in 1 Stunde das 77,5 fache 
Volumen) Kohlensäuregas.. Um diese arithmetischen Ergebnisse richtig 
beurtheilen und für einen Schluss verwerthen zu können, mangelt uns 
freilich die Vorstellung, wie viel Alkohol und Kohlensäure während einer 
bestimmten Zeit durch die Membran der lebenden Hefenzelle hindurch 
gehen können. Wir dürfen nicht aus der grossen Menge der Ausscheid- 
ungsprodukte sofort auf die Unmöglichkeit der Leistung schliessen, da in 
der Kleinheit der Zellen und in dem dadurch bedingten günstigen Ver- 
hältniss zwischen Membranfläche und Inhalt ein compensirendes Moment 
gegeben ist. 

Die Oberfläche einer Bierhefenzelle beträgt 0,0003 qmm., ihr Volumen 
0.000000'5 cbmm. Berechnen wir die Ausscheidung für ein hypothetisches 
Membranstück von lgcem., so muss durch dasselbe während einer Stunde 
eine Kohlensäuremenge von 0,013 cbem. hindurchgehen, was auf die Se- 
cunde 0,00000536 cbem. ausmacht, mit andern Worten: Durch die Mem- 
bran muss in der Stunde eine Kohlensäureschicht von 0,13 mm. Höhe, in 
der Secunde eine solche von 0,00003 mm. Höhe diffundiren. Die Leistung 


der Ungleichheit der begleitenden Umstände liegen. In wie weit eine solche Ungleichheit gegeben 
war, lässt sich allerdings nicht nachweisen, da die verschiedenen Ursachen, welche die Gärung oft 
sehr stark beeinflussen und welche daher bei solchen Versuchen vollkommen gleich gemacht sein müssen, 
nicht ausdrücklich erwähnt sind und also wohl nicht beachtet wurden. 


104 


erscheint uns nun ziemlich gering und um so eher möglıch, als die Kohlen- 
säure, wie die natürlichen schäumenden Getränke beweisen, von den Hefen- 
zellen in grosser Menge ohne Nachtheil für ihre Functionen ertragen wird. 
Wir dürfen also annehmen dass, wenn die Gärung im Innern der Zelle 
erfolgt, die Kohlensäurespannung, ohne die Gährung zu verhindern, zu- 
nimmt, bis sie ein stetes Abfliessen durch die Membran veranlasst. 

Anders könnte es sich mit dem Alkohol verhalten. Derselbe wirkt in 
grösserer Menge giftig auf die Hefenzellen. Wenn eine Gärflüssigkeit 
etwa 14 Proc. davon enthält, so wird die weitere Gärung unmöglich. 
In einer 14 proc. Alkohollösung aber sind in den Zellen kaum 7 Proc. 
ihres feuchten Gewichts Alkohol enthalten, weil das Wasser (83 Proc. 
des ganzen Gewichts) fast ausschliesslich als Imbibitionswasser des Plasmas 
und der Membran vorhanden ist und als solches eine verdünntere Lösung 
aufnimmt. Es muss also der Alkohol aus der Zelle fortgeschafft werden, 
ehe er auf 7 Proc. ihres Gewichtes sich anhäuft. — Anderseits wissen 
wir, dass der Alkohol im Vergleich mit Wasser nur langsam durch pflanz- 
liche und thierische Membranen diosmirt, dass eine Blase, in welcher 
Weingeist enthalten ist, wenig davon abgiebt, dagegen viel Wasser auf- 
nimmt. In der Hefenzelle gestalten sich die Verhältnisse in sofern anders, 
als dieselbe mit Flüssigkeit gefüllt ist und sich nicht weiter ausdehnen 
kann. Bei dem diosmotischen Process, welcher zwischen der alkohoi- 
reicheren Zellflüssigkeit und der alkoholärmern umgebenden Flüssigkeit 
stattfindet. muss ebenso viel Alkohol die Zelle verlassen, als dafür Wasser 
eintritt. Es handelt sich also darum, welche Mengen Alkohol und Wasser 
unter den gegebenen Verhältnissen in einer bestimmten Zeit durch eine 
Membran hindurch gehen. 

Mit dieser Frage verflicht sich eine andere. Die Hefenzelle muss 
nicht nur den durch Gärung gebildeten Weingeist ausscheiden sondern 
auch den dazu erforderlichen Zucker aufnehmen, und zwar muss fast 
doppelt so viel Glycose hinein, als Alkohol hinausgehen. Eine Zucker- 
lösung entzieht den Zellen, deren Flüssigkeit eine geringere Dichtigkeit 
hat, Wasser. Wir sehen unter dem Mikroskop wie die Hefenzellen in 
concentrirter Zuckerlösung sehr bedeutend ihr Volumen vermindern. Bei 
der gärenden Hefenzelle wirken also zwei Momente in entgegengesetztem 
Sinne, der eingeschlossene Alkohol, welcher Wasseraufnahme, und der 


105 


ausgeschlossene Zucker, welcher Wasserabgabe verlangt. In Wirklichkeit 
findet keine Wasserströmung statt; die Zelle behält ihre Volumen. Es 
bewegen sich blos einerseits die Zuckermolecüle, welche hinein, anderseits 
die Alkoholmolecüle und die Kohlensäuremolecüle (erstere in gleicher Zahl 
wie die Zuckermolecüle, letztere in doppelter Zahl), welche hinausgehen. 


Um thatsächliche Anhaltspunkte für diese diosmotischen Bewegungen zu ge- 
winnen, veranlasste ich Hrn. Dr. Oscar Löw (Adjunet am pflanzenphysiologischen 
Institut) folgende Versuche auszuführen. s 

Zwei Opodeldocegläser (A und B) wurden ganz mit 8,2 gewichtsprozentiger 
Alkohollösung gefüllt, dann mit Pergamentpapier bedeckt und gut zugebunden und 
jedes in eine Schale mit 10 prozent. Rohrzuckerlösung gelegt, so dass die Dialysations- 
membran senkrecht zwischen den beiden Flüssigkeiten stand. Man hatte nun einen ganz 
analogen Fall, wie ihn die alkoholbildende, in der Zuckerlösung befindliche Hefenzelle 
darstellt, indem das mit der Membran verschlossene Glas die Zelle darstellte. 

Das Glas A enthielt 159 cem. Alkohollösung (=156,37 gr) und lag in 700 cem. 
Zuckerlösung; die Membranfläche betrug 15,197 gem. ; der Versuch dauerte 15 Stunden; 
Temp. 16°C. Das Glas B fasste 147 cem. (=145,03 gr.); es befand sich gleichfalls 
in 700 cem. Zuckerlösung; Membranfläche 14,506 gem.; gleiche Versuchsdauer, 
Temperatur 28°C. Der hineindiosmirte Zucker wurde durch Verdampfen von Yıo 
des Inhalts und Trocknen bei 100° bestimmt. In dem Glas A befanden sich im 
Ganzen 3,17 gr., inB 3,52 gr. Zucker, -also in A eine 2,02 proz., in B eine 2,43 proz. 
Zuckerlösung. 

Da der Alkoholverlust durch Abdestilliren nur ungenau hätte ermittelt werden 
können, so wurde er mit Hülfe des specifischen Gewichts, des Volumens und des 
gefundenen Zuckers durch Probiren bestimmt, indem in einer 3 proz. Alkohollösung 
die betreffende Zuckermenge gelöst und noch so viel Alkohol zugefügt wurde, bis 
das gewünschte spezifische Gewicht erreicht war. Das specifische Gewicht der Flüs- 
sigkeit in dem Glase A betrug nach dem Versuch 1,0014. Eine Lösung von 
300 cem. Wasser, 6,34 gr. Zucker und 14,1 cem. absolut. Alkohol gab 318 cem Flüssig- 
keit (die doppelte Menge von A) mit dem nämlichen specifischen Gewicht von 1,0014. 


14,1 eem Alkohol = 11,195 gr. Es waren also in dem Glase A noch an 


5,597 gr. Alkohol enthalten; vor dem Versuch befanden sich darin 13,038 gr., und 
es sind somit 7,441 gr. Alkohol hinausdiosmirt. 

Das specifische Gewicht der Flüssigkeit in dem Glase B betrug nach dem Ver- 
suche 1,0019. Eine Lösung von 274 cem. Wasser, 7,04 gr. Zucker und 15,4 cem. ab- 
solut. Alkohol gab 294,7 cem. Flüssigkeit (die doppelte Menge von B) mit dem 
_ specifischen Gewicht 1,0019. 15,4 cem. Alkohol = 12,227 gr. Es waren demnach in 


RT > 6,113 gr. Alkohol vorhanden; vor dem Versuch ent- 


dem Glase B noch 


hielt es 12,044 gr. und hat also 5,921 gr. dureh Diosmose verloren. 


Zu 


106 


Durch die Membran A sind m 15 Stunden 3,17 gr. Zucker hinein und 7,441 gr. 
Alkohol hinausdiosmirt, oder auf 1 Stunde und 1 gem. berechnet durchschnittlich 
0,0139 Zucker und 0,0326 Alkohol. Durch die Membran B sind in 15 Stunden 
3,52 gr. Zucker hinein und 5,921 gr. Alkohol hinausgegangen, was für 1 Stunde und 
1 gem durchschnittlich 0,0162 Zucker und 0,0271 Alkohol ergiebt. 

Zur Vergleichung mit diesen Versuchen wurden noch solche angestellt, wo 
blosse Alkohollösung oder blosse Zuckerlösung gegen Wasser diosmirte. Da bei 
Vorversuchen sich herausstellte, dass aus einer 7—8 prozent. Alkohollösung nicht 
zu vernachlässigende Mengen «Alkohol verdunsten, so wurden, wie bei den beschrie- 
benen Versuchen, verschlossene Gläser angewendet. 


Zwei Opodeldoegläser (C und D) wurden ganz mit 8,2 gewichtsproz. Alkohol 
(spezif. Gewicht 0,9866) gefüllt, mit Pergamentpapier überbunden, und jedes in eine 
Schale mit 700 ecm. Wasser gelegt, so dass die verticale Membran die beiden Flüssig- 
keiten trennte. Das Glas C enthielt 155 eem. verdünnten Alkohol; die Membran- 
fläche betrug 14,507 gem. Versuchsdauer 15 Stunden; Temp. 16°C. Am Schlusse 
hatte der Inhalt des Glases ein spezifisches Gewicht von 0,9913 (was einer 4,9 ge- 
wichtsproz. Lösung enspricht). Es diosmirten in 1 Stunde durch 1 gem. Membran 
durchschnittlich 0,0235 gr. Alkohol hinaus. 

Das Glas D enthielt ebenfalls 155 cem. Flüssigkeit; Membranfläche = 15,384 gem. ; 
Versuchsdauer dieselbe (15 St.), Temp. 28°C. Nach dem Versuch war das spezif. 
Gewicht des Glasinhaltes 0,9912 (= 4,5 Proz. Alkohol). Es gingen in 1 Stunde 
durch 1 gem. der Membran durchschnittlich 0,0241 gr. Alkohol hinaus. 


Ferner wurden zwei Opodeldocgläser (E und F) mit 7,0 gewichtsproz. Alkohol 
(spezif. Gewicht 0,9885) gefüllt und im Uebrigen ganz wie C, D behandelt. Das 
Glas E enthielt 100 cem Flüssigkeit; Membranfläche = 10,738 gem.; Versuchsdauer 
14 Stunden; Temp. 16°C. Spezif Gewicht des Glasinhaltes nach dem Versuch 
0,9929 (= 3,99 gewiehtsproz. Alkohol). In 1 Stunde gingen durch 1 qem. Membran 
durchschnittlich 0,0200 gr. Alkohol hinaus. 

Das Glas F enthielt ebenfalls 100 cem. Flüssigkeit; Membranfläche = 12,560 gem. ; 
gleiche Versuchsdauer (14 St.); Temp. 28°C. Spezif. Gewicht des Gasinhaltes nach 
dem Versuch 0,9948 (= 3,00 Gewichtsproz. Alkohol). Es diosmirten in 1 Stunde durch 
1 gem. Membran durchschnittlich 0,022 gr Alkohol. 

Zu den Versuchen mit Zuckerlösung (G, H, I, K) dienten zwei offene Dialysatoren 
mit Pergamentpapier. Jeder erhielt 100 cem. Zuckerlösung von 1,03903 spezif. Ge- 
wicht (=10,5 Proz. Zucker) und wurde auf 400 cem Wasser gesetzt. 


G&. Membranfiäche 46,5 gem.; Versuchsdauer 16 Stunden; Temp. 16°C. Nach 
dem Versuch betrug das spezif. Gewicht des Inhaltes 1,0231 (= 6,4 Proz. Zucker). 


Es diosmirten im Ganzen 4,1 gr. Zucker hinaus, also in 1 Stunde durch 1 gem. Mem- 


bran durchschnittlich 0,00551 gr. 
H. Der nämliche Dialysator wurde zu einem Versuch bei 34°C. benutzt; Ver- 


2 


107 


suchsdauer 17 Stunden. Spezif. Gewicht nach dem Versuch 1,0182 (=5,1 Proz. 
Zucker). Im Ganzen giengen 5,4 gr. Zucker durch die Membran hinaus, in 1 Stunde 
durch 1 gem. durchschnittlich 0,00720. 

I. Membranfläche 44,1 gem. Versuchsdauer 16 Stunden; Temp. 16°C. Nach 
dem Versuch war das spezif. Gewicht des Inhalts 1,0240 (= 6,7 Proz. Zucker). Es 
diosmirten im Ganzen 3,8 gr. Zucker hinaus, in 1 Stunde durch 1 gem. Membran 
durchschnittlich 0,00538 gr. 

K. Der nämliche Dialysator wie I diente zu einem Versuche bei 34°C.; Dauer 
17 Stunden. Spezif. Gewicht nach dem Versuch 1,0186 (= 5.2 Proz. Zucker). Im 
Ganzen ditfundirten 5,3 gr. Zucker hinaus, in 1 Stundedurch 1 gem. Membran durch- 
sehnittlich 0,00670 gr. 


Diese Versuche wurden angestellt, um eine Vorstellung zu erhalten. 
in welchen Mengen und in welchen Verhältnissen Zucker und Alkohol 
durch eine todte Membran hindurchgehen, und um dieses Ergebniss mit 
der Leistung der lebenden Hefenzelle zu vergleichen. Die Hefe vergärt 
unter günstigen Umständen, wie ich angegeben habe, während einer Stunde 
das 1,67fache ihres Trockengewichts Zucker und bildet das 0,85 fache 
ihres Gewichts Alkohol. Da nicht alle Zellen sich gleich verhalten, da 
die einen wenig und manche gar nicht arbeiten, so können wir wohl 
annehmen, dass die kräftigsten wenigstens das Doppelte der durchschnitt- 
lichen Arbeit verrichten. Geschieht die Gärung im Innern, so müsste 
eine solche Zelle während einer Stunde das 3.34fache ihres Trockenge- 
wichtes Zucker aufnehmen und das 1,7fache ihres Gewichts Alkohol aus- 
scheiden. Diese Leistung erscheint uns nach dem ersten Eindruck eine 
Unmöglichkeit: berechnen wir sie aber auf die Flächeneinheit der Mem- 
bran, so stellt sich die Wirklichkeit in einem ganz anderen Lichte dar. 

Die feuchte lebende Bierhefenzelle hat etwa 17 Proz. Trockensub- 
stanz; ihr Volumen beträgt 0,000000°5 ebmm., ihr Gewicht 0,000000°0005 gr. 
ihre Oberfläche 0,0005 qımm. Sie muss also, unter den gemachten Voraus- 
setzungen, während einer Stunde 0,000000’000142 gr. Zucker aufnehmen 
und 0,000000'000072'25 gr. Alkohol ausscheiden, und zwar durch eine 
Membranfläche von 0,0003 qmm.  Diess giebt für 1 qem berechnet 
0,000047 gr. Zucker und 0,000024 gr. Alkohol in der Stunde, also nicht 
Ei 
300 
der gleichen Zeit gegeneinander durch 1 qcm. Pergamentpapier hindurch- 


gehen, wenn das letztere eine anfänglich 8 prozent. Alkohollösung und 
Abh.d. I. Cl.d.k. Ak.d. Wiss. XII. Bd. II. Abth. 15 


des Zuckers und nicht . des Alkohols, welche durchschnittlich ın 


108 


die 4,4fache Menge einer anfänglich 10 prozent. Zuckerlösung trennt 
und wenn der Versuch 15 Stunden dauert. — Die diosmotische Strömung 
wird zwar im Pergamentpapier gegenüber der Hefenzellmembran be- 
günstigt durch die gröblichen Räume, welche sich in dem ersteren be- 
finden und in der letzteren mangeln. Allein die daraus sich ergebende 
Beschleunigung dürfte mehr als aufgehoben werden durch die Verlang- 
samung in Folge der ungleich grösseren Dicke des Pergamentpapiers 
(diese Dicke beträgt 0,1 bis 0,11 mm, somit wohl mehr als 200 mal die 
Membrandicke einer Bierhefenzelle). 

Durch die lebende Membran der Hefenzelle muss bei innerer Ver- 
eärung fast doppelt so viel Zucker hinein, als Alkohol hinausgehen- 
Durch die todte Pergamentpapiermembran diosmiren die beiden Verbin- 
dungen unter den Versuchsbedingungen so ziemlich in den umgekehrten 
Verhältnissen, indem nur etwa halb so viel Zucker als Alkohol übertritt 
(nämlich 139 gegen 326 und 162 gegen 271), was ohne Zweifel auf 
Rechnung der grösseren Beweglichkeit der Alkoholmolecüle zu setzen ist, 
Allein dieser Umstand kann bei der Beurtheilung der Hefenthätigkeit 
kein Bedenken erwecken, da ja die von ihr verlangte Leistung so weit 
hinter der wirklichen Leistung einer todten Membran zurücksteht. Er würde, 
falls er auch für die lebende Hefenzellmembran gilt, höchstens zur Folge 
haben, dass der ım Innern gebildete Alkohol um so schneller die Zelle 
verliesse!). 

Die diosmotischen Verhältnisse geben uns also keine Antwort auf die 
Frage, ob der Zucker innerhalb oder ausserhalb der Zelle vergäre, da 
sie das Erstere ebensowohl als das Zweite erlauben. Aus der Gärflüssig- 


1) Aus den mitgetheilten diosmotischen Versuchen ergiebt sich noch eine Thatsache, die nicht 
auf die im Texte behandelte Frage Bezug hat, die aber wohl hervorgehoben zu werden verdient. Es 
ist die geringe Beschleunigung des diosmotischen Stromes, welche derselbe in der Wärme erfährt- 
Wenn die Temperatur von 16° auf 28°C. steigt, so vermehrt sich die Menge des gegen Wasser dios- 
mirenden Alkohols von 100 auf 103 und von 100 auf 112. Wenn die Temperatur von 16° auf 34° C. 
steigt, so vermehrt sich die Menge des gegen Wasser hindurchgehenden Zuckers von 100 auf 131 und 
von 100 auf 124. Diess beweist uns, dass an der gewaltigen Steigerung des Lebensprocesses in der 
Wärme die Aufnahme und Abgabe keinen bestimmenden Antheil hat. — Die mitgetheilten Versuche 
dürfen übrigens bloss für die erwähnten ganz allgemeinen Schlüsse benutzt werden. Sie erlauben 
weiter keine ins Einzelne gehende Vergleichung; für solche Zwecke müssten neue Versuche angestellt 
werden, bei denen gleiche Membranflächen, gleiche Flüssigkeitsmengen, gleiche Zeiten und Tempera- 
turen und wo möglich auch die gleichen Membranen anzuwenden wären. 


N OR 


109 


keit dringt jedenfalls eine bestimmte Menge Zucker in die Hefenzellen ein, 
wie eine bestimmte Menge von Kochsalz in die Zellen der Meerpftanzen. 
Geschieht die Gärung ausserhalb der Zellen, so findet der aufgenommene 
Zucker keine Verwendung und es unterbleibt die weitere Aufnahme. 
Verschwindet aber der eingedrungene Zucker durch Gärung, so werden 
fortwährend neue geringe Mengen aufgenommen. 


Wir müssen somit zur Entscheidung der vorliegenden Frage uns 
nach anderen Thatsachen umsehen, und diess kann nur in zwei Rich- 
tungen geschehen, 1) mit Rücksicht auf die Analogie der Pfanzenzellen 
überhaupt 2) mit Rücksicht auf die geistige Gärung im Besondern. 


kRücksichtlich der Analogie im Allgemeinen handelt es sich darum, 
ob die Pflanzenzellen nach aussen eine chemische Wirkung ausüben 
können? Wir dürfen uns dabei nicht etwa einfach auf das Beispiel der 
thierischen Zellen berufen, für welche eine solche Wirksamkeit wohl 
nicht zweifelhaft ist. Denn es sind ja die Structurverhältnisse wesent- 
lich ungleich. Die thierische Zelle hat unmittelbar an ihrer Oberfläche 
eine plasmatische, aus Albuminaten bestehende, chemisch wirksame Sub- 
stanz. In der Pflanzenzelle ist diese plasmatische Substanz mit einer 
Cellulosemembran bedeckt, in welcher zwar ebenfalls Lebensvorgänge 
stattfinden, aber solche von qualitativer Beschränkung und die vorzüglich 
in morphologischer und chemischer Umänderung der Membrantheilchen, 
sowie in der Einlagerung neuer Membrantheilchen und fremdartiger Sub- 
stanzen bestehen. 


Nach Allem, was wir aus Erfahrung wissen, müssen wir in der That 
die Pflanzenzelle als unfähig betrachten, durch unmittelbare Einwirkung 
eine chemische Umsetzung ausserhalb ihrer Membran zu Stande zu bringen, 
namentlich auch als unfähig, einer unlöslichen Substanz oder einer dios- 
motisch nicht eindringenden Lösung etwas zu entziehen. Wenn es 
den Anschein hat, als ob es doch der Fall sei, so geschieht die Einwir- 
kung nicht unmittelbar, sondern auf einem Umwege. So scheiden die 
Wurzelzellen Säuren aus, um die in dem Boden absorbirten Mineralsalze 
zu lösen; andere Zellen bewirken eine Lösung durch ausgeschiedene Fer- 
mente; Gewebezellen geben an einen Intercellularraum von ihrem Inhalt 
ab, sodass in demselben nun ein selbständiger Chemismus beginnen kann. 


15* 


110 


Die Spaltpilze vermögen dem Blut Sauerstoff zu entziehen; sie ent- 
nehmen ihn aber nicht direkt aus den Blutzellen, sondern aus dem Blut- 
plasma, aus welchem er durch Diffusion in die Spaltpilze hineingeht. 
Sowie in Folge dessen der Sauerstoff sich in dem Blutplasma vermindert, 
tritt er aus der lockeren Verbindung, in der er in den Blutzellen ent- 
halten ist, in die Flüssigkeit heraus. Es ist ganz der gleiche Vorgang, 
wie wenn farbloses Stärkemehl dem durch eingelagertes Jod braungelb 
gefärbten Albumin das Jod entzieht und sich nach und nach blau färbt. 


Es giebt eim anderes Beispiel, wo die Spaltpilze Sauerstoff entziehen, 
wo aber dieser Vorgang auf ganz andere Art zu Stande kommt. Wenn 
man eine Nährflüssigkeit, in welcher Spaltpilze leben, mit Lakmus färbt, 
so wird dieselbe um so schneller entfärbt (gelblich), je mehr der Luft- 
zutritt gehemmt ist. Dass diess Folge von Desoxydation ist, lässt sich 
leicht dadurch beweisen, dass durch Schütteln mit Luft der Farbstoff 
immer wieder hergestellt werden kann. 


Diese Sauerstoffentziehung ist nicht etwa als eine mechanische Aktion 
zu deuten, denn todte Zellen von der gleichen Structur lassen den Farb- 
stoff unverändert. Man kann auch nicht annehmen, dass die Zellen den- 
selben aufnehmen und als farblose Verbindung wieder ausscheiden. Denn 
der Lakmusfarbstoff, wie die löslichen Farbstoffe der Blüthen, geht wohl 
durch die lebende Membran, aber nicht durch den lebenden Plasma- 


schlauch hindurch‘). 


1) Durch besondere zu diesem Behufe angestellte Versuche mit Algenzellen ergab sich die 
vollkommene Uebereinstimmung im Verhalten des Lakmusfarbstoffes mit dem Anthocyan. Derselbe 
färbt den abgestorbenen, nicht aber den lebenden Inhalt von Algenzellen. Er diosmirt durch die 
unverletzte Membran lebender Zellen, wird aber von derselben nicht eingelagert, auch wenn sie mit 
dem Farbstoff eintrocknet oder zum Kochen erhitzt wird. Dagegen findet Aufspeicherung und mehr 
oder weniger intensive Färbung der Zellmembran statt, wenn dieselbe die Einwirkung der Schwefel- 
säure erfahren hat. Ich erinnere daran, dass auch die Stärkekörner, sofern sie unverletzt sind, den 
Lakmus nicht aufnehmen, und dass sie denselben nur soweit einlagern, als sie durch mechanischen 
oder chemischen Eingriff in ihrer Molecularstructur verändert und gequollen sind (W. Nägeli Bei- 
träge zur näheren Kenntniss der Stärkegruppe S. 77). 

Bemerkenswerth ist der Umstand, dass der Lakmusfarbstoff, während er mit Leichtigkeit 
durch die Membranen der lebenden Zellen diosmirt, die abgestorbenen Membranen von Spirogyra u.s. w. 
nicht zu durchdringen vermag. In zuckerhaltiger Lakmuslösung färbt sich der Raum zwischen der 
Membran und dem contrahirten Plasmaschlauch; dagegen bleiben die abgestorbenen und die conjugirten 
Zellen, insofern dieselben unverletzt sind, farblos. 


111 


Die Lakmusmolecüle bleiben also ausserhalb des Plasmainhaltes der 
Spaltpilzzellen in der Flüssigkeit (und in der Membran) und werden hier 
reduzirt. Wir haben eine chemische Wirkung der lebenden Zelle ausser- 
halb ihrer Substanz vor uns, und wir möchten geneigt sein, anzunehmen, 
dass die Zelle, welche ihr Sauerstoffbedürfniss nicht anderswie zu befrie- 
digen vermag, den Lakmus in ihrer nächsten Umgebung reduzire. Diese 
Annahme würde uns aber bloss begreiflich machen, welche Verwendung 
der entzogene Sauerstoff findet, nicht durch welche Mittel er entzogen 
wird. In letzterer Beziehung liegen uns, wie ich glaube, nur zwei Aus- 
wege vor. Entweder scheiden die Zellen Stoffe aus, welchen die Reduction 
gelingt, oder sie bewirken die Zersetzung durch eine wenn auch nur auf 
nınimale Entfernung vermittelte Störung des Gleichgewichts in Folge 
veränderter Bewegung der Molecüle und ihrer Theile. Im letzteren Falle 
wäre es unmittelbar ein Gärungsvorgang, im ersteren wahrscheinlich eine 
nächste Folge von Gärungsvorgängen. Denn nur durch Gärungen bilden 
sich, soviel wir mit Sicherheit wissen, aus lebenden Zellen eigentlich re- 
ducirende Stoffe wie Wasserstoff und Schwefelwasserstof, und nur Pilz- 
zellen, welche Gärung bewirken, vermögen eine Lakmuslösung zu entfärben, 
während die nicht gärtüchtigen Schimmelpilze sie unversehrt lassen. Die 
Reduction des Lakmus kann erst, wenn es sich um den mechanischen Vor- 
gang der Gärung handelt, besprochen werden. 


Die Entfärbung einer Lakmuslösung ist das einzige mir bekannte 
sichere Beispiel, wo vielleicht eine unmittelbare chemische Wirkung von 
Pflanzenzellen nach aussen angenommen, und das dann als Analogie für 
die Vergärung des Zuckers ausserhalb der Zellen benutzt werden könnte. 
Wir sind also bezüglich dieser letzteren Frage ausschliesslich auf die 
Erscheinungen bei der geistigen Gärung selbst verwiesen. Ein scheinbar 
hieher gehöriges, schon lange festgestelltes Factum ist folgendes. Wenn 
eine Hefenzellen-enthaltende und gärende Flüssigkeit durch eine Membran 
von einer zuckerhaltigen Flüssigkeit, in welcher sich keine Hefenzellen 
befinden, getrennt ist, so bleibt in dieser die Gärung aus. Diess ist ein 
sicherer Beweis, dass die Zerlegung des Zuckers nur in unmittelbarer Nähe 
der lebenden Zellen erfolgt und nicht etwa durch ein ausgeschiedenes, in der 


112 


Flüssigkeit sich vertheilendes Ferment bewirkt wird. Aber es giebt uns 
keinen Aufschluss über die Frage, ob die Zerlegung innerhalb oder ausser- 
halb der Zellen geschehe. Denn wenn auch Letzteres der Fall sein 
sollte, so muss, theils wegen der Dicke der trennenden Membran, theils, 
weil verhältnissmässig wenige Zellen dieselbe berühren, die Menge der 
jenseits der Membran freiwerdenden Gärprodukte (Alkohol und Kohlen- 
säure) selbst hinter den durch Diosmose hindurchgehenden zurückbleiben 
und von denselben verdeckt werden. 

Dagegen giebt es eine analoge Thatsache, welche einen bestimmten An- 
haltspunkt für die Annahme einer Gärthätigkeit ausserhalb der Zelle zu geben 
scheint. Schon im Jahre 1853 machte ich die auffallende Beobachtung, 
dass das Fleisch verschiedener Früchte, welche in schwach geschwefelten 
Traubenmost gelegt wurden, einen deutlichen Anfang der geistigen Gärung 
zeigte, ehe in dem Most selbst eine Spur von Gärung bemerkbar wurde. 
Seitdem habe ich das Nämliche an den verschiedensten Früchten in ver- 
schiedenen Flüssigkeiten (Wasser, Zuckerwasser mit oder ohne Zusatz von 
schwach antiseptischen Stoffen, Quecksilber, — aber nicht in Oelen) be- 
obachtet. Ich bemerke hiezu, dass bekanntlich die Sprosspilze, welche die 
zuckerhaltigen Beerenfrüchte und die aus demselben gepressten Säfte in 
Alkoholgärung versetzen, bloss äusserlich auf der Schale dieser Früchte 
und nicht im Innern des Gewebes sich befinden. Das Fleisch der Aepfel, 
Birnen, Trauben geräth nicht in Gärung, wenn man sorgfältig die Schalen 
entfernt, man mag dasselbe in eine Flüssigkeit legen oder in eine nach 
aussen abgeschlossene Atmosphäre von Luft bringen. 

Ich habe ganz unversehrte Früchte zu den Versuchen ausgewählt, 
und ich habe durch die genaueste mikroskopische Untersuchung der ge- 
gorenen Früchte die Abwesenheit von Sprosshefezellen im Innern des Fleisches 
derselben festgestellt, während die letzteren oft in Menge sich auf der 
Haut befanden. Ich kann mir daher die Gärung im Innern dieser Früchte 
nur durch die Annahme erklären, die Hefenzellen, die ausserhalb der Cu- 
ticula sich befinden, wirken zersetzend auf den Zucker in den nächst 
liegenden Zellen ein, also auf eine Entfernung von !/so bis '/o mm. 

Man wird mir wohl entgegnen, die eben angeführte Thatsache sei 
nichts anderes als die von mehreren, namentlich französischen Beobachtern 
untersuchte und mit dem Namen der spontanen oder Selbstgärung be- 


113 


zeichnete Erscheinung. Ohne diese Selbstgärung läugnen zu wollen, 
möchte ich doch vermuthen, dass vielleicht ein Theil der ihr zugezählten 
Erscheinungen auf die von mir vorgeschlagene Weise zu deuten ist. 
Dass in den von mir beobachteten Fällen nicht wohl Selbstgärung des 
Fruchtfleisches angenommen werden darf, muss ich aus dem bereits er- 
wähnten Umstande schliessen, dass das nämliche Fruchtfleisch, der Schale 
beraubt, unter sonst ganz gleichen Umständen unverändert bleibt, und 
ferner aus dem Umstande, dass die Erscheinungen wesentlich verschieden 
sind von der wirklichen Selbtgährung.') 

Ist meine Vermuthung gegründet, so lässt sich das verschiedene 
Verhalten reifer Früchte leicht erklären. Werden dieselben trocken auf- 
bewahrt, so gären sie nicht, weil die auf der Oberfläche befindlichen 
vertrockneten Hefezellen nicht wirksam werden. Das Nämliche ist der 
Fall, wenn man sie in fettes Oel einschliesst. — Befinden sich die Früchte 
in feuchter Luft oder in einem verschlossenen, also ebenfalls feuchten, 
lufthaltigen Raum, so faulen sie meistens durch Schimmelbildung und 
die Gärung unterbleibt ganz oder tritt nur schwach und vorübergehend 
auf. Unter den angegebenen Umständen ist wegen des reichlich vorhan- 
denen Sauerstoffs die Schimmelvegetation stärker als die Sprosspilzvege- 
tation und verdrängt diese. 

Legt man die Früchte in reines Wasser, so leben die vertrockneten 
Hefezellen auf der Fruchtschale wieder auf und bewirken zunächst Gärung 
im Innern der Früchte, welche sich durch den stechenden Gechmack der- 
selben, bei Kirschen und Trauben auch durch Gasblasen kundgiebt, die 
man von blossem Auge unter der Schale bemerkt. Erst später, wenn 
nach längerem Liegen im Wasser Zucker aus den Früchten heraus- 


1) Brefeld (Landwirthschaftl. Jahrbücher 1876, S. 325) beschreibt das Verhalten der Trauben- 
beeren bei der Selbstgärung in charakteristischer Weise. Dasselbe ist mir wohl bekannt; ich habe es 
an Trauben, die in verschlossenem Raume bei gewöhnlicher Temperatur und bei 0° längere Zeit auf- 
bewahrt wurden, sowie an anderen Früchten seit langer Zeit wiederholt beobachtet. Allein die Gärung, 
von der ich im Texte spreche, scheint mir durchaus davon verschieden. Nicht nur weicht Aussehen, 
Consistenz und Geschmack der Früchte gänzlich ab; sondern auch der Verlauf der Gärung ist ein anderer, 
indem dieselbe viel rascher erfolgt und in die gewöhnliche Gärung übergehend mit vollständiger Zer- 
legung des Zuckers endigt, während die Selbstgärung sehr langsam verläuft, nur einen Theil des 
Zuckers zersetzt und nach den Angaben von Brefeld Kohlensäure in sehr beträchtlichem Ueber- 
schusse erzeugt. 


114 


diosmirt oder durch Platzen derselben heraustritt, beginnt Gärung in der 
Flüssigkeit. Man beobachtet oft das Gleiche, wenn Früchte in einer 
feuchten sauerstoffarmen Atinosphäre liegen, oder in Quecksilber einge- 
schlossen sind. — In zuckerhaltigem Wasser, das keine oder wenig 
Nährstoffe enthält, scheint die Gärung im Fruchtfleisch und in der Flüs- 
sigkeit gleichzeitiee zu beginnen, aber sie wird jedenfalls in jenem früher 
bemerkbar. Denn die Früchte zeigen schon einen stechenden Geschmack, 
während das Zuckerwasser noch fade schmeckt. Dieser sehr auffallende 
Unterschied erklärt sich wohl einfach dadurch, dass die in den Früchten 
freiwerdende Kohlensäure in denselben wegen der unwegsamen Cuticula 
sich anhäuft, während die in der Flüssigkeit gebildete sich in derselben 
vertheilt und theilweise auch in die Atmosphäre verdunstet. — Wenn 
endlich die Früchte in einer zuckerhaltigen guten Nährlösung liegen, so 
wird die Gärung in der letzteren viel früher beobachtet als in den ersteren. 

Ich gebe die Theorie, dass die geistige Gärung im Fleische unver- 
letzter Früchte (nicht zu verwechseln mit der Selbstgärung) durch die 
auf der Fruchtschale sitzenden Hefenzellen geschehe, nicht als eine exact 
bewiesene Thatsache, sondern als eine durch zahlreiche Beobachtungen 
sehr nahe gelegte Wahrscheinlichkeit. Vollkommene Gewissheit muss 
erst aus fortgesetzten Versuchen wo möglich mit neuer Methode und 
neuer Fragestellung sich ergeben. 

Es giebt zwei andere Thatsachen im Gebiete der Gärung, welche 
noch bestimmter als die so eben besprochene Erscheinung eine Wirkung 
der Hefenzellen auf die umgebende Flüssigkeit beweisen. Die eine ist 
die Essigätherbildung, bei welcher, wie ich oben gezeigt habe (S. 94), 
Essigsäure und Alkohol in dem nämlichen räumlichen Punkt gleichzeitig 
entstehen müssen. Diess ist aber, da der Alkohol von den Sprosspilzen, 
die Essigsäure von den Spaltpilzen erzeugt wird, nur dann möglich, wenn 
die Gärthätigkeit nicht auf den Raum in der Zelle beschränkt ist, son- 
dern wenn die beiden unmittelbar nebeneinander liegenden Pilze ausser- 
halb ihrer Membran der eine Alkohol, der andere Essigsäure bildet. 

Die zweite Thatsache, welche die Annahme fordert, dass die mit 
der Gärung verbundene moleculare Bewegung auf die Flüssigkeit ausser- 
halb der Zelle sich verbreite, wird erst später besprochen werden. Sie 
besteht ın dem schädlichen Einfluss, den die energische Gärthätigkeit 


115 


eines Pilzes auf die Ernährung und das Wachsthum anderer in der näm- 
lichen Flüssigkeit befindlichen Pilze ausübt, und der nur in einer mole- 
cularphysikalischen Bewegung gefunden werden kann, da eine chemische 
Action ausgeschlossen ist. Nach den vorliegenden Erfahrungen wäre in 
diesem Falle die Entfernung, auf welche die Sprosshefenzellen die Flüs- 
sigkeit beherrschen, wenigstens auf Y/ıo bis /3o mm. anzuschlagen. 

Die mechanische Wirkung der Hefenzellen auf die für moleculare 
Verhältnisse beträchtliche Entfernung von mindestens '/30o bis 1/so mm., 
wie sie übereinstimmend in den beiden genannten Fällen angenommen 
werden muss, liesse sich in folgender Weise denken. Bei der Gärung 
werden nach der molecularphysikalischen Theorie die Schwingungen der 
Plasmamolecüle, ihrer Atomgruppen und Atome auf das Gärmaterial über- 
tragen. Die Uebertragung geschieht in der nämlichen Weise wie in allen 
analogen Fällen, wie bei der Fortpflanzung der Licht- und Tonschwing- 
ungen, der Wärme und der Elektrizität. Die Bewegungen eines Molecüls 
rufen in dem nächsten gleichartige Bewegungen hervor, diese in dem 
folgenden u. s. w. Von der Stärke der Ursache im Verhältniss zu allen 
andern Ursachen, welche auf die molecularen Bewegungen Einfluss haben, 
wird es abhängen, wie weit diese Kette von Ursache und Wirkung sich 
in bemerkbarer Weise geltend macht. 

Es müssen also die Zuckermolecüle bis auf eine gewisse Entfernung 
die Molecularbewegungen des lebenden Plasmas in einer gewissen Inten- 
sität empfinden. Steigern sich die besondern, den Ausschlag gebenden 
Schwingungen in einem Zuckermolecül bis zu einer bestimmten: Höhe, so 
zerfällt dasselbe in Alkohol und Kohlensäure. Es versteht sich, dass von 
hundert Molecülen in der Zeiteinheit um so zahlreichere zerfallen, je 
näher sie sich der Bewegungsursache, dem lebenden Plasma befinden, dass 
aber wegen der verschiedenartigen Ortsbewegungen, welche die in einer 
Flüssigkeit als Lösung vertheilten Molecüle ausführen, und wegen der ver- 
schiedenen, theilweise entgegengesetzten Ursachen, die auf die Schwing- 
ungen Einfluss haben, unzersetzte Zuckermolecüle überall bis in's Innere 
des lebenden Plasmas vorkommen. | 
Wie in freier Flüssigkeit muss (die Fortpflanzung auch ‚durch eine 
mit Zuckerlösung imbibirte Membran hindurch erfolgen, und dies um 


so mehr, als voraussichtlich die’ Cellulosemolecüle der Membran wegen 
Abh. d. 11. C).d. k. Ak. d. Wiss. XIII. Bd. Il. Abth. 16 


116 


analoger Zusammensetzung ebenso geeignet sind, die die Gärung bedin- 
genden Schwingungen fortzuleiten, als die Zuckermolecüle selber. Die 
Zellmembran verhält sich gegenüber der Gärungsbewegung ähnlich 
wie eine Fensterscheibe gegenüber den Licht- und Schallwellen. Das 
Plasma der Hefenzelle zerlegt also nicht bloss die Zuckermolecüle, die 
mit ihm in unmittelbare Berührung kommen, sondern auch solche, welche 
in der Hefenzellmembran, und solche, welche zunächst ausserhalb derselben 
sich in der Gärflüssigkeit befinden. Und eine Hefenzelle, die auf einer 
Fruchtschale aufsitzt, kann Zucker in den äussersten Fruchtzellen zer- 
legen; denn auch hier verbindet, abgesehen von den Cellulosetheilchen, 
eine ununterbrochene Reihe von Zuckermolecülen das Hefenplasma mit 
der Inhaltsflüssigkeit dieser Fruchtzellen. In den Hefenzellen ist nämlich, 
auch wenn sie in einer zuckerfreien Flüssigkeit liegen, immer etwas 
Zucker enhalten, somit auch in der Membran derselben; — und die Cu- 
ticula einer süssen Frucht, die von Flüssigkeit oder feuchter Luft um- 
geben ist, muss von einer wenn auch sehr verdünnten Zuckerlösung 
durchdrungen sein. 

Die anfänglich gestellte Frage: findet die geistige Gärung innerhalb 
oder ausserhalb der Hefenzellen statt? möchte ich also folgendermassen 
beantworten. Die Gärungsursache befindet sich in dem lebenden Plasma, 
also im Innern der Zelle, aber sie wirkt ziemlich weit (wenigstens \/5so mm.) 
über die Zelle hinaus. Die Zersetzung des Zuckers erfolgt zum gerin- 
geren Theil innerhalb der Hefenzellen, zum grössern Theil ausserhalb 
derselben. Letzteres aus folgenden Gründen. Da die Gärung in einer 
die Zelle umgebenden Sphäre von Flüssigkeit thätig ist, so muss die mit 
der Membran in Berührung kommende Zuckerlösung schon erheblich 
verdünnt sein, so dass verhältnissmässig wenig Zucker in die Zelle ein- 
dringt. In einer verdünnten Lösung aber, besonders wenn dieselbe als 
Imbibitionsflüssigkeit eine feste Substanz (Zellmembran, Stereoplasma) 
durchdringt, wird eine viel geringere Procentzahl von Molecülen zerfallen, 
besonders auch weil dieselben durch andere Molecularanziehungen ge- 
schützt sind; dagegen können dieselben bestimmte Bewegungszustände 
fortpflanzen. Es ist selbst denkbar, dass die Zuckermolecüle in einer 
Membran, nebst den Cellulosemolecülen derselben, bloss die Fortpflanzung 
der Gärungsbewegung ermitteln, selbst aber intact bleiben. 


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“4 


Diese "Theorie der theilweise extracellularen Vergärung gilt zunächst 
nur für die Hauptprodukte der Zersetzung, für Alkohol und Kohlensäure. 
Es bleibt vor der Hand unentschieden, wo die Nebenprodukte, Glycerin 
und Bernsteinsäure, entstehen; ich möchte vermuthen, dass sie innerhalb 
der Zelle sich bilden. ’ 

Wie mit der Alkoholgärung muss es sich auch mit allen anderen 
Gärungen verhalten. Die Hauptprodukte derselben: Milchsäure oder 
Buttersäure oder kohlensaures Ammoniak (aus Harnstoff) oder die Fäulniss- 
stoffe (aus den Albuminaten, resp. Peptonen) — entstehen zum Theil ausser- 
halb der die Zersetzung bewirkenden Spaltpilze, wodurch der schädliche 
Einfluss dieser Zersetzungsprodukte auf das Zellenleben vermindert wird. 

Die mechanische Vorstellung des Gärprocesses und die damit ver- 
bundene Möglichkeit einer äusseren Vergärung haben eine besondere Be- 
deutung für die Oxydationsgärungen, wozu die Oxydation des Alkohols 
zu Essigsäure gehört. Es ist Thatsache, dass die lebenden Zellen der 
Essighaut Sauerstoff auf den Weingeist übertragen, während andere, an 
der Oberfläche von geistigen Flüssigkeiten lebende Pilzzellen und auch 
alle todten Pflanzenzellen dies nicht vermögen. Es dürfte schwer, wo 
nicht unmöglich sein, mit Hülfe der sonst bekannten Erscheinungen sich 
eine physiologische Vorstellung zu machen, in welcher Art und Weise 
eine lebende Zelle, die ihrer Natur nach den Sauerstoff bloss aufnimmt, 
um dafür Kohlensäure auszuscheiden, dazu kommt, selber Oxydation zu 
bewirken, während die grünen Zellen, welche Sauerstoff ausscheiden, dies 
nicht vermögen. Die bisherigen Gärungstheorien sind unfähig, das Räthsel 
zu lösen; denn die Fermenttheorie, die noch am ehesten im Stande wäre, 
die Aufgabe zu erfüllen, müsste für ihr Oxydationsferment ganz andere 
Eigenschaften in Anspruch nehmen, als sie die wirklichen bekannten 
Fermente besitzen. 

Dagegen gestaltet sich die Erklärung mit Hülfe der molecular-phy- 
sikalischen Gärungstheorie ziemlich einfach. Die specifischen Bewegungs- 
zustände in dem lebenden Plasma der Essigmutterzellen werden auf die 
in die Zellen eingedrungenen Alkohol- und Sauerstoffmolecüle übertragen 
und durch diese auf die ausserhalb der Zellen befindlichen Alkohol und 
Sauerstoff fortgepflanzt. Erreicht die Störung des Gleichgewichts in den 


Molecülen einen gewissen Grad, so tritt mit Hülfe der chemischen Affinität 
16* 


118 


die Umsetzung ein. Ein Theil des Umsetzungsprocesses geschieht wohl 
innerhalb der Zellen, der grössere aber ausserhalb derselben. 

Bei der Oxydationsgärung wird, wie bei den übrigen Gärungen, von 
einem bestimmten Hefenpilz eine bestimmte chemische Umsetzung bewirkt. 
Es gibt noch eine: allgemeine Oxydation, die allen niederen Pilzen zu- 
kommt, und sich auf eine erosse Zahl von organischen Verbindungen, 
wie es scheint auf. alle löslichen, erstreckt. Mit Hülfe des freien Sauer- 
stoffs werden dieselben vollständig verbrannt. Der mechanische Vorgang 
ist offenbar der nämliche wie bei der Essigbildung; nur ist die Bewegung, 
vermittelst welcher die Verbrennung durch Sauerstoff möglich gemacht 
wird, eine viel energischere; sie wirkt etwa so wie grosse Hitze. 

Ich habe es oben unentschieden gelassen, ob die Entfärbung des Lak- 
mus durch Spaltpilze ein Gärvorgang sei oder nicht. Wäre sie diess, so 
hätten wir auch,eine Reductionsgärung, die ganz in gleicher Weise 
zu erklären wäre wie die übrigen Gärungen. Die bis zum Plasmaschlauch 
vordringenden Lakmusmolecüle erleiden durch die Molecularbewegungen 
des Plasma eine Störung im Gleichgewicht ihrer Theile, und da in dem 
Plasma ein Bedürfniss nach Sauerstoff vorhanden ist, mit anderen Worten, 
da es Verbindungen gibt, welche anziehend auf Sauerstoff einwirken, so 
wird dieser, in Ermangelung von freiem Sauerstoff, dem erschütterten 
Lakmusmolecül entzogen. Für sich (ohne Hülfe der Gärbewegung) wäre 
die Anziehung des Sauerstoffs durch das Plasma nicht hinreichend gross, 
um den Lakmus zu reduziren, denn die lebenden Schimmelpilzzellen ver- 
mögen, wie schon früher bemerkt wurde, dies nicht, und zwar eben 
desswegen weil ihnen das Gärvermögen abgeht. 

Es gibt eine andere Gärung, die gleichfalls in einer Reduction be- 
steht, aber rücksichtlich der mechanischen Bedingungen sich etwas anders 
zu verhalten scheint. Von Schiossberger und von Liebig wurde 
beobachtet, dass Wasserstofisuperoxyd durch Hefe unter lebhafter Ent- 
wickelung von Sauerstoffgas zersetzt wird, dass aber der Zusatz eines 


Giftes (Blausäure) die zersetzende Wirkung aufhebt. Da Wasserstoffsuper- 


oxyd eine leicht trennbare Verbindung ist, so genügt zur Spaltung des- 
selben die moleculare Erschütterung durch das lebende Plasma, dessen 
Sauerstoffbedürfniss keine notwendige Hülfe ist, wie sich aus dem reich- 
lich frei werdenden Sauerstoff ergibt. 


119 


Ein anderer Punkt, der die Theorie der Gärung nahe berührt, ist 
der bei dem Zerlegungsprocess erforderliche Kraftaufwand. Bei der Hefen- 
wirkung, ebenso bei der Fermentwirkung, wird in der chemischen Be- 
wegung eine Arbeit verrichtet. Die Einsicht in jene Wirkungen würde 
jedenfalls bedeutend gefördert, wenn wir eine Vorstellung von der Natur, 
der Grösse und dem Ursprung der dabei thätigen Kraft hätten. 

Ueber diese Frage sind die entgegengesetztesten Ansichten ausge- 
sprochen worden. Während Liebig gemeint hatte, dass die Zerlegung 
einer chemischen Verbindung (die Vergärung des Zuckers) eine grosse 
Kraftmenge in Anspruch nehme, welche durch die Zersetzung der Albu- 
minate geliefert werde, sprach Hoppe Seyler in neuester Zeit den 
ganz allgemeinen Satz aus, dass bei der Fermentwirkung, wohin er auch 
die Gärung zählt, „Körper entstehen von zusammen geringerer Verbren- 
nungswärme als diejenigen Stoffe, aus denen sie gebildet sind“. Nach 
der ersteren Ansicht wird bei der Gärung Wärme verbraucht, nach der 
zweiten frei; nach jener stellt der Kraftaufwand bei der Zersetzung einen 
positiven, nach dieser einen negativen Werth dar. 

Die gegentheiligen Aussprüche der beiden Forscher haben einen 
vorzugsweise doctrinären Ursprung. Zum Voraus aber besteht weder eine 
Wahrscheinlichkeit für die eine, noch für die andere Annahme, und eben 
so wenig dürfen wir von einem einzelnen Fall einen Schluss auf alle 
übrigen ziehen, da es sich ja um sehr verschiedenartige organische Ver- 
bindungen und um sehr verschiedenartige Zersetzungen derselben handelt. 
Es sollte also eigentlich für jeden einzelnen Fall festgestellt werden, ob 
Wärme frei oder gebunden wird und soweit diess nicht geschehen ist, 
kann bloss von einem sicheren Fall auf möglichst gleichartige Processe 
geschlossen werden. Leider sind diese thatsächlichen Anhaltspunkte zur 
Zeit noch aufs äusserste beschränkt. 

Was die eigentlichen Fermentwirkungen betrifft, so finden wir 
bei denselben nur einen einzigen Fall (die Invertirung des Rohrzuckers), 
bei welchem die Verbrennungswärmen ermittelt sind. Nach Frankland 
werden bei der Verbrennung von 1 gr. Rohrzucker 3348, bei der Ver- 
brennung von 1 gr. Krümmelzucker (crystall.) 3277 Cal. frei. 1 gr. 
Rohrzucker entspricht 1,1053 cerystall. Krümmelzucker (Traubenzucker); 
letztere aber liefern beim Verbrennen 3622 Cal. Also nimmt der 


120 


Rohrzucker bei der Invertirung durch Fermente, insofern wir den Invert- 
zucker in dieser Beziehung dem Traubenzucker gleich setzen dürfen!'), 
Wärme auf und zwar im Verhältniss von 3348 zu 3622 oder von 100 
zu 108. 

Dass der Trauben- oder Krümmelzucker mehr gebundene Wärme 
enthält als die entsprechende Menge Rohrzucker, ergiebt sich auch aus 
der Vergleichung der spezifischen Gewichte oder der aus denselben be- 
rechneten Molecularvolumen. Das Volumen eines Molecüls Rohrzucker 
(C,, H, O,,) beträgt 213, das Volumen von 3 Molekülen Wasser (H, O,) 54, 
von 3 Molecülen Eis 58,3, zusammen 267, resp. 271,3. Das Volumen 
von 2 Molecülen crystallisirten Traubenzuckers (CO, Hs; O,,) beträgt 283,6. 
Also steht das Volumen des Rohrzuckers sammt dem aufgenommenen 
Wasser im Vergleich mit der entsprechenden Menge Traubenzucker im 
Verhältniss von 267 zu 283,6 oder von 100 zu 106, resp. von 271,3 zu 
383,6 oder von 100 zu 104,5. Bei der Mischung zweier Flüssigkeiten 
wird mit der Verdichtung Wärme frei, mit der Verdünnung oder Volumen- 
zunahme Wärme gebunden. Die nämliche Regel dürfte auch in andern 
Fällen um so eher Gültigkeit haben, je weniger der chemische Charakter 
beim Uebergang in den andern Zustand sich verändert. Die nahe che- 
mische Verwandtschaft zwischen Rohrzucker und Invertzucker lässt es 
daher als sehr plausibel erscheinen, dass die Volumenzunahme bei der 
Invertirung unter Aufnahme von Wärme von statten gehe. 

Die Verbrennungswärme und die Volumenveränderung geben also 
das übereinstimmende Resultat, dass die Fermentwirkung auf den Zucker 
mit einer Steigerung der potentiellen Energie verbunden ist. Ausserdem 
giebt es keinen Fall von Fermentwirkung, wo wir aus Erfahrung etwas 
über die Veränderung der gebundenen Wärmemengen wissen, weil weder 
die Verbrennngswärmen noch die spezifischen Gewichte vor und nach dem 
Process bekannt sind. Die Verbrennungswärme des Holzes und die spe- 
zifischen Gewichte des Stärkemehls und Gummis können nicht zur Ver- 
gleichung mit Zucker benutzt werden; die erstere ist für Cellulose zu 


1) Es ist wohl im höchsten Grade wahrscheinlich, dass der Invertzucker, der ein Gemenge 
nach gleichen Molecülen von Dextrose (Traubenzucker) und Levulose, also von zwei isomeren Verbin- 
dungen (Cs Hı2 Os) ist, die gleiche oder nahezu die gleiche Verbrennungswärme giebt, wie der eine 
Gemengtheil desselben, und dass gegenüber dem Rohrzucker (Cı2z Ha» Oı1) im Wesentlichen die gleiche 
Verschiedenheit besteht. 


121 


gross, weil das Holz ausserdem noch kohlenstoffreichere Verbindungen 
enthält; die letzteren aber sind wegen der micellaren Structur von Stärke 
und Gummi zu gering. 

Zur Beurtheilung der Fermentwirkung haben wir nur das einzige 
Beispiel der Umwandlung von Rohrzucker in Invertzucker. Es dürfte 
einige Wahrscheinlichkeit dafür bestehen, dass diejenigen Fermentwirk- 
ungen, wo ebenfalls ein Molecül in zwei ihm ähnlich gebaute Molecüle 
unter Wasseraufnahme zerfällt, sich übereinstimmend verhalten, dass also, 
wie bei der Invertirung des Zuckers, auch bei der Umwandlung von Cel- 
lulose, Stärke, Pflanzenschleim, Gummi und Dextrin in gährungsfähigen 
Zucker, ebenso bei der Umwandlung der Albuminate in Peptone Wärme 
verbraucht wird. Dagegen lässt sich aus der Invertirung des Zuckers 
kein Schluss auf die Zerlegung der Glucoside herleiten. 

Ueber den Ursprung der bei der Fermentwirkung aufgenommenen 
Spannkraft kann kein Zweifel obwalten. Dieselbe kann, — da die Fer- 
mente (Diastase, Pepsin, Emulsin, Invertin etc.), so viel wir wissen, gleich 
den analog wirkenden unorganischen Contactsubstanzen (Wasser, Säuren, 
Alkalien), bei ihrer Arbeit keine Zersetzung erfahren, — nur von der 
umgebenden freien Wärme entnommen werden. 

Die Uebertragung ist leicht verständlich, wenn die Contactwirkung in 
der Art statt findet, wie ich oben wahrscheinlich zu machen suchte. 
Von dem Ferment gehen gewisse Schwinguneszustände auf die zu zer- 
legende Verbindung über. Dadurch werden diese Schwingungen im Fer- 
ment selbst geschwächt; und da ihre Intensität in Folge dessen nicht 
mehr der umgebenden Temperatur entspricht, so wird freie Wärme von 
den Fermentmolecülen aufgenommen und damit die frühere Schwingungs- 
intensität wieder hergestellt. Die Contactsubstanz vermittelt also bloss 
die Uebertragung von Kraft; sie verwandelt die freie Wärme des Me- 
dium’s, in dem sie sich befindet, in Bewegung ihrer Molecüle und ihrer 
Theile, und theilt diese Spannkraft wieder den Molecülen der zu zerle- 
genden Verbindung mit. 


Was die Hefenwirkungen betrifft, so können wir die Verän- 
derung in der Menge der gebundenen Wärme bei der geistigen Gärung 


122 


ziemlich genau ermitteln und ursächlich nachweisen. Für dieselbe hat 
Liebig!) die Behauptung aufgestellt, dass zur Zerlegung des Zuckers 
Wärme oder Kraft verbraucht werde. Um diess zu beweisen, stützte er 
sich auf eine Berechnung wonach der aus einer bestimmten Menge von 
Rohrzucker gebildete Alkohol beim Verbrennen eine grössere Anzahl von 
Wärmeeinheiten gebe als jene Zuckermenge, wozu noch die bei der 
Gärung frei werdende Wärme hinzukomme. Der ziemlich beträchtliche 
Ueberschuss werde durch die Arbeit der Hefe, und zwar durch die Albu- 
minate derselben geliefert. 

Wenn diess richtig wäre, so stünde es im Widerspruch mit der ganz 
sicheren physiologischen Thatsache, dass das Gärgeschäft für die Ernährung 
und das Wachsthum der Hefe förderlich ist, einer Thatsache, auf die ich 
nachher noch zurückkommen werde. Müsste die Hefenzelle für die Zer- 
lesung des Zuckers Kraft aufwenden, so könnte sie aus derselben keine 
Kraft entnehmen. 

Der Widerspruch klärt sich dadurch auf, dass in die Berechnung 
Liebig’s sich zwei Fehler eingeschlichen haben. Der eine, auf den auch 
schon von anderer Seite hingewiesen wurde, besteht darin, dass die Ver- 
brennung des festen Zuckers mit derjenigen des flüssigen Alkohols 
verglichen wurde. Diess ist aber unstatthaft, weil der vergärende Zucker 
gelöst (also im flüssigen Zustande befindlich) ist, und weil bei der Ver- 
brennung des festen Zuckers eine gewisse Zahl von Wärmeeinheiten auf- 
gebraucht wird, um denselben zu schmelzen, welche (noch unbekannte) 
Zahl zu der Verbrennungswärme hinzuaddirt werden muss. 

Der andere Umstand, welcher hätte berücksichtigt werden sollen, ist 
der, dass in dem Beispiel, welches zu der Berechnung Veranlassung gab, 
die Verbrennungswärme des Alkohols schr wahrscheinlich mit derjenigen 
des Traubenzuckers und nicht mit derjenigen des Rohrzuckers zu ver- 
gleichen ist. Indem die Rechnung von der Verbrennungswärme des Rohr- 
zuckers ausging, giebt sie uns nicht das Resultat der Alkoholgärung, 
sondern das vereinigte Resultat zweier Processe, der Fermentwirkung, 
welche den Rohrzucker invertirt, und der Hefenwirkung, welche den in- 
vertirten Zucker in Alkohol und Kohlensäure spaltet. 


1) Sitzungsberichte d. k. b. Akad. d. W. 1869. II. 427. 


123 


Die richtige Berechnung müsste also die Spannkraft des gelösten 
Traubenzuckers (nicht die des festen Rohrzuckers) in Ansatz 
bringen. In dieser Weise kann sie aber noch nicht ausgeführt werden, 
weil die Wärmemenge, welche erforderlich ist, um den Zucker aus dem 
festen in den gelösten (flüssigen) Zustand überzuführen, erst noch ermittelt 
werden muss. 

Es giebt aber eine andere Betrachtung, welche uns ganz unzweifel- 
haft die Unrichtigkeit der Liebig’schen Annahme beweist, und welche 
uns zeigt, dass nicht aus der Hefe, sondern aus dem vergärenden Zucker 
eine bedeutende Menge von Spannkraft frei wird. Dieselbe besteht in 
dem Zusammenhalte folgender zwei Thatsachen, dass während des Gär- 
geschäftes die Hefe ihre Substanz und damit die Menge ihrer gebundenen 
Wärme vermehrt, und dass trotzdem die Temperatur der Gärflüssigkeit 
bis um 10 und mehr Grade erhöht wird. 

Dank den Untersuchungen Pasteur’s kennen wir die substanziellen 
Veränderungen bei der Gärung genau. Wenn man reines Zuckerwasser 
(ohne Nährstoffe) mit Hefe vergären lässt, so werden 99 Proc. des Zuckers 
in Gärprodukte zerlegt (100 Rohrzucker werden zu 105,26 Invertzucker 
und geben 51,11 Alkohol, 49,42 Kohlensäure, 0,67 Bernsteinsäure und 
"3,16 Glycerin. 1 Proc. des Zuckers wird zur Ernährung der Hefen- 
zellen verwendet. Wir finden in der vergorenen Flüssigkeit die organi- 
schen Verbindungen, aus denen die Hefe vor der Gärung bestand, mit 
geringer Veränderung wieder. Das Trockengewicht derselben hat sich 
um so viel vermehrt, als Zucker der Gärung entzogen wurde (1 Proc. 
der ganzen Zuckermenge). Aber die organischen Verbindungen sind nicht 
mehr vollständig Baumaterial der Hefenzellen; ein Theil befindet sich, 
von den Zellen ausgeschieden, in der Flüssigkeit gelöst. Bezeichnen wir 
die organischen Stoffe, welche die Hefe zusammensetzen und die von ihr 
ausgeschieden wurden, als Hefensubstanz, so hat sich der Stickstoffgehalt 
der letzteren während der Gärung nicht verändert, und die stickstoff- 
haltigen Verbindungen selbst haben nur eine geringe Modification 
erfahren. Sie waren vorher fast ausschliesslich als Albuminate in den 
Zellen, und sie sind nachher noch zum grössten Theil als Albuminate in den- 
selben, zum kleinern Theil als Peptone und Eiweiss in der Flüssigkeit. Eine 


geringe Menge (höchstens 1—2 Proc.) hat sich in Leucin und andere Ver- 
Abh.d.1II. Cl.d. k. Ak. d. Wiss. XIII. Bd. II. Abth. 17 


124 


bindungen, unter denen aber das Ammoniak mangelt, zersetzt.!) Die stick- 
stofflosen Verbindungen waren vor der Gärung fast ausschliesslich als 
Cellulose in der Membran, und wir finden sie nachher in der Zunahme, 
die sie durch den Zucker erfahren haben, als Cellulose in der Membran 
und als Pflanzenschleim in der Flüssigkeit. 

Diese Thatsachen zeigen uns klar, dass die gebundene Wärme der 
Hefensubstanz während der Gärung eine der Gewichtszunahme entspre- 
chende Vermehrung zeigen muss. Vergleichen wir aber die Hefensubstanz 
vor der Gärung sammt dem Zucker, welchen sie zur Ernährung aufnimmt, 
mit der Hefensubstanz nach der Gärung, so kann die gebundene Wärme 
nur in ganz unbedeutendem Grade sich verändert haben; und es lässt 
sich nicht einmal angeben, ob diese Veränderung eher eine Abnahme oder 
eine Zunahme sein möchte. Die stickstoffhaltigen Verbindungen dürften, 
da sich ein Theil der Albuminate in Peptone umwandelte, eher freie Wärme 
aufgenommen, die stickstofflosen dagegen, da Traubenzucker in Cellulose und 
Pflanzenschleim überging, eher Wärme abgegeben haben. Immerhin ist die 
Wärmeabgabe oder die Wärmeaufnahme, welche die Hefensubstanz sammt 
ihren Nährstoffen während der Gärung erfährt, so gering, dass sie neben 
der übrigen Verminderung der gebundenen Wärmemenge ganz verschwindet. 

Diese Verminderung wird angezeigt durch die Temperaturerhöhung 
der gärenden Flüssigkeit und ferner durch die Verdunstung von Wasser 
und Kohlensäure. Dubrunfaut?) hat die bei der Gärung erzeugte 
Wärme bei einem Versuche mit 21400 Lit. einer Flüssigkeit, welche in 
einem Bottich aus Eichenholz sich befand, 2559 kgm. Rohrzucker ent- 
hielt und im Verlauf von 4 Tagen vergor, berechnet. Die ursprüngliche 
Temperatur von 23,70 C stieg während dieser Zeit auf 33,75°; die wirk- 
liche Temperaturerhöhung betrug aber, da die Abkühlung in dem um- 
gebenden Raum, dessen Temperatur zwischen 12 und 16° schwankte, auf 
4° geschätzt wird, 14,05°%.?) Es wurden 1181 kgm. Alkohol von 15° 


1) Ich verweise auf die frühere Mittheilung (Sitzungsberichte vom 4. Mai 1878), und auf die später 
in dieser Abhandlung folgende, in welchen beiden nachgewiesen wird, dass die Hefenzellen Peptone 
und Eiweiss ausscheiden, sowie auf die Anmerkung (pag. 82), in welcher ich zeigte, dass das von 
Liebig bei der Selbstgärung von Bierhefe beobachtete Leucin nicht direct aus den Sprosshefezellen, 
sondern aus den durch dieselben ausgeschiedenen und in Fäulniss übergegangenen Stoffen herstammte. 

2) Erdmann Journ. f. pract. Chem. Bd. 69 (1856) S.444. — Compt. rend.1856 (Nr. 20) S. 945. 

3) „L’elevation de temperature de toute la masse eüt done &t& de 14,05° au lieu de 10,05%, si 
la cuve avait ete & l’abri du refroidissement“. 


Br > 


125 


und 1156 kgm. Kohlensäure gebildet. Dubrunfaut gibt folgende 
Berechnung: 
Temperaturerhöhung von 21400 kgm. Flüssigkeit 


um 14,05° 300670 Cal. 
Von dem Holze aufgenommen 228001, 
1156 kgm. CO2, entwickelt bei der mittleren Temp. 
von 240 6090 „ 
19,236 kgm. verdunstetes Wasser (X 565) 10869 „ 
324915 Cal. 


Diese Ansätze werden beinahe gänzlich ohne erklärende Begründung 
hingestellt. Was den ersten und grössten betrifft, so wurde die Wärme- 
capacität der gärenden Flüssigkeit gleich der des nämlichen Volumens 
Wasser angenommen. Diess ist jedenfalls nicht ganz genau. Anfänglich 
sind in 21400 Lit. Lösung 2559 kgm. Rohrzucker, also in 100 Lit. Lös- 
ung 11,96 kgm. Rohrzucker und nach der Invertirung 12,59 kgm. was- 
serfreier Traubenzucker enthalten. Da die spezifische Wärme von Trauben- 
zuckerlösungen nicht bekannt ist, so müssen wir das Verhalten der Rohr- 
zuckerlösungen unserer Betrachtung zu Grunde legen. Eine Flüssigkeit 
mit 11,96 kgm. Rohrzucker in 100 Lit. stellt nahezu eine 11,5 proz. 
Lösung dar mit einem spezif. Gewicht von 1,0467 und einer spez. Wärme 
von 0,928. Die 21400 Lit. Flüssigkeit enthalten vor der Gärung 19800 
kgm. Wasser und 2559 kgm. Rohrzucker mit einem Gesammtgewicht 
von 22359 kgm. — Nach der Gärung sind noch 19780 kgm. Wasser 
und 1181 kgm. Alkohol vorhanden; das Gesammtgewicht beträgt 20961 
kgm. In 100 Gewichtstheilen Lösung sind 5,6 Gewichtstheile Alkohol 
enthalten (Dubrunfaut gibt 6,9 Volumprozente an, was das Nämliche ist). 
Das spezifische Gewicht von 5,6 gewichtsprozentigem Alkohol ist bei 
20°C. 0,9885 und bei 30°C. 0,9858 und die spezifische Wärme 1,0175. 

Die gärende Flüssigkeit ändert fortwährend ihre chemische Zusam- 
mensetzung und ihre Wärmecapacität. In dem vorliegenden Falle hätte 
es zur Temperaturerhöhung um 1°C. 

vor der Gärung 22359 X 0,928 = 20750 Cal. 
nach der Gärung 20960 X 1,0175 = 21327 Cal. 
bedurft; und die ganze Erhöhung um 14,05° erforderte für die ursprüngliche 


Zuckerlösung 291538 Cal., für die schliessliche Alkohollösung 298578 Cal. 
17* 


126 

Die Berechnung eines mittleren Werthes aus diesen Zahlen würde 
aber aus zwei Gründen unstatthaft sein. Einmal ist zu berücksichtigen, 
dass die bekannte specifische Wärme nur für gleichbleibende Constitution 
der Lösungen gilt. Wir wissen nicht, wie viel die specifische Wärme 
einer Flüssigkeit beträgt, deren Zuckergehalt im Abnehmen, deren Alkohol- 
gehalt im Zunehmen begriffen ist; wir kennen nicht die Differenz in der 
gebundenen Wärmemenge einer Zuckerlösung und einer Alkohollösung 
von gleicher Temperatur. 

Ferner wurde bei dem vorliegenden Versuch der Rohrzucker inver- 
tirt, was mit einer beträchtlichen Wärmeabsorption verbunden ist. Wenn 
wir uns auf die Verbrennungswärme des Krümmelzuckers von Frank- 
land verlassen dürfen, so werden bei dem Uebergang von 1 kgm. {Rohr- 
zucker in Invertzucker 101 Cal. aufgenommen; diess gäbe für 2559 kgm. 
Rohrzucker 258459 Cal. — Die Invertirung fällt im Allgemeinen mit der 
Gärung zusammen, und es wird die für die erstere erforderliche Wärme- 
menge von der letzteren geliefert. In dem fraglichen Versuche aber 
musste sie zum Theil der Gärung vorausgehen, denn, da die vollständige 
Vergärung schon in 4 Tagen erfolgte, so müssen wir annehmen, dass eine 
ziemlich grosse Menge von Hefe zugesetzt wurde. Es ist also wahr- 
scheinlich, dass die Flüssigkeit im Anfange keine Wärme nach aussen abge- 
geben, sondern eher solche aufgenommen hat, und dass die auf 4° geschätzte 
Abkühlung eine zu grosse Ziffer darstellt und dass damit auch die mit 
14,050 in Rechnung gebrachte Temperaturerhöhung zu hoch gegriffen ist. 

Während mir der aus der Wärmecapaeität berechnete Ansatz zu gross 
erscheint, möchte ich den für die Verdunstung der Kohlensäure einge- 
setzten für zu gering halten, obgleich als Verdunstungstemperatur, statt 
der Anfangstemperatur von 24°, wohl richtiger die bis auf 33,75 stei- 
genden Temperaturen zur Berechnung benützt werden, da ja die Erwär- 
mung auf diese Temperaturen schon bei dem Ansatz für die Wärmeca- 
pacität zur Geltung kam. Nach Thomsen') beträgt der Coefficient der 
Wärmeeinheiten, welche frei werden, wenn 1 Molecül CO, bei 18°C. von 
Wasser absorbirt wird, 5880, was für die Gewichtseinheit 133,64 W.E. 
giebt. Die Verdunstung von 1kgm. Kohlensäure verlangt also 133,64 Cal. 


1) Ber. d. deutsch. chem. Ges. 1873. S. 713 u. 1536. 


127 


und die Verdunstung von 1156 kgm. Kohlensäure verlangt 154168 Cal. 
bei einer Temperatur von 18°C. Diese Summe wird zwar in dem fraglichen 
Gärungsversuch, wo die Entwicklung der Kohlensäure bei einer von 24° bis 
zu 33,75° steigenden Temperatur vor sich ging, etwas geringer, allein sie 
muss immerhin den Ansatz von 6096 Cal. um ein Vielfaches überschreiten. 

Wenn auch die Ansätze von Dubrunfaut im Einzelnen angefochten 
werden können, so lassen sich doch, aus Mangel an experimenteller 
Erfahrung, statt derselben keine bestimmten Summen anschreiben, und 
da die einen Ansätze zu hoch, die anderen zu niedrig gegriffen sind, so 
mag die Gesammtsumme doch nicht allzuweit von der Wirklichkeit ent- 
fernt sein. 

Da die Gärung nicht im luftleeren Raum, sondern unter dem Drucke 
einer Atmosphäre geschah, so wurde eine gewisse Menge von Wärme 
dazu verwendet, um den mechanischen Widerstand, der sich der Ent- 
wicklung des Kohlensäuregases und des Wasserdampfes entgegensetzte, 
zu überwinden. Dubrunfaut hat diese mechanische Arbeit für die 
Kohlensäure auf 14535 Cal. angeschlagen, wodurch die Gesammtsumme 
der bei dem fraglichen Gärungsversuch erzeugten Wärme auf 339450 Cal. 
steigt. 

Hieraus berechnet sich, dass bei der Vergärung von 1 kgm. Rohr- 
zucker oder von 1,0526 kgm. Traubenzucker, wobei 0,51 kgm. Alkohol 
entstehen, 146,6 Cal. erzeugt werden. 


Kehren wir nun zu unserer eigentlichen Frage zurück, so ist ohne 
Weiteres klar, dass die beträchtliche Wärmeerzeugung bei der Alkohol- 
gärung nicht von der Hefe hergeleitet werden kann. 100 gr. Zucker 
lassen sich durch 1 gr. Hefe während längerer Zeit vergären. Wendet 
man 2 gr. Hefe an, so wird dazu weniger Zeit erfordert. Pasteur hat 
für diese Menge die Hefenprodukte und die Gewichtszunahme der Hefen- 
substanz festgestellt; in der letzteren ist, wie ich bereits angeführt habe, 
die Menge der gebundenen Wärme während der Gärung ziemlich unver- 
ändert geblieben. Würde aber die Hefe vollständig verbrennen, so dass 
sie ohne Rest in Kohlensäure, Wasser, Stickstoff und Aschenbestandtheile 
sich auflöste, würde also ihre ganze Spannkraft frei, so wäre damit nur 


128 


etwas mehr als die Hälfte der bei der Gärung erzeugten Wärme und 
wenig mehr als !/s des Kraftaufwandes gedeckt, welchen Liebig ihren 
Albuminaten zuschrieb'). 


Ich muss zwar beifügen, dass Liebig sich dieser Folgerung be- 
wusst war und dass er ihr durch die Theorie ausweichen wollte, in den 
Albuminaten sei eine viel grössere Menge von Spannkraft enthalten, als 
durch die Verbrennungswärme angezeigt werde’). Es ist überflüssig, auf 
diese mit der Erhaltung der Kraft im Widerspruche stehende Annahme 
einzutreten. Wenn die Spannkraft des Eiweisses sammt der Spannkraft 
des zur Verbrennung nothwendigen Sauerstoffes nicht in der Summe der 
Spannkräfte der Verbrennungsprodukte (Kohlensäure, Wasser, Stickstoff) 
sammt der freigewordenen Wärme enthalten wäre, so müsste der Ueber- 
schuss zu Nichts geworden sein. 


Es ist also unbestreitbar, dass die bei der geistigen Gärung frei 
werdende potientielle Energie entweder gänzlich oder bis auf eine ver- 
schwindend kleine Menge aus dem sich zersetzenden Gärungsmaterial 
stammt, nach der Gleichung: Die erzeugte Wärme ist gleich der Spann- 
kraft des vergorenen Zuckers weniger der Spannkraft des gebildeten 
Alkohols (und derjenigen der Nebenprodukte). Wäre die Berechnung der 
erzeugten Wärme von Dubrunfaut in ihren numerischen Ansätzen 


1) Ikgm. Rohrzucker vergärt durch 0,02kgm. Hefe. Dabei werden 146,6 Cal. erzeugt, während 
die Verbrennung der Hefe, wenn dafür die höchsten Ansätze gemacht, nämlich Cellulose und Pflanzen - 
schleim höher als Zucker und alle stickstoffhaltigen Verbindungen sammt den nicht bestimmbaren 
Extractivstoffen als Albuminate gerechnet werden, bloss 85,38 Cal. giebt. 

Cellulose und Pflanzenschleim 0,0074 > 3500 = 25,90 Cal. 


Fett 0,0010 x 9500 = 9,50 „ 

Albuminate 0,0102 x 4900 = 49,98 „ 

Asche 0,0014 — 
0,0200 85,38 „ 


2) Diese Theorie (Sitzungsberichte 1869. II. 430) wird durch die nämliche fehlerhafte Beweis- 
führung begründet, wie oben diejenige über die Arbeitsleistung der Hefe, indem die Verbrennungs- 
wärmen zweier Körper in verschiedenen Aggregatzuständen ohne Correctur verglichen werden. Aus 
der Thatsache, „dass 1 gr. Kohle im Cyan 43 Proz. mehr Wärme entwickelt als 1 gr. Kohlenstoff,“ 
folgt nicht, dass man „den Wirkungswerth stickstoffhaltiger Körper, als Kraftquellen, nicht nach der 
Anzahl der Wärmeeinheiten beurtheilen dürfe, die sie bei direkter Verbrennung entwickeln,“ sondern 
nur, dass es einer bedeutenden Wärmemenge bedarf, um den festen Kohlenstoff in den gasförmigen 
Zustand überzuführen, wobei übrigens auch noch die Wärmetönung bei der Dissociation des Cyans in 
Anschlag zu bringen ist. 


129 


unanfechtbar, so liesse sich mit Hülfe der Gleichung die Schmelzwärme des 
Zuckers bestimmen. Immerhin kann jetzt schon mit Sicherheit ange- 
nommen werden, dass diese Schmelzwärme im Vergleich mit Mineralsalzen 
einen sehr beträchtlichen Werth erreicht‘), Die experimentelle thermo- 
chemische Feststellung der Wärmetönungen bei den verschiedenen die 
Gärung betreffenden Vorgängen wäre in hohem Grade wünschenswerth. 

Von den übrigen Gärungen giebt uns nur die Buttersäuregärung des 


Traubenzuckers einigen Anhalt für die Veränderung der gebundenen 
Wärmemenge, weil die Verbrennungswärmen der beiden Verbindungen 
bekannt sind. Allerdings wissen wir nicht ganz sicher, wie die Spaltung 
der Zuckermolecüle erfolgt. Ohne Zweifel ist die Annahme der Gärungs- 
chemiker, dass 1 Mol. Traubenzucker sich in 1 Buttersäure, 2 Kohlen- 
säure und 4 Wasserstoff spalte, für gewisse Verhältnisse richtig. In an- 
dern Fällen findet, wie ich glaube, eine Zerlegung in Buttersäure, Kohlen- 
säure und Wasser statt, wobei auf 1 Mol. Buttersäure 1 Mol. CO, ent- 
steht, denn die Gasentwicklung ist viel weniger beträchtlich als sie es 
nach der ersten Zersetzungsformel sein müsste und das entweichende Gas 
besteht bloss aus Kohlensäure. Für diese Fälle nun ist es sicher, dass 
mit der Gärung eine bedeutende Erzeugung von Wärme verbunden sein 
muss, weil die Verbrennungswärme sammt der Schmelzwärme des Zuckers 
die Verbrennungswärme der Buttersäure übersteigt. 


Der Traubenzucker kann auch zuerst in Milchsäure sich spalten und 
dann die Milchsäure zu Buttersäure vergären. Es ist sehr wahrscheinlich, 
dass die gebundene Wärme der Milchsäure einen Zwischenwerth zwischen 
Zucker und Buttersäure darstellt und dass, wenn auf die Milchsäuregärung 
des Zuckers die Buttersäuregärung der Milchsäure folgt, in zwei Malen 
die Wärmemenge frei wird, die bei der Buttersäuregärung des Zuckers 
auf einmal sich entwickelt. Uebrigens zerfällt der Invertzucker nicht 
glattweg in 2 Milchsäuremolecüle; es findet daneben noch eine andere 
Zersetzung des Zuckers statt, wie die stets vorhandene Entwicklung von 


1) Aus der Vergleichung der bei der Gärung erzeugten Wärme nach Dubrunfaut und der 
Verbrennungswärme des Zuckers nach Frankland berechnet sich die Schmelzwärme des Trauben- 
zuckers zu 200 Cal. oder mehr (je nach dem Betrag der Verbrennungswärme des Alkohols), die 
Schmelzwärme des Rohrzuckers sammt der Invertirungswärme zu 300 Cal. oder mehr. 


130 


Kohlensäure beweist. Dadurch kann die Menge der bei der Milchsäure- 
bildung erzeugten Wärme nur vermehrt werden. 

Bei der Beurtheilung der Fermentwirkung habe ich aus dem Um- 
stande, dass eine Volumenzunahme eintritt, auf die Wahrscheinlichkeit 
einer Wärmeaufnahme geschlossen, weil die in einander übergehenden 
Verbindungen den nämlichen Charakter und die nächste chemische Ver- 
wandtschaft besitzen. Bei den Gärungsprocessen ist eine solche Folgerung 
nicht mehr am Platze, da die entstehenden Verbindungen stets eine we- 
sentlich geänderte Constitution zeigen. Es scheint selbst hier in der Regel 
das Gegentheil von dem, was man vielleicht-erwarten möchte, einzutreten, 
nämlich zugleich Volumenzunahme und Wärmeabgabe Alkohol und 
Kohlensäure nehmen ein grösseres Volumen ein als Zucker, wenn alle 
drei Verbindungen auf den flüssigen Zustand reduzirt werden. Vergleicht 
man Zucker, ferner Milchsäure, endlich Buttersäure, Kohlensäure und 
Wasser, also drei auf einander folgende Stufen der Gärung mit einander, 
so entspricht jede folgende Stufe bei geringerer latenter Wärme einem 
grösseren Volumen. 

Es ist diess vielleicht eine Erscheinung, die allen oder wenigstens 
den meisten Gärvorgängen zukommt. Bei denselben werden einfachere 
Verbindungen gebildet, unter denen sich sehr häufig Säuren befinden. 
Den Säuren aber scheint die Eigenthümlichkeit zuzukommen, dass sie mit 
indifferenten Verbindungen verglichen, bei grösserem Volumen eine ge- 
ringere Menge von gebundener Wärme enthalten. Am ausgezeichnetsten 
ist diess Merkmal bei der Kohlensäure ausgeprägt; selbstverständlich 
sind gleiche Aggregatzustände bei gleicher Temperatur zu vergleichen. 

Es ist wahrscheinlich, dass mit der Bildung von CO, immer eine 
bedeutende Volumenzunahme der Zersetzungsprodukte, aber auch eine 
bedeutende Abgabe von Wärme verbunden ist, wie diess ganz auffallend 
bei der Alkoholgärung hervortritt, wo trotz der hohen Verbrennungs- 
wärme des Alkohols die Kohlensäurebildung doch eine Verminderung der 
gebundenen Wärme in den gesammten Gärprodukten bedingt. Da nun 
wohl bei allen Gärprocessen sich Kohlensäure entwickelt, so dürften auch 
alle diese Processe mit der Alkoholgärung und Buttersäuregärung darin 
übereinstimmen, dass sie Wärme entbinden. 

Wenn diese meine Vermuthung begründet ist, so bekämen wir zu 


132 


den früher festgestellten physiologischen und chemischen Verschiedenheiten 
zwischen Fermentwirkung und Hefenwirkung (Gärung) noch den neuen 
Unterschied, dass bei der ersteren Wärme gebunden, bei der letzteren 
Wärme entbunden wird, dass bei der ersteren Verbindungen mit vermehrter, 
bei der letzteren solche mit verminderter Spannkraft entstehen. — Dass 
die Bildung von Spaltungsprodukten mit geringerer Verbrennungswärme 
in der That ein der Gärthätigkeit allgemein zukommender Charakter ist, 
geht auch aus dem Umstande hervor, dass dabei immer chemisch wenig 
resistente Verbindungen in solche mit grösserer Widerstandsfähigkeit zer- 
legt werden. Die gärungsfähigen Säuren werden durch Hitze, durch 
Alkalien oder durch Säuren leichter angegriffen, während die nicht mehr 
gärenden Endprodukte (Essigsäure etc.) eine grosse Festigkeit besitzen. 


Man könnte geneigt sein, aus der Thatsache, dass bei der Gärung 
aus dem Gärmaterial Spannkraft frei wird, den Schluss zu ziehen, dass 
eine gärende Verbindung gleichsam von selbst zerfalle und dass die Hefe 
dabei überflüssig sei. Diess wäre unrichtig; die lebenden Zellen müssen 
bei dem Zersetzungsgeschäft eine gewisse Kraft, mag dieselbe auch noch 
so gering sein, aufwenden, wie sich aus dem Umstande ergiebt, dass ohne 
lebende Hefenzellen die Gärung nicht beginnt, und dass sie in jedem 
Augenblick durch Tödtung der Zellen unterbrochen werden kann. 

Den Vorgang können wir uns etwa durch folgendes Beispiel deutlich 
machen. Der Stein, welcher auf einem Berge liegt, stellt eine beträcht- 
liche Summe von potentieller Energie dar, — eine Summe, die gleich ist 
der Kraft, welche erfordert wird, um ihn auf den Berg zu heben. Rollt 
er hinunter, so leistet er durch seinen Fall eine jener Kraftsumme ent- 
sprechende Arbeit. Er kommt aber nicht von selbst ins Rollen; es be- 
darf dazu eines geringen Anstosses; vielleicht genügt die Hand eines Kindes. 
Ein Quantum Zucker ist einer Menge solcher Steine zu vergleichen. Die 
Hefe muss fortwährend die Anstösse geben, um die in einer grösseren 
oder kleineren Gruppe von Zuckermolecülen angehäufte Spannkraft aus- 
zulösen. 

Diese Anstösse brauchen nur schwach zu sein. Man hat zwar gesagt, 


um den Zucker als eine relativ widerstandsfähige chemische Verbindung in 
Abb. d. I. C1.d.k. Ak.d. Wiss. XIII. Bd. II. Abth. 18 


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Alkohol und Kohlensäure zu zerlegen, bedürfe es einer sehr bedeutenden 
Kraft. Es ist allerdings wahr, dass diese Zersetzung durch die ein- 
greifendsten chemischen Mittel (Säuren, Alkalien u. s. w.) durch Hitze, 
Licht, Elektricität, auch durch mechanische Gewalt (Erschütterung) nicht 
möglich ist. Damit wird aber nicht ausgeschlossen, dass nicht ein spe- 
cifisches Mittel sie mit Leichtigkeit vollbringe. Ich möchte, um mich 
noch einmal eines Beispiels zu bedienen, ein Zuckermolecül (und über- 
haupt das Molecül einer complicirten chemischen Verbindung) einer Nuss 
vergleichen. Dieselbe widersteht einem grossen Druck, wird aber durch 
ein in die Nath eingeführtes Messer ohne Mühe geöffnet. Das Zucker- 
molecül hat gleichsam verschiedene solcher Näthe, wo es mit dem aller- 
geringsten Kraftaufwand gespalten werden kann, bei der einen in Alkohol 
und Kohlensäure, bei der anderen in zwei Milchsäuremolecüle, bei noch 
einer anderen in Mannit und Kohlensäure. 

Bei den Gärungen handelt es sich um ganz bestimmte, um specifisch 
verschiedene Eingriffe. Nehmen wir beispielsweise an, dieselben bestehen 
bloss in bestimmten Schwingungszuständen der gärungserregenden Mo- 
lecüle und ihrer Componenten, so wäre nach der verschiedenen Schwin- 
gungsdauer dieser Elemente die Zersetzung eine andere oder sie würde 
ganz unterbleiben. Wir wissen, dass durch gewisse Tonschwingungen 
fremde Körper in gleiche Schwingungen gerathen, und dass durch die- 
selben das Gleichgewicht sogar so sehr gestört werden kann, dass ein 
Zerspringen spröder Gegenstände die Folge ist. So könnten wir uns etwa 
denken, dass Schwingungen des Gärungserregers in der Prim, Sekund, Terz 
andere Atome oder Atomcomplexe im Zuckermolecül in heftigste Be- 
wegung versetzten, somit ungleiche Störungen des Gleichgewichts veran- 
lassten und beziehungsweise Alkoholgärung, Milchsäuregärung, Mannit- 
gärung bewirkten. 

Ich will hiemit nicht etwa eine bestimmte Theorie aussprechen, son- 
dern bloss die einfachste unter den Möglichkeiten anführen. Wenn wir 
bedenken, dass die verschiedenen Gärungen durch verschiedene Pilze ver- 
ursacht werden, und dass das Plasma ihrer Zellen nothwendig eine un- 


gleiche Zusammensetzung zeigt, indem die nämlichen Verbindungen in. 


ungleichen Mengenverhältnissen beisammen sind, ferner dass bei der Ueber- 


tragung der Bewegung die Anziehung und Abstossung zwischen allen vor- 


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handenen Theilchen eine entscheidende Rolle spielt, — so begreifen wir 
leicht, dass in den verschiedenen Fällen das Gleichgewicht innerhalb der 
Zuckermolecüle in ungleicher Weise gestört wird, indem das eine Mal 
diese, das andere Mal jene Atome und Atomgruppen in lebhaftere Be- 
wegung gerathen. 

Nur wenn die bestimmten Schwingungszustände des Gärungserregers auf 
das Gärmaterial einwirken, wird Kraft in der entsprechenden Weise über- 
tragen und die entsprechende Zersetzung veranlasst. Eine andere noch 
so grosse Kraft, die zur Verfügung steht, kann nicht die gleiche Arbeit 
leisten. Die grosse Menge von Spannkraft, welche bei der geistigen 
Gärung frei wird, besteht in andersartigen Schwingungszuständen und 
kann keine Zuckermolecüle zum Vergären bringen. Der Anstoss zum 
Zerfallen in Alkohol und Kohlensäure muss immer wieder von der Hefe 
ausgehen, eben weil er ein eigenartiger ist. 

Der Process der Spaltung eines Molecüls durch die Gärung besteht 
aus zwei Stadien, die namentlich auch bezüglich der Wärmetönung von 
einander verschieden sind. Zuerst wird das Gleichgewicht gestört, wofür 
eine gewisse, vorerst nicht zu ermittelnde, aber wahrscheinlich geringe 
Kraftmenge von der Hefenzelle auf das Molecül des Gärungsmaterials 
übergeht. Dann wird durch die neuen Anziehungen und Abstossungen, 
die bei der Gleichgewichtsstörung zur Geltung kommen, ein neues Gleich- 
gewicht zwischen den Theilen des Molecüls hergestellt, wobei eine be- 
trächtliche Wärmeentbindung statt hat. Die Beobachtung giebt uns nur das 
Gesammitresultat der beiden Stadien und zeigt uns, dass das zweite quan- 
titativ weit überwiegt. Insofern können wir auch, etwas weniger genau, 
- das zweite Stadium als die Ursache, das erste als die Veranlassung der 
Wärmeentbindung bezeichnen. 

Die Wärmemenge, welche das Molecül des Gärungsmaterials im 
ersten Stadium aufnimmt, ist jedenfalls gering im Verhältniss zu der- 
jenigen, welche es im zweiten abgiebt. Und wenn wir berücksichtigen, 
dass die Hefensubstanz während der Gärung ihre Spannkraft ziemlich 
unverändert behält, so möchten wir vermuthen, dass jene Wärmemenge 
auch absolut sehr gering sei. Indessen giebt uns diese Betrachtung keine 
Gewissheit. Es ist nämlich, wie ich in der Folge noch zeigen werde, 


Thatsache, dass bei dem Gärprocess Spannkraft auf die Hefenzellen über- 
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tragen wird, — und so wird es möglich, dass diese für ihre Arbeit mehr 
Kraft aufwenden, als es den Anschein hat, dass sie aber aus der gelei- 
steten Arbeit die aufgewendete Kraft wieder gewinnen und dadurch immer 
zu neuer Arbeit befähigt werden. 


Nachdem ich versucht habe, das Wesen der Gärung klar zu legen, will 
ich noch zeigen, wie befriedigend sich nach der molecularphysikalischen 
Theorie die besonderen Beziehungen, welche zwischen der Ernährung der 
Hefenzelle und der Funktion der Gärung bestehen, erklären lassen, während 
die bisherigen Gärungstheorien den Thatsachen nicht gerecht zu werden 
vermögen, und theilweise selbst mit denselben im Widerspruche stehen. 
Diese Beziehungen, welche durch meine langjährigen Versuche festgestellt 
wurden, lassen sich in folgenden Sätzen zusammenfassen. 

I. Der freie Sauerstoff, den sonst alle Pilze zu ihrem Leben bedürfen, 
kann bei vorhandener hinreichender Gärthätigkeit entbehrt werden. 

II. Die Oxydation durch freien Sauerstoff begünstigt aber ihrerseits 
die Gärthätigkeit. 

II. Die Gärthätigkeit einer Zelle befördert unter allen Umständen 
ihr eigenes Wachsthum. 

IV. Die Gärthätigkeit eines Pilzes benachtheiligt die Ernährung und 
das Wachsthum der übrigen Pilze, welche nicht für diese, sondern für 
andere Gärungen organisirt sind. 

Es würde weit über den Rahmen dieser Mittheilung hinausgehen, 
wenn ich im Einzelnen auf die Versuche eintreten wollte, welche diese 
Sätze beweisen. Uebrigens wird eine allgemeine Zusammenfassung der 
Resultate vorläufig um so eher genügen, als sie in Folge der zahlreichen 
Wiederholungen und Variationen der experimentellen Beobachtungen ziem- 
lich genau formulirt werden kann, so dass es Jedermann leicht sein wird, 
durch richtig angestellte Versuche sich zu orientiren und von der Richtig- 
keit zu überzeugen. 

I. Durch den ersten Satz wird der bisherige Streit, ob die niederen 
Pilze ohne Sauerstoff leben können oder nicht, in der Weise entschieden, 
dass sie es nur können, wenn sie Gärung von einer gewissen 
Intensität veranlassen. Zur Begründung führe ich folgende allge- 
meine Thatsachen an. 


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Die Schimmelpilze vermögen nicht, irgend welche Gärung zu erregen, 
und sie vermögen ebenfalls nicht, ohne freien Sauerstoff in irgend einer 
Nährlösung zu leben, mag dieselbe jede beliebige Zusammensetzung haben. 
Wie die Schimmelpilze verhalten sich diejenigen Sprosspilze, denen die 
Fähigkeit, Gärung zu verursachen, mangelt, mögen sie Sprosspilzformen 
irgend welcher Schimmelpilze sein oder zur Gattung Saccharomyces ge- 
hören (z. B. S. mesentericus, der Kahmpilz). 

Die übrigen Sprosspilze (Saccharomyces und Sprosspilzformen von 
Mucor-Arten) besitzen nur das Eine Gärvermögen, Zucker in Alkohol und 
Kohlensäure zu zerlegen. Uebereinstimmend damit können sie auch in 
den besten Nährlösungen, denen Zucker mangelt, nicht ohne freien Sauer- 
stoff leben!). Dagegen wachsen sie in allen sauerstofflosen Nährflüssig- 
keiten, insofern dieselben Zucker enthalten. Und zwar ist die Vermehrung 
eine ungeschwächte und somit eine unbegrenzte?), wenn Peptone in aus- 
reichender Menge die stickstoffhaltige Nahrung liefern; -— sie hört bei 
schlechterer Stickstoffnahrung früher oder später auf (die Zunnahme ist 
noch ziemlich reichlich in zuckerhaltiger, 0,5- bis 0,75 proc .Lösung von 
Liebig’schem Fleischextract, wenig reichlich in zuckerhaltigem Harn und 
in zuckerhaltigen Lösungen von Ammoniaksalzen). 

Ob es unter den Spaltpilzen ebenfalls (wie unter den Sprosspilzen) 
Formen giebt (besondere Species oder bloss Anpassungszustände), welche 
nicht gärtüchtig sind und ohne freien Sauerstoff nicht leben können, konnte 
durch Versuche, die hier besonders schwierig sind, noch nicht sicher 
festgestellt werden; — es ist aber wahrscheinlich?). Dagegen unterliegt 
keinem Zweifel, dass in allen den zahlreichen Fällen, in welchen Spalt- 
pilze bei Abschluss von Luft sich ernähren und wachsen, auch immer 
irgend eine Gärung stattfindet. 


1) Das äusserst spärliche Wachsthum, welches man zuweilen in sauerstofflosen Nährlösungen 
beobachtet, denen man Mannit zugesetzt hat, dürfte auf Rechnung einer Verunreinigung dieses Stoffes 
mit Zucker zu setzen sein. 

2) „Unbegrenzt* für den vorausgesetzten Fall, dass die schädlichen Gärprodukte entfernt 
würden. 

3) Die Darstellung Pasteur’s, dass es Spaltpilze gebe, welche nur leben und Gärwirkung aus- 
üben, wenn sie freien Sauerstoff finden (Aörobien), und solche, denen für beides Sauerstoffmangel Be- 
dingung sei, so dass sie selbst durch Zutritt von Luft getödtet werden (Anaörobien), beruht nach meinen 
Erfahrungen auf unrichtiger Beurtheilung mangelhafter Beobachtungen. 


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Begreiflicher Weise ist auch der Grad der Vermehrung der Spaltpilze, also 
der Grad der Ernährungsfähigkeit verschiedener sauerstofffreier Lösungen, 
namentlich wegen der Kleinheit der Zellen, viel schwieriger zu ermitteln 
als bei den Sprosspilzen. Dieser Grad hängt aber offenbar von zwei Um- 
ständen ab, von der Beschaffenheit der wirklichen Nährstoffe, die den 
Pilzen geboten werden, und von der Art der- Gärung, die diese bewirken. 
Unter den Nährstoffen wirken am günstigsten die Peptone!), unter den 
Gärungen die Zerlegung des Zuckers. 

Man beobachtet also, bei Ausschluss von Sauerstoff, die reichlichste 
Vermehrung der Spaltpilze, wenn zugleich Zucker und Peptone in der 
Nährflüssigkeit enthalten sind, während Zucker mit Asparagin, Harnstoff 
oder Ammoniaksalzen weniger günstig wirkt. Wird der Zucker durch 
Glycerin oder Mannit ersetzt, so findet eine weniger reichliche Ver- 
mehrung statt. 

Sind weder Zucker noch zuckerähnliche Stoffe vorhanden, so findet, 
bei Abschluss von Luft, nur dann ein ziemliches Wachsthum der Spalt- 
pilze statt, wenn die Flüssigkeit Peptone enthält; diese bieten einerseits 
die günstigsten Nährstoffe, anderseits aber ein Gärmaterial, das dem 
Zucker und den zuckerähnlichen Stoffen nachsteht. Die Ernährung der 
Spaltpilze hört gänzlich auf, wenn bei Sauerstoffmangel, sowohl zur Nahrung 
als zur Vergärung bloss Asparagin oder Harnstoff oder Ammoniaksalze 
von organischen Säuren zur Verfügung stehen. 

Diese Thatsachen dürften genügen um ein anschauliches Bild von 
den Umständen zu geben, unter denen der Genuss des Sauerstoffs für die 
niederen Pilze entbehrlich wird. Um nun die Frage zu entscheiden, durch 
welche Mittel dies geschieht, muss zunächst festgestellt werden, dass der 
Sauerstoff nicht etwa als Nährstoff für die Zellen nothwendig ist; — denn 
während die Spaltpilze in einer Peptonlösung, bei Abschluss von Luft 
wachsen, bedürfen sie in einer Lösung von weinsaurem Ammoniak des 
Zutrittes von Luft, obgleich die erstere verhältnissmässig arm, die letztere 
reich an Sauerstoff ist. Auch die Vergleichung aller anderen Fälle zeigt 


1) Die Peptone können durch Albuminate ersetzt werden; dann ist aber zu berücksichtigen, 
dass die Umwandlung in Peptone durch die ausgeschiedenen Fermente mehr oder weniger Zeit er- 
fordert und oft sehr langsam von statten geht. 


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uns deutlich, dass das Wachsthum der Pilze mit oder ohne Luft ganz 
unabhängig ist von dem grösseren oder geringeren Sauerstoffgehalt der 
Nährstoffe. $ 

Der Sauerstoff kann also nur dazu dienen, durch die bei der Oxy- 
dation (bei der Bildung von Wasser und Kohlensäure oder auch von 
complicirteren Oxydationsstufen) frei werdende Kraft die verschiedenen 
Lebensbewegungen in der Zelle zu unterhalten: nämlich die molecularen 
Schwingungsbewegungen (wohin auch die elektrischen Strömungen zu 
rechnen sind), ferner die Ortsveränderungen der Molecüle und endlich 
die Massenbewegungen. Wenn einer pflanzlichen oder thierischen Zelle 
der Sauerstoff entzogen wird, so hören, wie experimentell nachgewiesen 
ist, alle sichtbaren selbständigen Bewegungen, die sie früher zeigte, auf, 

Die Gärprocesse gleichen, wie wir gesehen haben, darin den Ver- 
brennungsprocessen, dass sie Wärme oder Spannkraft entbinden. Wir 
begreifen daher, dass unter allen Zellen nur die Hefenzellen ohne freien 
Sauerstoff leben können, weil sie die Wirkung des Sauerstoffs durch die 
Gärthätigkeit ersetzen. Aber sie vermögen diess nur, wenn aus der 
gärenden Substanz eine hinreichend grosse Menge von Spannkraft frei 
wird, wie diess bei der Gärung der Zuckerarten, des Glycerins, des Man- 
nits, der Peptone der Fall ist, während der Zerfall der gärfähigen Säuren 
(Aepfelsäure, Citronensäure, Weinsäure, Milchsäure etc.), ferner des Harn- 
stoffs, des Asparagins und anderer einfacher Stickstoffverbindungen zu 
wenig Kraft entwickelt, um die Lebensbewegungen im Gange zu erhalten. 

In einer sauerstofffreien Nährlösung dient die bei der Gärung ent- 
bundene Kraft dazu, die molecularen Bewegungen im Plasma zu unter- 
halten, und diese molecularen Bewegungen dienen ihrerseits dazu, neue 
Mengen von Gärmaterial zu zerlegen. Es ist diess eine Wechselwirkung, 
wie sie häufig auf natürlichem oder künstlichem Wege zu Stande kommt. 
Das brennende Gas einer Kerze erzeugt eine hohe Temperatur, welche 
neue Gasbildung und Verbrennung bewirkt. 

I. Die Gärthätigkeit einer Zelle wird befördert, wenn 
diese Zelle sich im Genuss des freien Sauerstoffs befindet. 
Ich habe diese Thatsache oben durch Darlegung der betreffenden Ver- 
suche bewiesen. Der Grund davon ist unschwer einzusehen. Die mole- 
cularen Bewegungen im. Plasma der Hefenzellen vermitteln einerseits die 


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Assimilation und Ernährung, anderseits die Gärthätigkeit. Die Kraft, welche 
diesen molecularen Bewegungen durch die Oxydation zugeführt wird, 
muss daher Wachsthum und Gärung gleichzeitig begünstigen. Je kräf- 
tiger eine Zelle vegetirt, um so gärtüchtiger ist sie, — ganz im Gegen- 
satz zu den Theorien von Pasteur und andern neuren Forschern, dass 
die Hefenzellen nur im krankhaften Zustande, wenn sie Mangel litten, 
Gärung bewirkten. 

Damit soll natürlich nicht gesagt werden, dass die nämlichen mole- 
cularen Bewegungen sowohl die Ernährungsfunktionen als die Gärung 
bewirken. Aber die verschiedenen, in den Molecülen des Plasmas thätigen 
Bewegungen. werden durch die nämliche Ursache unterhalten und ge- 
steigert, und sie bedingen einander auch gegenseitig. 

II. Die Gärthätigkeit einer Zelle befördert unter allen 
Umständen ihr eigenes Wachsthum. Dass diess für alle Fälle 
gilt, in welchen der Luftzutritt gehemmt ist, habe ich bereits bei I. ge- 
zeigt, wo die Ernährung überhaupt nur durch die Gärthätigkeit möglich 
gemacht wird. Schwieriger wird die Beurtheilung für die Fälle, in 
welchen die Hefenzellen sich im Genusse des Sauerstoffs befinden. Wir 
beobachten zwar ohne Ausnahme, dass mit der Gärung auch die Inten- 
sität des Wachsthums zunimmt, aber wir sind in der Regel nicht sicher, 
was wir als Ursache und was als Wirkung in Anspruch nehmen dürfen; 
es wäre ja ebensogut möglich, dass die lebhafte Gärung durch das leb- 
hafte Wachsthum bewirkt würde, als umgekehrt. 

Diese Unsicherheit des Urtheils lässt sich nie ganz beseitigen, wenn 
wir einen Hefenpilz nur mit sich selbst vergleichen. Wir beobachten, 
dass Bier- oder Weinhefe in einer Lösung von Zucker und weinsaurem 
Ammoniak sich viel stärker vermehrt als in einer Lösung von Glycerin 
und Pepton, und wir sind geneigt die erstere an und für sich als die 
schlechtere Nährflüssigkeit zu betrachten und den günstigen Erfolg der 
Gärthätigkeit zuzuschreiben, welche in der Glycerinlösung mangelt. Wenn 
aber Jemand behaupten wollte, dass der Zucker eine ungleich viel bessere 
Nahrung sei für die Alkoholhefe als das Glycerin und dass dieser Umstand 
allein die Ungleichheit im Wachsthum erkläre, so würden wir diese Be- 
hauptung zwar sehr unwahrscheinlich finden, aber wir könnten sie durch 
Versuche mit Alkoholhefe selbst nicht widerlegen. 


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Dagegen bleibt kaum ein Zweifel übrig, wenn wir mit der Alkohol- 
hefe andere nächst verwandte Pilze vergleichen. Wir sehen dann, dass 
Glycerin für alle nicht gärtüchtigen Pilze fast ein ebenso guter Nähr- 
stoff ist als Zucker, dass Sprosspilze, denen die Gärthätigkeit mangelt, 
durch Glycerin und Pepton besser ernährt werden als durch Zucker und 
weinsaures Ammoniak. Wir dürfen aber die Alkoholhefenpilze mit den 
“nicht gärtüchtigen Sprosspilzen um so eher vergleichen, als sonst beide 
in den verschiedenen Nährflüssigkeiten, denen der Zucker mangelt, voll- 
kommen gleich gut gedeihen, woraus wir schliessen können, dass die 
Ernährung in beiden sich gleich verhalte.e Wenn wir nun finden, dass 
mit dem Zusatz von Zucker die Alkoholhefenpilze immer sich ungemein 
viel rascher vermehren, so sind wir wohl berechtigt, die lebhaftere Er- 
nährung von der eingetretenen Gärthätigkeit berzuleiten. 

Ist die Thatsache richtig, so wird auch die Erklärung derselben nach 
den vorausgehenden Erörterungen leichtverständlich. Allerdings wendet 
das Plasma der Hefenzelle eine geringe Kraft auf, um das Gärmaterial 
zu zerlegen. Allein die aus dem letzteren ausgelöste Spannkraft, welche 
den molecularen Bewegungen im Plasma theilweise zu gute kommt, ist 
viel mal beträchtlicher, und die Summe der Lebenskräfte einer Zelle wird 
bedeutend erhöht, wenn dieselbe Gärthätigkeit ausübt. 

Man könnte nun vielleicht die Meinung hegen, dass die Gärung auch 
stofflich zum Wohlbefinden der Hefenzellen beitrage. Da das Gärma- 
terial nicht vollkommen in den normalen Spaltungsprodukten aufgeht 
(z. B. Traubenzucker in Alkohol und Kohlensäure), sondern zum geringen 
Theil in Nebenprodukte zerfällt (bei der geistigen Gärung in Glycerin 
Bernsteinsäure und vielleicht andere noch unbekannte Verbindungen), so 
wäre es möglich, dass unter den letzteren sich ein die Ernährung in be- 
sonderem Masse begünstigender Stoff befände. Diess ist aber durchaus 
unwahrscheinlich. Wäre es der Fall, so müsste man durch Zusatz des 
fraglichen Stoffes zu einer nicht gärenden (z. B. glycerinhaltigen) Nähr- 
flüssigkeit die nämlichen günstigen Resultate erlangen. Von einem solchen 
Stoff ist nach den zahlreichen Versuchen mit Lösungen von verschiedener 
Zusammensetzung nichts bekannt. 


Abh.d IICl.d.k. Ak.d. Wiss. XIII. Bd. II. Abth. 19 


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Die physiologischen Beziehungen zwischen Gärung und Ernährung, 
die ich bis jetzt erörtert habe, betreffen den einzelnen Pilz im Verhältniss 
zu den umgebenden Medien. Es giebt noch eine Beziehung, welche in 
sein Verhältniss zu anderen Hefenpilzen eingreift, welche also für ihn im 
Kampfe ums Dasein Bedeutung hat. 

IV. Die Gärthätigkeit eines Pilzes benachtheiligt die 
Ernährung und das Wachsthum der übrigen Pilze, welche 
nicht für diese, sondern für andere Gärungen organisirt 
sind. — Es ist gewiss die merkwürdigste unter den Beziehungen zwischen 
Gärung und physiologischer Funktion, dass die Thätigkeit einer Zelle 
nicht bloss förderlich für sie selber und ihresgleichen, sondern hemmend 
für andersartige Zellen sich erweist und dass dieser schädliche Einfluss 
nicht etwa durch Entziehung von Nährstoffen oder durch Ausscheidung 
von schädlichen Verbindungen, sondern lediglich durch das Vorhandensein 
der besonderen Gärthätigkeit bewirkt wird. Diese Beziehung war aber, 
wegen der manigfaltigen Complicationen, welche die Erscheinungen dar- 
bieten, und wegen des Widerspruchs, in welchem sie mit den allgemeinen 
Gesetzen der Concurrenz steht, am schwierigsten zu ermitteln. 

Bei den zahlreichen Versuchen mit Aussaat von verschiedenen Hefe- 
pilzen in das nämliche Glas bekam ich in der Regel Resultate, die den 
Erwartungen nicht entsprachen. Anfänglich zwar vermehren sich die 
verschiedenen Keime, jeder nach Massgabe seiner Eigenthümlichkeit 
und der ihm mehr oder weniger zusagenden äusseren Umstände. Dies 
geschieht so lange als die Pilze noch wenig zahlreich und daher in der 
Flüssigkeit derartig vertheilt sind, dass sie einander nicht beeinträchtigen 
können. Sowie sie aber so zahlreich geworden, dass sie durch Concur- 
renz auf einander wirken, so beobachtet man gewöhnlich, dass einer der- 
selben sich stark vermehrt und dass das Wachsthum der übrigen gänz- 
lich stille steht. Dies tritt um so sicherer ein, je gleichartiger die 
Nährflüssigkeit in allen ihren Theilen beschaffen ist. Sind locale Un- 
gleichheiten vorhanden, — z. B. durch Beimengung von festen Stoffen 
und gehemmte Circulation, oder durch ungehinderten Luftzutritt zu der 
Oberfläche, während die tieferen Flüssigkeitsschichten wenig oder keinen 
Sauerstoff erhalten, — so können zwei verschiedene Pilzvegetationen jede 
an ihrem Orte die Oberhand gewinnen und alle anderen Pilze verdrängen. 


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Diese Erscheinung könnte nach den Gesetzen der Concurrenz nur 
dann erklärt werden, wenn der überhandnehmende Pilz durch Ausschei- 
dung eines schädlichen Stoffes die Ernährung der übrigen verhindern 
würde. Da diese Annahme, wie ich nachher zeigen werde, unmöglich 
war, so blieb mir die Lösung des Räthsels lange Zeit zweifelhaft. Sie 
wurde erst gefunden, als besondere Versuche angestellt wurden, um eine 
praktische Erfahrung der Bierbrauerei wissenschaftlich zu begründen. 

Die Hefe der Bierbrauer ist fast rein von Spaltpilzen; sie kann bei 
jarelangem Betrieb, während welchem eine grosse Menge von neuen 
Zellengenerationen gebildet werden, diese Reinheit behalten. Dies ist eine 
sehr merkwürdige Erfahrung, da die Vermehrung in einer neutralen Nähr- 
lösung erfolgt. Wenn man nämlich in eine neutrale zuckerhaltige Lösung 
(auch in Bierwürze) eine Spur von Bierhefe aussäet und die Spaltpilze, 
welche in dem Wasser oder in der Hefe enthalten sind oder aus der Luft 
hereinfallen, nicht vollständig ausschliesst, so erhält man zuletzt meistens 
eine überwuchernde Spaltpilzvegetation. Dies tritt noch viel sicherer ein, 
wenn man von Anfang an nicht nur Bierhefenpilze, sondern auch Milch- 
säurepilze zur Aussaat benützt. Dadurch wird bewiesen, dass die Spalt- 
pilze in neutralen Flüssigkeiten besser gedeihen als die Sprosspilze, 
wobei ich bemerke, dass das entgegengesetzte Resultat erfolgt, wenn die 
zuckerhaltige Flüssigkeit eine gewisse Menge von organischen oder unor- 
ganischen Säuren enthält, indem dann immer die Spaltpilze durch die 
Sprosspilze verdrängt werden. 

Da die chemische Beschaffenheit der Bierwürze nicht die Ursache 
sein kann, warum die Spaltpilze beim Brauereibetrieb sich nicht ver- 
mehren, so lag die Vermuthung nahe, dass einer der begleitenden Um- 
stände entscheidend sei, vor allem die niedere Temperatur, bei welcher 
man die Bierwürze gären lässt, oder ein gewisser Gehalt von Alkohol, 
welcher bald erreicht wird, da man die Gärung mit einer gewissen Menge 
von Hefe ansetzt, oder die Sättigung mit Kohlensäure, welche aus dem 
gleichen Grunde bald eintritt, oder die Zugabe von Hopfenbitter, oder 
eine Combination der genannten Factoren. 

Diese Vermuthung bestätigte sich in keiner Weise. Wurden Spross- 
und Spaltpilze, beide in Spuren, zugleich in neutrale zuckerhaltige Flüssig- 


keiten (auch in Bierwürze) ausgesäet, so gewannen die Spaltpilze nach 
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einiger Zeit vollständig die Oberhand, mochten die Umstände so oder 
anderns beschaffen sein, — bei jeder beliebigen niederen Temperatur, 
auch bei 0°, bei jedem beliebigen die Vegetation nicht unterdrückenden 
Zusatz von Alkohol oder Hopfenbitter, bei vollständiger Sättigung mit 
Kohlensäure, auch bei Vereinigung mehrerer oder aller dieser Umstände. 

Da sich aber bei anderweitigen Versuchen gezeigt hatte, dass, wenn 
einmal die geistige Gärung ordentlich in Gang gekommen ist, dieselbe 
andauert und die sie bewirkende Sprosshefe allein sich vermehrt, so 
wurden Versuche in der Art angestellt, dass zur Aussaat eine grössere 
Menge von Bierhefe und nur Spuren von Spaltpilzen dienten. Der Er- 
folg war ganz überraschend. Mag die zuckerhaltige Nährflüssigkeit und 
die Temperatur wie immer beschaffen sein, so kann man durch Aussaat 
einer hinreichenden Quantität von Sprosshefe den gewünschten 
Zweck erreichen, dass nur diese sich vermehrt und die in geringer Menge 
vorhandenen Spaltpilze gar nicht wachsen. 

Bei der Concurrenz der Hefenpilze ist also die verhältnissmässige 
Zahl der Concurrenten von Bedeutung, und es muss die gegenseitige Ver- 
drängung durch andere Mittel erfolgen als bei allen übrigen Gewächsen. 
Bei den letzteren ist die Zahl, mit der jede Art in den Kampf ums 
Dasein eintritt, gleichgültig für das endliche Resultat, mag dasselbe in 
einer partiellen gegenseitigen Verdrängung und Herbeiführung eines Be- 
harrungszustandes, in welchem jede Art mit einem bestimmten durch- 
schrittlichen Prozentsatz vertreten ist, oder in der totalen Verdrängung 
einzelner Arten bestehen. Ist eine Art einmal in allzugrosser, eine an- 
dere in allzugeringer Menge vorhanden, so ist die Folge davon keine 
andere, als dass in der nächsten Zeit die erstere eine Abnahme, die 
letztere eine Zunahme erfährt. 

Suchen wir nun nach einer Erklärung für den regelwidrigen Ver- 
lauf der Concurrenz bei den Hefenpilzen, so bietet sich zunächst die An- 
nahme dar, dass die Ausscheidungs- und Gärungsprodukte der einen dem 
Leben der anderen hinderlich seien. Wir würden dann sogleich begreifen, 
dass eine grosse Zahl von Sprosspilzen, weil sie die Nährflüssigkeit mit einer 
verhältnissmässig grossen Menge von solchen Produkten verunreinigt, die 
Spaltpilzvegetion ganz unmöglich macht. Eine solche Annahme ist aber 
unstatthaft. Die Sprosspilze scheiden keine Stoffe aus, die anderen Pilzen 


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schädlich sind, sondern nur Stoffe, die eine vortreffliche Nahrung für 
dieselben bilden. Das Hefenwasser, wenn dasselbe die Ausscheidungspro- 
dukte der Bierhefe in hinreichender Menge enthält, gehört selbst zu den 
besten Nährflüssigkeiten für Spaltpilzvegetationen. Auch die Produkte 
der geistigen Gärung verhindern die Spaltpilze nicht zu wachsen. Wenn 
man die Sprosshefe einer gärenden Flüssigkeit in irgend einem Stadium 
durch Erhitzen tödtet und dann Spuren von Spross- und Spaltpilzen 
darin aussäet, so sind die letzteren immer die stärkeren. 


Der Grund, warum die Aussaat einer grösseren Menge von Spross- 
hefe für sie selber von Nutzen ist bei der Concurrenz mit den Spaltpilzen, 
liegt also nicht in irgend einer substanziellen Veränderung der Nähr- 
flüssigkeit. Er besteht nur in dem Vorhandensein einer bestimmten 
Gärungsbewegung. Dies ist auch deutlich aus den beobachteten That- 
sachen nachzuweisen. Wird in eine zuckerfreie neutrale Nährlösung eine 
grosse Menge Bierhefenzellen und nur eine Spur von Spaltpilzen gegeben, 
so vermehren sich die ersteren, welche keine Gärung erregen können, 
langsam, die letzteren dagegen sehr rasch, so dass sie die ersteren bald 
überwuchern. Das Nämliche ist ferner der Fall, wenn in einer zucker- 
haltigen neutralen Nährlösung sich zahlreiche Sprosshefezellen, die aber 
ihrer Natur nach nicht Gärung zu bewirken vermögen, mit sehr wenig 
Spaltpilzen befinden. Bringt man endlich zahlreiche Bierhefenzellen mit 
einer Spur von Spaltpilzen in eine neutrale Flüssigkeit, weiche mehr 
oder weniger Zucker enthält, so vermehren sich die ersteren allein, so 
lange die Gärung dauert; sowie dieselbe aber in Folge von Zuckermangel 
träge wird und aufhört, fangen die Spaltpilze an sich stark zu vermehren, 
indess das Wachsthum der Sprosspilze stille steht. 

Die grössere Zahl ist also für die gärtüchtigen Sprosspilze bei der 
Concurrenz mit den Spaltpilzen nicht an und für sich vortheilhaft, son- 
dern nur wenn zugleich ein dieser Zahl entsprechender Grad von Gär- 
ungsintensität eintritt. Desswegen kommt es, wenn in einer zuckerhal- 
tigen neutralen Nährlösung die Sprosspilze allein sich vermehren sollen, 
nicht auf das numerische Verhältniss der die Bierhefe verunreinigenden 
Spaltpilze an, sondern auf die Quantität der im Verhältniss zur Flüssig- 
keitsmenge zugesetzten Bierhefe. Um den angegebenen Zweck zu er- 


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reichen, muss die Gärflüssigkeit mit soviel Hefe angesetzt werden, dass 
sie möglichst bald in ordentliche Gärung geräth'). 

Nach Feststellung der Thatsache ist nun die Frage, wie dieselbe 
erklärt werden könne. Wie ist es denkbar, dass eine Zelle lediglich 
dadurch, dass sie moleculare (physikalische und chemische) Bewegungen 
verursacht, die Ernährung einer andern Zelle beeinträchtigt? Eine be- 
friedigende Antwort lässt sich, wie ich glaube, nur mit Hülfe der An- 
nahme erlangen, welche ich früher wahrscheinlich zu machen suchte, dass 
die Gärungsbewegung nicht bloss innerhalb der Zelle, sondern auch in 
einer dieselbe umgebenden Flüssigkeitssphäre stattfindet. 

Die molecularen Schwingungen im Plasma der Sprosshefezellen werden 
auf die Zellflüssigkeit und von dieser durch Fortpflanzung der Bewegung 
auf die ausserhalb der Zellen befindliche Lösung übertragen. Liegt eine 
Hefenzelle isolirt in der Flüssigkeit, so werden die Gärungsschwingungen 
in einer bestimmten Entfernung unmerkbar gering. Wenn aber zahl- 
reiche Hefenzellen durch eine Zuckerlösung vertheilt sind, so gerathen 
bald alle Zuckermolecüle in analoge Schwingungszustände, die jedoch 
nur in der nächsten Umgebung jeder Zelle stark genug sind, um eine 
Spaltung zu bewirken. 

Die ungleichen molecularen Schwingungen im Plasma der verschie- 
denen Hefenarten bedingen, wie ich früher erörtert habe, ungleiche 
Schwingungszustände in den Zuckermolecülen, welche in eigenartigen Stör- 
ungen des Gleichgewichtes bestehen und daher zu eigenartigen Spaltungen 
(Alkoholgärung, Milchsäuregärung, Mannitgärung) führen. Wenn nun in 


1) Daraus leitet sich die praktische Regel ab, um aus einer mit Spaltpilzen verunreinigten 
Bierhefe eine reine Hefe zu erziehen. Man bringt in eine gekochte zuckerhaltige Nährlösung gerade 
so viel Bierhefe, dass die Gärung sofort beginnt. Ehe diese beendigt ist, wird ein Theil der erzogenen 
Hefe in neue Nährlösung gebracht unter Beobachtung der gleichen Vorsichtmassregeln, und das Ver- 
fahren je nach dem Erfolg noch ein oder mehrere Male wiederholt. Da die Sprosspilze allein sich 
vermehren, so nimmt die verhältnissmässige Zahl der Spaltpilze mit jeder Kultur ab, und man er- 
hält zuletzt eine beinahe ganz reine Sprosshefe. Es ist sicherer und förderlicher, wenn man die Nähr- 
lösungen etwas sauer macht. 

Von dem Masse, in welchem die Reinheit der Sprosshefe zunimmt, 9kann man sich aus dem 
Umstande eine Vorstellung bilden, dass das Verfahren eine 5 bis 8fache Vermehrung in jeder Nähr- 
lösung gestattet. Bei gelungener Kultur nimmt die Prozentzahl der Spaltpilze nahezu in dem näm- 
lichen Verhältniss ab. 


145 


einem gegebenen Moment zahlreiche Sprosspilze und wenig zahlreiche 
Spaltpilze in einer Zuckerlösung vertheilt sind, so wird diese in die eigen- 
artigen Schwingungszustände der Alkoholgärung versetzt. Die wenig 
zahlreichen und isolirten Spaltpilze vermögen dagegen nicht aufzukommen, 
sie vermögen auch den nächst liegenden Zuckermolecülen nicht die der 
Milchsäuregärung oder Mannitgärung entsprechenden Schwingungszustände 
mitzutheilen. Es müssen im Gegentheil die durch die ganze Flüssigkeit 
verbreiteten, der Alkoholgärung zukommenden Bewegungen bis in die 
Spaltpilzzellen hinein ihre Wirkung äussern und hier die normalen Be- 
wegungszustände im Plasma beeinträchtigen. Denn da die Schwingungen 
im Plasma solche in der Flüssigkeit hervorgerufen, so müssen auch 
Schwingungen in der Flüssigkeit, die durch fremde Ursachen bedingt 
sind, diejenigen im Plasma verändern, — und da jede Hefenart eigen- 
thümliche Bewegungszustände auf die Flüssigkeit überträgt, so muss sie 
durch andersartige Bewegungszustände der Flüssigkeit abnormal, also 
krankhaft berührt werden. Wir begreifen daher, dass eine reiche Aus- 
saat und Vegetation von Sprosshefe die spärlich vorhandenen Spaltpilze 
am Wachsthum und an der Vermehrung hindert und somit unterdrückt. 

Es würde nun ein sehr grosses Interesse gewähren, wenn wir wüssten, 
wie gross die Wirkungssphäre einer Sprosshefenzelle angenommen werden 
kann. Die einzige Thatsache, die einigen und zwar nur dürftigen Auf- 
schluss darüber giebt, ist die Hefenmenge, welche man anwenden muss, 
um das Wachsthum der Spaltpilze unmöglich zu machen. Dieselbe be- 
trägt für 1 Lit. Nährlösung etwa 1,7 gr. Trockensubstanz oder 10 ccm. 
dicke und feste Hefenmasse, die bloss aus Zellen ohne anhängendes 
Wasser besteht. Wenn sich diese Hefe gleichmässig in der Nährflüssig- 
keit vertheilte, so käme auf eine Zelle das Hundertfache ihres Volumens 
Wasser und der Radius der Wirkungssphäre') würde nicht mehr als das 
2,3fache des Zellendurchmessers (das 4,6 fache des Zellenradius) betragen. 
Nun ist aber die Hefe weit davon entfernt, sich gleichmässig in der 
Flüssigkeit zu vertheilen. Ein ziemlicher Theil derselben befindet sich 
jeweilen auf dem Grunde, unter Umständen auch an der Oberfläche; die 


1) Radius der Wirkungssphäre gleich dem Abstand von dem Mittelpunkt der Zelle bis zum 
Umfang der Wirkungssphäre. 


146 


übrige Hefe ist in auf und absteigender Bewegung begriffen. Wir können 
somit annehmen, dass auf eine Zelle das Zwei- bis Fünfhundertfache ihres 
Volumens Wasser treffe, sodass dieselbe auf eine Entfernung wirken muss, 
die das Drei- und Vierfache ihres Durchmessers beträgt. Der Radius der 
Wirkungssphäre bei der Verdrängung der Spaltpilze wäre somit wenigstens 
auf 0,03 bis 0,04 mm. (Zellendurchmesser = 0,01 mm.), somit die Distanz 
von der Zellenoberfläche, wo die Wirkung noch bemerkbar ist, auf 0,025 
bis 0,035 mm. zu veranschlagen. 

Ich habe oben (8.112) aus anderen Thatsachen geschlossen, dass die 
Sprosshefenzelle auf eine Entfernung von 0,02 bis 0,05 mm. Zucker ver- 
gären könne. Die Bestimmung der beiden Wirkungssphären (Gärungs- 
und Verdrängungssphäre) führt daher ziemlich genau zu dem nämlichen 
Ergebniss. 


Da die Gärthätigkeit einer Zelle, wie ich gezeigt habe, auf fremde 
Zellen gleichsam giftig wirkt, so ist es nicht ohne Interesse, die Wirkung 
der Gifte auf lebende Zellen damit zu vergleichen. Ich will vorzugs- 
weise nur von dem Einfluss derselben auf die Gärungspilze sprechen, um 
nicht möglicher Weise Fremdartiges in die Vergleichung aufzunehmen. 

Die Gifte wirken ungleich, viele dadurch, dass sie eine chemische 
Veränderung in dem lebenden Plasma verursachen, wie dies beispiels- 
weise mit dem Chlor und dem Cyan der Fall ist, oder dass sie die lös- 
lichen Albuminate fällen, wie dies die Salze von Kupfer, Blei, Silber, 
Quecksilber und einige Säuren thun. 

Die übrigen Gifte, welche keine chemische Umsetzung zur Folge 
haben, können bloss als Contactsubstanzen Einfluss ausüben. Ihre Wir- 
kungsweise kann wieder verschieden sein, jenachdem mehr die Anziehung, 
welche von dem Giftmolecül und dessen Atomgruppen auf die Verbin- 
dungen des lebenden Plasma geltend gemacht wird, oder die Bewegungs- 
zustände, welche übertragen werden, entscheidend sind. 

Beispiele für das Vorwiegen der Anziehung bei der Contactwirkung 
finden wir in den Säuren. Alle Säuren verlangsamen schon in verhält- 
nissmässig geringen Mengen die Ernährung und die Gärthätigkeit; es 


147 


thun dies auch diejenigen Säuren, welche selber zur Ernährung dienen, 
wie die organischen, die Phosphor- und Schwefelsäure. Dass dieselben 
chemische Verbindungen eingehen, ist nicht wohl denkbar, weil mit der 
Abstufung der Concentration die Verzögerung des Lebensprocesses in allen 
Verhältnissen abgestuft werden kann. Da ferner die verschiedenen Säuren 
bei ganz ungleicher Zusammensetzung (man vergleiche Salzsäure, Schwefel- 
säure, Citronensäure) die nämliche Wirkung äussern, so können wir das 
Uebereinstimmende nicht in den Schwingungszuständen einer bestimmten 
Atomgruppe, sondern nur in dem chemischen Charakter der Säure finden. 
Die Annahme liegt nahe, dass das Säureradikal eine vorwiegende An- 
ziehung auf die Amidgruppen in den Albuminaten und Peptonen ausübe 
und dadurch das lebende Plasma in seiner normalen Bewegung störe. 
Diess ist um so wahrscheinlicher, als im Allgemeinen der schädliche Ein- 
fluss mit der Stärke der Säure zunimmt. 

Beispiele für giftige Contactwirkung, ohne dass eine vorwiegende 
chemische Anziehung im Spiele ist, bieten uns der Schwefelkohlenstoff, 
das Chloroform, die ätherischen Oele, einige Alkohole. Hier können es 
nur Bewegungszustände der Atome und Atomgruppen sein, welche einen 
nachtheiligen Einfluss auf die Plasmamolecüle haben. 

Es gibt auch giftige Substanzen, in denen die beiden Wirkungsarten 
des Contactes vereinigt sind. So verdankt die Ameisensäure ihre giftigen 
Eigenschaften nicht bloss der Anziehung, welche das Säureradikal ausübt, 
sondern zugleich noch besonderen Bewegungszuständen; denn geringe 
Mengen derselben vollbringen die nämlichen Störungen wie viel grössere 
Mengen anderer starker Säuren. — Ferner wirken wahrscheinlich ver- 
schiedene Verbindungen, die bei stärkerer Concentration eine chemische 
Veränderung im Plasma verursachen, in schwacher Lösung bloss durch 
Contact, so die Karbolsäure, die schweflige Säure, die Gerbstoffe, die 
giftigen Salze;!) — und zwar wäre bei den einen die molecularphysikali- 


1) Der Chemiker wird geneigt sein, die Wirkung dieser Gifte immer durch das Zustandekommen 
eines chemischen Prozesses zu erklären. Es ist aber zu berücksichtigen, dass in manchen Fällen das 
Wasser eine gewisse, wenn auch geringe Menge löst, ehe die chemische Wirkung eintritt. So werden 
Stärkekörner durch Jod erst blau gefärbt, wenn ein bestimmter Grad der Lösung überschritten wird. 
In gleicher Weise verhalten sich wohl auch viele Gifte zu den lebenden Zellen; die ersten Mengen 
verursachen noch nicht eine chemische Veränderung, aber sie stören die normalen Bewegungen. Diess 


Abh.d.II. Cl.d.k. Ak.d. Wiss. XIII. Bd. II. Abth. 20 


148 


sche Bewegung, bei den andern die chemische Anziehung entscheidend. 
Während Carbolsäure, Salicylsäure, die Gerbstoffe durch die Bewegungs- 
zustände besonderer Atomgruppen, die giftigen Salze durch die Beweg- 
ungszustände des Kupferoxyds, des Bleioxyds u. s. w. wirksam sein mögen, 
müssen wir bei der schwefligen Säure wohl vorzüglich an die Anziehung 
denken, welche die freien Werthigkeiten derselben auf den Sauerstoff der 
organischen Verbindungen ausüben, ohne denselben wirklich frei machen 
und sich aneignen zu können. 

Ueber die Wirksamkeit einzelner Gifte sind verschiedene Theorieen 
aufgestellt worden, wobei man, wie ich glaube, den Fehler gemacht hat, 
Erscheinungen, die erst nachträglich eintreten, als die unmittelbaren 
Folgen der giftigen Einwirkung zu betrachten. So hat man von der 
Schwefelsäure, dem Alkohol und anderen Substanzen behauptet, dass sie 
durch Wasserentziehung wirken. Auch die schweflige Säure soll diess 
thun, weil Pflanzenblätter in einer Atmosphäre mit geringen Mengen 
von schwefliger Säure vertrocknen. Es ist nun sicher, dass das Schweflig- 
säureanhydrid der Pflanzensubstanz nicht bloss Sauerstoff sondern auch 
Wasser entzieht. Allein dieses Gift verursacht in so geringen Mengen 
das Verderben der Pflanzen, dass die entsprechende minimale Wasser- 
menge keine Schuld an dem Vertrocknen der Blätter haben kann, welche 
in warmer trockner Luft viel mehr Wasser durch Verdunsten ohne Nach- 
theil verlieren. Uebrigens übt die schweflige Säure in den nämlichen 
geringen Quantitäten auf die im Wasser lebenden Pflanzen, wo die Wasser- 
entziehung ohne Bedeutung ist, einen eben so schädlichen Einfluss aus. 

Dass dieses Gift durch Contact wirkt, geht, wie ich glaube, mit 
grosser Wahrscheinlichkeit aus dem Verhalten der damit behandelten 
Hefenzellen hervor. Schweflige Säure in solcher Menge dem rothen 
Weinmost zugesetzt, dass sie denselben eben zu entfärben vermag, ver- 
hindert die Entwicklung der Hefenkeime, tödtet dieselben aber nicht. 
Man kann somit nicht wohl annehmen, dass sie eine Zersetzung ver- 
ursache, sondern bloss, dass sie durch ihre Anwesenheit einen schädlichen 


ist um so wahrscheinlicher, als geringe Mengen der Gifte den Lebensprocess nur verlangsamen oder 


in zeitweisen Stillstand versetzen, ohne ihn zu vernichten oder auch nur auf die Dauer zu beein- 
trächtigen. 


149 


Einfluss auf das lebende Plasma und dessen normale Bewegungen aus- 
übe. Sowie man nach kürzerer oder längerer Zeit Sauerstoff zu dem 
geschwefelten Weinmost zutreten lässt, so geht die schweflige Säure in 
Schwefelsäure über, der rothe Farbstoff wird wieder hergestellt, und bald 
beginnt auch, indem die Hefenkeime sich entwickeln und vermehren, 
Alkoholgärung. In gleicher Weise muss die schweflige Säure, die in der 
Nähe von Fabrikgebäuden in der Atmosphäre enthalten ist, auf die 
Blätter der höheren Pflanzen einwirken. Sie unterdrückt die Lebens- 
thätigkeit des Plasmas und das Vertrocknen ist eine secundäre Erschein- 
ung, welche immer eintritt, wenn in dem Gewebe der Blätter durch 
irgend eine schädliche Ursache die normalen Processe gestört werden. 

Da ein gärthätiger Pilz lediglich durch die molecularen Schwing- 
ungen, welche er in der Nährflüssigkeit veranlasst, das Leben anderer 
Pilze verhindert und da offenbar manche Gifte dasselbe thun, so lag der 
Gedanke nahe, man könnte vielleicht durch mechanische Erschütterung 
auf die Lebensthätigkeit der niederen Pilze einwirken, wie ja auch Er- 
schütterungen sehr auffällige Reactionen an reizbaren höheren Pflanzen 
hervorbringen. Diese Einwirkung wäre dann, nach Analogie der im 
Vorhergehenden besprochenen Thatsachen, im Allgemeinen eine nach- 
theilige, im besonderen Falle eine günstige. Ich habe aber früher diesen 
Gedanken wieder aufgegeben, weil es mir schien, dass die Bewegungen, 
die bei Versuchen auf mechanischem Wege in einer Flüssigkeit sich er- 
zeugen lassen, im Verhältniss zu den molecularen Bewegungen allzu lang- 
sam seien, um eine bemerkbare Störung zu veranlassen. Ich ging dabei 
von der Thatsache aus, dass in reissenden Gebirgsbächen und namentlich 
unter Wasserfällen eine Algenvegetation gedeiht. 

Nun ist aber in neuester Zeit die schädliche Wirkung der Er- 
schütterung von Nährflüssigkeiten behauptet und als experimentell er- 
'weisbar dargestellt worden. Es besteht selbst schon ein Prioritätsstreit 
über das Verdienst der Entdeckung zwischen Alexis Horvath und 
Paul Bert. Ersterer berichtet über seine Versuche in Pflüger’s Archiv 
(Bd. 17. S. 125. 1878) und geht dabei von den vermeintlichen Thatsachen 
aus, dass die Spaltpilze in den grösseren Arterien der Thiere sich nicht 
vermehren und dass einmal in einem strömenden Bache weder Thiere 
noch Pflanzen bemerkt wurden. Was die erstere Behauptung betrifft, so 

20* 


150 


habe ich sie schon früher auf ihre wirkliche Bedeutung zurückgeführt. !) 
Was aber den strömenden Bach betrifft, so wurde vielleicht die Vege- 
tation der mikroskopischen Gewächse darin übersehen. Wenigstens ist es 
Thatsache, dass in den reissenden Bächen der Alpen, in denen der Laie 
keine Pflanzen und Thiere sieht, von dem Botaniker auf den Steinen ein 
äusserst dünner Ueberzug von Algen vorzüglich aus der Gruppe der 
Nostochinen (Chroococcaceen etc.) gefunden wird. Der Mangel an grös- 
seren, dem blossen Auge sichtbaren, fadenförmigen Algen erklärt sich 
einfach aus dem Umstande, dass dieselben gegenüber der mechanischen 
Gewalt des strömenden Wassers sich nicht festzuhalten vermögen. 


Zu den Versuchen, welche Horvath im Laboratorium des Herrn 
Claude Bernard in Paris auszuführen Gelegenheit fand, dienten 20cm. 
lange, bis 2 cm. weite, an beiden Enden abgerundet-zugeschmolzene Glas- 
röhren, die zur Hälfte mit der Nährflüssigkeit, zur Hälfte mit Luft ge- 
füllt waren. „Die Röhren wurden durch einen Wassermotor geschüttelt, 
der ein Brett, auf welchem die Röhren horizontal befestigt waren, in 
horizontaler Richtung in eine 25 cm. umfassende Bewegung (100 bis 110 
Mal in der Minute) versetzte. Nach jeder Bewegung empfing das Brett 
durch eine besondere Einrichtung noch einen Extrastoss, was die Flüssig- 
keit noch heftiger schüttelte.“ 


Als Resultat wird angegeben, dass zwei geschüttelte Röhren nach 
24 Stunden noch klar geblieben waren und keine Vermehrung der Spalt- 
pilze zeigten, während zwei andere unter den gleichen Bedingungen, aber 
ın der Ruhe gehaltene Röhren sich trübten. Auch die ersteren zwei 
Röhren zeigten, nachdem sie während weiteren 28 Stunden ruhig gehalten 
wurden, Trübung und Vermehrung der Spaltpilze. Andere Röhren da- 
gegen, die sich 48 Stunden lang auf dem Schüttelapparat befanden, blieben 
nachher auch in der Ruhe klar und ohne Zunahme der Spaltpilze. Da- 
raus wird geschlossen, dass durch eine continuirliche Bewegung von 24 
Stunden die Vermehrung dieser Pilze verhindert und durch eine Beweg- 
ung .von 48 Stunden ihre Fähigkeit der Vermehrung aufgehoben werde. 


1) Die niederen Pilze in ihren Beziehungen zu den Infectionskrankheiten und der Gesundheits- 
pflege S. 124 (1877). 


151 


Diese Versuche sind geeignet, das Interesse der Physiologen in hohem 
Grade in Anspruch zu nehmen, und ich würde sie namentlich auch als 
Bestätigung für die molecularphysikalische Gärungstheorie und für die 
oben ausgesprochene Meinung betreffend die Wirkungsweise mancher 
Gifte begrüssen, wenn nicht einige kritische Bedenken gegen die Richtig- 
keit der Schlussfolgerungen sich mir aufdrängten. 

Das eine ‘Bedenken betrifft die Wirksamkeit der angewendeten 
Schüttelbewegung. Es ist klar, dass dieselbe von dem Grade der Er- 
schütterung abhängt, welcher seinerseits bedingt wird durch die Ge- 
schwindigkeit, mit welcher man die Flüssigkeit gegen die Glaswand 
schleudert. Wir vermissen darüber eine bestimmte Angabe, da aus den 
wenigen oben wörtlich angeführten Sätzen nur vermittelst willkürlicher 
Annahme eine Schätzung möglich ist. Befand sich das Brett in einer 
continuirlichen und gleichmässigen hin- und hergehenden Bewegung, 
machte es in dieser Art 100 bis 110 Excursionen von 25cm. in die 
Minute, waren die Röhren überdem in der günstigsten Stellung (die 
Längendimension parallel der Bewegungsrichtung), so legte die Flüssig- 
keit in 0,6 bis 0,55 Secunden einen Weg von 30 cm. (25 cm. Excursion 
des Brettes und 5 cm. halbe Länge der halbgefüllten Röhre) zurück, was 
in der Secunde eine Geschwindigkeit von 50 bis 54cm. ergiebt. Die 
Bewegung war aber wahrscheinlich keine gleichmässige, sondern eine 
stossweise mit zwischenliesenden Pausen, so dass die Geschwindigkeit 
wohl das Doppelte (100 cm.) betrug. Wäre aber die Stellung der Röhren 
eine andere als die vorhin angenommene, so würde die Bewegung der 
Flüssigkeit erheblich langsamer. Der seitliche Extrastoss. kann die Ge- 
schwindiskeit nur in unbedeutendem Masse durch Vergrösserung der 
Weglänge vermehrt haben, wenn er überhaupt eine Wirkung hatte. 
Schwerlich hat also die Geschwindigkeit, mit der die Flüssigkeit in den 
Röhren hin und her geschleudert wurde, viel mehr als 1 Meter in der 
Secunde betragen; ich will sie aber, um keinen Fehler zu begehen, zu 
2 m. annehmen. 

Vergleichen wir nun damit die Erschütterungen unter Wasserfällen, 
so müssen dieselben eben so gross sein, wo die Wassermasse bloss !/ı m. 
‚hoch fällt, weil sie mit der nämlichen Geschwindigkeit auf die Steine 
stösst, wie die Nährflüssigkeit auf dem Schüttelapparate von Horvath an 


152 


die Glaswandung. Wasserfälle von 5 bis 20 m. Höhe, die in den Alpen 
so häufig sind, prallen mit einer 5 bis 10 mal grösseren Geschwindigkeit 
auf, von den höheren Fällen gar nicht zu sprechen, wo die Geschwindig- 
keit den 20 bis 40 fachen Werth erreichen kann. Die Erschütterung 
verursacht die Töne, welche man bei grösseren Wasserfällen neben dem 
Geräusch wahrnimmt und welche, wie Heim gezeigt hat, bestimmte 
Accorde bilden. Ich halte es überhaupt für unmöglich, auf künstlichem 
Wege Wasserpflanzen in so heftige Erschütterung zu versetzen, wie sie 
die unter den Wasserfällen vegetirenden Algen zeitlebens erfahren. 

Es ist also sicher, dass es Algen giebt, welche im natürlichen Zu- 
stande ohne Nachtheil für ihre Ernährung und Fortpflanzung viel stär- 
kere Erschütterungen aushalten, als sie bei den Schüttelungsversuchen 
von Horvath erzeugt wurden. Daraus würde allerdings die Wahr- 
scheinlichkeit sich ergeben, dass die Unterbrechung und Vernichtung der 
Lebensthätigkeit, welche bei diesen Versuchen beobachtet wurden, nicht 
auf Rechnung der Bewegung zu setzen wären. Denn es lässt sich nicht 
wohl annehmen, dass die Spaltpilze, welche in jeder Beziehung als die 
widerstandsfähigsten Organismen sich erweisen und zugleich auch die 
kleinsten bekannten Zellen darstellen, gegen Erschütterung sich so viel 
empfindlicher verhalten sollten, als die ihnen in manchen Beziehungen 
nahe verwandten Nostochinen. — Ich könnte, ausser den unter Wasser- 
fällen wachsenden mikroskopischen Algen, als weitere Analogie noch an 
die grösseren auf Klippen wachsenden Meeralgen erinnern, welche bei 
anhaltendem Sturm durch die Brandung wohl in nicht geringere Beweg- 
ung gerathen als die Pilze in den Schüttelröhren, sowie an die Zweige 
und Blätter von Bäumen, welche bei dauerndem heftigem Wind gewiss 
noch heftiger erschüttert werden. 

Die Frage wäre somit, ob die Resultate der Horvath’schen Versuche 
nicht einer andern Ursache zugeschrieben werden können als der mecha- 
nischen Erschütterung. Dies ist mir allerdings nach meinen Erfahrungen 
über Spaltpilzkulturen nicht unwahrscheinlich. In dieser Beziehung sind 
zwei Momente ins Auge zu fassen, die Temperatur und die Zusammen- 
setzung der Nährlösung. 

Was die Temperatur betrifft, so schwankte sie bei dem ersten 
24 stündigen Versuch von Horvath zwischen 24° und 36°C., bei dem 


153 


zweiten 48 stündigen zwischen 30° und 36°C. Es ist dies im Allge- 
meinen die günstigste Temperatur für Spaltpilzkulturen. Der Wärme- 
grad, bei welchem das Wachsthum aufhört, liegt übrigens sehr ungleich 
hoch, je nach der chemischen Zusammensetzung der Nährlösung, meistens 
nur wenig höher als der günstigste Temperaturgrad. Es giebt manche 
Nährlösungen, welche nur eine geringe Erhöhung über 36°C. gestatten, 
ohne dass die Vermehrung der Spaltpilze stille steht, und auch solche, 
die man nicht einmal auf 36° erwärmen darf, ohne die Vermehrung zu 
hemmen. Bei den Horvath’schen Versuchen war die Temperatur für die 
angewendete Nährlösung zwar günstig, wie die Controlversuche mit den 
in Ruhe gehaltenen Röhren zeigen. Allein in den geschüttelten Röhren 
muss durch die mechanische Bewegung eine entsprechende Erhöhung der 
Temperatur eingetreten sein, indem ja schon Mayer 1842 zeigte, dass 
durch Schütteln das Wasser in einer Flasche von 12 auf 13° stieg. 

Es ist nun allerdings unbekannt, um wie viel die Wärme in den 
genannten Versuchen gestiegen, und fraglich, ob daraus der erhaltene 
Effect erklärt werden kann. Letzteres dürfte um so eher als möglich 
erscheinen, da die Ungleichheit im Effect zwischen dem 24 und 48 stün- 
digen Schütteln schwerlich allein die Folge der ungleichen Zeitdauer ist. 
Anders würde es sich verhalten, wenn die Temperatur schädlich wirkte, 
weil dieselbe beim 24 stündigen Versuch zwischen 24° und 36° schwankte, 
also wohl nur selten das Maximum erreichte und damit die zulässige 
Grenze überschritt, während beim 48 stündigen Versuch, bei welchem die 
Temperatur zwischen 30° und 36° betrug, diese Grenze während der 
gleichen Zeit viel häufiger überschritten werden musste. Es hätte somit 
beim 48stündigen Versuch die Gesammtdauer der schädlichen Tempera- 
turen nicht das Doppelte, sondern das Mehrfache von derjenigen beim 
24 stündigen Versuch betragen, und damit wäre das sonst unbegreifliche 
Resultat erklärt, dass beim 24stündigen Versuch bloss eine geringe 
Schwächung, ein rasch vorübergehender Starrezustand, beim 48 stündigen 
Versuch dagegen die Tödtung ') der Spaltpilze oder ‘wenigstens eine sehr 
intensive und nachhaltige Schwächung derselben beobachtet wurde. 


1) Aus dem Umstande, dass die vorher geschüttelten Röhren nach mehr als 48 stündigem Auf- 
enthalt im Brütofen ungetrübt blieben, schliesst Horvath, dass die Fähigkeit der Pilze, sich zu 


154 


Die soeben angestellte Betrachtung über die Temperatur in den ge- 
schüttelten Röhren lässt es als sehr wünschbar erscheinen, genau das 
andere Moment, die chemische Zusammensetzung der Nährflüssigkeit zu 
kennen. Leider gestatten die Angaben Horvath’s auch hierüber kein 
bestimmtes Urtheil. Er „benützte eine Flüssigkeit von folgender Zusam- 
mensetzung: Auf 1 Liter destillirten Wassers wurden genommen: 10 gr. 
neutrales weinsteinsaures Ammoniak, 5 gr. saures phosphorsaures Kali, 
5 gr. schwefelsaure Magnesia, und !/ gr. Chlorcaleium. Diese Lösung, 
gekocht und filtrirt, war völlig kiar und durchsichtig.“ Es ist voraus- 
zusehen, dass aus einer solchen Mischung ein reichlicher Niederschlag 
von phosphorsaurer Magnesia beim Filtriren entfernt wurde; es bleibt 
aber ungewiss, was zurückgeblieben ist und welche Zusammensetzung die 
klare Nährlösung wirklich hatte. Dies ist aber ein sehr wichtiger Punkt, 
wenn es sich um Kultur bei höheren Temperaturen handelt. Im Allge- 
meinen. vertragen die Spaltpilze in ungünstigen Nährlösungen weniger 
hohe Temperaturen; dabei kommt es wesentlich auf die Menge einzelner 
in Lösung befindlicher Stoffe an. Am wenigsten lassen sich saure Flüs- 
sigkeiten ohne Nachtheil erwärmen, und die Horvath’sche Lösung reagirte 
jedenfalls erheblich sauer, da in derselben sich 1/2 Proz. eines sauren 
Salzes befand. 

Für solche Versuche dürfte sich !/ bis 1 Proz. neutrales weinsaures 
Ammoniak mit einigen Proz. Zucker, noch besser aber Fleischextract 
oder Pepton mit Zucker empfehlen, da bei solcher Nahrung die Spalt- 
pilze den freien Sauerstoff entbehren können, den sie beim Genuss von 
Ammoniaksalz allein nöthig haben. Vor Allem aber sollten nach meiner 
Ansicht die Schüttelversuche bei gewöhnlicher oder nur mässig erhöhter 
Temperatur (jedenfalls nicht bei Brütwärme) angestellt werden, um ganz 
sicher zu sein, dass die durch den mechanischen Effect erzeugte Wärme 
niemals schädlich werden kann. 

Um schliesslich ein Urtheil über die Wirkung der mechanischen 
Erschütterung abzugeben, so möchte ich die Horvath’schen Behauptungen 


vermehren, aufgehoben worden sei. Es folgt indess daraus bloss eine ziemlich hochgradige Schwächung; 
die Brütwärme muss oft viel länger einwirken, ehe eine bemerkbare Vermehrung der geschwächten 
Spaltpilze eintritt. 


155 


nicht als unrichtig oder unmöglich erklären. Aber sie scheinen mir, mit 
Rücksicht auf die gemachten Einwürfe, nicht so sehr über jeden Zweifel 
erhaben, dass die Physiologie mit ihnen rechnen dürfte, und es wäre im 
‚höchsten Grade wünschbar, wenn eine Wiederholung der Versuche mit 
besseren Nährlösungen und bei niedrigeren Temperaturen stattfände. Die 
Sache ist nicht bloss für die Theorie der Gärthätigkeit und der Giftwir- 
kung, sondern für alle physiologischen Processe von hohem Interesse. 
Bis neue Erfahrungen uns sicheren Aufschluss geben, müssen wir die 
Wirkungen mechanischer Erschütterung auf die molecularen Bewegungs- 
zustände des lebenden Plasmas für problematisch halten. 


Es giebt noch eine sehr bemerkenswerthe Erscheinung der physio- 
logischen Thätigkeit, in welcher die gärenden Zellen sich anders ver- 
halten als die nicht gärenden, nämlich die Ausscheidung von Verbin- 
dungen des Zelleninhaltes.- In einer früheren Mittheilung ') wurde ge- 
zeigt, dass Bierhefe in Wasser, dem so viel Phosphorsäure zugesetzt ist, 
um die Spaltpilze abzuhalten, während längerer Versuchsdauer einen 
ziemlichen Theil ihrer Albuminate als Peptone ausscheidet, und dass das 
Nämliche beim Kochen der Hefe mit Wasser erfolgt. Ebenso findet man, 
wenn man Bierhefe nur so lange, dass sich die Spaltpilze nicht vermehren 
können, mit reinem Wasser stehen lässt, Peptone in der Flüssigkeit. Fügt 
man dagegen dem Wasser Zucker zu, so dass Gärung eintritt, so kommen 
nicht blos Peptone, sondern auch Albumin aus den Zellen heraus. Die 
bezüglichen Thatsachen sind folgende: 

Bei verschiedenen geistigen Gärungen, die im Brütkasten mit einem durchge- 
leiteten Luftstrom angestellt wurden, entdeckte Hr. O. Loew, Adjunct des pflanzen- 
physiologischen Instituts, am Rande der Flüssigkeit fibrinartige Massen. Dieselben 
waren ohne Zweifel unter der Einwirkung des Sauerstoffs aus Eiweiss entstanden. 
Wie kam aber das Eiweiss in die Nährflüssigkeit, welche anfänglich nur Ammoniak- 
salze enthielt? Es war im höchsten Grade unwahrscheinlich, dass sich Eiweiss aus 
Ammoniak und Zucker ausserhalb der Hefenzellen gebildet haben sollte, etwa nach 
Analogie der extracellularen Gärung. Aber es widersprach auch aller Erfahrung, 
dass Zellen Eiweiss spontan ausscheiden, oder dass denselben von angesäuertem Wasser 
(in den fraglichen Fällen reagirte die gärende Flüssigkeit stets sauer) Eiweiss ent- 


1) Sitzungsberichte der k. b. Akad. d. W. vom 4. Mai 1878. 
Abh.d. II. Cld.k. Ak.d. Wiss. XIII. Bd. II. Abth. 21 


156 


zogen werden sollte. Es wurden daher einige Versuche angestellt, um zu ermitteln, 
unter welchen Umständen Eiweiss und Fibrin in einer Flüssigkeit, welche Bierhefe 
enthält, auftreten. Dabei waren die Verhältnisse denjenigen, unter denen die Beob- 
achtung gemacht worden, möglichst gleichgehalten. 

Zu den Versuchen 1—10 dienten Kolben von ungefähr 1,5 Lit. Inhalt, jeder 
mit 250 gr. Wasser und 2 gr. Bierhefe (Trockengewicht). Das Wasser enthielt als 
mineralische Nährsalze 2 Proz. neutrales phosphorsaures Kali, 0,02 Proz. schwefel- 
saure Magnesia und 0,01 Proz. Chlorcaleium. Die Kolben standen in einem Brüt- 
kasten, dessen Temperatur 30—32° C. betrug. Durch die Flüssigkeit wurde ein 
continuirlicher Luftstrom geleitet. 

1) Da die Gärungen, bei denen Fibrinbildung beobachtet worden war, etwas 
Milchsäure und Essigsäure enthielten (in Folge neben her gehender Spaltpilzvegetation) 
so wurde zuerst untersucht, ob vielleicht diese Säuren das Austreten von Eiweiss 
aus den Zellen bewirken. Es wurden 2,5 gr. Milchsäure in den Kolben gegeben, 
so dass eine 1 proz. Lösung vorhanden war. Nach 15 Stunden fanden sich nur sehr 
schwache Spuren von Eiweiss, dagegen merkliche Mengen von Pepton in der Lösung, 

2) Essigsäure, in gleicher Menge angewendet, gab ganz das gleiche Resultat 
wie Nr. 1. . 

3) Bei Zusatz von 1 Proz. Milehsäure und 10 Proz. Rohrzucker, so dass eine 
lebhafte Gärung erfolgte, wurden nach der nämlichen Versuchsdauer ebenfalls nur 
äusserst geringe Spuren von Eiweiss in der Lösung beobachtet. 

4) Die Anwendung von 1 Proz. Essigsäure und 10 Proz. Rohrzucker hatte 
das gleiche Resultat wie Nr. 3 zur Folge. 

5) Die Lösung enthielt 1 Proz. kohlensaures Ammoniak (keinen Zucker). Nach 
der Versuchsdauer von 15 Stunden waren erhebliche Mengen von Eiweiss (kein 
Fibrin) in der Flüssigkeit. 

6) Die Lösung enthielt 1 Proz. kohlensaures Ammoniak und 10 Proz. Zucker. 
Nach 15 Stunden zeigte sie einen starken Eiweissgehalt und an dem Rande fibrin- 
artige Fasern. 

7) Der Zusatz von 1 Proz. salpetersaurem Ammoniak und 10 Proz. Zucker 
hatte ein ähnliches Ergebniss wie Nr. 6. Das in Lösung befindliche Eiweiss betrug 
7,3 Proz. des Trockengewichts der angewendeten Hefe. 

8) Bei Anwendung von 1 Proz. essigsaurem Ammoniak und 10 Proz. Zucker 
wurden wie bei Nr. 7 Eiweiss in der Flüssigkeit und fibrinartige Ausscheidungen 
am Rande derselben gefunden. Das Gewicht des Eiweisses betrug nach der gleichen 
Versuchsdauer von 15 Stunden 7,6 Proz. der Trockensubstanz der Hefe. 

Das Eiweiss wurde bei den Versuchen 7 und 8 durch Coagulation in ange- 
säuerter Lösung und Trocknen bei 100° bestimmt; das Fibrin machte in diesen beiden 
und auch in den anderen Fällen nur einen geringen Theil der Eiweissmenge aus. 


9) Pepton (1 Proz.) mit Zucker (10 Proz.) gab reichliches Eiweiss, aber keine 
fibrinartigen Ausscheidungen. 


157 


10) Leuein (1 Proz.) mit Zucker (10 Proz.) gab ebenfalls viel Eiweiss und da- 
neben äusserst geringe Fibrinbildung. 

11) Grössere Mengen von Bierhefe, welche man kürzere oder längere Zeit mit 
Wasser stehen lässt, scheiden bloss Peptone aus. Man findet in dem Wasser keine 
Spur von Eiweiss. 

Die fibrinartigen Massen, welche in den vorstehenden Versuchen in wechselnden 
Mengen beobachtet wurden, hatten ganz das Aussehen von Blutfibrin. Es waren 
elastische Fasern, welche in mässig concentrirter Salzsäure zu einer Gallerte auf- 
quollen und dann sich lösten. Sie machten immer nur einen geringen Theil des 
ausgeschiedenen Eiweisses aus und waren offenbar aus demselben entstanden. Um 
übrigens in dieser Beziehung thatsächliche Gewissheit zu erlangen, wurden noch fol- 
gende Versuche angestellt. 

12) 1 gr. Hühnereiweiss wurde mit 10 gr. neutralem phosphorsaurem Kali in 
500 gr. destillirtem Wasser gelöst und unter Durchleitung eines Luftstromes 12 
Stunden lang auf einer Temperatur von 30°C. erhalten. Nach dieser Zeit war mehr 
als die Hälfte des Eiweisses in eine schwammige elastische Masse verwandelt, welche 
die grösste Aehnlichkeit mit Blutfibrin zeigte. 

13) Ganz der nämliche Versuch wie Nr 12, nur mit Weglassung des phos- 
phorsauren Kalis, gab etwas weniger Fibrin. 

14) Ebenfalls der nämliche Versuch wie Nr, 12, aber mit 2,5 gr. Essigsäure 
statt des phosphorsauren Kalis, gab ungefähr die gleiche Menge Fibrin, also etwas 
mehr als Nr. 13. 

Ob die aus dem Eiweiss der Hefenzellen mit der aus dem Hühnereiweiss ent- 
standenen fibrinartigen Substanz wirklich identisch war, wie es den Anschein hatte, 
und wie sich beide zu dem Blutfibrin verhalten , bleibt dahingestellt. Ebenso muss 
es unentschieden gelassen werden, welche Umstände neben der Einwirkung des Sauer- 
stoffs der Luft auf die Umwandlung des Eiweisses Einfluss haben. Wie es scheint 
wird die Fibrinbildung durch die Anwesenheit von Säuren oder Salzen befördert. 

Zu den offenen Fragen gehört endlich auch das Verhältniss zwischen den von 
den Hefenzellen herstammenden fibrinartigen Massen und dem von Melsens (Jah- 
resbericht 1857 S. 531) erwähnten, sogenannten „künstlichen Zellgewebe‘‘, welches 
er vermittelst mechanischer Bewegung und vermittelst Durchleiten von Luft oder 
Kohlensäure aus Eiweisslösungen erhielt. 


Aus den eben mitgetheilten und den in der früheren Mittheilung !) 
enthaltenen Thatsachen müssen folgende Schlüsse gezogen werden: 

1) Die Sprosshefe scheidet, wenn sie keine Gärung bewirkt, in neu- 
tralen, in schwach und stärker sauren Flüssigkeiten bloss Peptone (kein 


1) Sitzungsberichte der k. b. Akad. d. W. vom 4. Mai 1878. ae 
1 


158 


Eiweiss) aus; das Nämliche geschieht unter den gleichen Umständen, wenn 
die Hefenzellen getödtet sind. 

2) Dagegen scheidet die Sprosshefe, auch wenn keine Gärung statt 
hat, in alkalischen Lösungen Eiweiss aus, die Zellen mögen lebend oder 
todt sein. 

3) Die Sprosshefe scheidet, wenn sie Zucker vergärt, in neutralen, 
schwach alkalischen und schwach sauren Flüssigkeiten Eiweiss aus. 

4) Dagegen scheidet sie auch bei lebhafter Gärung in stärker sauren 
Flüssigkeiten kein Eiweiss, sondern nur Peptone aus. 

Mit Hülfe der Gärthätigkeit diosmirt also das Eiweiss durch die 
Hefenzellmembranen unter Umständen, unter denen es ohne dieselbe 
nicht hindurchgeht. Die Gärthätigkeit übt in dieser Beziehung die gleiche 
Wirkung aus, wie eine alkalische Lösung, welche die Membranen durch- 
dringt. Dagegen wird diese Wirkung aufgehoben, wenn die Flüssigkeit 
stark sauer ist. 

Die Frage wäre nun, wie verhält sich die Theorie der Gärung zu 
den angeführten merkwürdigen Erscheinungen? Wie ist der mechanische 
Effect der Gärthätigkeit auf die Diosmose des Eiweisses zu erklären? Zu 
diesem Behufe müssen wir eine Vorstellung über die mechanischen Ur- 
sachen zu gewinnen suchen, warum Eiweiss unter gewöhnlichen Umständen 
nicht durch Membranen hindurchgeht. Es ist daher nöthig, etwas näher 
auf das Verhalten der verschiedenen Lösungen einzugehen. 

Gewöhnlich unterscheidet man zwei Gruppen von Stoffen, welche in Lösung 
ungleiche Eigenschaften zeigen, Krystalloide. und Colloide. Die ersteren haben die 
Fähigkeit, Krystalle zu bilden und durch Membranen zu diosmiren; sie geben 
spritzende Lösungen. Die letzeren vermögen nicht zu krystallisiren, nicht oder nur 
in geringem Masse durch Membranen hindurch zu gehen; sie bilden schleimige faden- 
ziehende Lösungen. Dieser Gegensatz war für den Entdecker gerechtfertigt; die 
jetzigen fortgeschrittenen Kenntnisse haben die Unterscheidung von Krystalloiden und 
Colloiden in der früheren Form mehr und mehr unhaltbar gemacht. Denn es giebt 
einzelne Krystalloide, welche diosmiren aber nicht krystallisiren, wie der Frucht- 
zucker; ferner gibt es Colloide, welche unter gewissen Umständen nicht, unter anderen 
leicht diosmiren, und ferner kennt man schon mehrere, welche in krystallähnlichen 
Formen sich ausscheiden, wie Albuminate, Amylodextrin und Inulin. Wir können 
also nicht zwei Gruppen von Stoffen, sondern nur verschiedene Eigenschaften unter- 
scheiden, die bald so, bald anders zusammentreffen, und bei der nämlichen Verbindung 
je nach den äusseren Einflüssen sich ungleich verhalten. 


159 


Die wichtigste Eigenschaft, in der die Lösungen sich verschieden zeigen, besteht 
in der moleeularen Constitution. In dieser Beziehung gibt es zwei Klassen, einerseits 
die Lösungen von Salzen, Zucker u. s. w.; anderseits diejenigen der organisirten 
Stoffe (Eiweiss, Stärke, Cellulose). In den ersteren sind zwischen den Wassertheil- 
chen die vereinzelten Molecüle, in den letzteren die vereinzelten Micelle (krystallini- 
sche Molecülgruppen) vertheilt. 


Wenn man einen Krystall von Salz oder von Zucker in Wasser legt, so lösen 
sich von demselben Molecüle ab, welche sich in der ganzen Flüssigkeitsmasse ver- 
breiten. Dieser Vorgang kommt zu Stande 1) durch das Verhältniss der Anziehung 
der Salzmolecüle unter sich, der Wassermolecüle unter sich und der Salzmolecüle zu 
den Wassermolecülen, und 2) durch die Bewegungszustände, in denen sich die klein- 
sten Theilchen befinden, durch die schwingende Bewegung der Krystallmolecüle und 
die fortschreitende Bewegung der Wassermoleeüle. Ist die lebendige Kraft, mit der 
ein oberflächliches Krystallmolecül in Folge seiner eigenen Schwingung und des 
Stosses der anprallenden Wassermoleeüle sich in der Richtung gegen das Wasser 
bewegt, vermehrt durch die Gesammtanziehung, welche das Wasser auf dasselbe aus- 
übt, grösser als die Summe der Cohäsion, durch welche es an den Krystall gebunden 
ist, und der Cohäsion des Wassers, welche es zu überwinden hat, so geht es in die 
Lösung über. Unter anderen, leicht zu beurtheilenden Umständen kehrt ein Molecül 
aus der Lösung zum Krystall zurück, um denselben zu vergrössern, oder auch um 
mit anderen Moleeülen den Anfang zu einem neuen Krystall zu bilden. In der ge- 
sättigten Lösung halten sich beide Bewegungen das Gleichgewicht. 


Während der Zucker sich in Wasser löst, ist die damit verwandte Stärke und 
Cellulose unlöslich ; es gehen keine Stärkemolecüle von dem Stärkekorn in das Wasser 
über. An diesem ungleichen Verhalten können verschiedene Ursachen betheiligt s ein 
die geringere Verwandtschaft von Stärke und Wasser, die grössere Cohäsion der 
Substanz des Stärkekorns, das grössere Gewicht und die schwächeren Bewegungs- 
zustände der Stärkemolecüle. Welcher Antheil an der Wirkung jeder der genannten 
Ursachen zukomme, ist für die vorliegende Betrachtung ohne Belang. 


Die Stärkekörner, die Cellulosemembranen, sowie alle andern organisirten Ge- 
bilde, sie mögen aus eiweissartigen, leimgebenden, elastischen, hornartigen oder anderen 
Substanzen bestehen, sind nicht unmittelbar aus den Molecülen aufgebaut, so dass 
diese eine continuirliche Zusammenordnung bilden würden, — sondern die nächsten 
Bestandtheile sind krystallinische Moleeülgruppen (Micelle), welche im imbibirten Zu- 
stande je durch eine Wasserschicht von einander getrennt sind. Die Krystallnatur 
der Micelle ergibt sich vorzüglich aus dem optischen Verhalten gegen das polarisirte 
Lieht, ihre Benetzung mit Wasserhüllen aus den Erscheinungen beim Aufquellen und 
Eintrocknen der organisirten Substanzen. Ich setze diese Kenntniss des organisirten 


160 


Baues, welcher schon vor 20 Jahren nachgewiesen wurde, voraus!) und verweise 
übrigens auch auf die Anmerkung am Schlusse dieser Abhandlung. 


In analoger Weise wie die Salz- und Zuckerkrystalle sich im Wasser in die 
einzelnen Moleeüle auflösen, können die organisirten Körper in einer geeigneten Lösungs- 
flüssigkeit in die Micelle zerfallen und eine Lösung bilden. Die Ursachen für den 
letzteren Vorgang sind die nämlichen wie für den ersteren. Da aber die (krystalli- 
nischen) Micelle selbstverständlich unter einander einen weniger festen Zusammen- 
hang haben als die Molecüle der nämlichen Verbindung, so ist es begreiflich, dass 
die Lösungsursachen sich schon mächtig genug erweisen, um Micelle von einem 
Körper loszutrennen und eine Micellarlösung zu bilden, während sie noch viel zu 
schwach sind, um die Micelle in die Molecüle zu zerlegen und eine Molecularlösung 
herzustellen. Alle organisirten Körper zerfallen zuerst in die Micelle, wenn über- 
haupt eine Trennung in kleinste Theilchen möglich ist; und im Allgemeinen sind 
von den organisirten Verbindungen bloss Micellarlösungen bekannt, die auf sehr ver- 
schiedene Weise erhalten werden. 


Die Annahme, dass die organisirten Substanzen bei der Lösung in die Micelle 
und nicht in die Molecüle zerfallen, ist nicht bloss eine theoretische Folgerung aus 
den vorhandenen Umständen, sondern sie wird auch durch mehrere T'hatsachen be- 
stätigt, welche zugleich die unterscheidenden Merkmale der Micellarlösungen gegen- 
über den Molecularlösungen aufzeigen. Die wichtigste Thatsache ist die, dass die 
kleinsten Theilchen der Lösungen organisirter Verbindungen beim Uebergang in den 
festen Zustand sich nicht zu Krystallen, sondern zu krystallähnlichen Körpern zu- 
sammenlegen, deren Bau mit dem der organisirten Substanzen übereinstimmt. Ich 
habe dieselben „Krystalloide‘‘ im Gegensatz zu den wirklichen Krystallen genannt, 
weil der Name Krystalloid für eine krystallisirende Substanz im Sinne von Graham 
entweder überflüssig ist, oder dann richtiger Krystallogen heisst. 


Die „Krystalloide‘‘ haben die grösste Aehnlichkeit mit Krystallen, aber sie im- 
bibiren sich mit Wasser, verlieren dasselbe wieder durch Verdunstung (Eintrocknen) 
und sind unter dem Einfluss stärkerer Mittel (Säuren, Alkalien u. s. w.) einer weiter- 
gehenden Quellung fähig. Die Micelle in den Krystalloiden sind also im benetzten 
Zustande durch Flüssigkeitsschichten getrennt. Diese Micelle erweisen sich mit Hülfe 
des polarisirten Lichtes als doppelbrechende winzige Kryställchen. Sie sind ferner, 
was ihre Zusammenordnung betrifft, entweder, wie die Molecüle in den gewöhnlichen 
Krystallen, in parallele Ebenen geordnet, die nach 3 räumlichen Dimensionen verlau- 
fend sich kreuzen (in den Krystalloiden der Albuminate), oder in Kugelschalen um 
einen gemeinsamen Mittelpunkt (in den Sphaerokrystalloiden von Inulin) oder in 


1) Nägeli Stärkekörner 1858; Sitzungsberichte der k. b. Akad. d. W. 8. März 1862 (Botani- 
sche Mittheilungen ], 183); Sachs Handbuch der Experimentalphysiologie der Pflanzen 1865; 
Nägeli und Schwendener Mikroskop 1877. 


161 


Cylindermänteln um eine gemeinsame Axe gelagert (in den Cylindrokrystalloiden 
oder Discokrystalloiden von Amylodextrin). Die Analogie mit den Krystallen besteht 
darin, dass die Micelle in der nämlichen Schicht gleichartig gerichtet sind, und dass 
die gleichlaufenden Schichten in ihrer Orientirung mit einander übereinstimmen. 

Die Krystalloide der Albuminate haben im Pflanzenreiche eine ganz allgemeine 
Verbreitung; !) sie entstehen auch aus Micellarlösungen auf künstlichem Wege. Von 
Kohlenhydraten ist bis jetzt die Krystalloidbildung bei Inulin und Amylodextrin 
gelungen. Es ist sehr wahrscheinlich, dass von allen Substanzen, welche Micellar- 
lösungen bilden, auch Krystalloidausscheidungen erhalten werden können. Aber das 
richtige Verfahren dafür zu finden, ist viel schwieriger als bei der Erzeugung von 
Krystallen, weil die Neigung, sich in unregelmässiger Weise an einander zu legen 
und amorphe Massen zu bilden, aus natürlichen Gründen bei den Micellen viel srös- 
ser ist als bei den Moleeülen. 

Die Micellarlösungen, welche durch den Zerfall der organisirten Körper ent- 
stehen, können ihren Charakter etwas verändern, indem die Micelle in kleinere Mi- 
celle zerfallen. Aber eine Auflösung in die einzelnen Molecüle scheint bei keiner 
organisirten Verbindung ohne chemische Umsetzung möglich zu sein. Am wahr- 
scheinlichsten lässt sich dieses Verhalten bei der Stärke darthun. Die durch Jod 
sich gelb und rothfärbenden Modificationen der eigentlichen Stärke, welche die gröss- 
ten Micelle haben, konnten noch nicht in Lösung erhalten werden. Die blaue Mo- 
dification der Stärke löst sich und geht durch wiederholtes Zerfallen der Micelle in 
das (durch Jod) violette, dann in das rothe Amylodextrin, nachher in das rothgelbe 
und zuletzt in das gelbe Dextrin über. *) Das letztere stellt noch eine Micellarlösung 
dar. Die Spaltung in die einzelnen Molecüle ist nur mit der chemischen Umsetzung 
in Zucker möglich. Ganz ebenso verhält sich die Cellulose; und die Albuminate so 
wie die leimgebenden Substanzen werden nur, indem sie sich in Peptone umwandeln, 
zu Moleeularlösungen. 

Die moleculare Unlöslichkeit der organisirten Verbindungen muss überhaupt als 
eine der wichtigsten Eigenschaften für das Bestehen der Organismen betrachtet 
werden. Nur dadurch, dass der lösliche Zucker in die unlösliche Cellulose über- 
geführt wird, ist die Sicherheit gegeben, dass die Zellmembran der Pflanzen unter 
allen äusseren Verhältnissen Bestand hat und nicht etwa einmal als Lösung davon- 
geht, und nur dadurch, dass die Zuckermolecüle in Cellulosemoleeüle sich umwandeln, 
welche als unlöslich nicht in Wasser sich fortbewegen, sondern mit anderen sich 
vereinigen, ist die Möglichkeit gegeben, dass im jedem kleinsten Raum Cellulose- 
ausscheidung und Micellbildung beginnen kann. Ebenso verdanken es die Albumi- 
nate nur ihrer molecularen Unlöslichkeit, dass sie nicht durch Diosmose aus den 
wasserbewohnenden Organismen entweichen, sondern als Micelle alle die verschiedenen 


1) A. F. W. Schimper, Proteinkrystalloide der Pflanzen. 1878. 
2) W, Nägeli, Stärkegruppe. 1874. 


162 


Aufgaben erfüllen können, welche dem Plasma zukommen, wobei es von sehr ver- 
schiedenen, meist nicht näher bestimmten Umständen abhängt, ob sie eine feste or- 
ganisirte Substanz oder eine Micellarlösung darstellen. 

Die Micelle sind in Lösung wegen ihres beträchtlicheren Gewichtes viel weniger 
beweglich, als es die Molecüle in Lösung sind, und legen sich daher leicht an einander 
an. Ich will diese Vereinigungen, welche mehrere charakteristische Eigenschaften 
der Micellarlösungen erklären, Micellverbände nennen. — Eine Lösung von Leim 
oder von Pectin ist in der Wärme dünnflüssig und gesteht bei gewöhnlicher Tempe- 
ratur zu einer Gallerte, welche möglicher Weise nur wenige Prozent Substanz ent- 
hält. Wir können uns dieses Gelatiniren wohl nur in der Art vorstellen, dass die 
Micelle sich in Ketten an einander anhängen und ein Gerüste von Balken mit weiten 
Maschen bilden, in welchem das Wasser eingeschlossen ist und durch Molecular- 
anziehung zwar nicht in einem ganz unbeweglichen, aber doch in einem weniger 
beweglichen Zustande festgehalten wird. Nur auf diesem Wege wird es möglich, 
mit wenig Substanz und viel Wasser ein festes Gefüge herzustellen, wie es uns die 
Gallerte darbietet. t) 

Da in den Micellarlösungen, besonders wenn sie mehr Substanz enthalten, die 
Micelle sich an einander anhängen, so erscheinen solche Flüssigkeiten matt und 
opalisirend, — ein Beweis, dass das Licht ungleich gebrochen wird. Wären die 
Micelle alle vereinzelt und in Folge dessen auch ziemlich gleichmässig vertheilt, wie 
dies für die Moleeularlösungen im Allgemeinen anzunehmen ist, so müsste bei der 
Kleinheit der Micelle die Lösung klar erscheinen. 

Da die Theilchen einer gelösten Substanz von den durcheinander wogenden 
Wassermolecülen um so schwieriger suspendirt erhalten werden, je grösser und 
schwerer sie sind, so bilden sich aus den Micellarlösungen viel leichter Niederschläge 
als aus den Molecularlösungen, und ebenso gehen moleeulare Niederschläge viel 
leichter wieder in Lösung als micellare Niederschläge. Aus der heissen Lösung von 
Amylodextrin fällt beim Erkalten ein grosser Theil heraus und von festem Amylo- 
dextrin wird durch kaltes Wasser nichts gelöst, während das aus kleineren Micellen 
bestehende Dextrin auch in der Kälte sich auflöst. 

Das Casein der Milch bildet eine vollkommene, wenigstens unter dem Mikroskop 
ganz klar erscheinende Lösung; es schlägt sich aber nach langer Zeit nieder. Ich 
habe im Jahre 1868 viele Versuche über Conservirung von Milch angestellt. Dieselbe 


1) Die Rechnung ergibt, dass für die Annahme kubischer Maschen, welche ein mittleres Verhält- 
niss zwischen Substanz und Wasser darstellen, beispielweise in einer Gallerte mit 3 Proz. Trocken- 
substanz der Durchmesser der wasserführenden Maschenräume zu der Dicke der die Kanten derselben 
bildenden, aus Micellketten bestehenden Balken das Verhältniss zeigt von 10 : 1 oder 11 : 1 je nach 
dem specifischen Gewicht der letzteren, — in einer Gallerte mit 10 Proc. Trockensubstanz das Ver- 
hältniss von 6 : 1 oder 8 : 1, — in einer Gallerte mit 20 Proc, Trockensubstanz das Verhältniss von 
4:1 ooder6: 1. 


163 


wurde in luftdicht verschlossenen Flaschen auf 110 bis 120° C. erwärmt. Bei hin- 
reichender Dauer der hohen Temperatur blieb die Milch 7 bis 8 Jahre unverändert, 
aber das Casein schied sich als Bodensatz aus, während die grösste Menge des Fettes 
eine Rahmdecke bildete. Die beginnende Scheidung wurde bei Zimmertemperatur 
4 bis 6 Monate nach dem Erhitzen als schmale wasserhelle Zone unter der Rahm- 
decke wahrgenommen; diese Zone wurde dann langsam breiter, und zuletzt war der 
grössere Theil der Flüssigkeit klar. Wurden solche Flaschen heftig geschüttelt (so 
gut es der Umstand, dass sie ziemlich gefüllt waren, erlaubte), so nahm die Milch 
wieder ganz das ursprüngliche Aussehen, das sie nach dem ‘Erhitzen gezeigt hatte, 
an. Doch zerfielen die Micellverbände, die beim Ausfällen entstanden waren, beim 
Schütteln offenbar nicht vollständig. Denn nach dem Schütteln begann, und zwar 
schon nach mehreren Tagen, wieder eine zwar langsame, aber diesmal in viel kür- 
zerer Zeit beendigte Scheidung. — Ich bemerke noch, dass, wenn das Erhitzen nicht 
lange genug dauerte oder nicht hoch genug stieg, um die Spaltpilze zu tödten, Ver- 
derbniss der Milch eintrat, welche bei höchster Schwächung der Pilze nur durch 
bitteren Geschmack, bei geringerer Schwächung ausserdem durch Gasentwicklung und 
Coaguliren des Caseins sich kundgab !). 


Die Micellarlösungen zeigen die Eigenthümlichkeit, dass sie bei langsamem 
Ausfliessen sich nicht in Tropfenform trennen, sondern zu langen dünnen Fäden 
ausziehen. Bei der langsamen Bewegung, wobei die Micelle in der nämlichen Rich- 
tung strömen, legen sie sich in Ketten aneinander und wirken so dem Bestreben 
der beweglichen Wassermolecüle zur Tropfenbildung entgegen. 


Die Annahme, dass die angeführten Erscheinungen der Micellarlösungen, welche 
sie so charakteristisch von den Molecularlösungen unterscheiden, wirklich durch die 
Micellverbände hervorgebracht werden, ist um so sicherer, als ganz ähnliche Erschei- 
nungen bei einem sichtbaren Object, nämlich bei den Spaltpilzen beobachtet werden, 
wenn dieselben aus Mangel an Eigenbewegung in einer Flüssigkeit sich zu Verbänden 
aneinander legen können. Die Spaltpilze geben dann der Flüssigkeit bei ungleicher 
Vertheilung ebenfalls ein opalisirendes Aussehen, sie machen dieselbe durch ihr Zu- 
sammenhängen schleimig und fadenziehend, sie bewirken langsam sich bildende 
Niederschläge, sie verketten sich zuweilen zu einem durch die ganze Flüssigkeit aus- 
gespannten Gerüste von äusserst zarten und zerbrechlichen Fäden, — was sich Alles 


1) Versuche, welche in neuester Zeit angestellt wurden, ergaben die merkwürdige Thatsache, 
dass in Flaschen, in denen bei grösster Schwächung der Spaltpilze die Milch sich klärte und ausser 
der Bitterkeit sonst keine Veränderung in Geschmack und Geruch zeigte, das Casein nach 2 Jahren 
vollständig in Pepton umgewandelt war (ohne Zweifel durch die von den Spaltpilzen ausgeschiedenen 
Fermente). Bei den früheren Versuchen war der dem Geschmacke nach ganz unveränderte Inhalt 
nicht auf Pepton und Casein geprüft worden, da in dem reichlichen Bodensatz der ganze Caseingehalt 
ausgefällt und die Wirksamkeit von lebenden Pilzen vollkommen ausgeschlossen zu sein schien. 


Abh. d. II. Cl.d. k. Ak. d. Wiss. XIII. Bd. I. Abth. 22 


164 


leicht mikroskopisch nachweisen lässt und uns die Berechtigung giebt, die nämlichen 
Wirkungen bei den viel kleineren Micellen aus analogen Ursachen herzuleiten. 

Die Neigung der Micelle, Verbände zu bilden, erklärt uns auch die Verschie- 
denheit zwischen Micellar- und Molecularlösungen bezüglich der Diosmose. Dass 
die ersteren nicht oder nur in geringer Menge durch Membranen hindurchgehen, 
glaubte ich früher auf Rechnung der beträchtlicheren Grösse und der dadurch be- 
dingten geringeren Beweglichkeit der Micelle gegenüber den Moleeülen setzen zu 
können. Indess reicht dieser Umstand allein nicht zur Erklärung aller Thatsachen 
aus, besonders da manche micellar-gelöste Substanzen unter den einen Umständen 
in geringer, unter anderen in grosser Menge diosmiren. Die Interstitien einer Cellu- 
losemembran sind gross genug, um Eiweissmicelle durchgehen zu lassen, wie wir 
beispielsweise aus dem Verhalten der Sprosshefenzellen in alkalischen Lösungen und 
bei der Gärung in schwachsauren Flüssigkeiten ersehen. Die Ursache, warum in 
anderen Fällen der Durchgang unmöglich ist, muss also darin liegen, dass die Micelle 
sich zu Verbänden aneinander legen, und dies wird natürlich da besonders leicht 
geschehen, wo sie beim Eintritt in die Kanäle von mikroskopischer oder selbst von 
mikroskopisch unsichtbarer Feinheit sich anhäufen und zugleich langsamere und 
gleichmässigere Bewegungen annehmen. 

Ich habe bereits angeführt, dass mir kein Grund vorhanden zu sein scheint, 
warum die Caseinmicelle in der Milch nicht eine vollkommene Lösung darstellen 
sollten; und der richtige Ausdruck für das Verhalten des Caseins in der Milch ist, 
wie ich glaube, „Micellarlösung‘‘ und nicht „stark aufgequollener Zustand‘‘, wie 
einige Forscher meinten. Der stark gequollene Zustand tritt erst beim Coaguliren 
auf, wenn die Micelle sich alle aneinander anlegen, in ähnlicher Weise wie es beim 
Gelatiniren des Leims und des Pectins der Fall ist. Die Milch geht bekanntlich 
durch ein Papierfilter; aber bald verstopfen sich die Poren durch die zusammen- 
hängenden Caseinmicelle. Eine gebrannte feinporige Thonplatte dagegen, auf welche 
man langsam Milch in einer 2 mm. dicken Schicht aufträgt, saugt, wie J. Lehmann 
gezeigt hat, das Serum auf und lässt Casein und Fett zurück. Offenbar legen sich 
die Caseinmicelle beim Eingang in die engen Poren zu Verbänden aneinander und 
machen damit ihr Eindringen unmöglich. Die Richtigkeit dieser Erklärung wird 
auch durch die Thatsache bewiesen, dass das auf Thonplatten gewonnene Casein in 
seinem Verhalten mit dem durch Lab gefällten übereinstimmt; es quillt in Wasser 
auf, geht aber nicht durch Filtrirpapier hindurch; dagegen bildet es in Kalkwasser 
wieder eine Lösung. 

Wenn meine Erklärung, warum Micellarlösungen nicht oder schwer diosmiren, 
richtig ist, so muss man die Diosmose vermehren können, dadurch dass man die 
molecularen Bewegungen in der Flüssigkeit lebhafter macht, oder dass man die 
Affinität der Micelle unter sich vermindert, indem durch beide Mittel die Micellar- 
verbände zum Zerfallen in die einzelnen Theile veranlasst werden. Diese Wirkung 
haben je nach der Substanz Säuren oder Alkalien, wobei einstweilen fraglich bleibt, 


165 


ob dieselben durch das eine oder das andere oder durch beide Mittel zugleich wirken. 
Wasser zieht aus den Bierhefenzellen kein Eiweiss aus, dagegen vermag dies eine 
alkalische Lösung. Die Anwesenheit von kohlensaurem Ammoniak verändert jeden- 
falls die Molecularbewegungen des Wassers, möglicher Weise macht es sie lebhafter, 
möglicher Weise nur spezifisch anders und dadurch geeignet, gerade die Micellarver- 
bände des Eiweisses zu trennen. Die Anwesenheit von kohlensaurem Ammoniak ver- 
ändert aber jedenfalls auch die Molecularanziehungen, und vielleicht genügt dies 
allein, um das Zerfallen zu erklären. Wahrscheinlich wirken beide Ursachen zu- 
sammen. — Die Diosmose von Eiweiss in alkalischer Lösung beruht also darauf, 
dass die Micellarverbände in die einzelnen Theile sich trennen, oder vielmehr, dass 
solche Verbände nicht zu Stande kommen. Dies ist um so begreiflicher, als ja al- 
kalische Flüssigkeiten auch festes Eiweiss zu lösen vermögen. — Andere organisirte 
Substanzen werden durch die Anwesenheit von Säuren befähigt, Micellarlösungen zu 
bilden oder in solchen durch Membranen zu diosmiren. Ausser den Kohlenhydraten 
nenne ich das Pepsin, welches in neutraler Lösung nicht, wohl aber in salzsaurer 
Lösung durch die Membran der Pflanzenzellen hindurchgeht '). 

Während die Alkalien die Trennung der Eiweissmicelle befördern, haben Säuren 
oft den gegentheiligen Erfolg; sie bewirken die Vereinigung der Biweissmicelle und 
den Uebergang der Lösung in den festen geronnenen Zustand. Daraus erklärt sich, 
warum das Eiweiss, welches aus gärthätigen Zellen in neutralen oder schwach sauren 
Lösungen herausdiosmirt, in stärker sauren Flüssigkeiten dies nicht vermag. 

Die Theorie, dass Micellarlösungen desswegen nicht diosmiren, weil die Micelle 
dicht an der Membran oder innerhalb derselben sich zu Verbänden aneinander legen, 
lässt sich experimentell auch dadurch prüfen, dass man das Verhalten der nämlichen 
Verbindung bei verschiedenen Temperaturen vergleicht. Die höhere Temperatur 
müsste, weil sie die Molecularbewegungen der Flüssigkeiten beschleunigt, auch die 
Diosmose steigern, und zwar die Diosmose der Micellarlösungen in höherem Grade 
als diejenige der Molecularlösungen, weil bei jenen noch ein günstiges Moment, die 
Trennung der Micellarverbände, hinzukommt. Zwar sind die Albuminate für solche 
Versuche ungeeignet, da die Eiweissmicelle ein exceptionelles Verhalten zeigen und 
durch Hitze zur Vereinigung veranlasst werden. ?) Dagegen erscheinen Leimlösungen 
dazu geeignet, denn sie werden in der Wärme dünnflüssig. 


1) Sitzungsberichte d. k. b. Akad. d. W. vom 4. Mai 1878. 

3) Der Umstand, dass Eiweisslösungen in der Hitze Micellarverbände bilden und fest werden, 
ist nicht im Widerspruche mit der Theorie, dass Micellarverbände, welche sich bei einer bestimmten 
Temperatur gebildet haben, bei höherer Temperatur zerfallen müssen (sofern nicht etwa vorher che- 
mische Umsetzung eintritt), so wenig als die Thatsache, dass ein Gemenge von Sauerstoff und Wasser- 
stoff bei gewöhnlicher Temperatur unverändert bleibt und erst bei hoher Temperatur sich zu Wasser 
vereinigt, im Widerspruche mit dem Gesetze steht, dass Temperatursteigerung alle Molecüle zur Dis- 


sociation bringt. 
22* 


166 


4 gr. Leim, mit destillirtem Wasser zu 100 cem. gelöst, wurden in einem Dia- 
lysator aus Pergamentpapier der Dialyse gegen 700 cem. Wasser unterworfen. Die 
Temperatur betrug 80°C. Nach 4 Stunden waren 0,243 gr. Leim übergetreten, wie 
sich aus dem bei 100° getrockneten Rückstand ergab. — Der nämliche Dialysator 
wurde nachher zu einem Versuch mit ganz den nämlichen Verhältnissen, aber bei 
gewöhnlicher Temperatur (15—16° C.) benutzt. Nach 16 Stunden waren 0,108 gr. 
Leim gegen das Wasser diosmirt. — Es gingen also bei gewöhnlicher Temperatur 
in der Stunde 0,00675 gr. Leim durch die Membran, bei 80° C. dagegen 0,06075 gr., 
d. i. genau die 9fache Menge. 

Es ist recht gut möglich, dass dieser grosse Unterschied durch zwei zusammen- 
treffende Momente bedingt wird, durch den Umstand, dass bei höherer Temperatur 
die diosmotischen Strömungen überhaupt lebhafter werden, und durch den Umstand, 
dass die Leimmicelle sich weniger leicht an einander legen und die Poren der Mem- 
bran unwegsam machen. Um dies zu beurtheilen, sollte man wissen, in welchen 
Verhältnissen die Moleeularlösung einer verwandten chemischen Verbindung (Leim- 
pepton) bei gewöhnlicher und bei höherer Temperatur diosmirt. Da eine solche nicht 
zu Gebote stand, so wurde ein Versuch mit Zucker angestellt. 

100 ecm. einer 10 procentigen Rohrzuckerlösung diosmirten in dem nämlichen 
Dialysator, der zu den Leimversuchen gedient hatte, gegen 700 cem. Wasser. Bei 
80°C. gingen während 4 Stunden 5,28 gr., also in der Stunde 1,32 gr. Zucker durch 
die Membran, bei 15—16° ©. dagegen während 16 Stunden 3,72 gr., also in der 
Stunde 0,2325 gr. Bei der höheren Temperatur betrug die Menge des übergetre- 
tenen Zuckers 5,68 mal so viel als bei gewöhnlicher Temperatur. 

Die Steigerung der Diosmose in der Wärme war also bei Zucker ebenfalls eine 
sehr beträchtliche, wenn sie auch nicht derjenigen beim Leim gleichkommt. Aus 
den angeführten Versuchen darf aber noch kein Schluss auf das Verhalten von Mo- 
lecular- und Micellarlösungen bei Temperaturerhöhungen gezogen werden. Es bedürfte 
für eine gründliche und sichere Beantwortung der Frage einer ganzen Reihe von 
experimentellen Thatsachen mit verschiedenen chemischen Verbindungen und mit 
verschiedenen Concentrationsstufen. 


Aus der vorstehenden Erörterung geht mit ziemlicher Gewissheit 
hervor, dass die Lösungen von organisirten Substanzen überhaupt und 
besonders auch diejenigen von Eiweiss nur desswegen nicht durch Mem- 
branen diosmiren, weil die Micelle sich aneinander anhängen, und dass 
die Diosmose erfolgt, sobald es in irgend einer Weise gelingt, die Ver- 
bände zu lösen und die Micelle zu isoliren. Diese Erkenntniss dient uns 
nun dazu, die Erfahrungsthatsache zu erklären, dass die Hefenzelle wäh- 
rend der Gärthätigkeit Eiweiss ausscheidet, was sie sonst nicht zu thun 
vermag. Wir können die Ursache davon nicht etwa in der Anwesenheit 


167 


der Gärprodukte finden; es wird im Gegentheil der durch die Gärung 
gebildete Alkohol die Neigung der Eiweissmicelle, sich aneinander zu legen, 
eher befördern als hemmen. Die Ursache kann also nur in einer ver- 
mehrten Bewegung der kleinsten Theilchen gefunden werden. 

In dieser Beziehung wissen wir, dass ein bestimmter Bewegungs- 
zustand des Plasma der Hefenzellen die Gärung bewirkt. Doch hilft uns 
dies noch nichts, denn der bestimmte Bewegungszustand ist dem Zellen- 
inhalt eigen, auch wenn kein zu vergärendes Material vorhanden ist 
Wir wissen aber ferner, dass der Gärprocess auf die Lebensbewegung sehr 
günstig zurückwirkt, dass die durch denselben ausgelösten Spannkräfte 
nur zum Theil als Wärme frei werden, zum Theil aber diejenigen mole- 
cularen Bewegungen verstärken, welche die Ernährung bedingen, also 
auch die molecularen Bewegungen der Zellflüssigkeit und der darin gelös- 
ten Stoffe, zu denen das gelöste oder circulirende Eiweiss gehört. Diese 
vermehrte Bewegung verhindert die Verbandbildung der Eiweissmicelle 
und gestattet ihnen, die Zelle diosmotisch zu verlassen. ') 

Die Eiweissausscheidung gärthätiger Sprosshefenzellen erfolgt nur in 
neutralen oder schwach sauren Lösungen. Dass sie in stärker sauren 
Flüssigkeiten aufhört, beweist uns bloss, dass durch die Säure die Dios- 
mose des Eiweisses in höherem Grade beeinträchtigt wird als die Gär- 
thätigkeit und die Ernährung der Zellen, dass durch die Säure die Ver- 
einisung der Eiweissmicelle mehr befördert als die Gärung verlangsamt 
wird. Daher kann in einer sauren Zuckerlösung die Ausscheidung von 
Eiweiss schon ganz aufhören, während die Gärung noch lebhaft von 
statten geht. 

Es befindet sich also der merkwürdige Einfluss, den die Gärung auf 
die Diosmose des Eiweisses ausübt, mit den Erscheinungen, die sich daran 
knüpfen, in voller Ueberstimmung mit der molecularphysikalischen Theorie 
und den aus ihr sich ergebenden Folgerungen, während jede der anderen 
Gärungstheorieen zur Erklärung besondere Hülfshypothesen in Anspruch. 
nehmen müsste. 


1) Der Verlust von Eiweiss ist zwar an und für sich eine Schwächung der Zelle. Er macht 
sich aber in diesem Falle nicht als solche geltend, da er nur einen Theil der durch die Gärthätigkeit 
bewirkten Mehrproduktion beträgt. 


168 


Zum Schluss scheint es zweckmässig, einige Bemerkungen über die 
Verbreitung der besprochenen Erscheinungen im Pflanzenreiche beizufügen. 
Was die Fermentwirkungen betrifft, so finden wir sie wohl bei allen 
Pflanzen, und nicht nur bei ihnen, sondern bei allen Organismen über- 
haupt. Unter den Fermenten gibt es solche, die eine mehr oder weniger 
allgemeine Verbreitung besitzen, während andere vielleicht besonderen 
Ordnungen oder Gattungen eigenthümlich sind. Die eigentlichen Gär- 
wirkungen dagegen sind sämmtlich spezifische Eigenschaften, insofern sie 
im normalen Zustande, d. h. bei gesunder kräftiger Vegetation nur be- 
stimmten Pilzformen zukommen, die Alkoholgärung nur einem Theil der 
Sprosspilze, !) die Milchsäuregärung nur gewissen Spaltpilzen, die Essig- 
gärung nur dem Essigpilz (Essigmutter und Essighäutchen) u. s. w. Dies 
ist der Grund, warum ich Bedenken trage, die gänzliche Verbrennung als 
Gärung zu betrachten, obgleich sie, wie ich bereits oben sagte, als me- 
chanischer Vorgang die nämliche Erklärung zu verlangen scheint, wie die 
Oxydationsgärung bei der Essigbildung. Allein sie kommt allen niederen 
Pilzen (wohin auch die schimmelartigen Generationen oder Anfänge der 
höheren Pilze zu rechnen sind) ohne Ausnahme zu, und sie oxydirt alle 
im Wasser gelösten organischen Verbindungen zu Kohlensäure, Wasser 
und Stickstoff; sie oxydirt selbst Ammoniak und mineralische Verbindungen. 
Die Verbrennung ist aber ungleich stark je nach dem Luftzutritt, daher 
im Allgemeinen viel lebhafter an der Oberfläche einer Flüssigkeit als 
unterhalb derselben. Sie ist ferner ungleich stark je nach der Beschaffen- 
heit der Pilze, wobei sich die Schimmelpilze wohl als die zur Oxydation 
tüchtigsten, gewisse Sprosspilze als die schwächsten erweisen. 


Im Allgemeinen also haben die niederen Pilze die Fähigkeit, die 
organischen Substanzen bei Anwesenheit von freiem Sauerstoff nicht bloss 
theilweise, sondern vollständig zu verbrennen. Eine Ausnahme macht der 


1) Ich habe hier nur die Alkoholbildung aus Zucker im Auge, da dieser Vorgang keinen Zweifel 
gestattet. In neuester Zeit sindAethylalkoholgärungen aus andern Verbindungen durch Spaltpilze ange- 
geben worden. Nach den Darstellungen kommen dabei verschiedene Pilzformen vor, und nach den 
Beschreibungen wäre es nicht unmöglich, dass darunter sich kleine und missgestaltete Spross- 
pilze befänden, wie man sie in ungünstigen Nährlösungen antrifft. Daher dürfte es noch frag- 
lich sein, wie das Gärungsresultat zu Stande kommt, und welche Rolle die verschiedenen Pilzformen 
dabei übernehmen. 


169 


Essigmutterpilz, welcher den Alkohol bloss zu Essigsäure') verbrennt. Es 
mangelt ihm zwar das Vermögen der vollständigen Oxydation nicht 
gänzlich, aber er besitzt es nur in geringem Masse. Er verbrennt in 
Jahresfrist nicht so viel Substanz zu Kohlensäure und Wasser, als eine 
gleiche Zahl von Micrococeus-Pilzen in einer Woche. Es gewährt einiges 
Interesse zu untersuchen, welchem Umstande wohl die Essigmutter dieses 
ausnahmsweise Verhalten nicht bloss unter ihren nächsten Verwandten, 
den Spaltpilzen, sondern unter allen niederen Pilzen verdanke. 

Die Essigmutter, welche aus einer zähen Gallerte (Pilzschleim) mit 
eingebetteten kurzen Stäbchen besteht, enthält 98,3 Proz. Wasser und 
1,7 Proz. Trockensubstanz und in der letzteren (nach einer Bestimmung 
von Dr. Oscar Löw) 1,82 Proz. Stickstoff und 3,37 Proz. Asche, während 
eine Micrococcus-Vegetation, in weinsaurem Ammoniak gezogen, beispiels- 
weise 10,65 Proz. Stickstoff und 6,94 Proz. Asche ergab. Wenn wir die 
Zusammensetzung der Bierhefe und der Micrococcus-Hefe zur Vergleich- 
ung benutzen, so erhalten wir für die Essigmutterzellen etwa 12,6 Proz. 
aschenfreien Zelleninhalt, 84 Proz. aschenfreie Cellulose (Pilzschleim) und 
3,4 Proz. Asche. Die Cellulose bildet die dicken schleimigen Membranen, 
welche zu dem Gallertkuchen verschmolzen sind. 

Diese chemische und anatomische Beschaffenheit giebt uns, wie ich 
glaube, eine ausreichende Erklärung für die eigenthümliche Wirkungs- 
weise. Nur die an der Oberfläche des Kuchens gelagerten Zellen be- 
finden sich in ähnlichen Verhältnissen, wie bei den übrigen Pilzen alle 
Zellen, indem sie an äussere Medien, an Flüssigkeit oder Luft angrenzen. 
Nur diese wenigen Zellen sind rüchsichtlich der Oxydationswirkung so 
günstig gestellt, wie die anderen Pilzzellen. Die Essigmutter entsteht an 
der Oberfläche der Flüssigkeit und bildet auf derselben einen immer 
dicker werdenden, den Wandungen des Gefässes dicht anliegenden Pfropf. 
An einem Kuchen von 100 qmm. Oberfläche und 10 mm. Dicke, der un- 
‚gefähr aus 5 Billionen Pilzen besteht, ist es nur etwa der 30000 bis 
40000 te Theil der Zellen, welcher unmittelbar an die Luft grenzt und 
die volle Einwirkung des Sauerstofis erfährt. Von da an abwärts ver- 
mindert sich die Sauerstoffmenge, so dass wohl nur wenige der obersten 
Zellschichten an der vollständigen Verbrennung Theil nehmen können. 


1) Nach soeben beendigten Versuchen auch den Methylalkohol zu Ameisensäure. 


170 


Daraus erklärt sich zur Genüge, warum in einer locker verpfropften 
oder offenen Essigflasche mit Essigmutter während eines ganzen Jahres 
der Essiggehalt nicht merklich abnimmt. Dass aber während der Essig- 
bildung der Alkohol nur zu Essigsäure und nicht weiter oxydirt wird, 
erklärt sich dadurch, dass zu den tieferen Zellschichten der Essigmutter- 
decke und zu der ganzen unter derselben befindlichen Flüssigkeit nur 
wenig Sauerstoff hingelangt. 

Der essigbildende Pilz stellt nicht immer die zähen glatten Gallert- 
kuchen dar, welche man als Essigmutter bezeichnet, und welche eine 
Dicke bis 60 und 100 mm. erreichen können. In anderen Fällen ist er 
ein dünnes schleimiges Häutchen, welches die Oberfläche der Flüssigkeit 
bedeckt, bald glatt, bald sehr fein gerunzelt erscheint und ungefähr die 
gleiche Dicke behält, da fortwährend die unteren älteren Partieen des- 
selben auf den Boden der Flüssigkeit sinken. Die Ursache der verschie- 
denen Beschaffenheit beruht wohl nur darauf, dass im einen Fall die 
Zellmembranen aus einer dichteren und zäheren, im anderen Falle aus 
einer weicheren und nicht so fest zusammenhängenden Gallerte bestehen'). 

Die Wirkung aber ist ganz analog. Das dünne schleimige Häutchen 
bildet einen Abschluss der Flüssigkeit gegen die Luft. Bloss seine obersten 
Zellschichten kommen mit einer reichlicheren Menge Sauerstoff in Be- 
rührung und bewirken vollständige -Verbrennung. In den unteren Zell- 
schichten und in der Flüssigkeit, soweit Essigpilze sich darin befinden, 
findet unvollständige Oxydation des Weingeistes zu Essigsäure statt. — Da- 
gegen scheint mir das weitere Verhalten der beiden Formen der Essig- 
pilze verschieden zu sein. Während die dicken Gallertkuchen einen 
Schutz für die Flüssigkeit bilden, gestatten die schleimigen Häutchen eine 
viel raschere Verbrennung der Essigsäure und somit eine viel raschere 
‚Verderbniss des Essigs?). 


1) Der Grund dieser Verschiedenheit scheint in der spezifischen Natur der Zellen (Species oder an- 
gepasste Varietäten), und nicht in der Zusammensetzung der Nährflüssigkeit zu liegen; wenigstens erhielt 
ich auf scheinbar gleichen, gegorenen Flüssigkeiten von selbst (ohne Einsaat einer bestimmten Essighefe) 
bald die dicken und zähen Gallertkuchen, bald die dünnen schleimigen Häutchen. 

2) In Frankreich, wo die Essigfabrikation aus Wein in Fässern vermittelst des Essigpilzes 
bewirkt wird, benutzt man, nach Pasteur’s Angaben zu urtheilen, die dünnen schleimigen Häut- 
chen, und das ist wohl rationell, da dieselben, wie meine Erfahrung zeigt, energischer funktioniren, 
und weil man den Prozess zur geeigneten Zeit unterbrechen kann. In der deutschen weinbauenden 
Schweiz waren’ wenigstens früher grosse Essigflaschen in den Haushaltungen heimisch. Sie standen 


u | 


171 


Ausser den beiden Formen des eigentlichen Essigpilzes giebt es noch 
einen Pilz, welcher zur Essigbildung in einer bestimmten Beziehung steht. 
Während die beiden ersteren auf neutralen und schwach sauren Flüssig- 
keiten (z. B. auf Bier) immer von selbst sich einstellen, erscheint auf 
stärker sauren Flüssigkeiten (auf den meisten alkoholarmen Weinen) zuerst 
der zu den Sprosspilzen gehörende Kahmpilz, und zwar um so sicherer, je 
mehr Säure vorhanden ist. Die Kahmhaut bedeckt ebenfalls die Ober- 
fläche und ist durch die starke gekröseähnliche Faltung ausgezeichnet, 
wesshalb sie mit Recht Saccharomyces mesentericus heisst. Von diesem 
Kahmpilz glaubt man gewöhnlich, dass er die Essigbildung vermittle. 
Ich theilte diese Meinung ebenfalls lange Zeit in Folge der bei zahlreichen 
Gärungsversuchen gemachten gelegentlichen Beobachtungen. Erst als 
besondere Versuche zur Erledigung dieser Frage von Dr. Walter Nägeli 
angestellt wurden, offenbarte sich der wahre Sachverhalt. 


Die Kahmhaut besteht anfänglich bloss aus Sprosspilzen (Saccharo- 
myces) und sie behält diese Reinheit um so länger, je saurer die Flüssig- 
keit ist. So lange ist auch von Essigbildung nichts zu bemerken. Dann 
treten, früher oder später, zwischen den Sprosspilzen Spaltpilze auf, erst 
in geringer, dann in zunehmender Zahl. Von jetzt an kann die Essig- 
bildung nachgewiesen werden. Die Function des Kahmpilzes ist unschwer 
zu errathen. Die Sprosspilze sind bekanntlich in sauren Flüssigkeiten 
existenzfähiger als die Spaltpilze. Sie treten also zuerst allein auf und 
sie wirken wie eine Schimmeldecke; sie verbrennen die Säure und 
machen nach hinreichender Dauer die Flüssigkeit neutral. Lange vorher 
aber können Spaltpilze in der Kahmhaut vegetiren, weil hier durch die 
Thätigkeit der letzteren die Flüssigkeit wenig sauer geworden ist. Der 
Kahmpilz hat also die Function, dem Essigpilz den Boden zu bereiten; 
er ist zur Essigbildung um so nothwendiger, je menr Säure der Wein 
enthält, und es wird uns begreiflich, warum in einem gegorenen Wein 
die Essigbildung unterbleiben kann, wenn man die Kahmhaut ausschliesst. 


in der Wohnstube, wurden nach Massgabe, als man ihnen Essig entnahm, mit Wein aufgefüllt, und 
jährlich einmal (meist am Charfreitag) von der. reichlich angewachsenen Essigmutter befreit, von 
welcher nur ein kleines Stück als Samen wieder in die Flasche kam. Für einen solchen Kleinbetrieb 
sind nur die langsamer oxydirenden und den Essig erhaltenden Gallertkuehen zweckentsprechend. 


Abh. d. I. Cl.d. k. Ak.d. Wiss. XIII. Bd. II. Abth. 25 


172 


Da aber nicht nur die Säuren, sondern auch der Alkohol die Vegetation 
der Pilze verhindert, so bedarf ferner ein Wein mit geringerem Säure- 
gehalt, damit er zu Essig werde, um so mehr der vorausgehenden Kahm- 
hautbildung, je alkoholreicher er ist. Erreicht aber der Alkohol einen 
gewissen Prozentsatz, der um so grösser sein muss, je weniger Säure vor- 
handen ist, so bleibt alle Pilzbildung aus). 

Nicht alle Decken von Sprosspilzen sind Kahmhäute und wirken als 
solche. Auf weinartigen Flüssigkeiten stellen sich zuweilen nach der 
Gärung Häute ein, die nicht faltig und gekröseähnlich, sondern locker- 
körnig aussehen, und die nicht aus länglichen und lanzettlichen, sondern 
aus ovalen und rundlichen Zellen bestehen. Solche Decken, obgleich sie 
lebhaft vegetiren und durch die Partieen, welche sich ab uud zu von 
ihnen ablösen und auf den Grund fallen, einen reichlichen Bodensatz 
bilden, verändern die Flüssigkeit nach mehreren Monaten scheinbar gar 


1) Die Synonymie der auf gegorenen Flüssigkeiten sich einstellenden Decken liegt in arger 
Verwirrung, weil man häufig die Morphologie und die Function derselben allzuwenig berücksichtigte. 
Nach meinen Beobachtungen sind folgende Formen zu unterscheiden : 

1. Essigmutter, wird sehr dick, zäh, gallertartig, mit glatter Oberfläche, oxydirt den Alko- 

hol zu Essigsäure, besteht aus Spaltpilzen. Ulvina aceti, Essigmutterpilz, auch unter dem 
Namen Mycoderma aceti. 

2. Essighäutchen, bleibt dünn, schleimig, glatt oder feinrunzelig, oxydirt den Alkohol zu 
Essigsäure, besteht aus Spaltpilzen. Mycoderma cerevisiae, auch unter dem Namen Myco- 
derma aceti und M. vini 

3. Kahmhaut, Gekrösehaut, wird ziemlich stark und ausgezeichnet gekröseähnlich- gefaltet, 
mit ziemlich festem Zusammenhang; besteht aus Sprosspilzen (Saccharomyces mesentericus), 
welche die Fruchtsäuren verzehren; nachher siedelt sich darin der Essigpilz (Spaltpilz) an, 
welcher den Alkohol zu Essigsäure oxydirt. Mycoderma vini. 

4. Falsche Kahmhaut, Glatthaut, wird ziemlich stark, bleibt aber faltenlos, von kör- 
nig-lockerem Zusammenhang, besteht aus Sprosspilzen, verzehrt die Fruchtsäuren nicht in 
bemerkbarer Weise und erlaubt dem Essigpilz nicht sich anzusiedeln. 

Essigmutter und Essighäutchen stellen sich auf geistigen Flüssigkeiten ein, die wenig 
Fruchtsäuren enthalten, dagegen ziemlich viel Essigsäure enthalten können, so namentlich 
auf Bier, auf Essig, welchem Wein oder Bier zugesetzt wird, selten auf schwachsauren Weinen. 
Die Kahmhäute dagegen erscheinen regelmässig auf Flüssigkeiten, die eine gewisse Menge 
von Fruchtsäuren besitzen, die Gekrösehaut auf gegorenem Weinmost und anderen Frucht- 
säften, die Glatthaut zuweilen auf eben solchen Flüssigkeiten, welche durch Zucker- und 
andere Zusätze verändert wurden. Zur Vollständigkeit möge noch die Decke erwähnt werden, 
die zuweilen auf ungegorenen Flüssigkeiten erscheint: 

5. Essigätherhäutchen, dünn, ungefaltet, besteht aus Sprosspilzen (Saccharomyces sphae- 
ricus) und aus Spaltpilzen (Essigpilz), deren gleichzeitige Action einen Theil des Zuckers in 
Essigäther überführt. 


173 


nicht, leiten auch keine Essigbildung ein. Offenbar bewirkt der Kahm- 
pilz eine viel energischere Verbrennung; ob daran bloss die spezifische 
Eigenthümlichkeit oder noch andere äussere Umstände Schuld sind, ist 
noch nicht aufgeklärt. 

Ich habe oben gesagt, dass auf zuckerhaltigen wenig sauren Flüssig- 
keiten bisweilen ein dünnes, meistens aus genau kugeligen Sprosspilzen 
mit beigemengten Spaltpilzen bestehendes Häutchen auftritt, welches 
Essigätherbildung veranlasst. Die Sprosspilze haben hier, wie sonst die 
untergetauchten Alkoholhefenpilze, die Function der geistigen Gärung, 
die Spaltpilze die Function der Essigbildung; aus der zeitlichen und 
räumlichen Vereinigung der beiden Prozesse ergiebt sich die Essigäther- 
bildung. Daneben ist zweifellos auch eine, aber jedenfalls geringe Ver- 
brennung thätig. 

Es haben also alle niederen Pilze das Vermögen, eine vollständige 
langsame Verbrennung in allen möglichen organischen, in Wasser gelösten 
Stoffen zu bewirken; ausserdem haben einzelne bestimmte die Fähigkeit, 
gewisse organische Verbindungen unvollständig zu oxydiren (Essiggärung) 
oder in eigenthümlicher Weise durch Gärung zu spalten. Aber die lang- 
same vollständige Verbrennung zeigt rücksichtlich der Intensität auch 
unter gleichen äusseren Umständen sehr grosse Verschiedenheiten, wie 
schon aus den angeführten Beispielen hervorgeht; die einen Pilze sind 
dazu viel geeigneter als die anderen!). Sie ist also eine allgemeine 
Eigenschaft mit spezifischer Abstufung in der Intensität, während alle 
Gärungen spezifische Eigenthümlichkeiten einzelner Pilzformen sind; 
und zwar lässt sich als Regel mit wenig Ausnahmen angeben, dass im 
Allgemeinen die Pilze, welchen die Gärtüchtigkeit abgeht, zur Ueber- 
tragung der vollständigen Verbrennung viel geeigneter sind. Wenn ein 
bestimmtes Gärvermögen nicht nur einer, sondern zugleich mehreren 
Pilzformen zukommt, so besteht auch hier eine spezifische Abstufung in 
der Intensität, wie das bei der Alkoholgärung (verschiedene Formen von 
Saccharomyces, Sprossformen von verschiedenen Mucor-Arten) deutlich ist. 


1) Die Versuche über die langsame Verbrennung besonders durch Schimmel- und Spaltpilze 


werden in einer besondern Abhandlung dargelegt werden. 
235 


174 


Es ist zwar von Pasteur die Theorie ausgesprochen worden, dass 
die Alkoholgärung eine ganz allgemeine Erscheinung sei in der organ- 
ischen Natur und dass sie jeder durch Sauerstoffmangel krankhaft affı- 
zirten vegetabilischen und animalischen Zelle zukomme, und auch von 
Anderen wurde Aehnliches wiederholt. Wäre diess richtig, so müssten 
höchst wahrscheinlich auch die übrigen Gärvorgänge als allgemeine 
Eigenschaften der organischen Substanz in bestimmten abnormalen Zu- 
ständen betrachtet werden. 

Die Frage nach der Verbreitung der Gärungen ist von zwei Seiten 
zu betrachten, zunächst mit Rücksicht auf die beobachteten Thatsachen 
und dann mit Rücksicht auf allgemein physiologische Gesichtspunkte. 
Was den ersten Punkt betrifft, so habe ich bereits oben dargethan, dass 
der Sauerstoffmangel nicht die Ursache der geistigen Gärung sein kann, 
weil die Hefenzelle in der Zeiteinheit mehr Zucker zerlegt, wenn sie im 
Genuss des Sauerstoffs sich befindet, als wenn ihr derselbe mangelt. Aus 
dieser Thatsache, sowie aus vielen anderen Beobachtungen ziehe ich den 
Schluss, dass die Hefenzellen um so gärtüchtiger sind, je kräftiger sie 
- vegetiren; sowie sie älter und schwächer werden, nimmt auch ihr Ver- 
mögen, Zucker in Alkohol und Kohlensäure zu spalten, ab. 

Nun ist allerdings nachgewiesen, dass auch in andern Pilzen und in 
verschiedenen Geweben der übrigen Pflanzen geringe Mengen von Alkohol 
entstehen. Hier ist es aber wirklich eine abnormale Erscheinung, da sie 
der Zelle im gesunden und lebenskräftigen Zustande mangelt und erst 
eintritt, wenn derselben die Nährstoffe, namentlich der Sauerstoff, entzogen 
werden. Wir finden also nicht sowohl eine Uebereinstimmung als einen 
Gegensatz rücksichtlich der Alkoholgärung zwischen den betreffenden 
Hefenzellen und den übrigen Zellen des Pflanzenreiches. Die letzteren 
(ob alle?) erlangen bei krankhafter Veränderung des Plasmainhaltes vor- 
übergehend und in geringem Grade eine Eigenschaft, welche jenen 
dauernd zukommt und in ihnen um so stärker entwickelt ist, je ge- 
sunder und kräftiger sie vegetiren. 

Rücksichtlich der übrigen Gärungen lässt uns die Erfahrung noch 
fast ganz im Dunkeln. Es unterliegt zwar keinem Zweifel, dass die be- 
treffenden Hefenzellen, wie bei der geistigen Gärung, um so energischere 
Zerlegung verursachen, je lebhafter sie wachsen. Es ist auch Thatsache, 


175 


dass ähnliche Spaltungsprozesse (Milchsäurebildung und Mannitbildung 
aus Zucker, Buttersäure- und Essigbildung, Zerfallen von Albuminaten in 
Ammoniakderivate und andere Stoffe) ausnahmsweise in den Pflanzenge- 
weben auftreten. Diess berechtigt uns aber noch nicht zu einem sichern 
Schluss; wir können bloss die Möglichkeit und allenfalls eine etwelche 
Wahrscheinlichkeit daraus ableiten, dass die verschiedenen Gärvermögen 
in gewissen abnormalen Zuständen allgemeine Erscheinungen der Pflan- 
zensubstanz seien, wie es mit der Alkoholbildung wirklich der Fall ist. 

Was die allgemein physiologischen Gesichtspunkte betrifft, so lassen 
sich zur Zeit nur zwei derselben, die nächste mechanische Ursache des 
Zersetzungsvorganges und seine phylogenetische Beziehung, besprechen, 
und zwar zunächst mit Rücksicht auf die hinreichend erforschte Alkohol- 
bildung. Wenn wir nach der molecularphysikalischen Theorie annehmen, 
dassbei der geistigen Gärung gewisse Bewegungszustände des Hefenplasmas 
auf die umgebenden Zuckermolecüle übertragen werden und in denselben 
das Gleichgewicht in eigenthümlicher Weise stören, so liegt in der wei- 
teren Annahme, dass dem lebenden Plasma anderer Zellen abnormal die 
gleiche Eigenschaft zukomme, nichts Auffallendes und Unwahrscheinliches. . 
Wenn dasselbe durch Entziehung der Nährstoffe oder durch andere schäd- 
liche Einwirkungen aus seinem gewöhnlichen Verhalten krankhaft ver- 
ändert und zuletzt getödtet wird, so durchläuft es eine abgestufte Reihe 
von Uebergangserscheinungen, von denen jede einen eigenthümlichen Bewe- 
gungszustand darstellt. Es liesse sich nun leicht denken, dass in dieser all- 
mäligen Abstufung auch derjenige Bewegungszustand einmal erscheint, 
welcher das Zerfallen des Zuckers in Alkohol und Kohlensäure bedingt, 
— und es wäre ebenso annehmbar, dass auch Bewegungszustände, welche 
andere Gärungen bewirken, nicht fehlten. Nach der Beschaffenheit aller 
äusseren und inneren Umstände wird der betreffende Bewegungszustand 
bald längere bald kürzere Zeit andauern, bald mehr bald weniger ener- 
gisch sein, bald eine grössere bald eine geringere Menge von Gärmaterial 
(Zucker) antreffen, und es muss daher die abnormale Alkoholbildung 
sich quantitativ sehr ungleich verhalten, wie dies in der That der 
Fall ist. 

Wenn die nämliche Erscheinung in einem Gebiete der. organischen 
Reihe in voller Ausbildung auftritt und einen wesentlichen Theil des 


176 


(Ganzen ausmacht, in einem andern aber verkümmert und bedeutungslos 
vorhanden ist, so wird dies gewöhnlich und mit Recht so gedeutet, dass 
sie dort, wo sie den Nutzen gewährte, sich ausgebildet habe, dass sie 
dagegen in den von jenem Gebiet abstammenden Gebieten, wo sie über- 
flüssig geworden, mehr oder weniger verkümmert sei und sich nur noch 
in vererbten Andeutungen erhalten habe. Eine solche Erklärung wäre 
aber für den vorliegenden Fall offenbar unstatthaft ; denn es wird Nie- 
mand etwa behaupten wollen, dass alle übrigen Pflanzen, in welchen ab- 
normale Alkoholbildung vorkommt, als Abkömmlinge der Sprosshefen- 
pilze zu betrachten seien. 

Es ist aber auch die entgegengesetzte Erklärung möglich; eine Er- 
scheinung ist bei den Vorfahren unscheinbar und ohne Bedeutung und 
bildet sich bei den Nachkommen, denen sie Nutzen gewährt, aus. Diess 
ınuss sogar immer der Fall sein; jede Eigenschaft muss, da sie nicht 
aus Nichts entstehen kann, bei den Vorfahren schon in irgend einer 
Weise als Anlage vorhanden gewesen sein. Nur sind diese Anlagen on 
augenfällig und nachweisbar. 

Das Vermögen, Zucker in Alkohol und Kohlensäure zu spalten, 
kommt dem Plasma einer Menge von Pflanzenzellen im krankhaften Zu- 
stande und in geringem, oft kaum bemerkbarem Masse zu. Es ist, wie 
so viele andere, eine aus den Molecularverhältnissen mit Nothwendigkeit 
hervorgehende Eigenschaft, die aber noch keine physiologische Bedeutung 
hat. Diese Eigenschaft kann im Laufe der Generationen zu- oder ab- 
nehmen; sie wird aber nach physiologischen Gesetzen nur da sich sehr 
bedeutend steigern und normal werden, wo die Vergärung des Zuckers 
sich als vortheilhaft erweist. Solches ist bei manchen Sprosspilzen ge- 
schehen. Warum nur gerade bei diesen, ist vorerst noch ein Räthsel. 
Es lässt sich kaum eine Andeutung geben, warum die Sprosspilze mehr 
als andere geeignet waren, durch geistige Gärung Kraft zu gewinnen 
und dadurch die Fähigkeit zu erlangen, in sauerstofflosen Flüssigkeiten 
zu leben. Indessen spricht dieser Mangel nicht etwa gegen die Auffas- 
sung überhaupt, da er ja im Grunde noch allen phylogenetischen Erklä- 
rungen anklebt. Dass es aber Pilze giebt, welche bald in nicht gärtüch- 
tigen Schimmelformen, bald in gärtüchtigen Sprosspilzformen auftreten 
(wie die Mucor-Arten), spricht ebenfalls nicht gegen die phylogenetische 


Ein 


. Erklärung, sondern beweist nur, wie leicht die beiden Zustände in ein- 
ander übergehen, wenn einmal beide zu Eigenschaften der gleichen Species 
geworden sind. 

Die selbständigen Sprosspilze (Saccharomyces) sind ohne Zweifel aus 
Schimmelpilzen entstanden und für sie besonders gilt die phylogenetische 
Ableitung der Gärtüchtigkeit. Der genetische Zusammenhang der Spalt- 
pilze mit andern niedern Pflanzen ist noch dunkel; es ist möglich, dass 
sie von den morphologisch verwandten Nostochinen (im weiteren Sinne) 
abstammen, wiewohl auch das Umgekehrte nicht ausgeschlossen ist. Inner- 
halb der Spaltpilzgruppe selber lassen sich manche morphologische Formen 
durch die Kultur leicht in einander umwandeln, und die specifischen . 
Gärtüchtigkeiten gehen ebenfalls durch Kultur leicht verloren oder werden 
-in andere übergeführt. Hier verhalten sich die verschiedenen morpho- 
logischen und physiologischen Merkmale innerhalb der Species ähnlich 
wie die Schimmel- und Sprossformen bei Mucor, indem sie unter geän- 
derten äusseren Umständen bald durch raschere bald durch langsamere 
Anpassung sich um- und ausbilden. 


Anmerkung, betreffend die Molecülvereinigungen. 


Da der. moleeulare Bau der organisirten Substanzen für die Theorie der Gärung 
im Allgemeinen und für die Erklärung einzelner Erscheinungen, wie beispielsweise 
der durch die Gärthätigkeit ermöglichten Ausscheidung von Eiweiss aus den Hefen- 
zellen, so wichtig ist, so will ich nachträglich noch einige Betrachtungen beifügen, 
welche das im Texte über die molecularen und micellaren Lösungen Gesagte er- 
gänzen und die Micellbildung in das richtige Licht zu der Gesammtheit der molecu- 
laren Verhältnisse stellen sollen. Ich knüpfe dabei an die Anschauung an, von 
welcher Pfeffer in seiner vortrefflichen Schrift „Osmotische Untersuchungen“ (1877) 
ausgegangen ist. 

Was zuerst die Terminologie betrifft, so gebraucht Pfeffer den allgemeinen 
Ausdruck ‚„Tagma‘“ für Moleeülverbindung, mit der Bemerkung, dass man schwerlich 
in der Chemie das an Zelle erinnernde Wort (Micell) einführen wollen werde. Es 
scheint demnach der etymologische Irrthum zu bestehen, dass eine barbarische Zu- 
sammensetzung von einem unbekannten, mit „mi“ anfangenden Wort und „cellula“ 


178 


vorliege, ähnlich etwa wie Aldehyd gebildet ist. — Ursprünglich hatte ich im Jahre 
1858 in Uebereinstimmung mit dem damaligen Sprachgebrauch die jetzigen Molecüle 
„Atome“ und die jetzigen Molecülgruppen „Molecüle“ genannt, indem es sich für 
mich nur darum handelte, für die kleinsten, von den Physiologen als Molecüle oder 
Molekeln bezeichneten Substanztheilchen eine bestimmte Vorstellung zu gewinnen. 
Nachdem dann die Chemie die beiden Wörter in der bekannten Unterscheidung in 
Anspruch nahm, so musste für Molecülgruppe ein neues Wort gesucht werden. Nach 
langem Ueberlegen (wobei Namen, die auf Krystallähnlichkeit oder Zusammenord- 
nung Bezug hatten, verworfen wurden) entschied ich mich für die ganz ungelehrte 
Benennung Micell (Diminutif von miea, Krume), weil sie nichts präjudieirt und 
sich für alle Zusammensetzungen eignet. Sie ist denn auch, nachdem ich mich schon 
durch längeren Gebrauch von der Zweckmässigkeit überzeugt hatte, in die II. Auf- 
lage des „Mikroskops‘* aufgenommen worden, — und ich denke, dass „Krümchen“ 
(micellum) ebenso gut eine Gruppe von kleinsten Theilchen bezeichnet, als „Kolöss- 
chen“ (molecula) die kleinsten Theilchen selbst. 


Was ferner den Begriff betrifft, so kann es für gewisse Betrachtungen voll- 
kommen zweckmässig sein, von einer ganz allgemeinen und unbestimmten Vorstel- 
lung auszugehen, wie Pfeffer von der allgemeinen Molecülverbindung (tagma) aus- 
gegangen ist. Gewiss hat aber auch das andere. Verfahren Berechtigung, einen Be- 
griff genau zu bestimmen und zu untersuchen, wie weit sein wirkliches Vorkommen 
sich erstrecke. Dieses Verfahren führt mich auf 3 ihrem Wesen nach verschiedene 
tagmatische Begriffe, welche nicht unter einen Oberbegriff zusammen gefasst werden 
können, weil je der vorhergehende sich zu dem folgenden verhält wie der Theil zum 
Ganzen; es sind das Pleon, das Micell und der Micellverband. 


In den Krystallen, welche Krystallwasser enthalten, zeigen die Molecüle H>O 
ein bestimmtes numerisches Verhältniss zu den Substanzmoleeülen oder Salzmolecülen, 
wie ich sie allgemein nennen will. So kommen z. B. auf 1 Mol. schwefelsaure 
Magnesia in den einen Krystallen 7, in den andern 12 Molecüle Wasser, auf 1 Mol. 
essigsaures Natron 3 Mol. Wasser, auf 1 Mol. Citronensäure und auf 1 Mol. Trauben- 
zucker 1 Mol. Wasser. Während das eigentliche Hydratwasser, durch Werthigkeiten 
gebunden, einen Theil des Salzmolecüls selbst ausmacht, befindet sich das Krystall- 
wasser als getrennte Molecüle neben demselben. Die Krystallwasser-führenden Sub- 
stanzen bestehen also aus Molecülgruppen, von denen jede 1, seltener 2 Molecüle 
Substanz (Salz) und 1 bis 24 Mol. Wasser enthält. Wie das Wasser die Molecül- 
gruppen bilden hilft, können auch verschiedene Salzmoleeüle zu solchen Einheiten 
zusammentreten, wie dies bei den Alaunarten so deutlich ist. 


Diese Moleeülgruppen habe ich in Ermangelung eines bessern Wortes bisher 
in meinen Notizen „Pleone‘‘ genannt (ro srAcor, Mehrzahl), und für den so häufigen 
Fall, dass Wasser einen Bestandtheil derselben ausmacht, „Hydropleone‘“. Vielleicht 
auch würde man zweckmässig „chemische Verbindung‘, wenn der Zusammenhalt 


179 


durch die Werthigkeiten erfolgt, und „chemische Vereinigung‘, wenn die Moleeüle 
in bestimmter Zahl zu Pleonen zusammentreten, unterscheiden. 

Die genannten Molecülgruppen gehören nicht bloss dem festen Zustande an; 
sie bestehen auch in der Lösung fort. Besonders überzeugend lässt sich dies für das 
Hydropleon nachweisen, welches zwischen den beweglichen Wassermoleeülen eine 
relativ feste Vereinigung darstellt. Den Massstab für seine Festigkeit giebt uns die 
Differenz in der Wärmetönung, wenn das wasserfreie und das wasserhaltige Salz sich 
lösen. Die grössere Wärmemenge, welche sich beim Lösen des wasserfreien Salzes 
entwickelt, entspricht dem Verluste an lebendiger Kraft (Bewegung), welche die in 
Hydropleonbildung eingehenden Wassermolecüle erleiden. 


Gänzlich verschieden vom Pleon ist das Micell, indem letzteres nichts anderes 
als einen winzigen, weit jenseits der mikroskopischen Sichtbarkeit liegenden Krystall 
darstellt. Das Pleon ist ein individueller Körper, gleich dem Molecül, welcher weder 
wachsen, noch getheilt werden kann, ohne seine Natur zu ändern, während das 
Micell wie der Krystall, wenn es sich vergrössert oder in Stücke zerschlagen 
_ wird, seine innere Beschaffenheit behält. Das Micell unterscheidet sich von dem 
Pleon durch die beträchtlichere Grösse; denn der geringe Wassergehalt in manchen 
organisirten Substanzen (in den dichtesten Schichten der Stärkekörner und Cellulose- 
membranen) verlangt, wie aus der Vergleichung mit weichen (wasserreichen) Schichten 
hervorgeht, unabweisbar die Annahme, dass viele Micelle nicht bloss aus Hunderten 
sondern aus vielen Tausenden von Molecülen krystallinisch (ohne zwischenliegendes 
Wasser) aufgebaut seien !). Möglicher Weise giebt es organisirte Substanzen, deren 
Moleeüle mit Krystallwasser fest werden; dann sind ihre Micelle aus zahlreichen 
Hydropleonen zusammengesetzt. Für die Stärke ist dies nicht wahrscheinlich ; wäre 
es der Fall, so müssten die Micelle der wasserarmen Schichten aus einer noch weit 
grösseren Zahl von Hydropleonen bestehen, als die Rechnung für die wasserfreien 
Molecüle ergiebt (weit über 10,000). 

Der innere Bau der Micelle ist krystallinisch, während die äussere Gestalt alle 
möglichen Formen zeigen kann. Ich habe diese Vorstellung seit 1858 unverändert 
festgehalten und bin offenbar missverstanden worden, wenn Pfeffer (Osmot. Uut. 
8. 150) sagt, ich hätte späterhin in die Definition organisirter Substanz „krystalli- 
nische oder wenigstens polyedrische‘ Micelle aufgenommen, und käme damit in 
Widerspruch mit meinen eigenen früheren Annahmen von kugeligen Anfängen. 
An der einen von Pfeffer eitirten Stelle sind aber die Micelle bloss als ‚‚krystalli- 
nisch“ bezeichnet und damit ihr innerer Bau gemeint; an der anderen citirten Stelle 
heisst es, dass „die Gestalt derselben im Allgemeinen eine polyedrische sein müsse‘‘, 
was nicht ausschliesst, dass die Anfänge kugelig sind. Die ursprüngliche Kugelge- 


1) Nägeli, Stärkekörner p. 331 ff. 
Abh. d. II. Cl.d.k. Ak.d. Wiss. XIII. Bd. II. Abth. 24 


180 


stalt der Micellanfänge habe ich übrigens immer nur als wahrscheinlich ausge- 
sprochen und dabei namentlich auch an den Mangel der Krystallisationsfähigkeit 
bei Stärke und Cellulose erinnert, indem ich damals die Amylodextrin-Crystalloide 
und die doppelbrechenden Eigenschaften der Micelle noch nicht kannte. Diese neuen 
Errungenschaften ändern indess nichts an der Vorstellung, wie der Aufbau eines 
organisirten Körpers (eines Stärkekorns, einer Zellmembran u. s. w.) zu Stande kommt, 
sie modifiziren nur wenig die Begründung. 

Wenn die organisirten Substanzen molecular-Jöslich wären, so hätten die Mi- 
celle, die aus solchen Lösungen sich ausscheiden, als Krystallisationsanfänge ohne 
Zweifel auch die äussere Gestalt von Krystallen, indem die sich anlagernden Mole- 
cüle vermöge ihrer Beweglichkeit im Wasser den Stellen der stärkeren Attraetion 
zuströmen würden. Da die organisirten Körper aber molecular-unlöslich sind, so 
wird die Vergrösserung eines Krystallanfanges wesentlich bedingt durch die Ursachen, 
welche die molecular-lösliche Verbindung in die unlösliche (Zucker in Stärke und 
Cellulose, Peptone in Albuminate u. s. w.) überführen. Der krystallinische Anfang 
eines Stärkemicells lagert ein neues Stärkemolecül nicht da an, wo es die Krystalli- 
sationskräfte verlangen würden, sondern da, wo das in Wasser unbewegliche Molecül 
entsteht. Desswegen können die Molecüle eines Micells doch genau die Anordnung 
haben, wie in einem richtigen Krystall, nämlich in parallelen Ebenen, die nach drei 
Dimensionen sich kreuzen mit entsprechend gleichmässiger Orientirung, — und dass 
diese Anordnung entweder in aller Strenge oder doch in weit überwiegendem Masse 
vorhanden ist, beweist uns die Doppelbrechung des Micells. Die äussere Gestalt der 
Micelle aber kann jede beliebige Abstufung von der regelmässigen Krystallform bis 
zur Kugel und zum ganz unregelmässigen Körper zeigen. Die ersten Anfänge sind 
aus verschiedenen Gründen wenigstens in einzelnen Fällen sehr wahrscheinlich ku- 
gelig; der wichtigste Beweis jedoch für diese Annahme lässt sich noch nieht bei- 
bringen, da er eine genauere Kenntniss der molecularen Kräfte, welche die chemische 
Umwandlung bedingen, und namentlich auch der räumlichen Anordnung dieser Kräfte 
voraussetzt. 

Ich habe früher (Stärkekörner 1858) angenommen, dass das Micell ausschliess- 
lich wie ein einfacher Krystall wachse, bin aber längst überzeugt, dass noch ein 
anderer Factor bei der Vergrösserung der Micelle mitwirkt. Die mechanischen und 
die räumlichen Bedingungen des Wachsthums von Stärkekörnern und Cellulosemem- 
branen, sowie der Erscheinungen beim Aufquellen dieser Gebilde verlangen die Theorie, 
dass nicht bloss die einzelnen Micelle wie Krystalle durch Auflagerung wachsen, 
sondern dass auch mehrere oder viele sich mit einander vereinigen und durch Ver- 
wachsung zusammengesetzte Micelle bilden, in analoger Weise wie mehrere einfache 
Krystalle zu einer Druse verwachsen. Die Vereinigung geschieht dadurch, dass der 
sonst mit Wasser erfüllte Zwischenraum zwischen zwei Micellen sich mit Substanz 
ausfüllt. Dabei passen selbstverständlich die Molecüle (oder Pleone) der beiden ver- 
wachsenden Micelle nicht genau aufeinander. An der Verwachsungsstelle ist daher 


181 


die regelmässige krystallartige Anordnung der Molecüle mehr oder weniger gestört, 
und hier vermögen die Quellungs- und Lösungsmittel, deren Angriffen die streng 
regelmässige Structur mit ihrer stärkeren Cohäsion noch widersteht, mit Erfolg ein- 
zugreifen und den Zusammenhang zu lösen. — Das Verwachsen kann sich wieder- 
holen, so dass also nun zusammengesetzte Micelle sich mit einander vereinigen, und 
dass zuletzt ein vielfach zusammengesetztes Micell entsteht. Je grösser und zusam- 
mengesetzter zwei verwachsende Micelle sind, um so weniger passen ihre Molecüle 
auf einander, um so weniger fest ist unter übrigens gleichen Umständen der Zu- 
sammenhang. Es erfolgen daher die Trennungen ebenfalls stufenweise; so beobachtet 
man an der Stärkesubstanz ein wiederholtes Zerfallen der zusammengesetzten Micelle, 
wobei jede folgende Stufe einer stärkeren Action der angewendeten Mittel entspricht. 

Grosse Micelle von höherer Zusammensetzung zerfallen aber nur dann leichter 
als kleinere und einfachere, wenn ihre Verwachsungen gleich alt sind, was für die 
Hauptmasse eines Stärkekorns zutrifft. Sind die einen Verwachsungen älter, so er- 
weisen sie sich auch fester und widerstandsfähiger, wahrscheinlich weil beim Wachs- 
thum des ganzen zusammengesetzten Micells die Vereinigungsstellen durch gemein- 
same Substanz von mehr ununterbrochener und regelmässiger Anordnung überlagert 
und geschützt werden. So sind in der ältesten Partie eines Stärkekorns (in der 
Rindenschicht, welche das geringste Wachsthum zeigt, da sie mit dem Quadrat des 
Radius zunimmt, indess die übrige Substanz mit der dritten Potenz des Radius sich 
vermehrt) die Micelle nicht bloss am grössten, sondern auch am widerstandsfähigsten 
gegen Quellungsmittel. 

Die Verwachsung der Micelle kann nach allen Seiten erfolgen und mehr oder 
weniger isodiametrische Körperchen bilden, wie diess ohne Zweifel in der inneren 
Partie des Stärkekorns der Fall ist. Oder sie kann einseitig sein und durch Ver- 
schmelzung einer Micellreihe linienförmige oder fibrillenförmige Körperchen bilden, 
wie dies für die Holz- und Bastzellen ihrer mechanischen Eigenschaften wegen ange- 
nommen werden muss, besonders für die besseren Bastsorten, deren Zugfestigkeit 
dem Schmiedeeisen und selbst dem Stahl gleich kommt. Diese fibrillenartigen zu- 
sammengesetzten Micelle sind übrigens nicht zu verwechseln mit den Primitivfasern, 
aus denen man sich früher die Pflanzenzellmembranen zusammengesetzt dachte, und 
welche nichts anderes als die mikroskopisch sichtbaren dichteren streifenförmigen 
Stellen der Membranschichten sind. 

Wahrscheinlich kommt Micellbildung nicht bloss bei den organisirten Körpern 
und in den aus denselben erhaltenen Micellarlösungen vor. Der gallertartige Zustand 
in welchem die Kieselsäure und andere unorganische Verbindungen auftreten, die 
Unfähigkeit dieser Verbindungen zu diosmiren, und die anderen äusserst mannig- 
faltigen Erscheinungen, welche sich an den gallertartigen Zustand knüpfen und so 
grosse Aehnlichkeit mit dem Verhalten der Albuminate zeigen, deuten mit grosser 
Wahrscheinlichkeit darauf hin, dass auch hier die Bildung von Micellen und Micell- 
verbänden Platz greift. Auch bei sehr concentrirten Lösungen muss wahrscheinlich, 

24* 


182 


wie ich später für den Zucker zeigen werde, das Vorhandensein von Micellen ange- 
nommen werden; vielleicht spielen dieselben auch eine Rolle in den übersättigten 
Lösungen, insofern nicht alle dieselben betreffenden Thatsachen aus verschiedenen 
„Hydraten‘‘ (d. h. Hydropleonzuständen) sich erklären lassen sollten. Endlich treffen 
wir in den Niederschlagsmembranen, mit denen man künstliche Zellen dargestellt 
hat, einen micellaren Bau. 

Die Micelle vereinigen sich aus einer Micellarlösung auf zwei verschiedene Arten 
zu Verbänden, entweder in regelmässiger Art, wobei sie nach den nämlichen Regeln 
zu einem Krystalloid zusammentreten, wie die Molecüle oder Pleone zu einem Kry- 
stall (die drei Normen, nach denen dies geschieht, habe ich im Text angegeben), — 
oder in unregelmässiger Weise, indem sie sich beliebig, bald mehr baumartig, bald 
mehr netzartig, an einander hängen. Diese unregelmässigen Verbände sind entweder 
getrennt in der opalisirenden Flüssigkeit, oder sie hängen alle zusammen und bilden 
eine stehende Gallerte. — Gemeinsam ist allen Micellverbänden, dass die einzelnen 
Micelle an der ganzen Oberfläche mit Wasser umgeben sind, und dass der Zusammen- 
hang nur durch grössere Annäherung der Micelle, somit durch Verminderung der 
trennenden Wasserschicht an bestimmten Stellen zu Stande kommt. 

Dass die Micelle aus einer Lösung bald zu regelmässigen, bald zu unregel- 
mässigen Verbänden sich zusammenordnen, erklärt sich leicht aus ihrer verschiedenen 
Gestalt und Grösse. Nur wenn die Micelle annähernd gleich gross und gleich ge- 
staltet sind, können sie sich, ähnlich wie Molecüle oder Pleone, zu regelmässigen 
krystallähnlichen Körpern vereinigen. Da jedoch die Micelle nie die vollkommene 
Gleichheit der Molecüle und Pleone erreichen, so bleiben auch die Krystalloide immer 
etwas hinter der strengen geometrischen Regelmässigkeit der Krystalle zurück (Sitz- 
ungsber. der k. b. Akad. d. W. vom 11. Juli 1862). In den künstlich erhaltenen 
Micellarlösungen scheinen die Micelle, wie dies übrigens begreiflich ist, meistens von 
ungleicher Grösse und Gestalt zu sein und daraus zum Theil die Schwierigkeit er- 
klärt zu werden, mit der sich Krystalloide aus denselben gewinnen lassen. 

Die organisirten Körper bestehen ebenfalls bald aus regelmässigen bald aus 
unregelmässigen Micellverbänden. Hier sind aber bezüglich des Zustandekommens 
andere Gesichtspunkte massgebend, da die Verbände nicht durch Zusammentreten 
ursprünglich getrennter Micelle aus einer Lösung, sondern durch Zwischenlagerung 
neuer Micelle zwischen die schon vorhandenen sich bilden. In dem organisirten 
Körper besteht der regelmässige Bau in einer gleichartigen Orientirung der Micelle, 
welche sich durch die doppelbrechenden Eigenschaften kundgiebt, und welche jeden- 
falls auch eine gewisse regelmässige schichtenweise Anordnung voraussetzt, aber eine 
grosse Mannigfaltigkeit in Form und Grösse der Micelle gestattet. Daher ist es denn 
eine gewöhnliche Erscheinung, dass die Micelle einer ganz regelmässig gebauten or- 
ganisirten Substanz (Stärkekorn, Zellmembran), nachdem sie sich getrennt haben 
und in Micellarlösung gegangen sind, nicht mehr oder nur in sehr beschränktem 
Masse zu regelmässigen Formen (Crystalloiden) sich vereinigen. 


183 


Wir haben also, wie aus dem Vorstehenden sich ergiebt, wenn wir alle mole- 

eularen Verhältnisse bis dahin, wo sie dem bewaffneten Auge sichtbar werden, be- 
rücksichtigen, 5 Stufen zu unterscheiden: Atome der chemischen Elemente, Moleeüle, 
Pleone, Micelle und Micellverbände. Nur die letzteren können, wenn sie eine be- 
sondere Grösse erreichen (wie dies z. B. in den Krystalloiden der Fall ist) unter 
dem Mikroskop wahrgenommen werden. Die Stufen sind im Allgemeinen scharf 
geschieden, indem sich jede zur folgenden verhält wie der Theil zum Ganzen. Das 
schliesst aber nicht aus, dass die eine für die nächstfolgende eintreten und ihre Rolle 
übernehmen kann, wie z. B. in den Quecksilberdämpfen die Atome als Moleeüle auf- 
treten, wie ferner so häufig die Molecüle unmittelbar zu Micellen oder Krystallen 
zusammentreten, insoferne sie nicht etwa auch bei Mangel an Krystallwasser zunächst 
Pleone (von bestimmter Molecülzahl) bilden. 
\ Die Aufgabe der Wissenschaft scheint mir nun die zu sein, bei jeder dem un- 
‚ sichtbaren Gebiete angehörenden Erscheinung zu bestimmen, welcher der oben ge- 
nannten Stufen dieselbe angehöre. Diese Aufgabe besteht für den physikalischen 
Theil der Chemie, besonders aber für die Molecularphysiologie, welche bei jedem 
Schritt das Bedürfniss empfindet, sich über jene Erscheinungen klar zu werden. 
Pfeffer hat die drei letzten Stufen (Pleon, Micell und Micellverband) als Tagma 
zusammengefasst, und es ist dies jedenfalls ein Fortschritt gegenüber dem gewöhn- 
lichen Verfahren, alles dem unsichtbaren Gebiete Angehörige als ‚„moleculare Ver- 
hältnisse‘‘ zu bezeichnen. Imdessen kann der letztere ganz allgemeine Begriff nicht 
entbehrt werden, und wenn man, was ebenfalls zweckmässig ist, in dem ganzen un- 
sichtbaren Gebiete zwei Gruppen unterscheiden will, so würde ich für natürlicher 
halten, die Scheidung an einer anderen Stelle zu vollziehen und die drei ersten 
Stufen den zwei letzten gegenüber zu setzen. Man würde dann die molecularen 
Verhältnisse im engeren Sinne und die micellaren Verhältnisse unterscheiden. Zu 
den ersteren würde Alles gehören, was die Atome, Molecüle und Pleone betrifft, 
also Alles, was dem eigentlich chemischen Gebiete angehört und sich nach bestimmten 
Verhältnisszahlen (Aequivalenten) verbindet oder vereinigt. Die letzteren dagegen 
würden Alles begreifen, was die Micelle und die Micellverbände betrifft, was dem 
eigentlich physikalischen Gebiete angehört, mit der Fähigkeit zu unbestimmter und 
unbegrenzter Vereinigung. — Aber diese allgemeinen Begrifte dürfen nur als Noth- 
behelf dienen, und das Augenmerk muss immer darauf gerichtet sein, zu den ein- 
zelnen Stufen als den natürlichen und concreten Begriffen vorzudringen. 

Wie wichtig die Unterscheidung der verschiedenen Stufen ist, zeigt sich be- 
sonders auch bei den diosmotischen Erscheinungen, welche in Folge der Schrift 
Pfeffer’s vorzüglich auch zu dieser Anmerkung Veranlassung gegeben haben. 
Der Durchgang eines gelösten Stoffes durch eine Membran wird ermöglicht durch 
das Wasser, das in derselben enthalten ist. Je mehr dieses Wasser durch die Sub- 
stanz beeinflusst ist, um so mehr wird die Diosmose eine besondere, von der 
Diffusion in Wasser (ohne trennende Membran) verschiedene Erscheinung. Der 


184 


Charakter der Diosmose (Verhältniss von Salz- und Wasserströmung, diosmo- 
tischer Druck u. s. w.) ist also um so ausgesprochener, je enger die mit Wasser 
gefüllten Poren der Membran sind. Auf diesen Punkt legt auch Pfeffer mit 
Recht grosses Gewicht; er unterscheidet Wasser, das unter dem Einfluss der 
molecularen Anziehung der Substanz steht, und solches, welches ausser- 
halb derselben sich befindet; ersteres bedingt die „moleculare“, letzteres die „capil- 
lare“‘ Diosmose, Wenn er aber den Nachweis von Wasser in einer tagmatischen 
Anordnung im Allgemeinen als ausreichend betrachtet, um eine diatagmatische Dios- 
mose anzunehmen, so halte ich es für zwecekmässig, auch in dieser Beziehung einen 
Sehritt weiter zu gehen, indem nur die letzte Stufe, der Micellverband, den Durch- 
gang von flüssigen und gelösten Stoffen erlaubt, das Micell selbst aber als unwegsam 
betrachtet werden muss. 

Ausser dem capillaren Wasser, welches die gewöhnliche Diffusion zeigt, haben 
wir nämlich in einer feuchten Membran noch zweierlei Wasser zu unterscheiden: 
dasjenige, welches die Oberfläche der Micelle zunächst umgiebt, und welches wir wohl 
am besten als Adhäsionswasser bezeichnen, — und dasjenige, welches allenfalls mit in 
die Zusammensetzung der Micelle eintritt und welches ich am liebsten Constitutions- 
wasser nennen möchte, wenn nicht dieser Ausdruck schon in mehrfachem Sinne ver- 
wendet worden wäre. Diese drei Arten von Wasser weichen in dem Grade der 
Beweglichkeit ihrer Molecüle von einander ab. Das capillare Wasser hat die vollen 
Molecularbewegungen des freien Wassers; in dem Adhäsionswasser sind die fort- 
schreitenden Bewegungen der Molecüle mehr oder weniger vermindert, und in dem 
Constitutionswasser (Krystallwasser, Pleonwasser) befinden sich die Moleeüle in einem 
starren, unbeweglichen Zustande. Anderes Wasser giebt es überhaupt nicht; denn 
die Elemente des eigentlichen Hydratwassers, das durch Werthigkeiten gebunden ist, 
‘ befinden sich ja nicht als H2O, sondern als HÖ in den Molecülen. 

Ueber die Bewegungszustände der Wassermolecüle, welche das Constitutions- 
wasser (Krystallwasser) des festen Zustandes bilden, geben uns die Lösungswärmen 
Aufschluss. Wenn das Wasser zu Eis wird, so verlieren die Molecüle ihre fort- 
schreitende Bewegung; diesem Verluste entspricht die Menge der freiwerdenden 
Wärme. Wenn ein Salz aus- einer Lösung das eine Mal ohne, das andere Mal mit 
Krystallwasser ausfällt, so zeigt uns die Differenz der Wärmeentwicklung an, wie viel 
die Wassermolecüle beim Krystallisiren an Bewegung einbüssen. Statt den bei der 
Krystallisation freiwerdenden Wärmemengen, können wir auch die beim Lösen des 
wasserfreien und wasserhaltigen Salzes absorbirten Wärmemengen messen, da in 
beiden Fällen natürlich die gleichen Werthe erhalten werden. 

Um ein Beispiel anzuführen, so krystallisirtt das schwefelsaure Natron als 
Glaubersalz mit 10 Aeq. Wasser; es kann aber auch wasserfrei erhalten werden. 
Beim Lösen des wasserfreien Salzes werden für jedes Molecül Salz 760 Cal. frei, beim 
Lösen des wasserhaltigen Salzes dagegen 18100 Cal. absorbirt. Die Differenz von 
+ 760 und — 18100 beträgt -+ 18860 Cal., welche Wärmemenge der Einbusse an 


185 


lebendiger Kraft von 10 Mol. H?O entspricht, wenn sich dieselben mit 1 Mol. 
Na?SO* zu einem Hydropleon vereinigen. Dies gilt für eine bestimmte Temperatur 
und eine bestimmte Menge des lösenden Wassers, und macht auf 1 Mol. H?O, 
welches in das Hydropleon eintritt, durchschnittlich 1886 Cal. aus. — Wahrschein- 
lich vereinigt sich das Molecül des wasserfreien Salzes bei der Lösung mit 10 Mol. 
H?O, zu einem Hydropleon. Dieser Umstand ist übrigens für das Ergebniss gleich- 
gültig. Mögen die Salzmolecüle in der Lösung nicht mit Wasser oder mit irgend 
einer beliebigen Anzahl von Wassermolecülen vereinigt sein, so muss, wenn das eine 
Mal die feste Verbindung Na? SO®, das andere Mal die feste Verbindung Na? SO* + 
10H°O sich in Wasser löst, im ersten Fall immer eine grössere Zahl von H?O- 
Moleeülen in den festen, oder eine kleinere Zahl von H?O-Moleeülen in den be- 
wegten Zustand übergehen als im zweiten Fall, und die Differenz muss immer 
10 Molecüle betragen. 


Wenn Wasser zu Eis oder Eis zu Wasser wird, so beträgt die Abgabe oder 
die Aufnahme von Wärme für jedes Molecül bei 0° 1442 Cal., bei 18°C. ungefähr 
1600 Cal. Da nun beim Krystallisiren von Glaubersalz bei 18°C. für jedes der 10 
Molecüle Krystallwasser durchschnittlich 1886 Cal. frei werden, so verliert das Wasser 
dabei mehr von seiner lebendigen Kraft als wenn es zu Eis wird; in dem Glauber- 
salzkrystall sind die Wassermolecüle unbeweglicher als im Eis. — Das Nämliche 
gilt für die übrigen Krystallwasser führenden Verbindungen, deren Wärmetönungen 
bekannt sind. Wenn man die Wärmemenge berechnet, welche für ein in den Kry- 
stall eintretendes Wassermoleeül frei wird, so ist sie in der Regel grösser als wenn 
ein Wassermolecül zu Eis wird; sie kann selbst mehr als den doppelten Werth er- 
reichen (so beim oxalsauren Ammoniak, oxalsauren Natron, weinsauren Kali). 


Wenn das Hydropleon mehrere Wassermoleeüle enthält, so befinden sich die 
einen in einem Zustande grösserer Starrheit als die anderen. Die moleculare Lös- 
ungswärme des wasserfreien essigsauren Zinkoxyds (Zn C*H#0%) beträgt + 9820 Cal., 
diejenige des Salzes mit 1 Mol. Krystallwasser + 6360 und diejenige des Salzes 
mit 2 Mol. Krystallwasser + 4240 Cal. Das erste Molecül Krystallwasser hat somit 


eine moleculare Lösungswärme von — 3460 Cal., das zweite eine solche von — 2120 
Cal., beide Moleeüle zusammen eine durchschnittliche Lösungswärme von — 2790 
Cal. — Die moleceulare Lösungswärme des phosphorsauren Natrons (Na?HPO%) 


beträgt im wasserfreien Zustande + 5481 Cal., mit 7 H?’O dagegen — 11328 
Cal. und mit 12 H2O — 22496 Cal. Die ersten 7 Molecüle Krystallwasser 


haben demnach eine durchschnittliche Lösungswärme von — 2401 Cal. für 
jedes Molecül, die 5 letzten eine solche von — 2234 Cal. und alle 12 zusammen 
eine solche von — 2331 Cal. Daraus ergiebt sich der allgemeine Schluss, dass das 


erste Moleeül Wasser, welches in ein Pleon eintritt und welches dasselbe auch zu- 
letzt verlässt, am meisten gebundene Wärme oder Bewegung verliert und dass jedes 
folgende eine geringere Einbusse erfährt. 


186 


Diese Thatsachen sind wichtig für die Beurtheilung des Bewegungszustandes, 
in welchem sich das allenfalls in den Micellen enthaltene Wasser befindet, und für 
die Entscheidung der Frage, ob Diosmose durch die Micelle hindurch möglich sei. 
Es wird Niemand daran zweiteln, dass eine Platte von Eis und ein Krystall mit 
Krystallwasser für gelöste Stoffe unwegsam sind, denn in beiden sind die Wasser- 
molecüle nicht verschiebbar, indem sie bloss um ihre Gleichgewichtslage schwingen. 
Wenn aber Wassermoleeüle mit in die Constitution der Micelle eingehen, so müssen 
sie sich darin in dem nämlichen starren Zustande befinden wie im Eis oder in jedem 
andern Krystall; und die Unbeweglichkeit muss um so grösser sein, in je geringerer 
Menge das Wasser im Verhältniss zur Substanz vorhanden ist. Betreffend diese 
Menge haben wir für die Stärke und die Cellulose bestimmte thatsächliche Anhalts- 
punkte. Der geringe Wassergehalt der dichten Schichten in den Stärkekörnern und 
in den Zellmembranen erlaubt bloss die Annahme, dass die Micelle aus wasserfreier 
Substanz bestehen, oder dass auf je 12 C höchstens 1 Mol. Krystallwasser komme. 
Wir haben für das Eine und Andere die Analogie der ohne Wasser oder mit Wasser 
krystallisirenden Zuckerarten. Ich halte es für viel wahrscheinlicher, dass die Stärke- 
und Cellulosemicelle kein Wasser enthalten. 

Die Nothwendigkeit der Annahme, dass die allenfalls in den Micellen einge- 
schlossenen Wassermolecüle starr seien, lässt sich übrigens auch aus einer anderen 
Erwägung schon zum Voraus darthun. Wenn eine Substanz (Salz) mit Krystall- 
wasser fest wird, so ist dies em Beweis dafür, dass unter den bezüglichen Umständen 
das Salzmoleceül die ihm zutreffenden Wassermolecüle stärker anzieht als die Salz- 
molecüle selbst. Das wasserfreie Salz entspricht also im genannten Falle einer ge- 
ringeren Summe von Anziehung, und da diese eine feste Vereinigung bedingt, so 
muss die grössere Summe von Anziehung nothwendig ebenfalls eine feste Vereinigung 
hervorbringen. Und die nämliche Bewandtniss hat es mit den Wassermolecülen, 
welche in die krystallinische Structur der Micelle aufgenommen werden. 

Aus diesen Gründen muss ich, gegenüber der Theorie Pfeffer’s einer dia- 
tagmatischen Diosmose, an meiner ursprünglichen Behauptung, dass die Micelle, ins- 
besondere diejenigen der Kohlenhydrate, für flüssige und lösliche Stoffe unwegsam 
seien, festhalten !). Die Diosmose durch eine Membran kann also nur durch das 
capillare und das Adhäsionswasser vermittelt werden. Ueber den Bewegungszustand 
des letzteren geben uns verschiedene Betrachtungen einigen Aufschluss. 


1) Wenn Pfeffer anführt, dass ich früher die Möglichkeit erwähnt habe, dass Wasser in den 
Micellen enthalten sei, und wenn er aus dem Vorhandensein von Constitutionswasser den Schluss zieht, 
dass dasselbe beim Trocknen ganz oder theilweise verloren gehe, so muss ich dagegen erwidern, dass 
ich schon ursprünglich (1858) das möglicher Weise eingeschlossene Wasser als Krystallwasser und 
mit Rücksicht darauf die Micelle als undurchdringlich bezeichnet habe. Solches Wasser würde auch 
nicht beim Trocknen verdunsten, sondern wohl erst, bei höherer Temperatur fortgehen. Alles, was 
Pfeffer von dem Constitutionswasser sagt, gilt nach meiner Ansicht bloss für das zwischen den 
Micellen befindliche Adhäsionswasser. 


187 


Viele Körper ziehen das Wasser energisch an und benetzen sich damit; sind 
sie porös, so werden sie davon durchdrungen. Die organisirten Substanzen nehmen 
nach dem Eintrocknen Wasser auf, indem die Neigung der Micelle, sich mit einer 
Wasserhülle zu umgeben, grösser ist als die im Uebrigen sehr bedeutende Anzieh- 
ung, die sie auf einander selber ausüben. Dieser Verwandtschaft der Micelle zum 
Wasser muss der Grad der Unbeweglichkeit entsprechen, in den dabei die Molecüle 
des letzteren gerathen. 

Die Imbibition setzt sich aus verschiedenen mechanischen Vorgängen zusammen. 
Einmal werden die Micelle von einander entfernt, und damit eine Arbeit geleistet, 
wie wenn ein Gewicht gehoben, resp. von dem Erdmittelpunkte entfernt wird. Dann 
nehmen die Micelle in Folge der Stösse, die ihnen die Wassermolecüle versetzen, 
lebhaftere (schwingende) Bewegungen an. Beide Arbeitsleistungen bedingen eine 
Abnahme der Bewegung der Wassertheilchen oder ihres Wärmevorrathes. Endlich 
wird eine gewisse Zahl von Wassermolecülen durch die Micelle in besonderem Grade 
angezogen; dieselben gehen in einen mehr oder weniger starren Zustand über, wobei 
Wärme frei werden muss. Alle drei Vorgänge haben eine Verminderung der Be- 
wegung der in die organisirte Substanz eingedrungenen Wassermolecüle zur Folge. — 
Bei der Imbibition vereinigen sich also drei Momente, von denen die beiden ersten 
Wärme binden, der letzte Wärme frei macht. Es war vorauszusehen, dass der letz- 
tere bedeutend überwiege, und dass daher mit der Benetzung ein Steigen der Tempe- 
ratur eintrete. 

Um darüber experimentelle Gewissheit zu erhalten, wurde Weizenstärkemehl 
durch Trocknen bei 60 bis 80°C. ziemlich wasserfrei gemacht und, nachdem es auf 
19° C. abgekühlt war, 100 gr. davon in 100 cem destillirtem Wasser von gleicher 
Temperatur eingerührt. Die Temperatur stieg sogleich auf 27°C., also um 8°. — 
Da das Stärkemehl wahrscheinlich noch etwas Wasser enthalten hatte, so wurde 
noch einmal eine Partie zwischen 80 und 90°C. getrocknet und der Gewichtsverlust 
bestimmt; derselbe betrug 13,1 Proz. 40 gr. von diesem getrockneten Weizenstärke- 
mehl, mit 40 ccm. Wasser, beide von der Temperatur 22° C., zusammengerührt, er- 
wärmten sich auf 33,6° C.,also um 11,6°. Diesmal enthielt das Stärkemehl nur noch 
_ geringe Spuren von Wasser ; denn eine andere kleinere Partie, die so lange bei 90° C. 
getrocknet wurde, bis kein Gewichtsverlust mehr erfolgte, zeigte eine Abnahme von 
13,3 Proz. — 40 gr. lufttrockenes Stärkemehl, mit 29,5 ccm. Wasser !) zusammen- 
gerührt, liess das Thermometer von 20,6°C. auf 23,3% steigen, also um 2,7%. Es 
bedingen somit die 13,1 Prozente Wasser, welche sich in der lufttrockenen Stärke 
befinden, beim Eintritt in die Substanz eine Temperaturerhöhung um 8,9° C. 


1) 40 gr. lufttrockenes Stärkemehl enthalten 5,24 Imbibitionswasser, somit 34,76 gr. Substanz. 
Bei Zusatz von 29,52 Wasser war die Menge des Wassers gleich derjenigen der trockenen Substanz 
wie in dem vorhergehenden Versuch. 


Abh. d. II. Cl.d. k. Ak. d. Wiss. XIII. Bd. II. Abth. 25 


188 


Die Wärmemenge, welche bei der Imbibition des trockenen Stärkemehls frei 
wird, rührt davon her, dass ein Theil des eintretenden Wassers in einen weniger 
bewegten Zustand übergeht. Jene Menge stellt aber nicht die ganze Summe der 
durch diesen Vorgang ausgelösten Wärme dar, weil ein Theil der letzteren dazu 
verwendet wird, um den Verlust zu decken, welcher aus dem Auseinandertreten der 
Micelle und ihrer lebhafteren Bewegung sich ergiebt. Die Wärmetönung bei der 
Imbibition zeigt uns also nur die Differenz zweier entgegengesetzter Wirkungen an, 
wie dies auch bei der Auflösung eines wasserfreien Salzes der Fall ist, wo die Hydro- 
pleonbildung als wärmeerzeugender, die Trennung und der Uebergang der starren 
Salztheilchen in die fortschreitende Bewegung als kälteerzeugende Processe zusam- 
mentreffen und als Gesammtergebniss bald ein Steigen, bald ein Sinken der Tempe- 
ratur verursachen. Nur sind beim Lösen eines Salzes die kälteerzeugenden Processe 
viel wirksamer und daher auch die Temperaturerniedrigungen der häufigere Fall. 


Wenn wir bestimmte Vorstellungen von der Grösse der Micelle hätten, so liesse 


sich bereehnen, wie viel Wärme auf das einzelne Micell und wie viel annähernd auf 


die Flächeneinheit frei wird, und es liesse sich ein Vergleich zwischen der Micell- 
benetzung und der Hydropleonbildung anstellen. Daran ist aber vorerst nicht zu 
denken, und man könnte nur auf einem Umwege durch eine Reihe vergleichender 
Versuche an Substanzen von ungleicher micellarer Constitution zu einem einige Ge- 
wissheit gebenden Resultat gelangen. Einstweilen genügt die beobachtete bedeutende 
Temperaturerhöhung zu dem Beweise, dass bei der Benetzung der Micelle wirklich 
ein ganz analoger Vorgang stattfinden muss wie bei der Hydropleonbildung. 100 gr. 
Weizenstärke nehmen nahezu 100 gr. Imbibitionswasser auf; davon waren in dem 
zu dem Versuche verwendeten lufttrockenen Stärkemehl noch 15,1 gr. enthalten 
(= 13,1 Proz.). Die Aufnahme dieser 15,1 gr. Wasser bewirkte eine Temperatur- 
erhöhung um 8,9°C., die Aufnahme der ganzen übrigen Wassermenge (84,9 gr.) nur 
eine weitere Erhöhung um 2,7° C.t). Es ist daher fast nur der geringe Theil des 
Imbibitionswassers, welcher in trockener Luft noch festgehalten wird, an der Tempe- 
raturerhöhung in hervorragender Weise betheiligt; seine Molecüle müssen sich, wie 
die Wassermolecüle der Hydropleone, nahezu in einem starren und eisähnlichen Zu- 
stande befinden. 


Die Erscheinungen, welche die Adhäsion des Wassers an festen Körpern und 
der Durchgang desselben durch Capillarröhren darbietet, beweisen, dass sich zunächst 
an der festen Substanz eine unbewegliche oder wenigstens eine schwer bewegliche 
Wasserschicht befindet. Aus der absoluten Grösse, welche für die Wirkungssphäre 
der bemerkbaren Anziehungskraft einer festen Oberfläche auf Wasser von Quincke 
bestimmt worden, und aus der absoluten Grösse, welche sich aus den Berechnungen 


1) Die beiden Zahlen 8,9 und 2,7 sind direkt vergleichbar, da in beiden Fällen gleiche Mengen 
von Stärke und Wasser die Temperaturerhöhung erfuhren. 


189 


von Thomson, Maxwell und andern Physikern, für den Raum eines Wasser- 
molecüls ergiebt, würde folgen, dass das Wasser bis auf die Entfernung von einigen 
Tausend Molecülen die Anziehung der festen Oberfläche in merklichem Grade erfährt 
und daher in verminderter Bewegung sich befindet. Anziehung und Bewegungsver- 
lust nehmen natürlich nach dem festen Körper hin zu, und steigern sich möglicher 
Weise in den unmittelbar angrenzenden Wassermoleceülen (in einer einfachen oder 
mehrfachen Schicht) zur vollkommenen Starrheit. 


Eine bessere Einsicht in die Bewegungszustände der durch Adhäsion gebun- 
denen, der festen Oberfläche zunächst liegenden Wassermolecüle vermag uns das 
Verhalten der Hydropleone zu geben. Die Salze haben im Allgemeinen eine grosse 
Verwandtschaft zu Wasser. Beweis hiefür giebt uns das Krystallwasser, welches 
manche beim Festwerden zurückhalten, und zwar mit so grosser Kraft, dass dasselbe 
in einem noch unbeweglicheren Zustande sich befindet als im Eis. Der Umstand, 
dass viele Salze ohne Wasser krystallisiren, beweist dagegen noch nicht ihren Mangel 
an Verwandtschaft zu Wasser, sondern bloss, dass die Salzmolecüle bei Anwesenheit 
von wenig Wasser auf die Molecüle des letzteren eine geringere Anziehung ausüben 
als auf die Salzmoleeüle selber. Ihre Anziehung auf das Wasser kann doch noch 
ziemlich bedeutend sein; nur ist sie nicht bloss relativ, sondern auch absolut geringer 
als bei den krystallwasserführenden Salzen, wie sich beispielsweise aus der Vergleich- 
ung der Wärmetönungen beim Lösen von Kali- und Natronsalzen ergiebt. Die ana- 
logen Verbindungen des Kaliums absorbiren eine viel grössere Wärmemenge als die des 
Natriums; die ersteren krystallisiren ohne, die letzteren mit Krystallwasser. So be- 
trägt die Wärmeentwicklung für ein sich in Wasser lösendes Molecül Jodnatrium 
+ 1220 Cal. und für Jodkalium — 5110 Cal., ferner für Bromnatrium — 150 Cal. 
und für Bromkalium — 5080 Cal, endlich für schwefelsaures Natron 4 760 Cal. und 
für schwefelsaures Kali — 6380 Cal. Daraus geht hervor, dass die Natronsalze, 
wenn sie in Lösung gehen, das Wasser viel fester binden als die Kalisalze, indem 
sie pro Molecül eine um eben so viel grössere Bewegungssumme in den Wasser- 
molecülen zur Ruhe bringen, als die Differenz in den molecularen Lösungswärmen: 
angiebt. 

Die Molecüle der Salze, welche mit Krystallwasser fest werden, sind auch m 
den Lösungen wenigstens mit eben so vielen Wassermolecülen zu Hydropleonen ver- 
einigt, als in dem festen Salz, das am meisten Krystallwasser enthält. Diese An- 
nahme wird durch die Wärmetönungen beim Lösen gefordert. Wenn aber ein Salz 
ohne Wasser krystallisirt, so folgt daraus nicht das Ausbleiben von Hydropleon- 
bildung bei der Lösung, sondern bloss ein durch die Wärmetönung angezeigter we- 
niger fester Zusammenhang der Hydropleone. Dass der (ohne Wasser krystallisirende) 
Rohrzucker in der Lösung wirklich mit Wassermolecülen vereinigt sein muss, lässt 
sich, wie ich nachher zeigen werde, aus den Temperaturveränderungen beim Auflösen 
nachweisen. Ebenso ist die Möglichkeit nicht ausgeschlossen, dass ein Krystall- 


25 * 


190 


wasser-führendes Salz, wenn es sich löst, noch mehr Wasser anziehe und in seine 
Hydropleone aufnehme. 

Wenn wir die Salze, welche mit Wasser krystallisiren, mit einander vergleichen, 
so sehen wir, dass die Maximalzahlen der Wassermolecüle, die mit einem Salzmolecül 
vereinigt sind, mit der Grösse und Zusammensetzung des letzteren steigen. Die Ha- 
loidsalze krystallisiren höchstens mit 4, die schwefelsauren, kohlensauren, phosphor- 
sauren Salze höchstens mit 10 oder 12, die doppelmolecüligen Alaunsalze dagegen 
mit 24 Mol. Wasser. Jedes dieser Wassermolecüle muss, wie es die starke Anzieh- 
ung und die dadurch bedingte grosse Starrheit nicht anders zulassen, unmittelbar 
an das Salzmoleeül angrenzen und kann nicht etwa durch ein zwischenliegendes 
Wassermolecül mit demselben vereinigt sein. Damit sind aber nur die Stellen 
grösster Anziehung besetzt. Das Moleeularvolumen des Salzes erlaubt jeweilen we- 
nigstens der doppelten Anzahl von Wassermolecülen eine unmittelbare Vereinigung 
mit dem Salzmolecül. Diese überschüssigen Wassermolecüle, die unter allen Um- 
ständen an die virtuelle Oberfläche der Salzmolecüle anstossen müssen, werden ohne 
Zweifel durch die Anziehung der letzteren sich in verminderter Bewegung befinden, 
aber bei Weitem hinter der Starrheit der eigentlichen Krystallwassermoleeüle zurück- 
bleiben. Es ist somit im höchsten Grade wahrscheinlich, dass die in Lösung befind- 
lichen Salzmolecüle mit einer einfachen Lage von Wassermolecülen zu einem Hydro- 
pleon vereinigt seien, die aber vom ersten bis zum letzten ungleich grossen Anzieh- 
ungen entsprechen und daher auch in einen ungleichen Grad der Starrheit überge- 
gangen sind. 

Wie die Salzmolecüle der Lösung müssen sich auch die Micelle verhalten, mögen 
sie sich im gelösten oder im benetzten festen Zustande befinden; denn jedes ober- 
flächliche Molecül derselben zieht ebenfalls an der freien Anssenseite Wasser an, aber 
an verschiedenen Stellen mit ungleicher Kraft. Bei grösserer allgemeiner Verwandt- 
schaft werden an jedem Molecül einzelne Stellen sein, die eine vollkommene Starrheit 
der anstossenden Wassermolecüle bedingen. Die dazwischen liegenden Stellen be- 
wirken zwar eine geringere Bewegungslosigkeit, aber unter dem Schutze jener starren 
Molecüle können auch hier die Wassermolecüle sich in Ruhe befinden. Es muss 
also von der Verwandtschaft, die eine Substanz im Allgemeinen zu Wasser hat, ab- 
hängen, ob die zunächst an der Oberfläche ihrer Micelle befindliche einschichtige 
Lage von Wassermoleeülen vollkommen unbeweglich oder nur sehr schwer beweglich 
sei. In den meisten organisirten Substanzen dürfte diese Hülle nahezu unbeweglich 
sein, wenn wir die starke Anziehung berücksichtigen, welche Stärke, Cellulose, Albu- 
minate auf das Wasser ausüben, und von welcher der Feuchtigkeitsgehalt im luft- 
trockenen Zustande und die Erwärmung bei der Imbibition Zeugniss geben. 

Dieses einschichtige nahezu unbewegliche Häutchen von Wassermoleeülen um 
die Substanzmicelle ist nicht nur bei der Diosmose, sondern bei allen physiologischen 
Vorgängen zu berücksichtigen. Seine Starrheit wird vermehrt durch die Einlager- 
ungen fremdartiger, unorganischer und organischer Stoffe, welche keiner organisirten 


191 


Substanz ganz mangeln, und die wir uns wohl in keiner anderen Weise vorstellen 
können, als dass die Moleeüle dieser Stoffe sich an die Micelle anlegen, also an die 
Stelle von Moleeülen jenes Häutchens treten. Durch die Einlagerungen wird, wenn 
sie in geringer Menge vorhanden sind, das Wachsthum der Moleeüle innerhalb des 
Häutchens nicht gehemmt, wohl aber möglicher Weise die Unlöslichkeit bedeutend 
vermehrt. Sind sie aber reichlicher vorhanden, so können sie gleichsam einen Panzer 
um die Micelle bilden und dieselben nicht nur wachsthumsunfähig, sondern auch für 
Quellungs- und Lösungsmittel fast unangreifbar machen. Beispiele hiefür finden wir 
in gewissen Modificationen der Öellulose und zum Theil auch der Albuminate, 


Unter den Verbindungen, welche uns über die molecularen und micellaren 
Verhältnisse in der organischen Welt Aufschluss zu geben vermögen, stehen die 
Kohlenhydrate allen anderen voran. In ihnen ist die Verwandtschaft zu Wasser, 
die Löslichkeit der einen, die Imbibitionsfähigkeit der anderen, besonders ausgeprägt. 
Unter den molecularlöslichen Kohlenhydraten }) giebt uns der Rohrzucker das 
Beispiel einer Substanz, die ohne Wasser krystallisirt, in der wässrigen Lösung aber 
Hydropleone darstellt. Dies geht aus der Vergleichung der Wärmetönungen bei der 
Lösung von Rohrzucker und von krystallwasserfreiem Salz hervor. Wenn man ein 
solches Salz dem Wasser nacheinander partieenweise zusetzt, indem man nach jeder 
Lösung die Temperatur wieder auf die ursprüngliche Höhe bringt, so wird beim 
ersten Lösungsakt am meisten, bei jedem folgenden weniger Wärme absorbirt, und 
die Abnahme der absorbirten Wärmemenge fällt rasch ab. 

Als Beispiel führe ich das salpetersaure Ammoniak an (NH?NO°), welches fol- 
gende Resultate ergab. Das Salz wurde in Partieen von je 10 gr. zu 50 ccm. de- 
still. Wasser zugesetzt; die Anfangstemperatur betrug immer 18°C. Die Tempera- 
turerniedrigungen (das erste Mal von 18° auf 6,8°) wurden mit dem Thermometer 
gemessen; sie betrugen für 8 auf einander folgende Lösungen 11,2°C.; 8°; 6,6°; 
5,8%; 5,10; 4,6%; 4,2°; 3,8°. Als noch einmal 10 gr. Salz zugesetzt wurden, blieb 
etwa ein Drittel ungelöst und die Erniedrigung betrug 2,2°C.?). Wenn die verän- 
derte Wärmecapacität der Lösungen und die zunehmende Menge ihres Gewichtes in 
Anschlag gebracht werden, so bedingte bei dem eben angeführten Versuch jeder 
spätere Lösungsakt eine geringere Wärmeabsorption, was nichts anderes heisst, als 
dass die Gesammtsumme der Bewegungen jedes folgende Mal bei gleicher Menge der 


1) Dass die Zuckerarten im Gegensatz zu den übrigen Kohlenhydraten mit hinreichenden Wasser- 
mengen moleculare und nicht etwa micellare Lösungen bilden, geht mit vollster Sicherheit aus der 
vollkommenen Uebereinstimmung mit Salzlösungen hervor, indem sie unter allen Umständen mit 
Leichtigkeit durch Membranen diosmiren und aus gesättigten Lösungen als Krystalle fest werden. 


2) Die gesammten Temperaturerniedrigungen geben die Summe 51,5°C. Bei einmaligem Zusatz 
der ganzen Salzmenge erhielt Rüdorff ein Sinken der Temperatur von 13,6°C. auf — 13,6°, also eine 
Differenz von 27,2°C. Die gesättigte Lösung enthielt aber, wegen der niedrigen Endtemperatur, 
bloss 30 gr. Salz auf 50 Wasser. 


192 


in Lösung gehenden Salztheilchen eine geringere Zunahme erfuhr. Dieses Resultat 
ist ganz begreiflich, und es erweckt daher unser Interesse, dass der Rohrzucker sich 
wesentlich anders verhält, wie der folgende Versuch erweist. 

Zu 50 cem. Wasser wurden je 10 gr. feingepulverter Rohrzucker zugesetzt; die 
Anfangstemperatur betrug immer 20°C. Die Temperaturerniedrigungen (das erste 
Mal von 20° auf 19,2°) beliefen sich bei den 8 ersten Zusätzen auf 0,8°; 0,8°; 0,75°; 
0,7%; 0,65°; 0,65°; 0,6%; 0,6%. Dabei ist zu bemerken, dass der Zucker sich nur 
die ersten Male rasch, später aber langsamer löste, wobei natürlich etwas Wärme 
von aussen aufgenommen wurde. Beim 9., 10. und 11. Zusatz erfolgte die Lösung 
schon sehr langsam und auch unvollständig, so dass die Angabe der Temperaturer- 
niedrigungen, die übrigens nur wenig hinter den angegebenen zurückblieben, keinen 
Werth hat. Wenn also der Rohrzucker partieenweise gelöst wird, so bedingen die 
ersten und die letzten Zusätze beinahe die nämliche Ermässigung des Wärmegrades 
in der ganzen Masse. Diess ist schon an und für sich und besonders beim Vergleich 
mit dem salpetersauren Ammoniak auffallend, bei welchem das Thermometer bei dem ' 
1. Lösungsakt um 11,2°, beim 8. hloss um 3,8° sank. 

Der Unterschied im Verhalten des genannten Salzes und des Rohrzuckers lässt 
sich, wie ich glaube, nur durch die Annahme erklären, dass bei der Lösung des 
Zuckers noch ein wärmeerzeugender Process mitspielt, welcher bei den successiven 
Lösungsakten fast in gleichem Masse wie der kälteerzeugende Process abnimmt. Die 
Ursache der Wärmeerzeugung können wir bloss in der Anziehung finden, welche die 
Zuckermolecüle auf das zunächst liegende Wasser ausüben, so dass dasselbe in einen 
weniger bewegten Zustand übergeht. Die Menge der freiwerdenden Wärme muss 
aber mit jedem folgendem Zusatz geringer ausfallen, weil von den neu eintretenden 
Zuckermolecülen zum Theil solches Wasser in Anspruch genommen werden muss, das 
schon durch die früher gelösten Zuckermolecüle eine Minderung seiner Bewegung er- 
fahren hat. Wir müssen also- annehmen, dass der Rohrzucker im Wasser Hydropleone 
bilde, und dass, wenn die Hydropleonbildung vielleicht auch dem salpetersauren Am- 
moniak nicht mangelt, dieselbe beim Rohrzucker doch mit einer viel festeren Bind- 
ung der Wassermolecüle und in Folge dessen mit einer viel bemerkbareren Beein- 
flussung der Wärmetönung verbunden sei. 

In der Zuckerlösung lässt sich noch eine andere interessante Thatsache wahr- 
scheinlich machen, die Micellbildung. Dieser Gedanke wird uns nahe gelegt durch den 
ungleichen Charakter der Wärmetönungen, welche beim Verdünnen einer gesättigten 
Lösung von salpetersaurem Ammoniak und einer solchen von Rohrzucker auftreten. 
25 ccm. der gesättigten Lösung von salpetersaurem Ammoniak wurden mit 25 ccm. Wasser 
vermischt; die Temperatur beider Flüssigkeiten betrug 19,7°C. Beim Vermischen er- 
niedrigte sie sich auf 14,6°C., also um 5,1°. Das Gemisch wurde wieder auf 19,7° 
erwärmt und dann abermals 25 ccm. Wasser zugesetzt; das Thermometer sank dies- _ 
mal auf 18,2°, also um 1,5°. Diese Wärmeabsorption beim Verdünnen der Lösung 
eines Salzes, welches beim Lösen Wärme aufnimmt, ist eine allgemeine und bekannte 


193 


Thatsache. Man sollte also erwarten, dass eine Zuckerlösung bei Wasserzusatz eben- 
falls ihre Temperatur erniedrige, da der Zucker sich unter Wärmeaufnahme löst. 
Allein es tritt das Gegentheil ein. 

25 cem. der gesättigten Rohrzuckerlösung von 19,4°C. wurden mit 25 cem. 
der gleichen Temperatur vermischt; die Temperatur stieg auf 20,1°, also um 0,7°. 
Ein abermaliger Zusatz von 25 cem. Wasser, diesmal mit der Anfangstemperatur 
von 19,8°, hatte eine Erhöhung auf 20,0°, also um 0,2° zur Folge. — Ferner 
wurden 40 cem. gesättigte Zuckerlösung mit 10 cem. Wasser vermischt; die Tempe- 
ratur stieg von 19,4°C. auf 19,7°, also um 0,3%. Ein zweiter Zusatz von 10 ccm. 
Wasser bewirkte eine Erhöhung von 19,4° auf 19,6°, also um 0,2%. Ein dritter 
Zusatz von 10 cem. Wasser liess keine Temperaturveränderung mehr wahrnehmen. 


Es geht also bei der Verdünnung einer concentrirten Zuckerlösung neben dem 
kälteerzeugenden Process, der nothwendig vorhanden sein muss, wieder ein wärme- 
erzeugender Process nebenher, und zwar überwiegt diesmal der letztere. Die Wärme 
kann bloss durch Hydropleonbildung frei werden. Im Uebrigen aber sind zwei An- 
nahmen möglich. Entweder ist die gesättigte Zuckerlösung eine Molecularlösung ; 
dann sind alle Wassermolecüle mit den Zuckermolecülen pleonisch vereinigt. Die 
letzteren vermögen aber eine viel grössere Menge von Wasser anzuziehen, als ihnen 
die gesättigte Lösung darbietet. Daher wird bei der Verdünnung so lange Wärme 
frei, als noch Wasser sich mit Zuckermolecülen vereinigen und in einen Zustand ge- 
minderter Bewegung übergehen kann. — Oder die gesättigte Zuckerlösung ist eine 
Micellarlösung. Dann bewirkt der Zusatz von Wasser das Zerfallen der Micelle in 
die einzelnen Molecüle, welehe sich mit Wassermolecülen zu Hydropleonen vereinigen 
und somit wieder Wärme frei machen. 

Ob das Eine oder Andere wahrscheinlicher sei, darüber müssen andere Betrach- 
tungen entscheiden. Die bei gewöhnlicher Temperatur gesättigte Rohrzuckerlösung 
besteht aus 2 Theilen Zucker und 1 Theil Wasser; es treffen somit auf 2 Mole- 
eüle Zucker 19 Molecüle Wasser. Das Moleeularvolumen des Rohrzuckers im kry- 
stallisirten Zustande ist an oder 212,95, das des Wassers ist 13; es verhält sich 
also das erstere zu dem letzteren wie 11,831:1. Die Durchmesser der kugelig oder 
kubisch gedachten Molecularvolumen der beiden Verbindungen aber verhalten sich 

3 


wie Y11,831:1 oder wie 2,2786:1. Bei vorausgesetzter Kugelgestalt des Zucker- 
molecüls!) stösst demnach dasselbe, wenn es sich in einer hinreichenden Menge 
Wasser befindet, ungefähr an 44 Wassermolecüle an; wenn es aber, was wohl un- 
zweifelhaft ist, eine andere Gestalt besitzt, so berührt es eine entsprechend grössere 
Zahl, so dass wir wohl 50 als Minimum annehmen dürfen. In der gesättigten Lö- 
sung sind für jedes Zuekermoleeül bloss 9 bis 10 Wassermolecüle disponibel. Ist 
es eine moleculare Lösung, so müssen diese Wassermolecüle wegen der grossen Ver- 


1) Wenn ich hier und in der Folge von Grösse und Gestalt des Molecüls spreche, so verstehe 
ich darunter immer den Raum, den es sammt seiner Wirkungssphäre wirklich in Anspruch nimmt. 


194 


wandtschaft zwischen den beiden Verbindungen, mit den Zuckermolecülen zu Hydro- 
pleonen vereinigt sein,und zwar müssen sie die Stellen der grössten Anziehung ein- 
nehmen, während die übrigen Be der Oberfläche eines Zuckermoleeüls unbesetzt bleiben. 
Wir haben uns dann die Vorstellung zu bilden, dass das bei gewöhnlicher Tempe- 
ratur unbewegliche Zuckermoleeül durch die 9 oder 10 mit ihm vereinigten Wasser- 
moleeüle bewegungsfähig werde. Bei 40°C. genügen 6 Wassermolecüle, um dem Zucker- 
moleeül die Eigenschaften eines Flüssigkeitstheilchen zu verleihen, und mit dem wei- 
tern Steigen der Temperatur wird für diesen Zweck eine immer kleiner werdende Zahl 
von Wassermoleeülen erfordert, welche stets die der grössten Anziehung entspre- 
chenden Punkte der Oberfläche besetzen, bis zuletzt der Zucker ohne Hülfe von 
Wasser flüssig wird. 

Die Möglichkeit eines solchen Verhaltens ist sicher vorhanden; dann hat aber 
die gesättigte Rohrzuckerlösung bei jeder Temperatur, auch bei 0°, nicht eigentlich 
den Charakter einer Lösung, sondern eher den des geschmolzenen Zustandes, indem 
sie aus gleichartigen in Bewegung begriffenen Theilchen (den Hydropleonen) besteht. 
Mit der eigentlichen Lösung verbinden wir gewöhnlich die Vorstellung, dass Thejl- 
chen einer unlöslichen Substanz, also Theilchen, die bei der gegebenen Temperatur 
unbeweglich sind, durch die Stösse von Flüssigkeitstheilchen, also von Theilchen, 
die sich neben und durcheinander fortbewegen, in Bewegung erhalten werden. Dies 
ist für die gesättigte Zuckerlösung nur denkbar, wenn sie nicht eine moleeulare, sondern 
eine micellare Lösung darstellt, — und hierin eröffnet sich die zweite möglicheVorstellung. 

Dass die gesättigte Rohrzuckerlösung nicht eine Molecularlösung im gewöhn- 
lichen eben angegebenen Sinne sein kann, geht aus dem Grössen- und Zahlenver- 
hältniss der Zucker- und Wassermolecüle hervor. Ich will annehmen, dass das Vo- 
lumen, welches ein Moleeül einnimmt, in der Lösung sich gleich verhalte, wie wenn 
Zucker und Wasser getrennt sind. In Wirklichkeit wird das Verhältniss ein etwas 
anderes sein. Wenn Rohrzucker in grösserer Menge sich in Wasser löst, so findet 
Volumenzunahme statt; bei verdünnten Lösungen tritt Verdichtung ein. 100 Vo- 
lumtheile der bei gewöhnlicher Temperatur gesättigten Lösung enthalten 55,00 Vo- 
lumtheile krystallisirten Zucker und 44,17 Volumtheile Wasser; also hat beim Lö- 
sungsakt eine Volumvermehrung von 99,17 auf 100 statt gehabt. Diese Zunahme 
trifft ohne Zweifel den Raum, den die Zuckermolecüle einnehmen. Die schon oben 
gemachte Voraussetzung, dass in der Lösung das Moleeularvolumen des Zuckers zu 
dem des Wassers sich verhalte wie 11,831:1, begeht also einen kleinen Fehler, der 
aber für die nun folgende Erwägung fast ganz bedeutungslos ist und dessen Vermei- 
dung nur das Ergebniss noch steigern würde. 


Eine gleichmässige Vertheilung der freibeweglichen (nicht zu Hydropleonen 
vereinigten) Zucker- und Wassermolecüle in der gesättigten Lösung ist unmöglich; 
denn zwischen zwei polyedrisch gedachten Zuckermolecülen bliebe bloss ein Zwischen- 
raum, der kaum halb so gross wäre als der Durchmesser eines kugelig oder kubisch 
gedachten Wassermolecüls. Die Molecularlösung müsste also eine derartige ungleiche 
Vertheilung zeigen, dass die Zuckermolecüle stellenweise sich berührten, stellenweise 


5 195 


durch Wasser getrennt wären; es müssten selbst ziemlich ansehnliche Partieen in 
der Lösung stets nur aus Zuckermoleeülen bestehen. Diese Annahme ist unstatthaft, 
weil solche Partieen nichts anderes wären als geschmolzener Zucker, und weil der 
geschmolzene Zustand erst bei 166° eintritt und bei gewöhnlicher Temperatur sofort 
erstarren müsste. Stellt aber die gesättigte Rohrzuckerlösung eine Micellarlösung 
dar, so ist die Möglichkeit gegeben, dass die Micelle ganz von Wasser umgeben sind 
und durch das Wasser in beständiger Bewegung erhalten werden, wie die Molecüle 
in einer verdünnteren Lösung. 

Unter bestimmten Voraussetzungen lässt sich die Grösse der Zuckermicelle in 
der gesättigten Lösung bestimmen. Es ist dabei vor Allem wichtig zu entscheiden, 
durch wie viele Schichten von Wassermolecülen zwei Micelle wenigstens ge- 
trennt sein müssen. Aus den früheren Erörterungen ergiebt sich, dass das Zucker- 
molecül Wasser anzieht und in einen weniger bewegten oder starren Zustand ver- 
setzt. Es muss also auch das Zuckermicell von einer Lage theils starrer, theils wenig 
bewegter Wassermolecüle umgeben sein und ausserdem muss noch freies Wasser 
zwischen den Micellen vorkommen. Nehmen wir an, dass das sämmtliche Wasser 
für die einschichtigen Häutchen verwendet sei, dass also zwischen je 2 Micellen sich 
2 einfache Lagen von Wassermolecülen befinden, so müssen die Micelle durchschnitt- 
lich etwa aus 66 Zuckermolecülen bestehen. Verlangt die gesättigte Lösung 3, 4 
oder 5 Schichten von Wassermolecülen zwischen je 2 Micellen, so müssen diese 223, 
beziehungsweise 529 und 1033 Zuckermolecüle enthalten !). 

Es ist selbstverständlich, dass die Micellarlösungen nicht die angenommene 
Regelmässigkeit zeigen können. Diese Annahme sollte nur dazu dienen, um über- 
haupt eine Vorstellung der möglichen numerischen Verhältnisse zu gewinnen, die 


1) Da die Gestalt der Zuckermicelle unbekannt ist, nehme ich sie für die Rechnung kubisch 
an; andere Annahmen, wie etwa, dass sie die Gestalt von Zuckerkrystallen haben oder dass sie kugelig 
seien, würden zu beträchtlich grösseren Micellen führen. Die Rechnung ergiebt also Minimalwerthe. 

Wenn die gesättigte Lösung aus 2 Gew.th. Rohrzucker und 1 Gew.th. Wasser besteht, so ent- 
halten, wie bereits im Text bemerkt wurde, 100 Volumth. Lösung 55,00 Volumth. Zucker und 44,17 
Volumth. Wasser. Das Volumen des Zuckermicells zu dem seiner Wasserhülle muss sich also verhalten 
wie 55,00:44,17 oder wie 1: 0,303, und das Zuckermicell allein zu dem Micell sammt seiner Wasserhülle 


gprkiewkuel ek, 
wie 1:1,803. Die Durchmesser dieser beiden Würfel sind 1 und V 1,803 oder 1,2171. Somit ist, 


‘ wenn der Durchmesser eines Micells = 1, die Dicke der überall gleichmächtigen Wasserhülle 171 


oder 0,1085, und der mit Wasser erfüllte Abstand zwischen zwei Micellen beträgt 0,2171. — Das 
Volumen des Rohrzuckermoleceüls verhält sich zu dem des Wassermolecüls, wie ebenfalls bereits ange- 
geben worden, wie 11,831:1 und der Durchmesser (bei angenommener Würfelgestalt der Molecüle) wie 
2,2786:1° oder wie 1:0,438891. 

Wird nun das Volumen des Zuckermoleeüls als Einheit angenommen, und Bene wir mitx 
die gesuchte Zahl der Molecüle, welche ein Zuckermicell zusammensetzen, so ist / x der Durch- 
messer des Micells ausgedrückt in Molecüldurchmessern. Ferner ist, da der Durchmesser 
eines Wassermolecüls = 0,43891, wenn wir die Zahl der Wassermoleceülschichten, welche zwei 
Zuckermicelle trennen, mit n bezeichnen, der Abstand der letzteren n.0,43891; dies ist aber auch 

Abh. d. II.Cl.d.k. Ak.d. Wiss. XIII. Bd. II. Abth. 26 


196 


auch zur Vergleichung mit den verwandten organisirten Substanzen (Stärke und 
Cellulose) nicht ohne Interesse sind. In Wirklichkeit müssen die Micelle der Lösung 
ungleiche Grösse, Gestalt und Vertheilung im Wasser haben, wodurch die Grösse 
derselben im Allgemeinen die angenommenen Werthe unter den übrigens gleichen 
Voraussetzungen erheblich überschreitet. Mit Rücksicht darauf dürfen wir wohl an- 
nehmen, dass in der gesättigten Rohrzuckerlösung die Micelle wenigstens eine durch- 
schnittliche Moleeülzahl zwischen 200 und 1000 zeigen werden. 


Wir können ferner die Micelle in dem vorliegenden Falle, was Grösse und 
Gestalt betrifft, nicht als beständig betrachten. Vielmehr sind dieselben in stetem 
Wachsen und Abnehmen, in steter Neubildung und Auflösung begriffen, je nach den 
momentanen Einflüssen des umgebenden Mediums, je nachdem bei der unaufhörlichen 
wogenden Bewegung der Flüssigkeitstheilchen das Micell bald mit mehr bald mit 
weniger Wasser, bald mit Wasser, das einen grösseren, bald mit solchem, das einen 
geringeren Gehalt an gelösten Moleeülen besitzt, in Berührung kommt, je nachdem 
ferner das Micell in Regionen mit grösseren oder kleineren Mengen von freier Wärme 
gelangt, denn diese muss wegen der Verdunstung und wegen der beständigen Ver- 
änderung des Aggregatzustandes auch beständig wechseln. — Die gesättigte Micel- 
larlösung von Rohrzucker zeigt also rücksichtlich der zeitlichen Constanz eine we- 
sentliche Verschiedenheit gegenüber den Micellarlösungen von Dextrin und Gummi. 
Die Micelle der letzteren sind, weil unlöslich, auch unveränderlich. 


Wie der Rohrzucker verhält sich auch der Traubenzucker in gesättigter Lösung, 
für welche die nämlichen zwei Annahmen gemacht werden können. Entweder ist 
sie eine Flüssigkeit von Hydropleonen mit dem Charakter des geschmolzenen Zu- 
standes oder eine wirkliche Lösung von Micellen. — Bei 15°C. lösen sich in 100 
Wasser 81,68 wasserfreier Traubenzucker (CsHı206); also kommen auf 1 Molecül 
Zucker 12,24 Molecüle Wasser. Das Molecularvolumen des Zuckers ist ungefähr 
128,6 und verhält sich zu dem des Wassers wie 7,14:1 oder wie 1:0,140; die 
Durchmesser der beiden Moleeüle verhalten sich zu einander wie 1,926:1. Das 
Zuckermolecül wird in einer hinreichenden Menge Wasser (für vorausgesetzte Kugel- 
gestalt) wenigstens von 27 Molecülen Wasser berührt. 


Bildet der Traubenzucker bei der Sättigung eine micellare Lösung, so enthalten 
die Micelle das gewöhnliche Krystallwasser; sie sind dann aus Hydropleonen von 
CsHı1206-+-H»O zusammengesetzt. Sind die Micelle durch 2 Schichten von Wassermole- 


die Summe der beiden dem Micell angehörenden, diametral gegenüber liegenden Wassermolecülschichten. 
Da nun gefunden wurde, dass der Durchmesser des Micells sich zu dieser Summe verhält wie 1:0,2171, 


au Sm, MANS 
so haben wir die Proportion / x :n.0,43891 = 1:0,2171; daraus Y x = Sn ; V x —n2,0217 


und endlicn x =n?.8,2632. Indem man für n nacheinander die Werthe 2, 3, 4, 5 einsetzt, erhält 
man die im Texte angegebenen Zahlen der ein Micell bildenden Molecüle; dieselben verhalten sich 
wie die dritten Potenzen aus den Zahlen der trennenden Wassermolecülschichten. 


197 


cülen getrennt, so beträgt ihre Pleonzahl 25 ; befinden sich aber 3, 4 oder 5 Schichten 
von Wassermolecülen zwischen je zwei Micellen, so besteht jedes der letzteren aus 
83, beziehungsweise 197 und 385 Paaren von 1 Zucker- und 1 Wassermoleeül ?). 


Es versteht sich, dass die Erwägungen, welche sich für die gesättigten Zucker- 
lösungen anstellen lassen, auch für alle andern sehr leicht löslichen Stoffe gelten. 
Ob dabei die Micellbildung wirklich stattfinde, dürfte erst entschieden werden, wenn 
die genauen Wärmetönungen für die verschiedenen Concentrationen der Lösung er- 
forscht sind. Bis dahin ist die Theorie, dass Molecularlösungen bei der Annäherung 
an den Sättigungszustand in Micellarlösungen übergehen können, bloss eine nahe 
liegende Wahrscheinlichkeit. Sie kann einige Unterstützung finden an der verwandten 
Theorie, dass in geschmolzenen Körpern bei der Annäherung an die Erstarrungs- 
temperatur dem Festwerden ebenfalls Micellbildung vorausgehe, wie diess für das 
Wasser so ausserordentlich wahrscheinlich ist. Die einfachste Erklärung für die be- 
kannte Erscheinung, dass das Wasser mit dem Sinken der Temperatur bis zu 4°C. 
sein Volumen vermindert, dann bis zu 0° sich wieder ausdehnt, und beim Gefrieren 
noch eine stärkere Ausdehnung erfährt, scheint mir die, dass bei 4° noch alle Wasser- 
molecüle in Bewegung, also im flüssigen Zustande sich befinden, dass sie aber unter 
4° beginnen, sich zu kleinen Krystallanfängen oder Micellen zu vereinigen. Die 
Menge der Eismicelle vermehrt sich mit der Annäherung an den Nullpunkt und in 
Folge dessen nimmt auch das Volumen zu. Dabei bleibt das Wasser als Micellarlö- 
sung noch vollkommen flüssig, bis die dauernde Wärmeentziehung Eisbildung in 
grösserem und sichtbarem Masse bewirkt. 

Was die micellaren Verhältnisse der unlöslichen Kohlenhydrate (Stärke, Cellu- 
lose) betrifft, so setze ich die hier nicht weiter zu erörternde Thatsache als sicher 
voraus, dass im Allgemeinen (die Micelle im jugendlichsten Stadium und in äusserst 


1) Die gesättigte Traubenzuckerlösung enthält auf 100 Gew.th. Wasser 97,85 Gew.th. cerystalli- 
sirten Zucker (CeHı.Os + H:O), somit 100 Volumtheile Wasser und nun oder 70,6 Volumtheile 
Zucker ; das Volumen des Micells verhält sich also zu demjenigen seiner Wasserhülle wie 70,6:100 
oder wie 1:1,416. Ein kubisches Micell, gleich 1 gesetzt, bildet mit der zugehörigen Wassermenge, 
welche dasselbe überall gleichmässig umgiebt, einen Würfel von dem Volumen 2,416 und dem Durch- 

Bee er 
messer V 2,416 oder 1,3418. Wenn also der Durchmesser des Micells =1, so ist der wasserführende 


Abstand zweier Micelle = 0,3418. — Das Volumen eines aus 1 Zucker- und 1 Wassermolecül besteh- 


enden Hydropleons ist ar oder 142,86. Dasselbe verhält sich zum Molecularvolumen des Wassers 


wie’ 142,86:18 oder wie 1:0,1260, und der Durchmesser eines Hydropleons verhält sich zum Durch- 
messer des Wassermolecüls wie 1: 0,1260 oder wie 1: 0,50133. 


7 
Ist nun x die Zahl der Pleone, welche ein Micell bilden, somit V x der Durchmesser des Mi- 
cells in Pleondurchmessern, ferner n. 0,50133 der Abstand zwischen je zwei Micellen (welcher der 
Summe der gegenüberliegenden Wasserhüllen des einzelnen Micells gleich ist), so haben wir die Pro- 
se adelan 
portion Y x :n.0,50133 = 1: 0,3418, daraus a x — n.1,4667 und somit x = n?. 3,0834. 
26 * 


198 


wasserreichen Partieen machen wohl eine Ausnahme) polyedrische Micelle regelmässig 
zusammengefügt sind und in einander greifen, und dass dieselben im benetzten Zu- 
stande mit Wasserhüllen von nahezu gleicher Mächtigkeit umgeben, also überall 
durch Wasserschichten von ungefähr gleicher Dicke getrennt sind. Unter dieser 
Voraussetzung stehen der Wassergehalt und der Substanzgehalt eines organisirten 
Körpers in einem bestimmten Zusammenhang, indem jener mit der 2. Potenz, dieser 
mit der 3. Potenz der Micelldurchmesser zunimmt. Damit erhalten wir aber 
bloss eine Andeutung über die relative Micellgrösse ungleicher Quellungszustände. 
Um bestimmtere Vorstellungen zu gewinnen, müssen noch andere Thatsachen auf- 
gefunden werden, die sich für die Beurtheilung des micellaren Aufbaues verwenden 
lassen. 

Eine solehe Thatsache ist die Aufnahme von gelösten Stoffen. Indem wir den 
geringsten hiefür erforderlichen Zwischenraum zwischen den Micellen annehmen, ge- 
lingt es, wenigstens untere Grenzen für die Micellgrösse bei einem bestimmten Wasser- 
gehalt der Substanz festzustellen. In dieser Beziehung dürfen wir aber nicht den 
Durchgang gelöster Stoffe durch Membranen als massgebend betrachten, weil der- 
selbe nicht nothwendig zwischen allen Micellen erfolgt, sondern möglicher Weise be- 
sonders dafür hergerichtete Wege einschlägt. Thierische Membranen mit ihren gröb- 
lieben Räumen können selbstverständlich nicht in Betracht kommen. Der Pflanzen- 
zellmembran mangeln zwar solche capillare Räume, indem die stärksten mikrosko- 
pischen Vergrösserungen sie als homogen erscheinen lassen. Dennoch müssen auch 
in ihnen weitere Kanälchen die Micellarstructur durchziehen, wie folgende Betrach- 
tung zeigt. 

Die grössten durch Pflanzenzellmembranen diosmirenden Körperchen sind wohl 
die Eiweissmicelle, welche mit alkalischen Flüssigkeiten und, wie ich gezeigt habe, 
in neutralem und schwachsaurem Wasser unter dem Einflusse der Gärthätigkeit dios- 
miren. Bei dem wahrscheinlicher Weise so hohen Moleculargewicht des Eiweiss- 
molecüls müssen diese Micelle eine sehr ansehnliche Grösse besitzen und können un- 
möglich durch die gewöhnlichen Zwischenräume zwischen den Cellulosemicellen hin- 
durchgehen. Wenn die letzteren eine polyedrische, regelmässig in einander passende 
Gestalt besitzen, so verhält sich in den dichteren Schichten von 33,3 Prozent Wasser- 
gehalt, wie sie häufig vorkommen, der Abstand zwischen den Micellen zu dem Durch- 
messer derselben wie 1:4,6 (das spezifische Gewicht der Cellulose zu 1,6 ange- 
nommen). In diesen Zwischenraum zwischen den Micellen können zahlreiche Wasser- 
molecüle und allenfalls Moleeüle von Verbindungen, die im Wasser gelöst sind, ein- 
treten; für die Aufnahme von Micellen aber ist derselbe viel zu eng. Um Micelle 
von gleicher Grösse, wie die anliegenden, aufzunehmen, müsste er 5,6 mal weiter 
sein; dann aber wären diese Micelle erst als feste und unbewegliche Bausteine ein- 
gesetzt. Um dieselben frei hindurchschwimmen zu lassen, müsste der Zwischenraum 
noch viel weiter werden. 

Dies gilt aber nicht bloss für die Diosmose der Eiweissmicelle. Da die Micel- 


199 


larabstände in einer Membran durch die beiden Anziehungen von Substanz zu Sub- 
stanz und Substanz zu Wasser geregelt sind, und da sie in Folge dessen überall un- 
gefähr gleich gross sein müssen, so können überhaupt keine freibeweglichen Micelle 
darin eireuliren. Denn wenn auch an den Ecken der Membranmicelle die Zwischen- 
räume weiter sind als an den Seiten, so reichen sie doch für den Durchgang von 
Micellarlösungen lange nicht aus. Wir sind daher zu der Annahme genöthigt, dass 
an gewissen Stellen